MEA CULPA

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Die Schönheit des Zorns

MEA CULPA aus Seattle waren mir erst mit der „Corporate Nation“-7“ auf Empty USA aufgefallen, und dann kam das Debüt-Album, voll mit hochmelodischem Punkrock zwischen CLASH, STIFF LITTLE FINGERS, DILLINGER 4 und den BRIEFS und im Herbst mein wichtigstes Argument gegen die langweilenden Rockstars RANCID. Die Platte ist ein ausgewogener Mix von Alt und Neu, zwischen UK-Punk-Roots und der US-Jetztzeit, mit klugen politischen Texten („George Orwell must be laughing his ass off“, „Massacre High“ – grandios!) und immer schön Mid-Tempo und dabei gut und richtig druckvoll produziert. Deshalb an dieser Stelle ein Interview mit MEA CULPA - wir schalten um zu unserem Seattle-Korrespondenten ...

Am Vorabend eines Oktobertages sollte ich also im „Monkey Club“ in Seattles Uni-Viertel das Vergnügen haben, MEA CULPA zu ihrem Debüt-Album mit Fragen löchern zu dürfen. Genauer gesagt war ich vor Ort, um den faszinierenden 24jährigen Sänger, Gitarristen und Songwriter der Band, Bill „Bullock“ Fiction, kennen zu lernen. Meine Vermutung war, dass es sich bei diesem bleichen, dunkelhaarigen Kerl um einen rückfällig gewordenen gequälten Katholiken handelt, lange bevor ich das Leonard Cohen-Tattoo zur Kenntnis genommen hatte, aber ich versuchte offen an die Sache heranzugehen. Paradoxerweise waren auch seine Mitmusiker David Byers (Gitarre, Background Vocals, 36), Terry Cook (Bass, 23) und Matt McGillivray (Drums, 24) so brillant wie fordernd. Im folgenden nun also die Statements, die die Herren Musiker so von sich gegeben haben.


Das Stück „Beauty In Wrath“ ist am Ende eines garage-lastigen, dichten Albums mit diesen Hymnen ziemlich verwirrend.

Bill:
„In gewisser Weise geht es in dem Song um einen Neuanfang, ich hatte gerade eine unschöne Beziehung hinter mich gebracht. Dadurch habe ich ziemlich düstere Seiten an mir selbst kennen gelernt, die wahrscheinlich nicht mal die Jungs aus der Band richtig erkannt haben.“

Du hast also eine recht selbstzerstörerische Phase durchgemacht in dieser Zeit?

Bill:
„Absolut. Und in dem Moment haben mir die Ereignisse vom 11. September erst gezeigt, was wirklich erschreckende Zerstörung ist. So was beleuchtet die politische Ebene im Allgemeinen, und darüber wollte ich einen Song schreiben, konnte es aber nicht wirklich, weil die Hintergründe viel umfassender waren. Zerstörung hat im Zorn eine berauschende Komponente. Denn wahrscheinlich habe ich in diesem Moment zum allerersten Mal wirklich pure, beängstigende Wut empfunden. Für eine lange Zeit konnte ich außer Trauer, Zorn und, naja, Alkohol kaum etwas fühlen, weil ich so wütend auf die Täter und ebenso unsere Regierung war, die diese Menschen erst geschaffen hat, außerdem war ich wütend auf alle anderen, weil sie die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen haben. Schließlich war da die Wut auf mich selbst, weil ich immer mehr zu einem emotional losgelösten Party-Typ geworden war. So ist aus dem persönlichen und politischen Situation ein Gefühl geworden, das mir sagte, dass ich mich nicht so gehen lassen wollte.“
Matt: „Sozusagen eine Sucht, von der man sich selbst kaum befreien kann.“
Bill: „Genau so. Irgendwie wie die Sonne, die nach einem Unwetter wieder scheint, oder in diesem Fall nach dem Einsturz der Gebäude. In der Hindu-Mythologie entspricht das ‚Kali‘, dem Dunklen hinter allen Dingen, etwas, das alles verschlingt und wieder erschafft, um es dann wieder zu verschlingen.“

Glaubst du, es hat eine besondere Bedeutung, dass „Kali“ eine Frau ist?

Bill:
„Die Frau ist der Ursprung allen Lebens. Kali steht hinter allem, das ist eine äußerst komplizierte Sache, die ich nicht erklären kann und so auch nicht in die Texte einbauen konnte. Ich habe einen tiefen Respekt für die Menschen, die Kali dienen und anbeten und möchte ihr keine negative Bedeutung zuschreiben, aus Respekt für die religiöse Idee. Lustigerweise haben wir kürzlich ein Shirt entworfen, das eine Kombination aus Kali und der Freiheitsstatue darstellt. Im Hintergrund sieht man die Zeile ‚One hand soaked in blood, while the other offers hope‘ aus ‚Waiting For America‘, ein Statement, das hervorragend die Zweiseitigkeit amerikanischer Geschichte aufzeigt; Ungerechtigkeit war aber immer auch sozusagen ein Leuchtfeuer in der Welt, etwas, das Demokratie unterstützen kann. Ebenso verkörpert Kali die uneingeschränkte Freiheit, die sich durch nichts binden lässt; das totale Chaos, das sowohl erschreckend und gefährlich, aber eben auch aufklärend sein kann. Die Fackel der Freiheitsstatue kann den Weg hin zur Freiheit beleuchten, aber auf diese gleiche Weise kann sie den Diktatoren Feuer unter‘m Hintern machen.“

Das Lied „Wall Around The World“ kommt direkt im Anschluss an „Beauty in Wrath“ auf dem Album.

