CHEFDENKER

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Jenseits jeder Biologie

Reine Musikinterviews gibt es in diesem Heft ja in Hülle und Fülle, doch Ausnahmebands werden journalistisch anders befragt! Wer sich ohne jede Scham zu Karrierebeginn als Mitglied einer Punkcombo auf der Bühne vor dem tobenden Mob eine Rocky-Flagge im allerbesten Redneck-Style um seine Stars & Stripes-Klampfe hängt, muss eh in jedem Fall zu seinen Zustand befragt werden. Deswegen an dieser Stelle ein aufschlussreiches Frage-Antwortspiel mit dem CHEFDENKER-Frontmann Claus Lüer (Ex-KNOCHENFABRIK, Ex-CASANOVAS SCHWULE SEITE) jenseits des „Wann habt ihr euch gegründet?“-Schemas. Selbstverständlich gilt für jeden, der der deutschen Sprache mächtig ist, sich unbedingt die Scheibe „16 Ventile in Gold“ zuzulegen, die musikalisch und textlich bonbongleich ist, denn stumpfer kann Scharfsinn nicht sein!

Claus, wie beginnt denn so in aller Regel ein typischer Tag von dir?


„Bei mir läuft gar nix unter drei Promille, ich kann saufen wie‘n Loch, jeden Mittag esse ich Pommes, denn ich bin ein schlechter Koch.“

Alkkonsum ist also eine dringende Notwendigkeit geblieben?

„Wenn‘s ums Saufen geht, da kenne ich weder wo, warum noch wann, und bis heute fragt mich niemand, ob ich sonst noch etwas kann.“

Sex etwa auch? Ich erinnere nur an den alten „Idealer Talkshowgast“-Song von der KNOCHENFABRIK ...

„Wenn‘s ums Ficken geht da bin ich auch mitunter kompetent, das weiß jeder, der die zweite Strophe dieses Liedes kennt.“

Dein Iro ist ja ab, geschah das im Zuge der allgemein unnötigen California-Punkabilly-Welle? Oder hast du dich nur deinem Automobil angepasst?

„Ich habe 16 Ventile in Gold, ein Knightrider-Lauflicht und 1000 PS, und ich hau euch aufs Maul, wenn ihr wollt. Ich hab den gleichen Friseur wie James Dean und Mike Ness.“

Wie fühlt man sich, wenn man die letzte Examensprüfung hinter sich gelassen hat?

„Es ist ein beruhigendes Gefühl, für diverse Drecksjobs überqualifiziert zu sein und beim Arbeitsamt nicht in Erklärungsnotstand zu geraten, warum man diesen und jenen Job nicht antreten kann bzw. will. Das Erstaunliche an dieser Tatsache ist, das man sich von zahlreichen Nicht-Akademikern durch einen Zettel unterscheidet, auf dem steht, dass man eine Handvoll Prüfungen mit Hängen und Würgen bestanden hat.“

Wie kamst du zu der Wahl, Kunst und Biologie auf Lehramt zu studieren?

„Im Grunde war die Studienwahl relativ willkürlich, das erste Kriterium war für mich damals, möglichst viel Zeit nebenher zu haben. Voraussetzung dafür ist ein nicht verschultes Hochschulstudium mit freier Zeiteinteilung. Das zweite Kriterium war der NC auf vielen Fächern, die als Alternativen zur Verfügung standen. Es ist auch Schwachsinn, sich zu Beginn eines Studiums darauf festzulegen, was man am Ende der Regelstudienzeit beruflich macht. Aber anscheinend glauben verdächtig viele Leute, heute schon zu wissen, worauf sie in vier oder fünf Jahren Lust haben. An erster Stelle stand und steht bei mir nach wie vor die Musik.“

Was wirst du den jungen Leuten von Heute als Pauker vermitteln wollen?

