T.S.O.L.

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Der wahre Klang der Freiheit

Dass es das noch gibt: Eine real existierende LA-Punk-Legende, die noch nie in Deutschland auf Tour war. Yep, T.S.O.L. waren im Mai erstmals auf europäischen Bühnen zu sehen, teils im Rahmen der „Deconstruction-Tour“, teils solo, und auch wenn die Besucherzahlen wie in Düsseldorf mit weniger als 100 teils doch enttäuschend niedrig waren, so war es doch ein gelungener Abend mit einer Band, die schon alle Höhen und Tiefen erlebt hat, die neben den ADOLESCENTS, BAD RELIGION und CIRCLE JERKS einst, Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger, zur ersten Garde der zweiten Punkwelle Kaliforniens gehörte und erst seit ein paar Jahren wieder in beinahe Original-Line-up aktiv ist.

Auf Tour war die Band in der Besetzung Jack Grisham (vox), Mike Roche (bass) und Jay O’Brien (drums) (Original-Drummer Todd Barnes starb schon vor Jahren), und wäre seine Frau nicht gerade schwanger, wäre auch Gitarrist Ron Emory mit von der Partie gewesen, doch so ließ er sich vom einstigen JOYKILLER-Gitarrenmann Sean Greaves vertreten. Apropos JOYKILLER: Das Best Of-Album der Zweitband Jack Grishams ist soeben erschienen, und das neue T.S.O.L.-Album kommt im September. Und jetzt zum Interview, das ich mit Mike Roche vor dem Konzert führte.

Mike, wie ist es in Deutschland zu spielen?


Bisher echt cool. Wir waren ja bis gestern mit der Deconstruction-Tour unterwegs, das ist erst unsere zweite Club-Show, und ich muss sagen, die Deconstruction-Tour war nicht einfach ... Die Besucher waren einfach sehr jung, und ich will sie nicht pauschal kritisieren, aber es ist schon so, dass wir besser ankommen, wenn das Publikum etwas punkrockiger und älter ist, wenn die Leute einfach schon etwas Hausaufgaben in Sachen Punkrock gemacht haben und wissen, wo die Einflüsse und Wurzeln zu finden sind. Ich meine, wir waren ja auch nicht die ersten, vor uns gab es Bands und nach uns kamen eine Menge, wir stehen eben in einer gewissen Tradition und stammen aus einer Phase des Punkrocks, als es eine Menge interessanter neuer Bands gab. In Südkalifornien gab es damals geradezu eine Explosion in Sachen guter, neuer Punkbands, es gingen viele Leute zu den Shows, es gab viele Clubs, es war einfach eine gute Szene. Jedenfalls spielten wir gestern in München die erste Clubshow, die Leute gingen richtig gut ab, und das war ein besseres Gefühl, als vor tausenden Kids auf einer Festivalbühne zu stehen, die nicht so richtig reagieren, die uns nicht mal kannten.

Die kannten euch höchstens von einem Nitro Records-Sampler oder so. Apropos: Wie kam es, dass ihr auf Dexter Hollands Label gelandet seid? Hat das irgendwie geholfen?

Geholfen? Nein. Dexter mag uns als Band, deshalb hat er uns auf sein Label geholt. Und die Leute von Nitro sind sehr korrekt zu uns, wir können uns nicht beklagen. Doch das Plattengeschäft hat gerade in den USA vor allem was mit Vertrieb zu tun, und du musst mit deiner CD dann im Laden stehen, wenn die Leute sie haben wollen, sonst geben die ihr Geld für was anderes aus. Ich will jetzt nicht sagen, dass Nitro schuld sind, dass wir nicht mehr Platten verkaufen, aber es könnte schon besser sein. Es ist einfach ein sehr schwieriges Geschäft. Und vor allem haben sich die Zeiten verändert: Das, was heute in großem Stil als Punkrock verkauft wird, ist schon was ganz anderes als damals.

Da muss es doch ein verblüffendes Gefühl sein, 2003 erstmals in Deutschland zu spielen und das mit Orange County 1980 zu vergleichen.

Das ist wie eine Reise mit einer Zeitmaschine, haha. Aber es gibt auch Parallelen, denn damals wie heute hast du das Gefühl, etwas völlig neues zu erleben. Du weißt morgens nicht genau, was dich abends erwartet, und das war bei unseren ersten Touren in den USA nicht anders: Kommt überhaupt jemand, werden sie uns mögen? Jeden Abend musst du dich neu beweisen. Andererseits: Die Leute kommen, weil sie nicht wissen, ob sie jemals wieder die Chance dazu erhalten werden. Da muss man einfach schnell reagieren, sonst hätte ich damals auch nicht THE CLASH gesehen, STIFF LITTLE FINGERS, und so weiter – die musste ich damals einfach sehen, verstehst du? Und vielleicht geht das bei uns ja auch ein paar Leuten so.

