GÖTZ WIDMANN

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Hier geht’s um Drogen

Unser lieber Kollege Claus Wittwer ist vor ca. zwei Jahren aus allen Wolken gefallen: Er machte mit seinem neuen Diktiergerät ein Interview mit dem Duo JOINT VENTURE aus Bonn und überspielte es kurze Zeit später versehentlich. Künstlerpech halt, Tücken der neuen Technik. Macht ja auch nix, Interviews kann man nachholen, dachte er. Also auf die Homepage von JOINT VENTURE geklickt, um die e-mail Adresse herauszufinden und da stand’s dann zu lesen: Kleinti, einer der beiden von JV, ist tot. Mit 33 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. SHIT! Leider hab ich die Zeiten mit Kleinti nicht mehr miterleben dürfen, aber da mich Götz Widmann, der andere von JV, auch solo in seinen Bann gezogen hat und gerade die Live-CD namens „Drogen“ herausgekommen ist, hielt ich es für angebracht, ein Interview mit ihm zu führen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wieso damals der Claus auf die Idee kam, ausgerechnet JOINT VENTURE fürs Ox zu interviewen. Immerhin saßen die beiden mit Wandergitarren und Mundharmonika auf der Bühne und brachten deutsches Liedgut zum Besten. Und Götz macht solo auch nichts anderes. Aber die Antwort ist einfach: Es sind Lieder über Drogen, Alkohol, Sex, über Verweigerung, Religion, Tod und andere Unwegsamkeiten des Lebens. Das Ganze stets intelligent, meist augenzwinkernd, gern auch mal etwas derber, jedoch stets mit dem gewissen Etwas. Und die Musik versucht nie mehr zu sein als Transportmittel für eben diese Texte. Im Kern stets schlicht gehalten, bietet sie jedoch nur allzu oft lustige, kleine musikalische Gimmicks. Das Interview musste leider per E-Mail stattfinden und einmal habe ich sogar beim Hanf-Journal geklaut (Dank an Vero!).


Die Aufnahmen für deine Live-CD sind im Kasten. Alles zu deiner Zufriedenheit?


Oh ja, sehr. Ich habe die Bänder jetzt alle durchgehört und es ist von jedem Song, den ich drauf haben möchte, mindestens eine richtig coole Version dabei, mit ein bisschen schneiden lässt sich daraus der ideale Abend zusammenpuzzeln. Glaub keinem Dokument! Die CD wird im März erscheinen. Mein Verleger meinte, ich soll sie ‚Drogen’ nennen, nachdem er sich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder ein Konzert von mir angeschaut hatte. Ich war erst etwas skeptisch, aber dann habe ich mir überlegt, was ich wohl machen würde, wenn ich in einem Plattenladen eine CD entdecken würde, die ‚Drogen’ heißt. Und hintendrauf solche Titel wie ‚Chronik meines Alkolismuss’, ‚Hank starb an ner Überdosis Hasch’ oder ‚Zöllner vom Vollzug abhalten auf der A4’. Ganz klar, ich würde die sofort ohne Reinhören kaufen, will ich haben. Ich muss zugeben, das hat mich überzeugt, so kapitalistisch bin ich dann doch. Es wird eine Mischung aus JOINT VENTURE Klassikern, Songs von meiner ersten Solo-CD und ganz neuen Stücken. Und es geht gar nicht nur um Drogen, sondern auch um Sex.

Du bist unglaublich viel unterwegs, spielst trotzdem immer mindestens zwei, gerne aber auch mal drei Stunden und am liebsten noch länger. Ist das das Pflichtbewusstsein des Beamtensohnes oder macht’s wirklich immer soviel Spaß?

Was heißt Pflichtbewusstsein? Die lassen mich halt nicht früher von der Bühne. Andere Leute müssen acht Stunden arbeiten oder mehr, da komme ich doch noch ganz gut weg. Ich finde, wenn jemand Eintritt zahlt, hat er das Recht, dass sich der Künstler auch ein bisschen verausgabt.

Götz, ich mach mir ernsthaft Sorgen um dich. Ich hab dich jetzt dreimal gesehen und du hast zweimal Mineralwasser, einmal gar Tee, THC-frei, getrunken. Ist das dein Tribut an dein Alter, deinen Führerschein oder purer Zufall?

