Debbie Harry, BLONDIE

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Happy Birthday

Debbie Harry, die am 1. Juli 2020 75 Jahre alt wird, ist eine Ikone in Sachen Punk und New Wave, aber auch in Sachen Mode. Ihre Outfits fertigte sie anfangs aus Kissenbezügen, Müll und Klebeband an, und in ihrer ersten Phase als Musikerin mit ihrer Band BLONDIE war sie eines der Aushängeschilder des legendären New Yorker Clubs CBGB, zusammen mit den RAMONES, TELEVISION, Patti Smith und Richard Hell. 1975 spielte die Band sieben Monate am Stück jedes Wochenende im CBGB.

Mit 19 Jahren war sie von New Jersey nach New York gezogen. Die erste Zeit in diesem Schmelztiegel, die für sie notwendig war, um sich von den einengenden bürgerlichen Konventionen in ihrer Adoptivfamilie zu lösen, war durchwachsen. Sie lebte von Jobs als Tänzerin, arbeitete als Sekretärin im Büro der BBC, war Kosmetikerin und Bunny im Playboy Club NYC („Sogar als Pin-up-Girl war ich Punk“). Sie arbeitete auch als Kellnerin im Max’s Kansas City, einem Nachtclub und Restaurant, in dem sich Künstler und Musiker wie Bob Rauschenbach, Andy Warhol (später wurden Fotos von ihr berühmt, auf denen sie ein „Andy Warhol’s Bad“-T-Shirt trägt), Mitglieder von VELVET UNDERGROUND bis hin zu David Bowie und Iggy Pop einfanden. Dort bediente sie auch Miles Davis („Die meisten hatten keinen Appetit, weil sie Junkies waren“, so Debbie Harry). In diesem Club spielten auch THE CRAMPS, die MISFITS und die NEW YORK DOLLS.

Anfang der Siebziger Jahre stieg sie bei THE STILETTOS ein, lernte 1974 den Gitarristen und späteren langjährigen Lebensgefährten Chris Stein kennen, mit dem sie 13 Jahre liiert war. Bis heute ist Stein – der mit seiner neuen Partnerin, der Schauspielerin Barbara Sicuranza zwei Kinder hat (Debbie Harry wollte nie Kinder) – nach ihrer eigenen Aussage, der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Sie gründeten zunächst ANGEL AND THE SNAKE und später BLONDIE. An dem Abend, an dem sich Chris Stein und Debbie Harry kennen lernten, war sie noch nicht blond, das kam erst ein halbes Jahr später. Der Name BLONDIE entstand aus dem Straßenjargon in New York, da man Debbie Harry auf der Straße oft „Hey Blondie!“ hinterherrief. Sie war eine optische Ausnahmeerscheinung und arbeitete auch als Modell.

Debbie Harry entwickelte ihren eigenen und prägenden Stil, der sie zwischen Punk- und Pop-Rebellin bis zur Downtown-Monroe positionierte: Overknees, Stulpen, Röhrenjeans, Jumpsuits, Vintage-Lederjacken, Kleider mit oder ohne Dekolleté. Ihre Modebotschaft war befreiend einfach: „Anything goes“, solange es dem Mainstream widersprach. Auf die Frage, was die typische BLONDIE-Attitüde ausmachen würde, antwortete Debbie Harry, aufgrund ihres Humors oft auch „Dirty Harry“ genannt: „Respektlosigkeit! Wir haben über alles nur höhnisch gelacht.“

BLONDIE veröffentlichten ihr erstes Album, als New York noch die Stadt war, die Martin Scorsese in „Taxi Driver“ (1976) skizzierte: hart, dunkel, gefährlich (Debbie Harry wurde auch Opfer einer Vergewaltigung) –, eine Stadt ohne Jobs und mit heruntergekommen Wohnungen. Eine Zeit, in der Debbie Harry auch mit wüsten und nicht selten chauvinistischen Klischeevorstellungen zu kämpfen hatte. So monierte ein „Musikjournalist“, dass eine Sängerin, die so gut aussieht wie sie und auf der Bühne tanzt, grundsätzlich nicht singen könne. Die Plattenfirma war ebenfalls nicht hilfreich in dieser Hinsicht und produzierte Aufkleber für die Alben und Buttons, die auf Konzerten verteilt wurden, mit dem Statement „Blondie is the name of the band“. Die Idee kam von einem Manager der Plattenfirma, der ebenso die Auffassung vertrat, dass die Band ohne Debbie Harry erfolgreicher wäre.