Warum sollte es?

Weil man eine Band einfach live sehen muss, um sie zu verstehen. Ein Foto oder ein Video hilft da nicht weiter, deshalb ja auch unser Bandname, der als Slogan unsere ersten T-Shirts zierte: ‚See the True Sounds of Liberty‘. Es geht nichts über das elektrisierende Gefühl einer explosiven Show, wenn du mich fragst.

Ein gutes Thema: Eure Shows damals waren ja, wenn man den Berichten glaubt, teilweise recht gewalttätig. Wie kam das, wie kamt ihr zu diesem Ruf?


Na ja, Gewalt gab es nicht nur damals: Am 23. November letzten Jahres wurde während unseres Konzertes im House Of Blues in Hollywood auf zwei Besucher geschossen und diese schwer verletzt, aber das war wirklich ein verrückter Zufall. Aber klar, auch sonst sind in den USA Konzerte mit ein paar tausend Leuten immer ein Ort, wo sich Kids in die Haare kriegen und auch mal mit dem Messer bearbeiten. Da finde ich es auch sehr erfreulich, dass in Europa so was viel seltener vorkommt, dass Aggression zwar ein Teil des Konzerterlebnisses ist, aber nicht automatisch auch Gewalt. Wut kann man eben auch kanalisieren und in eine positive Richtung umleiten, Hass nicht. Und wenn sich Leute versuchen umzubringen, weil einer grüne Haare hat und ein anderer weiße Schnürsenkel, dann ist das extrem dumm. Aber um auf deine Frage zurück zu kommen: Im Großraum LA wohnen acht Millionen Menschen, die Gesellschaft an sich ist sehr gewalttätig, und man liest praktisch jeden Tag in der Zeitung eine Meldung, dass jemand in seinem Auto eigentlich ohne Grund erschossen wurde. Das sind wohl die Zeichen der Zeit.

Interessant ist aber, wie ich finde, dass die Punk- und Hardcoreszene in Europa und Deutschland sehr viel von den US-Vorbildern übernommen hat, aber eben nicht diese Gewalt auf den Konzerten, die etwa in Steven Blushs Buch „American Hardcore“ beschrieben wird. Kannst du erklären, wieso eure frühen Shows in dieser Hinsicht so einen schlechten Ruf hatten?

Also ganz zu Beginn waren nicht wir es, von denen die Gewalt ausging. Wir waren auch nicht die erste Punkband der Welt oder Kaliforniens. Auch wir sind, noch bevor wir die Band hatten, auf Konzerte gegangen, und ja, zum Glück waren wir schon früh mit dabei. Gewalt war dabei von Anfang an ein Phänomen, das einem als Punk begegnete, ganz einfach weil die ‚normalen‘ Leute gegen dich waren, die ganzen Vorstadtprolls, die Football-Typen, Biker, die Polizei und so weiter. Alle hassten uns, und alle, die uns hassten, waren größer als wir, und die meisten Punks waren kleine, schmale Kerlchen. Wir waren zwar nicht wirklich alle Dorks und Geeks, aber Punks, das waren schon irgendwie Outcasts. Wir als Band waren jedoch ganz gut gebaute Surferkids, gesunde und auch durchaus aggressive Typen, wir kamen eben vom Strand, wie etwa auch SUICIDAL TENDENCIES. Andere Bands wie etwa die ADOLESCENTS waren eher so junge, schmale Typen. Und so liefen wir also durch die Straßen, mit bunten Haaren und komischen Frisuren, seltsamen Klamotten und klobigen Boots an den Füßen – da war jeder Tag ein Kampf, und die ‚Anderen‘ wollten dich töten, oder zumindest kam es uns so vor – wir waren eben jung, 16, 17, 18. Da beeindruckt es dich schon, wenn ein Kleinbus voller Bauarbeiter neben dir und deinen Freunden hält und diese massigen Kerle dir plötzlich mit Baseballschlägern in den Händen hinterher laufen. Da rennst du erstmal und merkst dann schnell, dass der Cop, den du um Hilfe fragst, genauso drauf ist. Dazu kam dann bald das ‚Kill the hippies‘-Ding, denn wir merkten, dass uns auch die Rocker und die Hippies nicht leiden konnten. Ich kann mich noch genau erinnern, wie damals die RAMONES die Vorgruppe von BLACK SABBATH waren, von den Rockern von der Bühne gebuht wurden und all die Punks im Publikum richtig auf die Fresse bekamen. Das war echt brutal, und so wurden wir eben zum Produkt unserer Umwelt.