Ich trete in letzter Zeit eigentlich ganz gerne nüchtern auf. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass es dann einfach mehr rockt, als wenn ich total breit bin, und ich auch noch nach drei Stunden meistens immer noch keinen Bock habe, von der Bühne zu gehen. Wenn ich mich abschieße, hab ich ziemlich schnell nur noch das Bedürfnis, Feierabend zu machen und mich total gehen zu lassen. Man kriegt halbwegs nüchtern einfach mehr mit, kann auf Zwischenrufe besser reagieren und es fällt einem spontan mehr ein. Ich wollte es auch jahrelang nicht glauben, aber es ist so. Ich trink schon mal noch ein Bier oder rauch einen, aber die Kante gebe ich mir lieber hinterher.

Kein Interview mit dir ohne das Thema Kleinti und JOINT VENTURE. Magst du überhaupt noch drüber reden?

Kein Problem, Kleinti wird immer ein Teil meines Lebens sein, zum Glück komme ich auch ohne ihn ganz gut klar. Aber er fehlt mir trotzdem.

Als ich gelesen habe, dass Kleinti an einem Herzinfarkt in einem so jungen Alter gestorben ist, hab ich mir Gedanken über meinen Lebenswandel gemacht. Geht’s dir da ähnlich?

Kleinti hatte gar nicht so einen exzessiven Lebenswandel. Okay, er hat viel gekifft und auch ab und zu mal gesoffen, aber da gibt es viel krassere Fälle. Ich hab mich jedenfalls nicht groß geändert. Bei mir war es auch schon vorher so, dass ich nicht jeden Tag Party mache, im Schnitt vielleicht so jeden zweiten. Ich brauche meine Pausen, ab und zu bin ich auch echt ganz gerne nüchtern. Aber wenn ich feiere, dann richtig, Maßhalten war noch nie mein Ding.

Wie waren denn deine ersten musikalischen Gehversuche nach Kleintis Tod?

Nach Kleintis Tod war ich erst mal platt, zu nichts in der Lage. Ich hatte aber einige extrem unangenehme Dinge zu erledigen, unsere Finanzen auflösen und sonstigen organisatorischen Kram. Ich hasse das schon unter normalen Umständen. Das ging alles sehr langsam. DIE HEUCHLER aus Essen waren die ersten, die mich überredet haben, wieder wirklich mit einer Gitarre auf die Bühne zu steigen, als ihr Special Guest sozusagen. Dann bin ich von meinem letzten Geld in den Urlaub gefahren, nach Australien, danach war ich pleite. Ich stand vor der Wahl, mir entweder einen Job zu suchen oder mit meiner Solonummer anzufangen. Zum Glück konnte ich echt in eine Woge von Hilfsbereitschaft eintauchen. Bin erst mal als Gast von den BUSTERS aufgetreten und hab mich so nach und nach an meinen ersten 90 Minuten Auftritt rangetastet. Der war im Februar 2001 im Cafe Kreuzberg in Göttingen. Ich habe zwei Autos kaputtgefahren auf dem Weg dahin, aber es waren Leute da, es wurde gefeiert und am Ende hatte ich ein paar Scheine in der Hand. Danach musste es weitergehen. Die erste Tour war hart. Alleine in die Backstage-Räume von früher zu kommen und den alten Kumpels in die traurigen Gesichter zu schauen. Das gab jedes Mal einen Kloß im Hals, aber sobald ich auf die Bühne kam, war der zum Glück weg. Mittlerweile hat sich das alles aber wieder ganz schön normalisiert. Verdanke ich am meisten den Leuten, die zu meinen Konzerten kommen und fast die gleiche Stimmung entstehen lassen wie früher. Das war alles andere als selbstverständlich, ein lustiger Act mit einer traurigen Geschichte, so was muss nicht funktionieren.

In „Lebenslehren von Lukas K., Talentscout“ gehts, wie der Titel schon sagt, um Talentscouts. Habt ihr damit Bekanntschaft gemacht? Wie ist das Verhältnis zu den Majors?

Wir wollten am Anfang natürlich auch nichts lieber, als irgendwo einen Plattenvertrag zu unterschreiben und dann ganz schnell Megastars werden. Also besorgt man sich irgendwie einen Termin bei so einem blöden A&R-Manager, sitzt dann ganz klein und devot in seinem Büro und läßt sich sagen, wie scheiße man ist. Einer hatte einen Aufkleber mit dem Satz ‚Auf die Knie!’ an seinen Schreibtisch geklebt, das sagt alles. Wenn man dann das vermeintliche Glück hat, genommen zu werden, hat man eine statistische Chance von vielleicht 1:20, das erste Jahr zu überstehen. Wenn es schief geht, verschwindet man einfach im Nichts. Ich kenne einige Künstler, die an ihre eigenen alten Platten nicht mehr rankommen, weil sie aus dem Programm ihrer Plattenfirma gestrichen worden sind. Die müssen sie dann auf dem Flohmarkt suchen. Ziemlich deprimierende Sache. Ich bin im Nachhinein froh, dass wir nie genommen worden sind, so mussten wir lernen, uns selbst durchzusetzen, und meine bzw. unsere CDs gibt es noch alle.

