PUNKS UNTER PALMEN

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Kubas Verhältnis zur rebellischen Jugend

Februar 2001: Fidel Castro besucht in Havanna ein Konzert der MANIC STREET PREACHERS. Mai 2001: Die TOTEN HOSEN spielen auf der kubanischen Musikmesse „Cubadisco“. Das Verhältnis der kubanischen Politik zu Musikstilen, die vormals als imperialistisch und minderwertig galten, scheint sich zu ändern. Doch das gilt nicht für alle, denn die Punks im eigenen Land werden nach wie vor diskriminiert.

Grün gefärbter Hahnenkamm, Kette zwischen Nase und Ohr, Lippe gepierct, so steht „Harlem“ vor mir, ein Punk, Mitte 20. Sein Freund Yardier trägt das Werbe-T-Shirt einer spanischen Hardcoreband, voll mit Totenköpfen. In London oder Berlin wäre das nichts besonderes, aber wir befinden uns in Havanna. Und im Staate Fidel Castros sind Punks selten und nicht gut gelitten: „So wie wir aussehen, werden wir dauernd von der Polizei kontrolliert, mehr als jeder andere“, erklärt Harlem.

Mit der Revolution von 1959 änderte sich auch die Kulturpolitik in Kuba. US-amerikanische Musikstile wie Jazz und Rock wurden zunehmend mit ihrem Herkunftsland identifiziert und als imperialistisch gebrandmarkt. Auf dem Bildungs- und Kulturkongresses von 1961 wurde zwar „die absolute Freiheit der künstlerischen Ausdrucksmittel unter Berücksichtigung der nationalen Traditionen und einer angemessenen Einbeziehung der Kulturwerte anderer Völker“ festgelegt, aber diese Formulierung bot einen großen Interpretationsspielraum. Als der Rock nach Kuba kam, wurde dort, wie auch in den anderen sozialistischen Staaten, der Versuch unternommen, die als bedrohlich empfundene Musik abzuwehren, unter anderem mit Kampagnen gegen die „westliche“ Musik. Ohne Erfolg: Der Rock setzte seinen weltweiten Siegeszug auch im sozialistischen Lager fort. Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern war es in Kuba allerdings nie offiziell verboten, Rockmusik zu spielen. Sie wurde aber nicht gefördert oder gesendet, oft wurde sie behindert, manche Stücke auch zensiert: „Einzelne Radio- oder Fernsehdirektoren verboten, in ihren Sendern Rock und Jazz zu spielen. Aber das war völlig nutzlos, denn während der Staat diese Musiken in seinen Massenmedien ignorierte, hörte man sie schon in jedem Haus: BEATLES, ROLLING STONES oder Jazz, alles“, berichtet der Musikwissenschaftler Helio Orovio. Besonders negative Auswirkungen für Musiker, Künstler und Intellektuelle hatte das Jahr 1968. Einhergehend mit zunehmenden Versorgungsschwierigkeiten und einer gescheiterten Internationalisierung der Revolution durch den Tod Ché Guevaras in Bolivien, kam es zu einer Annäherung an die UdSSR, die für viele Intellektuelle und Künstler negative Folgen hatte.

Erst in den 80er Jahren entspannte sich das Verhältnis zwischen Rock und Politik. 1981 gab es das erste Rockfestival namens „Invierno Caliente“ (Heißer Winter). Zu dieser Zeit traten zwei Gruppen ins Rampenlicht, die neue Wege wiesen: ARTE VIVO und SÍNTESIS. Sie spielten nicht nur den in den 80ern üblichen Hardrock, sondern experimentierten mit vielen Stilen, insbesondere mit der Kombination von Rockmusik und kubanischen Rhythmen. Punkrock, der seit Mitte der 70er Jahre die musikalischen Fundamente im Rest der Welt erschütterte, gab es im tropischen Sozialismus noch nicht. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert: „Es gibt nur wenige Punk-Gruppen in Kuba wie zum Beispiel ESCORDIA aus Santa Clara. Ende der 80er Jahre gab es mehr, aber in den 90ern haben sich viele dem Rock zugewandt. Die Musik dieser Gruppen wird – wenn überhaupt – auf illegalen Tapes verbreitet“, so Harlem. Auf den wenigen Rockfestivals, die es heutzutage in Kuba gibt, treten Bands aller Stilrichtungen gemeinsam auf. So auch beim Konzert der TOTEN HOSEN in einem alten Meeres-Freibad, dem „Balneario Universitario“. Rund 500 meist jugendliche Zuhörer, die eher der Rockerszene zuzuordnen waren, pogten erst mal zur Musik von Hip-Hop- und Rockbands wie AGONIZER, ANONIMO CONSEJO oder VIENTO SOLAR. Beim Auftritt der TOTEN HOSEN staunten die Fans, ebenso die Sicherheitskräfte: Nachdem Campino über einen Boxenturm die Terrasse des Clubs erklommen und dort eine Lampe zertrümmert hatte, drehte die Polizei der Gruppe den Strom ab. Trotz des jähen Endes waren die kubanischen Fans und die wenigen Punks im Publikum froh über das Konzert, denn mit den TOTEN HOSEN waren auch Fans und Journalisten aus Deutschland angereist, die die Kubaner mit neuen Informationen und CDs aus Europa versorgten. O-Ton Yardier: „Informationen über Punk aus den USA oder Europa kommen nur mit Ausländern auf die Insel. Es gibt auch keine Orte, wo man diese Musik hören könnte. Manche Clubs haben einmal pro Woche einen Rockabend, aber Punk ...“. Das Informationsdefizit zeigt sich auch daran, dass neben SEX PISTOLS, RAMONES und THE CLASH keine modernen Bands als Referenzen genannt werden.

Die wenigen Punks, die es seit den 80er Jahren in Kuba gibt, werden von staatlicher Seite und der Mehrheit der Bevölkerung als Abschaum der offiziell immer noch als feindlich geltenden angloamerikanischen Kultur betrachtet: „Arbeit zu finden ist mit unserem Aussehen nahezu unmöglich, zumindest offizielle Arbeit. Wir arbeiten privat, bei Freunden usw. Ich mache manchmal Kunsthandwerk oder helfe in einem kleinen Laden. Die meisten Kubaner meiden uns, manche Leute betrachten uns wie exotische Tiere“, sagt Harlem. Kursierende Geschichten von einer Gruppe Punks, die sich Anfang der 90er Jahre absichtlich mit AIDS infizierte, um im isolierten Krankenlager ihr Leben unter besseren Bedingungen zu Ende zu führen, gehören aber wohl ins Reich der Legenden. Das Verhältnis zum Staat wird sich, solange der Sozialismus herrscht, wohl nicht verbessern. Das Motto der Punks „No Future“ passt eben nicht zum Zukunftsglauben der Revolution: „Vor allem haben wir den Blick in die Zukunft gerichtet und wir haben eine klare Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen wird“, so Fidel Castro in einer seiner vielen Reden. Harlem hat dennoch Hoffnung: „Es gibt nicht viele von uns. Aber es gibt mehr als es scheint, denn Einige fühlen sich im Herzen als Punks, zeigen es aber nicht“.

 


Zum Weiterlesen:

Torsten Eßer. „Kein Opium für Fidel. Die Toten Hosen in Havanna“, in: Matices Nr. 30/ 2001, S. 60-61. Torsten Eßer/ Patrick Frölicher. „Von der Schlitztrommel zum Synthesizer. 500 Jahre kubanische Musik“, in: Ottmar Ette/ Martin Franzbach (Hrsg.). Kuba heute, Frankfurt a.M. 2001, S. 683-733.