JOAN OF ARC

Foto

Tip your bartender!

JOAN OF ARC als eine Konsensband zu bezeichnen, wäre geradezu absurd. Viel zu sehr hat sich die Gruppe aus Chicago um Sänger und Gitarrenvirtuose Tim Kinsella, der Mitbegründer von CAP N’ JAZZ war und nun mit den OWLS und FRIEND/ENEMY neue Projekte pflegt, ihrem eigenen Gusto verschrieben. Kaum eine Band wird höher in den Himmel gelobt und gleichzeitig von vielen Hörern und Kritikern geschmäht wie der Jade Tree-Vierer. Angesichts ihrer eigenwilligen Werke war ich erstaunt, in Tim Kinsella so einen umgänglichen Gesprächspartner zu haben, der zwar etwas übernächtigt, aber trotz der kurz zuvor erfolgten Entfernung einer Zecke aus seinem Bauchnabel bester Laune war und mir viel Persönliches, aber auch einiges zu den beiden neuen Alben „So Much Staying Alive And Lovelessness“ und „In Rape Fantasy And Terror Sex We Trust“ anvertraute.

Ist die Musik, die ihr spielt, nicht ein wenig zu künstlerisch, um der Band den Namen eines Mädchens zu geben, das, wie Fakten belegen, nie zur Schule gegangen ist?


Darüber habe ich noch nie nachgedacht, jedenfalls versuchen wir nicht künstlerisch zu sein, um künstlerisch zu wirken. All das ist sehr intuitiv. Wir waren auch noch sehr jung, als wir die Band benannt haben, etwa 19. Ich denke gar nicht mehr daran, dass wir nach dieser Frau benannt sind. Inzwischen hat man sich einfach daran gewöhnt.

Wie muss man JOAN OF ARC verstehen?

Es ist einfach Musik, es geht um Klang, man muss es einfach nur anhören. Viel zu verstehen gibt es jenseits des Hörens eigentlich nicht.

Aber dir ist schon klar, dass Leute mit zweiminütiger Aufmerksamkeitsspanne Probleme mit euren Songs haben?

Das ist schon in Ordnung, wir haben die Band nicht gegründet, um populär zu werden. Wir machen die Platten auch nicht, um möglichst viele davon zu verkaufen. Wir wollen nur unsere Meinung dazu äußern, wie Musik klingen könnte. Ich erwarte nicht, dass jeder daran Gefallen findet. Wenn wir mit diesem Ziel an die Sache herangehen würden, dann wären wir eine andere Band.

Ich habe gelesen, dass ihr, als ihr mit den OWLS unterwegs wart, einige finanzielle Tiefschläge erlitten habt.

Ja, das war ziemlich übel, unser Bus war echt Schrott und konnte nur sehr langsam fahren. Es war November und die Heizung war kaputt. Er war auch nicht vernünftig isoliert, deshalb sind wir alle krank geworden. Dann ging der Bus völlig kaputt und wir hingen fünf Tage lang in Italien fest – wir haben also fünf Konzerte verpasst. Und als der Bus dann endlich fertig war, sollten wir eigentlich schon in Glasgow sein, also in Schottland, aber wir fuhren da erst gerade in Turin los. Wir sind 34 Stunden am Stück gefahren und alle wurden noch mehr krank. Wir haben es dann aber nicht mehr geschafft, die Show zu spielen, wir kamen eine Stunde zu spät an. Später, als wir wieder in Deutschland waren, hat unsere Fahrerin den Job geschmissen und meinte, dass sie nie damit einverstanden gewesen wäre, uns zu fahren, wenn sie vorher unsere Musik gehört hätte. Richtig Punkrock ...

Vor einiger Zeit habe ich dich mit den OWLS vor einem gemischten Publikum gesehen, und manche Leute fanden da keinen rechten Zugang, weswegen du die Leute dann auch recht provokant auf den Arm genommen hast. Machst du das häufiger, wenn eure Songs nicht so beim Publikum ankommen?

Ich habe kein Problem damit zu provozieren, wenn die Zuschauer mich provozieren – das war damals wohl so. Wir reagieren auf die Stimmung vor Ort, wir sind kein Film, keine Fernsehsendung, wir sind nicht aus der Konserve. Wir gehen da hoch und spielen, und machen das, was wir eben tun, egal was im Publikum vor sich geht. Es gibt konfrontative Konzerte, und die sind ebenso wichtig wie die Konzerte, die großartig laufen, wo jeder ‚on the same page‘ ist. Manchmal überträgt sich die Stimmung auf die Besucher und manchmal kämpfen wir geradezu gegen die Zuschauer. Ich komme mit beidem zurecht.

Du arbeitest ja immer noch als Kellner. Ich habe mich gefragt, inwieweit das deine Musik beeinflusst, denn auf „So Much Staying Alive And Lovelessness“ erinnern mich viele Stücke an die Stimmung in Bars, die Pianoklänge etc. Wirst du durch deine Arbeit beeinflusst?

