PIEBALD

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Die einzigen Freunde, die sie haben

Was ist eigentlich dieses „Emo“? Emo sein heißt, seine äußeren wie inneren Schwächen bewusst zu betonen, nur um sie daraufhin lauthals zu beklagen. Emo sein heißt, den Verlust der Freundin zu bedauern, die man eh nie hatte. Oder so. Und musikalisch? Da ist eigentlich alles emo, was Melodie, Gitarre und nicht ganz perfekten Gesang in sich vereint. So muss sich bisweilen sogar PIEBALD derart schimpfen lassen, obwohl sie doch eher etwas abwegige Rockmusik machen und so gut wie nie über Mädchen singen; obwohl man, rein klanglich betrachtet, nicht gerade viel gemein hat mit beispielsweise den GET UP KIDS, die ja aber nach eigenem Dafürhalten auch keine Emoband sind und auch nie waren. Verwirrend? In der Tat. Ich lümmelte mit dem Vierer aus Übersee im ungemütlich weiträumigen Backstagebereich des Münsteraner Tryptichon herum, um mich über das aktuelle Album „We Are The Only Friends That We Have“, die Tour und sonstige offene Fragen zu unterhalten.

Jungens, seid ihr wirklich die einzigen Freunde, die ihr habt?


Travis: Nur an Wochenenden, haha. Nein, nicht wirklich, aber manchmal scheint es so, bei dem Leben, das wir führen – das wir uns auch ausgesucht haben – und soviel, wie wir touren. Manchmal glauben wir, wir sind schon zu sehr geformt von dem, was wir tun, um überhaupt je wieder normale Leute in der Gesellschaft zu werden.

Habt ihr euch deshalb zwischendurch mal aufgelöst?

Travis:
Ja, das war im Jahr 2000 und hat etwa ein Jahr gedauert. Zu der Zeit gab es Dinge in unserem Leben, die einfach wichtiger waren. Es hat nicht mehr so viel Spaß gemacht wie in der Vergangenheit, und wir haben etwas Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass wir lieben, was wir tun.

Und in dieser Zeit sind auch die Songs für dein Solo-Projekt TOTALLY TRAVIS Y LAS MARIANAS entstanden?

Travis: Ja, das ist eine zufällige Ansammlung von Songs, die ich geschrieben habe, als die Band nicht zusammen war. Ich habe sie auf einem Vierspurrekorder aufgenommen und Big Wheel hat sie vor zwei Jahren veröffentlicht. Es ist sehr viel mit Akustikgitarre, keine Ahnung, was genau das für eine Musik sein mag. Diese dummen Seitenprojekte halt.

Ich habe über dieses Gewinnspiel eures Labels Defiance gelesen, bei dem Fans originelle Fotos mit euch machen sollen, um zu gewinnen. Schon irgendetwas passiert?

Luke:
Bisher hat sich noch niemand getraut, niemand ist zu uns gekommen, und hat uns gefragt. Ich würde mir das wünschen, es hört sich nach viel Spaß an.

Wie seid ihr denn überhaupt an Defiance gekommen? In den USA seid ihr auf Big Wheel Recreation.

Travis:
Ich glaube, Defiance haben Big Wheel kontaktiert, oder umgekehrt. Irgendwie haben sie sich geeinigt und so kam dann letztes Jahr unser Album hier raus. Keine Ahnung, ob Defiance uns gefunden haben, oder umgekehrt.
Luke: Sie haben uns gefunden.
Travis: Tatsächlich? Na, dann haben sie uns gefunden.

Eigentlich wollte ich dieses Interview schon letztes Jahr machen, aber die Tour wurde damals abgesagt. Warum?

Travis:
Ich hatte eine Stimmbandoperation, genau zu der Zeit, als wir hier drüben spielen sollten, deshalb haben wir uns entschlossen, die Tour zu canceln. Zum Glück ist alles gut verlaufen.