Und dann habt ihr zurückgeschlagen.

Ja, wir Beachkids waren sowieso viel aggressiver als die Kids aus Hollywood, wir waren von Anfang an Fighter. Und wie wir dann immer mehr wurden, waren wir plötzlich eine Kraft, mit der gerechnet werden musste, gehörte Gewalt bald zu unserem Alltag. Dabei war das aber eine andere Gewalt als heute, wobei ich aber auch nichts rechtfertigen möchte: Damals wurde niemand umgebracht, das war eben dumme Kinderkacke. Man zog durch die Straßen, besoff sich, quatschte Mädels an, demolierte eine Schaufensterscheibe oder ein Auto, tanzte herum, man schubste sich, und plötzlich hattest du eine blutige Nase – so lief das, und das war’s dann auch beinahe schon. Als die Punkszene dann immer mehr boomte, änderte sich das dann aber schnell: Die Szene wurde größer und unüberschaubar, es gab plötzlich jede Menge Punk-Gangs, die recht organisiert waren, darunter auch ‚Vicious Circle‘, aus der dann T.S.O.L. hervorging, das war eine sehr gefürchtete Gang. Oder ‚Circle One‘, oder die ‚Suicidals‘, die davor ‚Mercenaries‘ hießen. Oder ‚Pig Children‘, und ‚L.M.P.‘, und so weiter. Da war es dann kein Spaß mehr, da wurde es plötzlich ernst mit der Gewalt. Da ging es dann darum, die Kontrolle über den Pit zu gewinnen. Und das muss man einfach mal gesehen haben, ein Konzert mit 5.000 Kids, mit drei verschiedenen Pits, jeweils 50 Meter im Durchmesser, das war wie drei Tornados nebeneinander und jedes Mal, wenn sich diese Tornados berührten, gab es eine Keilerei. Das war einfach verrückt! Und immer noch war es zwar gefährlich, aber nicht tödlich. Es war ein Spiel, ein gefährliches, das für die ‚normalen‘ Menschen völlig unakzeptabel und unbegreiflich war, und du warst Teil einer Sache, die neu und aufregend war – zumindest für uns. John Doe etwa, der ja lange vor uns dabei war, sagte mal, das Auftauchen von Bands wie T.S.O.L. habe für ihn das Ende der Punkszene markiert, wie er sie kannte. Und John Doe ist ein Freund von uns.

Nun wart ihr damals Teenager, jetzt seid ihr über 40. Was ist das für Gefühl, immer noch in einer Band zu spielen, die damals für ganz exzessiv gelebte Jugendlichkeit stand?

Hm, lass es mich so ausdrücken: Der Krieg ist vorbei, der Krieg, den die ersten Punks kämpfen mussten, um überhaupt Punkrock leben zu können, der Krieg, der nötig war, damit die Leute heute ohne viel Stress Punk sein können. Im Gegensatz zu damals ist es heute möglich, Konzerte zu spielen, solche Sachen eben. Oder dass Festivals wie ‚Inland Invasion‘ vor ein paar Jahren möglich sind, mit großen Sponsoren wie Levi’s und Bands wie CIRCLE JERKS, VANDALS, PENNYWISE, SEX PISTOLS und BUZZCOCKS. Da waren 56.000 Leute und hatten Spaß, und so was wäre früher undenkbar gewesen. Und ja, das hat gute und schlechte Seiten: Es steckt jetzt Geld in der Punkszene, und ohne Geld keine Konzerte und so weiter. Andererseits ist das Geld sehr ungleich verteilt: ein paar große Bands kassieren richtig dick ab, Bands wie wir machen so eine Tour nach Europa, weil wir endlich mal hier spielen wollen. Punkrock ist heute etabliert, als ein Stil neben vielen anderen. Für uns ist es schön, dass wir heute noch spielen können und zu wissen, dass wir dazu beigetragen, dass es so ist, wie es heute ist. Ob es allerdings ein gutes Zeichen ist, dass Kids heute in jeder Shopping Mall Punk-Shirts kaufen, das weiß ich auch nicht so recht. Aber ich denke, dass ihre Begeisterung für Punkrock die gleiche ist wie damals bei mir.

Warum seid ihr heute noch bzw. wieder dabei?