Ich denke schon, dass es das tut. Es ist auch eine schöne Bar, wo ich arbeite und für jemanden wie mich ist es auch ein Traumjob, denn ich schreibe einfach aufs schwarze Brett, dass ich vom 20. Februar bis zum 10. Juni freihaben will. Und das ist kein Problem, denn alle Leute, die dort arbeiten, spielen in irgendeiner Band, also rotiert der Plan einfach. Ich habe den Job nur bekommen, weil ich dort sowieso immer rumsaß. Natürlich beeinflusst es mich, denn alle Musiker aus Chicago treffen sich dort.

Was ich über das neue Album gehört habe, ist, dass ihr teilweise vier verschiedene Versionen zu einzelnen Songs aufgenommen habt. Dann hast du wohl einen Koller bekommen und hast noch mal neu angefangen.

Es gab erstmal eine Aufnahme von jedem Song, als ich mit Casey Rice, der bisher alle JOAN OF ARC-Platten aufgenommen hat, im Studio war. Dann saß ich zu Hause und habe am Computer die Spuren übereinander gelegt. Irgendwann hatte ich dann vier Versionen von einem Song. Mindestens vier, manchmal waren es auch acht, und die waren total verschieden. Es gab oft zwölf Gitarrenriffs in einem Lied und es ist alles zu einem Berg angewachsen. Irgendwann hieß es dann: Okay, heute arbeite ich an 102298 – ich benenne die immer teilweise mit Datum – und dann war ich bei 100298 No 3 und dann gab es noch 100298 3.2 und 3.3. Letzten Endes waren da teilweise Versionen eines Titels, die nichts mehr gemeinsam hatten und ich dachte mir: ‚Was zum Teufel haben denn diese vier Lieder gemeinsam?‘. Es war ziemlich schwer dahinter zu kommen, wie man sie vereinfachen könnte, also gab’s dann nur einen Gitarrenteil und Gesang.

Würdest du das als einen Weg zurück zu deinen Wurzeln bezeichnen?

Es ist eine Vereinfachung, und man kann sich selbst dadurch weiterentwickeln, wenn man nicht mehr dazu in der Lage ist, mit dieser ganzen Information zurechtzukommen.

Bist du in dieser Hinsicht Perfektionist?

Nein, ich mache vielleicht acht verschiedene Arrangements für einen Song, aus denen ich dann auswähle, und der ist dann doch nicht drauf. Ich habe einige Platten in der Vergangenheit ruiniert, durch diese Überfrachtung ...

Welche Platten denn ?

Ich glaube, ‚The Gap‘ ist ziemlich ruiniert. Vielleicht hätte ich, anstatt neun Monate lang den ganzen Tag an den neun Songs zu arbeiten, nach drei Monaten Schluss machen sollen. Es ist einfach viel zu viel Kram, das war dann doch etwas perfektionistisch. Wir haben den Raumklang verdoppelt, auf die Snare auf jedem Kanal einen anderen Hall gelegt und den dann bei jedem Anschlag verändert – das war etwas blöd. Das hat mit der Wirkung der Musik nichts zu tun. Es ist toll, wenn man neun Monate lang täglich bekifft das Album anhört, aber wer außer mir macht das? Jedem, der sich die Platte nicht neun Monate lang täglich anhört, wird das nicht viel bringen.

Anderes Gerücht: Ihr wolltet anfangs ein Doppelalbum machen, anstatt der beiden, die ihr jetzt mit etwas zeitlicher Verzögerung veröffentlicht habt, ist das wahr?

Also, es gibt ja jetzt das zweite neue Album, das wir seit Februar verkaufen. Es war eigentlich so, dass ich mal in meinem Zimmer total die Kontrolle über die Lieder verloren habe und sie auf Band aufnehmen musste. Ich konnte sie nicht weiter verändern, sondern musste feste Versionen haben, denn Jade Tree wollten keine Studiozeit bezahlen, weil sie mir nicht glaubten, dass ich Songs hatte. Ich meinte dann, dass ich ja alle sechs Monate in den letzten zwei Jahren Demos geschickt hatte. Weil es dann aber doch länger gedauert hat, bis Jade Tree einwilligten, für Studiozeit zu bezahlen, entstanden natürlich immer mehr Songs. Wir nahmen dann das FRIEND/ENEMY-Album auf und uns wurde klar, dass wir im gleichen Studio mit demselben Techniker, im gleichen Monat aufnehmen und die Bands sich zu 75 % überschneiden. Am Dienstag waren wir da, um mit Band Nr. 1 was aufzunehmen, Mittwoch tauschten der Gitarrist und der Bassist die Instrumente und plötzlich benötigen wir einen anderen Bandnamen ... Das ist so bescheuert. Also haben wir die FRIEND/ENEMY-Songs integriert, was zur Folge hatte, dass es noch mal um ein Drittel anwuchs.

Haben Jade Tree denn für das erste Album bestimmte Lieder „ausgesucht“?

Die letzten sieben Lieder des ‚In Rape Fantasy And Terror Sex We Trust‘ Albums sind eigentlich ein 25-Minuten Lied, also habe ich ihnen das nicht geschickt, weil ich wusste, dass es etwas separates ist – weil es zusammenhängend sein musste. Wir haben es nur als sieben separate Songs gekennzeichnet, weil man durch Copyright und Publishingrechte so siebenfach dafür bezahlt wird.

Tim, Danke für das Interview.