Was hatte es eigentlich mit dem „Benefit For Travis“-T-Shirt auf sich?

Travis:
Wir haben ein spezielles ‚Throat Surgery‘-Shirt entworfen, um etwas Geld für die Operation aufzubringen. Das hat unseren T-Shirt-Verkauf ein bisschen angekurbelt und war somit sehr hilfreich.

Inwiefern hat euch die Pause in euren Plänen zurückgeworfen?
Travis:
Zu dieser Zeit hatten wir eine fünf- oder sechswöchige Tour durch Europa geplant und hätten zwei Wochen mit DASHBOARD CONFESSIONAL in den USA spielen sollen. Das wäre richtig groß gewesen und wir haben die Chance verpasst. Alles in allem haben wir dadurch einen Haufen Geld verloren.

Und in Bezug auf ein neues Album, habt ihr da schon neue Songs?

Travis:
Wir hassen es, neue Songs zu schreiben, deshalb haben wir keine. Quatsch! Wir haben einen Haufen neuer Songs, aber noch keine konkreten Pläne für ein neues Album. Wir müssen nach dieser Tour zuerst noch ein paar mehr Lieder schreiben.

Ich habe mal über euch gelesen, dass „World Domination“ euer Ziel ist. Habt ihr da mittlerweile Fortschritte machen können?

Travis:
Die Vereinigten Staaten sind obenauf ... Nein, ich mache nur Spaß. Leider. Nun, die Dinge laufen sehr gut im Moment, die Shows sind großartig, wir versuchen in den globalen Arsch zu treten, dafür geben wir jeden Abend unser bestes. Letzten Abend waren es zwar nur etwa 70 Leute, die wir bekehren konnten, die Show war trotzdem sehr cool, aber in Köln waren es fast vierhundert. Wird wohl die größte Zahl gewesen sein, denke ich.

Ist es denn ein Problem, dass ihr quasi mit einem „alten“ Album tourt?

Travis:
Ich bin mir nicht sicher, im Moment sieht es nicht so aus, es kommen genug Leute zu den Shows. Vielleicht wäre es auf der ursprünglich geplanten Tour besser gewesen, aber scheinbar ist das kein wirkliches Problem.
Luke: Wir müssen schließlich in diesen Gegenden spielen, um das Interesse der Leute wach zu halten. Wenn wir jetzt nicht herübergekommen wären, weil wir kein aktuelles Album haben, dann wäre es beim nächsten Mal höchstens schlechter geworden.

Wenn man sich eure älteren Sachen anhört, dann fällt vor allem auf, dass eure letzte Platte nicht mehr so ungeschliffen ist und einfach bessere Songs hat. Glaubt ihr, das ist eine normale Entwicklung im Zuge des Alters?

Travis:
Ich denke ja, denn je mehr Leben du gelebt hast, je mehr Dinge dir zugestoßen sind und mit je mehr Leuten du interagiert hast, desto mehr verändert es dich als Mensch. Du kannst relaxter an die Sachen herangehen, weil du vieles schon einmal erlebt hast und viele Fehler schon einmal gemacht hast. Du veränderst dich, weil sich das Leben verändert.

Seid ihr eine Emoband?

Travis:
Nicht, wenn wir das irgendwie verhindern können. Das ist keine gute Beschreibung von Musik, wenn dienämlich ohne Emotion gespielt würde, dann könnte man sich auch so was anhören (haut mehrmals eine Zigarettenschachtel auf den Tisch). Der Begriff ist mittlerweile so breit gefasst und so verwaschen, dass er eigentlich keine Bedeutung mehr hat. Es ist ein natürlicher Instinkt, Dinge zu kategorisieren, wir würden es aber vorziehen, wenn niemand dieses Wort jemals wieder in den Mund nehmen würde.

Jawoll, ja, Emo ist tot! Vielen Dank für das Interview.

Foto: Bryan Sheffield