DOCTOR EXPLOSION

Langsam, da sich die erste Aufregung um Rock aus dem Hohen Norden zu legen scheint, rücken neue Gruppen nach, die ebenfalls auf den grossen Durchbruch hoffen. So z.B. aus Spanien, wo sich derzeit eine hoffnungsvolle Punkrockband nach der anderen formiert. Um nur einige zu nennen: NUEVO CATECISMO CATOLICO, TEENDOGS, AEROBITCH oder die DISCIPULOS DE DIONISOS. Und dann natürlich DOCTOR EXPLOSION aus Asturias im Norden von Spanien, die etwas weniger punkig ausfallen als oben genannte Bands. Um etwas über die Szene in Spanien und ihr neues Album zu erfahren, traf ich mit Alvaro und Jorge im Proberaum von DOCTOR EXPLOSION und es entwickelte sich eine sehr lustige Unterhaltung über Orakel, die USA, Bürgermeister, die vom Balkon pinkeln und deutsche Mädels.

Also klärt die Leuten doch ein bisschen über die Gruppe auf. Wer spielt was? Woher kommt ihr? Seit wann besteht ihr schon?

Jorge: Verdammt, das klingt sehr biblisch (lacht über meine Spanischkenntnisse). Wir bestehen schon seit Anfang der Zeit. Ich bin Jorge und bin Sänger und Gitarrist.

Alvaro: Ich bin Alvaro und spiele Schlagzeug.

...fehlt nur noch Felix.

Alvaro: Ja, Felix spielt den Bass und macht die Chöre. Das war auch die Anfangsformation, mit der wir vor 10 Jahren angefangen haben. Die erste Aufnahme haben wir im Oktober 1990 gemacht.

Woher kommt ihr?

Jorge: Wir sind alle aus Gijon, Asturias.

Reden wir über das neue Album "Viviendo del ceunto". Um es aufzunehmen seid ihr in die Egg Studios in Seattle gegangen. Wie lief das alles?

Jorge: Das ging alles über eMail. Zuerst habe ich mich mit Conrad Uno, den Besitzer von dem Studio in Verbindung gesetzt. Er hat auch das Label Popllama, bei denen schon Bands wie die SUPERSUCKERS unter Vertrag waren.

Alvaro: Naja, halt viele Bands, die uns gefallen, und deshalb haben wir uns auch für sein Studio entschieden.

Jorge: Wir haben uns dann über die Preise informiert und Conrad hat uns erklärt, dass es billiger sei mit Johnnie Sangster aufzunehmen, von dem wir bis dahin noch nie gehört hatten. Das einzige, was wir über ihn wussten ist, dass er das letzte Album der POSIES aufgenommen hat. Aber Conrad versicherte uns, dass er genau so gut sei, nur etwas billiger halt. Und deshalb haben wir uns auch für ihn entschieden.

Und warum wolltet ihr unbedingt in den USA aufnehmen? Warum nicht in Spanien?

Alvaro: Zuerst einmal um ein bisschen rumzukommen und etwas anderes kennenzulernen. Und zum zweiten weil viele Bands, die uns gefallen, schon dort aufgenommen haben.

Jorge: Ausserdem vertrauen wir den Produzenten in Spanien nicht, weil sie dich nicht so richtig verstehen. Wenn du ihnen versuchst zu erklären was für einen Sound du haben willst, verstehen sie das einfach nicht.

Alvaro: In den USA ist das halt anders. Die Leute dort haben schon viele Bands, die Rock´n´roll machen, aufgenommen.

Jorge: Hier in Spanien arbeiten sie auch gut, aber verstehen deine Musik nicht. In den USA arbeitet man viel professioneller. Auch der Sound ist besser. Obwohl er nicht rauh ist, klingt er sehr viel wirklicher, viel potenter. Und während der Aufnahme waren sie viel strenger. Wenn du schlecht gespielt hast, mussten wir das Stück noch mal machen. Die haben sich echt reingekniet. Hier in den spanischen Studios scheint es so, als ob die Leute das gar nicht interessiert wie du spielst, die akzeptieren alles.