Also eine ganze Weile waren wir nicht dabei, die Band hatte sich ja 1984 aufgelöst. Ich machte damals den Fehler, unter dem gleichen Namen weiterhin Musik und Platten zu machen. Ich war dann richtig übel auf Drogen, baute Scheiße, war im Knast, Ron Emory war auch am Arsch, und erst 1992 spielten wir dann wieder ein Konzert in der alten Besetzung – mit OFFSPRING als Vorband. Dann war wieder gar nichts, nur Jack machte mit JOYKILLER Platten, wie er auch vorher mit TENDER FURY Musik gemacht hatte. Als ich dann 1998 aus dem Knast kam, lief eine Ausstellung in Santa Monica zur frühen Punkszene von L.A., mit Flyern, alten Lederjacken, der Eingangstür von ‚The Masque‘, und es wurden ‚Punkrock-Ehrenurkunden‘ an THE DILS, THE BAGS, AVENGERS, WEIRDOS, SCREAMERS, CIRCLE JERKS, BLACK FLAG, X, T.S.O.L. verliehen, haha. Wir und alle anderen sollten da drei Songs live spielen, wir ließen uns darauf ein, und es war unglaublich! Die Stimmung war grandios, und kurz darauf bekamen wir das Angebot, eine Tour zu spielen. Von uns aus hatten wir daran keinen Gedanken verschwendet, waren nicht mal sicher, ob wir es zusammen in einem Auto überhaupt aushalten, aber wir ließen uns darauf ein und es funktionierte. Zwei weitere Touren folgten, wir bekamen Angebote, eine Platte zu machen, ließen uns auf Nitro statt auf Epitaph ein, und hier sind wir. Und im September kommt auch schon unsere zweite neue Platte, die ist fix und fertig, unsere beste, wie ich finde, und sogar Greg, der Keyboard-Player von ‚Beneath The Shadows‘, ist dabei.

Und was macht ihr heute im richtigen Leben?

Wir haben alle einen Job. Ich bin Tätowierer, Jack macht alles, was sich so anbietet, aber am liebsten hängt er am Strand rum und surft, Ron arbeitet als Bauarbeiter. Wir sind eben keine von den Bands, die so gut läuft, dass man es sich leisten kann nicht zu arbeiten, aber das ist okay.

Kannst du mir noch erklären, was es mit der Hardrock-Version von T.S.O.L. von Mitte der Achtziger auf sich hatte?

Na ja, die erste Platte dieser Version war noch okay, irgendwie Postpunk, die zweite auch noch, doch dann war es AC/DC pur. Ich hatte damals richtig lange Haare, und irgendwie war es auch eine Rebellion gegen Punk. Mein Fehler war es, den Namen zu behalten. So dachten die Rocker, wir seien Punks, und die Punks hielten uns für Rocker. Und bis heute müssen wir für diesen Fehler büßen, werden darauf angesprochen. Übrigens spielte ich mit dieser Version von T.S.O.L. damals mal in Deutschland, 1986 war das.

Da war doch noch die Story, dass ihr selbst den Namen T.S.O.L. erst seit ein paar Jahren wieder verwenden dürft.

Oh ja ... Als ich damals die Band verließ – Ron und Jack waren da schon nicht mehr dabei – hatte ich den anderen in der Band den Namen überlassen. Das heißt, zum Schluss schmissen die mich raus und behielten den Namen oder hatten mir den sogar abgekauft – ich war so auf Dope, mir war alles egal. Als dann Jahre später die Reunion mit Jack und Ron anstand, sagten die anderen Typen zwar, wir könnten den Namen wieder haben, gaben sich nett und verständnisvoll. Aber plötzlich kamen sie auf die Idee, Geld haben zu wollen. Wir machten ihnen ein faires Angebot, um die Sache schnell zu klären, aber sie fingen an zu pokern, die Sache ging hin und her, bis Jack irgendwann damit drohte, das fertig aufgenommene Album zum kostenlosen Download ins Internet zu stellen und sie dann keinen einzigen Cent bekommen würden. Und dann ging es plötzlich. Aber weißt du, was das Schlimmste an der Sache ist? Der Eine von denen, Joe, ist sogar Jacks Schwager: Er heiratete damals Jacks Schwester, und so war das nicht nur rechtlich ein Problem, sondern auch in der Familie. Der arme Jack, er musste das alles ausbaden.

Wie ist euer Verhältnis zu Poshboy und Frontier, euren ersten Labels?


Die haben uns beide richtig beschissen. Von Poshboy gab es später zwar mal ein paar Schecks, aber wir haben nie eine Abrechnung gesehen. Und Lisa hat uns auch komplett abgezogen. Wir haben keine Ahnung, wie viele wir von unseren ersten beiden Platten verkauft haben, aber es sind auf jeden Fall unsere bestverkauften Scheiben.

Fotos: Sandra Steh