OLIVER TWIST

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Affen auf Speed

Charles Dickens? Schon mal was gehört von dem Kerl? War ein englischer Schriftsteller, der 1870 starb und unter anderem „David Copperfield“, „A Tale Of Two Cities“, „Great Expectations“ und eben auch „Oliver Twist“ geschrieben hat. Nach diesem Buch haben sich THE OLIVER TWIST benannt, eine Quasi-Kölner Band, die jüngst mit dem brillanten dritten Album „New Tricks And Traps“ überraschte, was wiederum der Grund war, sich mit ihrem Sänger Thomas in Köln zu treffen, um vor der „Kantine“ am Straßenrand sitzend dieses Interview zu führen.

Während andere mit dem hippen Eastpak-Rucksack auf’s Konzert gehen, schleppst du deine Habseligkeiten in einem Stoffbeutel der „Meyerschen Buchhandlung“ herum. Ganz schön intellektuell, das signalisiert allen, dass man liest.

Na klar, das ist ja auch wichtig, man will ja das System unterwandern.

Und das geht nur, wenn man liest und studiert.

Studieren nicht unbedingt, das ist langweilig. Und Studenten sind scheiße.

Was machst du so?

Ich mache Musik.

Und du studierst.

Nein! Wenn ich keine Musik mache, bin ich damit beschäftigt Leergut wegzubringen, um die Kulturindustrie am Leben zu erhalten.

Rumhängen also.

Ja, Rumhängen ist ‘ne gute Sache.

Und das macht ihr am liebsten in Köln.

Nein, ich und der Keyboarder leben hier, der Bassist wohnt in Mainz, zwei wohnen in Trier und einer bei Saarbrücken.

Und wie geht das als Band?

Das sieht und hört man doch, die Songs werden hektisch, man hat nicht viel Zeit. Das ist das Problem an der Geschichte. Wir treffen uns alle paar Wochen in Trier und proben, das gibt dann immer einen kreativen Overkill, jeder will in die Musik reinboxen, was er die Wochen davor ausgebrütet hat. Da wir alle Egozentriker sind, versucht jeder seine Ideen durchzuboxen, und der Proberaum ist dann so was wie ein Käfig voller Affen auf Speed, die aufeinander eindreschen. Der eine will HipHop machen, der andere Funk, der andere Punk und noch einer Techno.

Würdest du zustimmen, dass man dieses kreative Chaos eurer Musik auch anhört?

Ich fände es cool, wenn es so wäre. Es ist schwer, da selbst was dazu zu sagen, denn jede Band behauptet ja, sie hätte die unterschiedlichsten Einflüsse. Wir gehen auf jeden Fall nicht so an das Musikmachen ran, dass wir sagen, wir hätten die oder die Band als Vorbild. Man trifft sich eben, versucht was zusammen zu machen und was dabei rumkommt, das ist es dann eben.

Das, was ihr macht, wird derzeit ganz gerne mal in einem Atemzug mit THE ROBOCOP KRAUS genannt. Stört euch das?

Wir kennen uns ja, jeder macht sein Ding und eigentlich ist uns das ziemlich egal, denn wir respektieren uns gegenseitig. Das ist eher ein Miteinander als ein Gegeneinander, wir spielen ja auch zusammen. Vielleicht rührt der Vergleich ja daher, dass es derzeit nicht so viele innovative Bands in Deutschland gibt und das manche dann etwas herausstechen.

Aha, innovativ seid ihr.

Äh, nein, also ich würde nicht behaupten, dass wir innovativ sind. Ich habe nur auf deine Frage nach dem Vergleich geantwortet.

Tja, die Presse verdreht einem das Wort im Munde. Aber warum nicht simpler 77er-Punkrock, sondern alles durcheinanderquirlen, was seitdem bis heute so an Musik war?

Warum muss man sich festlegen, warum soll man sich in Schubladen stecken lassen? Warum muss man sich als Punk definieren, warum muss man sich Gedanken machen, ob man jetzt Punk oder Emo oder New Wave ist? Ich halte mich mit solchen Schubladen nicht auf, dazu höre ich selbst auch zu viel verschiedene Musik, von HipHop über Elektro bis Punk.

Trotzdem ist das, was ihr macht, Musik, die irgendwie im großen Indie-Kontext stattfindet.


Das auf jeden Fall. Aber es gibt ja in jeder Stilrichtung eine Subkultur.

Und man kann schon behaupten, dass das, was ihr macht, in einem Rahmen stattfindet, in dem sich auch ROBOCOP KRAUS, THE FAINT oder RADIO 4 bewegen.

Na klar, das spielt schon irgendwie mit. Das ist so eine Welle mit Endsiebziger-Elementen, FEHLFARBEN und RADIERER spielen wieder, das ‚Verschwende deine Jugend‘-Buch, PALAIS SCHAUMBURG, und dann kommen Sachen wie GANG OF FOUR wieder hoch, E.S.G., Soul Jazz Records, A CERTAIN RATIO – und ja, das ist schon eine Modewelle. Ich komme ja aus einem Punk-Kontext, da kann ich nicht leugnen, dass GANG OF FOUR oder E.S.G. für mich Bestandteil unserer Musik sind.