Hundertprozentig zufrieden also mit den Aufnahmen?

Alvaro: 100% zufrieden ist man nie.

Jorge: Einige Lieder hätten mir etwas rauer besser gefallen. Wie z.B. "No desire". Aber so wie es ist, mit vielen Gitarren ist das auch ok. Wir sind zufrieden.

Dem Photo und Titel des neuen Albums "Viviendo del cuento", was soviel wie "auf Kosten der Alten leben" heisst, seid ihr faule Säcke und lebt bei euren Eltern.

Jorge: Nun gut, das ist so ein bisschen der deutschen Lebensstil, dem wir damit folgen (lacht). Wir wollen die Stämme aus dem hohen Norden nachmachen. Das Zivilisierteste, was es gibt, das ist die Faulheit. Die wichtigsten Völker haben ihre Zeit in die Faulheit investiert. Die Griechen z.B., die haben den ganzen Tag dagelegen und philosophiert. Die Zeit dazu hatten sie, weil sie faul waren und nichts gemacht haben. Unser Prinzip "Viviendo del cuento" ist das Prinzip der moralischen und philosophischen Selbstüberwindung.

Ach so... Habt ihr in den Staaten auch Konzerte gegeben?

Jorge: Ja, wir haben insgesamt sieben Konzerte gespielt. Eins in Seattle mit JOEY KLINE & THE STRIKE THREE, eine Gruppe, die amerikanischen Pop-Rock´n´roll macht. War sehr lustig.

Alvaro: Da war auch eine Pornoqueen, die mit JOEY KLINE & THE STRIKE THREE ein Lied gesungen und sich eine Zigarettenschachtel eingeführt hat... Dann haben wir zwei Shows in San Francisco gespielt, mit zwei Garagebands, den TEE-CRUMPETS und den FLAKES.

Jorge: Danach noch ein Konzert in St. Diego, und den Tag danach haben wir uns frei genommen, um uns Tijuana in Mexico anzugucken.

Alvaro: Dort haben wir uns vor allem Platten & Wrestlingmasken gekauft. Dort ist alles sehr touristisch und chaotisch.

Jorge: In den USA ist alles mehr oder weniger geordnet, aber so bald du die Grenze überschreitest, gibt es nur noch ein verdammtes Chaos. Viel Lärm und Durcheinander. Danach sind wir in jedem Fall weiter nach Hollywood und dort haben wir mit einer Band namens TUFFIES oder so gespielt, die waren total geil, so eine Art HEADCOATS auf amerikanisch.

Alvaro: Nach Hollywood sind wir weiter nach Atlanta, dort haben wir mit den WOOGLES und den HATEBOMBS gespielt. Das war ein richtig geiles Konzert.

Jorge: Bevor wir angefangen haben zu spielen kam der Besitzer vom Club und meinte zu mir: "Ganz ehrlich, wenn du ins Publikum pisst, dann unterbreche ich das Konzert ".

Echt wahr?

Jorge: In einer Single, die wir vor vielen Jahren aufgenommen haben, ist ein Photo, das mich auf der Bühne zeigt, wie ich gerade ins Publikum pinkel. Das war in Lleida.

Na, das hat den Leuten dort bestimmt gut gefallen...

Jorge: Die meisten sind zur Seite gesprungen. Nur einer hat sich unter meinen Strahl gestellt. Er hat das als eine Art Segnung aufgefasst. Und seitdem gibt es ein Stadtfest in Lleida, indem sich der Bürgermeister auf den Balkon des Rathauses stellt und auf sein Volk niederpinkelt, die Leute schreien dann: Viva, Viva!

Kommen wir zurück zu den USA...

Alvaro: Wir haben dann noch ein zweites Konzert in Atlanta gespielt, aber ich hatte tierisches Fieber, war krank.