„Dankenswerterweise bin ich aus gesundheitlichen Gründen nicht für das zweite Staatsexamen zugelassen und selbst wenn, wäre der Lehrerberuf für mich bestenfalls eine Notlösung. Da ich weder Idealismus noch Enthusiasmus für diesen Beruf mitbrächte, wäre ich ein absolut beschissener Lehrer: Ich würde in erster Linie fachliche Inhalte vermitteln wollen, also ein völlig hoffnungsloses Unterfangen. Den erzieherischen Anteil würde ich den Medien und der Popkultur überlassen, damit meine Schüler auch ja glauben, sie seien rebellisch und individuell. Das Gute daran ist, dass sich selbst sinnvolle fachliche Inhalte somit gar nicht mehr vermitteln lassen, denn jedes Unterrichtsthema fänden Schüler zum kotzen, weil es Thema des Schulunterrichts ist. Mit anderen Worten: Es wäre egal, ob man sich als Lehrer den Arsch aufreißt oder sich hinters Lehrerpult setzt und nix macht.“

Wie kommst du eigentlich in „gesellschaftlichen Zwangsgemeinschaften“ zurecht, wenn du mit Menschen zu tun hast, die du eigentlich zu meiden bevorzugen würdest, z.B. an der Uni und so.

„Dass die Uni eine gesellschaftliche Zwangsgemeinschaft ist, kann ich nicht nachvollziehen. Erstens schreibt man sich freiwillig ein, die Spielregeln und Prüfungsordnungen kann und sollte man sich vor Antritt des Studiums durchlesen. Ich habe beispielsweise meine sozialen Kontakte im Umfeld der Bandkollegen und während meiner 22 Semester genau eine Person an der Uni näher kennen gelernt, nämlich meine ehemalige WG-Mitbewohnerin. Das soll nicht heißen, dass alle Lehramtsstudenten pauschal scheiße sind. Ich konnte es mir aufgrund der Musik glücklicherweise immer erlauben, auf Lerngruppen, Esi-Feten und ähnlichen Schwachsinn zu verzichten.“

Wie weit ist deiner Meinung nach das Genie vom Wahnsinn entfernt bzw. wie weit ist der Wahnsinnige vom Genie entfernt? Was ist überhaupt ein Genie und was ist ein Wahnsinniger? Wo liegt der Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn?

„Ich halte den Zusammenhang zwischen Genie und Wahnsinn für einen hartnäckigen Mythos, der nicht zuletzt aus marktstrategischen Gründen von der Kulturindustrie aufrechterhalten wird. Viele Produkte lassen sich nur im Rahmen eines bestimmten Lifestyles verkaufen, weil sie in Wirklichkeit beliebig sind, und Wahn hat schon immer eine gewisse Faszination auf viele Leute ausgeübt. Was allerdings häufig übersehen wird, ist, dass ein unglaublich hoher Prozentsatz der Gesamtbevölkerung von psychischen Erkrankungen heimgesucht wird, etwa 1-2%. Das bedeutet, dass statistisch gesehen auch etwa jeder 150. Künstler davon betroffen ist. Je nachdem in welchem Genre oder in welcher Liga dieser Künstler spielt, ist es durchaus förderlich, diese eher unangenehme Krankheit in den Dienst der PR-Maßnahmen zu stellen und bis aufs Letzte auszuschlachten. Ein anderer Punkt ist sicher die Tatsache, dass viele Leute, die sich für Künstler halten, auf ihrer rastlosen Suche nach neuen Inspirationen zu das Bewusstsein erweiternden Drogen greifen, und unter deren Einfluss unsäglichen Schrott produzieren. Im – für eine Plattenfirma – seltenen Glücksfall ballern sich dann auch schon mal irgendwelche ‚Künstler‘ wie beispielsweise Kurt Cobain im Vollrausch die Birne weg. Das Ganze hat für die Nachwelt zwei entscheidende Vorteile: Die Plattenindustrie verdient sich einen goldenen Arsch, weil sie fortan den Mythos ‚Kurt Cobain‘ verkaufen kann und nicht nur dessen durchschnittliche Musik. Der zweite Vorteil ist, dass man keine neuen NIRVANA-Platten ertragen muss.“

Ich denke, dass Kreativität ein wesentlicher Bestandteil einer Psychose ist, oder wie siehst du das? Wenn ich allerdings auf Notizen zurückblicke, die ich im Anflug vom Wahn verfasst habe, dann kann ich damit heute nicht mehr allzu viel anfangen.