Das ist ja auch erstaunlich, wie oft GANG OF FOUR in letzter Zeit zitiert und erwähnt werden.

Ich denke, das hat einfach was damit zu tun, dass man an seine Wurzeln zurückgeht. Mich wundert es auch immer, wenn man in Reviews oder Interviews mit Bands verglichen wird, die selbst wiederum ‚nur‘ einen Sound machen, den andere schon vor 20 Jahren gemacht haben. Warum spricht man nicht über die Originale? Aber Musik ist eben Reproduktion, es war alles schon mal da, es wird nichts mehr neu gemacht, man findet im Popbereich nichts, was nicht schon mal gemacht wurde. Von daher kann man uns auch gerne einfach als Pop oder Rock bezeichnen, das ist eine denkbar weite Klammer. Die Frage ist dann nur, wie man das, was man macht, verpackt: Macht man das so, dass man versucht, wie seine Vorbilder zu klingen und ist langweilig, oder versucht man sein eigenes Ding zu machen. Das ist eine Frage des Anspruchs, und es gibt sicher Bands, die im Proberaum stehen und versuchen AT THE DRIVE-IN oder LES SAVY FAV nachzuahmen.

Mit dem Unterschied, dass diese Vorbilder nie so ans Musikmachen rangegangen sind.

Genau, und da machen diese Bands ihren großen Fehler, das ist der Unterschied zwischen okayner Musik und der, die etwas besser ist. Das ist alles eine Frage des Anspruchs an sich selbst, an Musik, an Kunst. Das ist für mich auch die entscheidende Frage: Was ist der Anspruch von Kunst? Subversiv zu sein, Unterhaltung, Entertainment?

Da kommt eine Menge Theorie ins Spiel. Ist das dein Ding oder beschäftigt euch so was auch als Band?

Nein, wir reden in der Band über solche Dinge. Wir waren bis kürzlich, bis zum Ausstieg des dritten Gitarristen, zu siebt in der Band, und da wird schon viel darüber geredet, über Kunst, über Politik.

Politik auch?

Ja klar, das gehört für uns dazu, das ist unser Hintergrund. Für mich musste Punk schon immer etwas Subversives haben, Kritik üben an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Nicht nur konsumieren und unterwürfig sein, sondern auch selbst etwas dazu beitragen, dass sich etwas ändert. Wobei wir da auch in der Band verschiedener Meinung sind, und ich habe ja auch nichts gegen Musik zur Unterhaltung. Ich selbst komme aber eben aus einem Umfeld, wo es immer wichtig war, politisch aktiv zu sein. Dass wird nun mal im falschen System leben, ist eine Tatsache, aus der sich Widersprüche ergeben, aber das ist eben so. Ich bin niemand, der mit dem Zeigefinger auf andere Leute deutet, aber etwas Kritik, versteckt oder offen, sollte in der Musik schon drin sein. Und ich finde, unsere Musik passt ganz gut in diese Zeit, sie ist hektisch und stachelig.

Und zitieren könnt ihr auch ganz gut ...

Klar, wir scheißen die Leute mit Zitaten zu, und ich finde, unser neues Album ist auch sehr fragmentarisch. Es switcht die ganze Zeit, ständig passiert was Neues.

Auf Vinyl ist euer Album auf X-Mist erschienen, die CD etwas später auf Raketenmusik.

Armin von X-Mist haben wir die Aufnahmen geschickt, weil ich von X-Mist als Label eine sehr hohe Meinung habe, das ist einfach ein Qualitätslabel. Armin gefiel die Platte auch und so brachte er sie raus. Gordon von Raketenmusik kannte ich über die URLAUB IN POLEN-Leute, und der hatte dann Lust, die CD zu machen.

Auf welchem Level bewegt sich das mit der Band denn derzeit?

So genau weiß ich das nicht, ich weiß nur, dass wir relativ viele Anfragen nach Konzerten haben und viel absagen müssen, weil jeder von uns eben noch was anderes macht.

Was denn?

Das bewegt sich zwischen Kabel tragen, Gehirne waschen, Hund Gassi führen und Flaschen wegbringen. Und natürlich auch, dass man prophylaktisch an der Universität eingeschrieben ist, haha. Obwohl, mancher studiert sogar richtig, der andere aber dafür wieder nicht, hehe.

Wie schafft man es mit so einer chaotischen Band auf Tour zu gehen?

Also es ist immer wieder schwierig, aber nach sieben Jahren – solange gibt es uns schon – klappt das halbwegs, das ist eben unser organisiertes Chaos.

Und wer ist von der Urbesetzung noch dabei?

Der Bassist und der Schlagzeuger, Alexander und Michael, und eben ich. Wir sind als Band ziemlich offen, jeder der was kann, kann dazukommen.

Foto: Yvonne Inlund