Jorge: Wie immer, er hat sich soviele Platten gekauft, dass ihm der Kopf ganz heiss wurde.

Alvaro: Wir haben trotzdem gespielt. Ich habe Codein genommen und fühlte mich auf einmal so gut, dass ich angefangen habe Bier zu trinken und am Ende vom Konzert war ich dann total besoffen und krank.

Wechseln wir das Thema. Wer schreibt die Songs?

Jorge: Meine Mutter, das ist die auf dem Cover.

Die spricht also Englisch?

Jorge: Nein, aber sie befragt das Orakel, und kann dann auf Englisch die Zukunft voraussehen.

Früher hat deine Mutter die meisten Lieder auf Spanisch geschrieben, während sie heutzutage anscheinend mehr das Orakel konsultiert und die Songs auf Englisch schreibt.

Jorge: Nein, die früheren Texte auf Spanisch hat meine Mutter von meiner Grossmutter. Aber in letzter Zeit hört sie mehr auf das Orakel und schreibt auf Englisch.

Und was sagst du als Aussenstehender? Welche Texte deiner Mutter gefallen dir besser? Die englischen oder die spanischen?

Jorge: Das kommt darauf an. Den Leuten hier in Spanien gefallen die spanischen Lieder besser, aber auch im Ausland kommen die spanischen Stücke gut an, ist exotischer. Es gibt Lieder, die den Leuten auf Englisch oder auf Spanisch gefallen, so oder so, das wirklich Wichtige ist die Musik. Nimm z.B. DOVER, die haben einfache mehrstimmige Chöre, in denen sie einen Silbe wie z.B. "you" verlängern: "YOOUUUU", und das bleibt den Leuten in den Köpfen hängen. Deshalb haben sie Erfolg.

Wovon handeln die Texte?

Jorge: Von metaphysischer Wahrnehmung. Alkohol, Jugend. Die selben Dinge, die schon die Leute im alten Griechenland beschäfigt haben. Dann gibt es noch ein Stück, das "My female side" heisst und von der Zuneigung handelt, die wir Männer von unseren Müttern empfangen haben. Es ist diese männliche Sinnlichkeit, die man die weibliche Seite des Mannes nennen könnte. Das ist eine ganz einfache Sache, aber nur wenige Rockgruppen singen darüber. Aber man braucht sich dafür nicht zu schämen.

Habt ihr abgesehen von DOCTOR EXPLOSION noch andere Aktivitäten laufen?

Jorge: Ich habe ein Fanzine, das sich "Thunderpussy" nennt. Ich habe nur eine Nummer gemacht, das war im letzten Jahr. Ich bin sehr faul, deswegen habe ich auch nicht sehr viel Bock noch eine zu machen. Aber es gibt schon zwei Anfragen nach einer neuen Ausgabe. Also werde ich wohl noch eins machen müssen. Vielleicht kopiere ich das erste Heft und ändere nur das Titelblatt.

Alvaro: Ich spiele noch in anderen Gruppen: Bei MC COYSON, aber wie es scheint haben die jetzt einen guten Drummer gefunden, und manchmal spiele ich noch mit den LOS ASS-DRAGGERS, z.B. habe ich die meisten Stücke auf dem neuen Album eingespielt.

Wie sieht es im Moment mit der Musikszene in Spanien aus? Gibt es irgendwelche Überraschgungen in letzter Zeit?

Jorge: Verdammt, das Konzert der TEENDOGS gestern hat mich total beeindruckt. Vorher hatte ich keiner spanischen Band so etwas zugetraut. Aber die Jungs haben schon das selbe Niveau von amerikanischen Bands erreicht. Die waren echt gut. Hier in Spanien ist das so, es gibt einfach zu viele Parties und die Leute besaufen sich lieber als im Proberaum zu sein.

Aber das lässt sich doch auch prima verbinden, Saufen und Proben.