„Psychosen lassen sich ja in der Regel recht erfolgreich mit Medikamenten behandeln. Das legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um eine Stoffwechselkrankheit handelt, die mit Kreativität überhaupt nichts zu tun hat. Nach meinen persönlichen Erfahrungen handelt es sich bei Psychosen immer um falsche neuronale Verschaltungen im Gehirn, falsch deshalb, weil sie sich meistens destruktiv auswirken. Wenn man psychologische Denkmodelle zu Grunde legt, wird autobiografisches Wissen in skurriler Art und Weise auf äußere Reize angewendet und ist nur im Moment dieser gestörten – krankhaften und eben nicht kreativen – Wahrnehmung bedeutungsvoll. Genauso ernüchternd sind ja auch beispielsweise Tonbandmitschnitte von Jääääm-Sessions unter dem Einfluss von so genannten bewusstseinserweiternden Drogen, die man eigentlich nur im Zustand des erweiterten Bewusstseins ertragen kann.“

Was inspiriert dich Texte zu schreiben? Wann, wie und wo schreibst du? Könntest du Dir vorstellen englische Texte mit derselben Qualität zu schreiben?

„Texte sind ein notwendiges Übel, wenn man keine Instrumentalmusik machen will. Wenn ich selber Musik höre, achte ich nie auf die Texte, sondern betrachte die menschliche Stimme wie ein Instrument, das sich mehr oder weniger originell in den musikalischen Kontext einbringt. Das heißt, wenn ich mir eine Platte kaufe, will ich mir nicht das Gesülze von irgendwelchen Spinnern anhören, die meinen, sie hätten was zu sagen und glauben, dass ein gesungener Text das geeignete Medium wäre, eine überzeugende Botschaft zu verbreiten. Das Elend solcher Aphorismen ist ja meistens, dass sie erst durch wiederholtes Einhämmern und mitgrölfähige Hooklines überzeugend wirken bzw. sich einprägen, selten durch ihren Inhalt. Gute Musik braucht auch keinen lesbaren Text, um meinetwegen subversiv zu sein, wenn sie es beispielsweise schafft, Klischees bloßzustellen. In der Regel brauche ich weder Inspiration noch Konzept, wenn ich einen Text schreibe. Das schwierigste ist immer, den ersten x-beliebigen Satz zu finden, der ins von der Musik vorgegebene Versmass passt. Der Rest ergibt sich von selber, meistens durch das letzte, sich reimende Wort. Vor allem ist es mir egal, ob der Text am Ende einen Sinn ergibt oder nicht. Insofern wäre es mir theoretisch in jeder beliebigen Sprache möglich, Texte von derselben ‚Qualität‘ zu schreiben, wenn ich das entsprechende Vokabular parat hätte.“

In welcher Band hättest du gerne gespielt, wenn es KNOCHENFABRIK, CASANOVAS SCHWULE SEITE, BASH nicht gegeben hätte bzw. in welcher Band würdest du gerne spielen, wenn die CHEFDENKER nicht existieren würden?

„Bei der Begleitband von Oli P.“

Wessen Lebenswerk hättest du gerne selbst erschaffen?

„Ein großer Held war auf jeden Fall Marcel Duchamp, dessen spärliches Gesamtwerk in der Veröffentlichung mittelmäßiger Schachbücher ihren ikonographischen Höhepunkt fand, davor kann ich nur den Hut ziehen.“

Welcher historische Denker wird deiner Meinung nach überbewertet?

„Sigmund Freud und der ganze völlig aus dem Arsch gezogene Psychoanalyse-Scheiß, der zugegebenermaßen mitunter hohen Unterhaltungswert hat.“

Der schlechteste Song, den du jemals geschrieben hast?

„Ein Lied, das außer mir selbst niemand kennt.“

Dein bester Song, den du jemals geschrieben hast?

„Ist in der Mache ...“


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