BLONDIE veröffentlichten ab 1976 zahlreiche Alben, zuletzt 2017 „Pollinator“. Allerdings sind es wohl die Platten aus der Punk- und New-Wave-Ära wie „Blondie“ (1976), „Parallel Lines“ (1977), „Plastic Letter“ (1978) und „Autoamerican“ (1980), die ihren Kultstatus manifestierten. Doch der Anfang war nicht leicht. Viele Radiostationen weigerten sich ihre zweite Single „X-Offender“ (1976) zu spielen. Der Song hieß ursprünglich „Sex offender“, doch die Lyrics waren der prüden Medienwelt der Siebziger Jahre in den USA zu anrüchig. „Heart of glass“ von 1978, ihr erster „Disco-Song“, war auch ihr erster Hit in den USA. Doch nicht alle freuten sich mit der Band. Die RAMONES warfen BLONDIE vor, ihre Integrität geopfert zu haben. Disco-affine Musik war in der Hochphase von Punk in New York wie ein Affront. Noch zwei Jahre zuvor war Debbie Harry im knappen schwarzen Lederslip mit großem Nietengürtel auf dem Cover des New Yorker Punk Magazine abgebildet. Ihr zerlöchertes T-Shirt ist mit einem Geier bedruckt, neben ihr seilt sich eine große Spinne ab. Die provokante Ästhetik von Punk faszinierte die Band, noch bevor in New York und London ein kommerzieller Trend daraus wurde.

In New York fand Debbie Harry schnell Kontakt zu Andy Warhol, der ein Siebdruck-Porträt von ihr anfertigte, welches 2011 bei Sotheby’s für 5,5 Millionen Pfund verkauft wurde. Sie wirkte auch bei „Andy Warhol’s TV“ mit, einer Fernsehshow, die 1980 im New Yorker Kabelfernsehen zu sehen war. Sie und Chris Stein haben bis heute in ihren Wohnungen in New York noch Bilder von Andy Warhol hängen. 1982, zu Zeiten des mittelmäßigen Albums „The Hunter“, wurde es dann eng für die Band. Die Platten liefen schlechter– auch wenn sie bis zur Auflösung 1982 mehr als 40 Millionen Tonträger verkauften. Der Manager hatte die Band im Stich gelassen, ihr Drogenkonsum, oft gemeinsam mit Iggy Pop und David Bowie, lief aus dem Ruder und bei Chris Stein wurde eine seltene und lebensbedrohliche Hautkrankheit diagnostiziert, die dafür sorgte, das sein Immunsystem kollabierte. Er verbrachte drei Monate im Krankenhaus und war danach zwei Jahre lang ein Pflegefall. Debbie Harry kümmerte sich hingebungsvoll um ihn und schob alles andere zur Seite. Am Ende ging die Beziehung in diesem Chaos in die Brüche. Doch bis heute sind sie eng befreundet und geben oft gemeinsam Interviews. Debbie Harry schätzt an ihrem langjährigen Weggefährten seinen Humor, seine Intelligenz und Großzügigkeit. BLONDIE reformierten sich schließlich1997.

Debbie Harry hat auch an etwa dreißig Filmen, unter anderem „Hairspray“ von 1988, in oft weniger glamourösen Nebenrollen mitgewirkt und ist dabei auch auf Harvey Weinstein getroffen, hat aber nie mit ihm zusammengearbeitet. Sie ist der Überzeugung, dass die #MeToo-Bewegung notwendige Veränderungen herbeiführen kann. BLONDIE waren nie eine explizit politische Band, aber zur Zeit der Apartheid hatte sich die Band geweigert, in Südafrika in Sun City zu spielen. Bei den olympischen Winterspielen im russischen Sotschi 2014 hat sich BLONDIE ebenfalls geweigert, vor 25.000 Zuschauern aufzutreten, da ihnen die Diskriminierung Homosexueller in Russland missfiel.

Heute trägt Debbie Harry auch mal ein T-Shirt mit dem Slogan „Stop fucking the planet“, sorgt sich um den Rückgang der Bienenpopulation und hat Ende 2019 ihre sehr auskunftsfreudige Autobiografie „Face It“ veröffentlicht. Dort plaudert sie etwa aus: „Einmal waren David Bowie und Iggy Pop auf der Suche nach ein bisschen Koks. Ihr New Yorker Dealer war überraschend verstorben, und sie hatten ihre Vorräte aufgebraucht. Ein Freund hatte mir ein Gramm gegeben, das ich bislang kaum angerührt hatte. Also gingen wir mit meinem bisschen Koks nach oben, und sie zogen es in einem Rutsch weg. Danach holte David seinen Schwanz raus – als wäre ich staatlich lizensierte Pimmelprüferin oder so was.“

In diesem Kontext umreißt sie pointiert ihre Position als Frau im männerdominierten Rock-Business: „Für mich ging es darum, mich als Mädchen, als Frau in einer Männerwelt zu behaupten, in einem von Männern dominierten Business. Das war sehr Punk.“ Doch sie distanziert sich nicht von der Bedeutung von Sex oder eben ihrer Ausstrahlung, die sie in ihrer Rolle einfach innehatte: „Ich konnte gar nicht anders, als meine Sexualität einzusetzen. Wir sind sexuelle Wesen. Das ist Teil der Kunst. Heute sind die Zeiten anders. Es ist eine gute Sache, dass wir über diese Dinge besser Bescheid wissen und mehr darüber reden. All die Diskussionen und Enthüllungen sind da sehr hilfreich, denn dann ist man das kleine bisschen klüger.“

Ende 2019 überreichte Debbie Harry ihrem langjährigen Freund Iggy Pop in London einen Lifetime Achievement Award – zwei Legenden des US-Punk zusammen auf der Bühne, zwei Menschen, deren Bedeutung für Gegenkultur man nicht hoch genug einschätzen kann.