Jorge: Ja schon. Aber so ist das halt, wenn wir viel feiern, proben wir nicht und spielen schlecht. Wenn wir nicht feiern dann haben wir Zeit um zu proben. Hier ist das anders als in den USA. Die USA ist ein sehr langweiliges Land, ehrlich gesagt gibt es da nichts zu machen. Es ist ein Land der Mutanten. Z.B. ein Skater macht nichts anderes als den ganzen Tag zu skaten. Hier in Spanien hingegen können wir in den Strassen Bier trinken und sind bis in die frühen Morgenstunden unterwegs und feiern.

Alvaro: In Spanien ist mir aufgefallen, dass der grösste Teil der Leute sich nicht für die Gruppen interessiert. Z.B. LOS NITROS aus Madrid, die total geil sind, oder NUEVO CATECISMO CATOLICO, haben kaum Chancen gross rauszukommen. Die Leute interessieren sich nicht für solche Bands, weil in der Musikpresse, in den Zeitschriften, die gerade in Mode sind, nichts über solche Gruppen geschrieben wird. Hier in Spanien funktioniert das halt so. Es gibt viele schlechte Bands, die gepusht werden und deshalb beim Publikum ankommen. Was gerade in Mode ist wird gekauft, aber der Rest wird ignoriert, egal wie gut die Gruppe ist.

Jorge: Das ist es auch, was mit den PLEASURE FUCKERS passiert ist. Die waren im Ausland bekannter als in Spanien. Die haben jahrelang geile Songs geschrieben, aber haben nie so richtig den Durchbruch geschafft. Ich glaube deshalb haben sie letztendlich auch aufgehört. Ich denke, dass sich das ganze auf einen Nenner bringen lässt. Die Hauptsache ist, dass man spielt, viel Spass dabei hat und die Leute das auch erkennen. Die Leute hören nicht nur deine Musik, sondern sehen auch deinen "Spiritus der Fröhlichkeit", den du aussendest. Das selbe hast du gestern bei den TEENDOGS gesehen.

Wie läuft die Tour, um die neue Scheibe vorzustellen?

Alvaro: Gut. Bis jetzt haben wir schon einige Shows gespielt und im Sommer machen wir einige Festivals.

Jorge: Im Jahr 2000 kommen wir nach Deutschland! Die Sache ist die, dass wir mit der Tour in Spanien Geld verdienen können, ausserhalb von Spanien klappt das nicht. Deshalb müssen wir bevor wir im Ausland touren erst immer eine Tour in Spanien machen, um uns abzusichern.

Seid ihr schon mal in Deutschland gewesen?

Alvaro: Ja, wir waren schon dreimal da. Zweimal in München zum Aufnehmen und einmal im Rahmen unserer Europatour. Das war glaube ich in Köln, Nürnberg, Darmstadt und München.

Was wisst ihr über die Szene in Deutschland? Kennt ihr deutsche Bands?

Alvaro: Von der Cassette, die du mir aufgenommen hast. Ansonsten JET BUMPERS, CELLOPHANE SUCKERS, CHEEKS etc. Mit den CHEEKS haben wir damals auch gespielt.

Wie hat euch Deutschland gefallen?

Jorge: Viel gesehen haben wir nicht. Die meiste Zeit waren wir in München. Dort gab es das Atomic Café, wo wir eine Nacht aufgelegt haben. Dort hatten die Cocktails in riesengrossen Gläsern. Gigantisch. Und einen Sitz wo man eine Mark reinschmeisst und eine Massage erhält.

Kommen wir zum Schluss: was macht DOCTOR EXPLOSION im neuen Jahrtausend?

Alvaro: Feiern, so gut wie es geht auf Kosten der Alten leben, und noch mehr Spass haben als in den letzten 10 Jahren.

Jorge: Trinken, Spass haben und versuchen vor allem mit den deutschen Mädels zu labern, wenn wir dort sind.

Naja, diesen guten Vorsätzen bleibt eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen.

Tim Hammrich