Und wenn heute ein großes Label an dich herantreten würde?

Würde ich mir den Vertrag gut durchlesen und garantiert etwas finden, warum ich den auf keinen Fall unterschreiben kann. Aber in einer Welt, in der selbst ein Rio Reiser einen Majordeal gemacht hat, sollte man besser nie Nie sagen, wenn man nicht eines Tages von einem bösen Journalisten schadenfroh einen alten Zeitungsartikel unter die Nase gehalten bekommen möchte.

Immerhin bist du ab und an für J.B.O. Support. Ich find zwar, dass das gar nicht passt, aber ihr seid ja auch schon mit JV vor J.B.O. aufgetreten und Kleinti beschrieb mal sehr nett, wie ihr mit euren beiden Wandergitarren vor den Riesen-Marshall-Türmen gesessen und euer Liedgut zum Besten gegeben habt. Auch irgendwie eine undankbare Aufgabe, oder?

Ich weiß nicht, mich turnt es an, es hat irgendwas von Raubtierdressur oder Rodeo oder so. Vor dir steht eine wilde Meute, und du weißt aus den Erfahrungen vorhergegangener Vorgruppen, dass die nur darauf warten, den Support mit JBO-Sprechchören von der Bühne zu fegen. Das macht denen Spaß. Und alleine mit einer Wandergitarre hat man denkbar schlechte Ausgangschancen. Ich fang dann meistens mit ‚Politiker beim Ficken’ an und wenn dann schon bei der ersten Nummer tausend Hände zum Klatschen hochgehen und sie am Ende statt ‚Jay Bee Ou’ ‚Zugabe’ schreien, weiß man, dass man den Tiger wieder mal dazu gebracht hat, durch den brennenden Reifen zu springen, nur mit einer Klampfe und ein paar Texten. Und das ist ein geiles Gefühl. Auch wenn ich natürlich genau weiß, dass ich nicht alle meine Songs da bringen könnte.

Wie sieht dein Engagement bezüglich Cannabis-Legalisierung heute aus? Es gibt ja wohl ein großes Nicht-Beachten der Hanfparaden von Seiten der Medien, wo auch du regelmäßig auftrittst. Immerhin kamen da im Sommer 2002 locker 10.000 Leute.

Die Situation ist nicht gerade so, dass man in Jubelstürme ausbrechen könnte. Von Rot-Grün haben sich natürlich auch die Kiffer mehr versprochen. Zur Zeit beschäftige ich mich besonders mit den Kosten des Verbots, weil Geld das einzige Argument ist, mit dem sich in der Sache vielleicht überhaupt noch was bewegen läßt. Da werden Milliarden verschleudert.

Im Text von „Die Zaubersteuer“ geht’s ja auch genau darum. Und du schlägst vor, 2 Euro pro Gramm Steuern abzuführen. Ich habe das mit ein paar Freunden mal sehr wohlwollend durchgerechnet: Wenn man 5 Mio. Kiffern, die jährlich je 100 gr. Cannabis bzw. Haschisch konsumieren 2 EUR pro Gramm abknöpfen würde, wären das gerade mal eine Milliarde. Mir würde es reichen, aber ob es für Herrn Eichel angesichts eines 30 Mrd.-Lochs wirklich ein Argument ist?

Du darfst nicht die ganzen Entlastungen für Polizei, Justiz, Knäste usw. vergessen. Die ganzen Betroffenen, die die Zeit, die sie heute damit verbringen, was aufzutreiben oder der Verfolgung durch die Behörden zu entgehen auf eine viel konstruktivere Weise verbringen könnten. Die Arbeitsplätze, die in den Coffeeshops entstehen. Die Steuern, die auf die Gewinne und Gehälter in den Coffeeshops anfallen. Die Leute, die statt im Knast zu sitzen und Kosten zu verursachen auch arbeiten gehen und Steuern zahlen könnten. Das Geld, das mit dem Anbau statt in Holland hier verdient werden könnte. Die Arbeitsplätze, die dabei entstehen würden. Das geht alles im Moment verloren, ohne dass der Gesellschaft dadurch irgendein Nutzen entsteht.