Bill:
„Das sind die letzten Tracks auf der Platte, und so beenden wir normalerweise auch unser Set. Irgendwie sind diese beiden Songs unerklärlich miteinander verbunden. Der Grund für das Cohen-Tattoo auf meinem Arm ist, dass er in der Lage war, in seinen Texten Religion, Sex und Politik in einer Zeile sinnvoll zu verarbeiten, in einer erstaunlichen Dimensionalität. Ich möchte zumindest etwas Ähnliches versuchen. Wir haben alle die Fähigkeit, Dinge zu zerstören und gleichzeitig Neues zu schaffen, und jeder von uns trägt einen Teil der Mitverantwortung dafür, wie die Welt ist. Ich sage nicht, dass ich immer meiner Verantwortung gerecht werde, aber die Idee, dass jeder mit verantwortlich ist, liegt mir sehr nahe.“

Kommen wir zurück zum Thema Politik in den Texten. Kann man sagen, dass die immer für die ganze Band gelten?

Terry:
„Manchmal bin ich beim Spielen der Songs selbst wie ein Fan und denke ‚Hey, geiler Text‘. Und wenn jemand etwas über die Texte sagt, muss ich immer zugeben, dass ich nicht so sehr ins Texten involviert bin.“
Dave: „Wir sind alle politische Menschen und Bill ist sozusagen das Sprachrohr, der unsere Gedanken zu Papier bringt.“
Terry: „Bill und ich führen oft politische Diskussionen. Wir würden sicher keinen Song machen, bei dem wir nicht einer Meinung sind. Meistens sind wir auch derselben Ansicht.“

Wie kamst du zum Thema Politik, Bill?

Bill:
„Ich wollte immer eine gute Band mit sozialem Bewusstsein, weil mich diese selbstbezogenen Bands Anfang der 90er allmählich langweilten. Im Moment würde ich unsere Musik wohl eher als Emo bezeichnen. Wenn man sich die erste Welle der Emobands wie FUGAZI oder RITES OF SPRING ansieht, die sangen über persönliche Dinge mit sozialem Hintergrund. Mittlerweile finde ich Emo aber schrecklich. ‘The burning within me will never subside!’ Da kann man sich gleich irgendwelche Gruftie-Bands anhören. Aber in einer Kleinstadt wie Idaho gibt es nicht viele Möglichkeiten für soziales und politisches Engagement. Als ich dann nach Seattle kam, habe ich viel über Howard Zinn, die WTO und die Zapatistas gelernt und fing an, mich mit dem spanischen Bürgerkrieg zu beschäftigen. In den ersten beiden Collegejahren war ich sehr engagiert. Ich hab zum Beispiel für ein linkes Magazin namens ‚Ruckus‘ geschrieben. Aber mit der Zeit störte mich die rhetorische Beschränktheit und die Taktik der Leute, das war einfach nicht sonderlich konstruktiv. Daher kommt auch zum Teil der Titel des Albums. Es geht eben nicht nur um ‚die Gesellschaft setzt dir diese fröhliche Maske auf‘. Viele Menschen, die rebellieren, tragen doch ihre eigene Maske, anstatt ehrliche zu sein. Es raubt ihnen die Menschlichkeit, so dass man nicht mehr man selbst ist. Das macht in gewisser Weise die Menschen zu eine Karikatur ihrer selbst, man muss eben auch unter die Oberfläche der anderen sehen und nicht nur sagen ‚Ah, der Typ ist ein Cop und nichts anderes.‘ Und der nächste ist eben ein Anarchist und nichts weiter. Das ist in der Gegenkultur nicht weniger der Falls als im Mainstream. Wir müssen auch die Schwächen und die menschliche Komplexität unter der Oberfläche sehen.“

Was hat euren Song „Good Cop/Bad Cop“ inspiriert?

Bill:
„Grund dafür waren die Ermordung von Amadou Diallo in New York und die ganze WTO-Geschichte. Wie die Polizei die Demonstranten behandelt hat, der Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken gegen friedlichen Demonstranten. Ich habe einige Monate nach den Protesten eine Dokumentation darüber gesehen. Die Demonstranten haben geschrien, und die Kamera ging auf die Gesichter der Cops. Ich denke, dass die große Mehrheit der Polizisten und der Armee hofft, die Welt zu einem sichereren Ort zu machen, um unschuldige Menschen zu beschützen. Die Idee des Songs ist eine fiktive Situation über die Polizisten. Da ist diese Person, die verängstigt ist von all dem, und da ist dieser Cop, der einfach nur die Scheiße aus den Leuten prügeln will. Für mich ist der ‚good cop‘ der, der nur versucht, Unschuldige vor diesen ganzen Psychopathen und Gewaltverbrechern zu beschützen. Und deswegen müsste er genauso auf einen Cop in Uniform schießen, wenn der jemanden bedroht. Natürlich sollte man auf niemanden schießen, aber wenn ein Bulle in die Demonstrantenmenge schießt, sollte ein guter Cop auch bereit sein, auf ihn zu schießen, um ihn zu stoppen. Der Song sagt nicht, man soll auf Polizisten schießen oder gewalttätig sein, aber ‚knocking the other cop out with the baton‘ war nicht sonderlich dramatisch und reimte sich auch nicht.“

Das erinnert mich an die letzte Textzeile auf dem Album: „When did we confuse the cruel with the strong?“.

Bill:
„Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch meine Texte. Wenn Grausamkeit als Stärke gesehen wird, werden natürlich alle grausam sein. Wenn Unmenschlichkeit als Stärke gilt, werden die Leute sich scheiße benehmen. Das ist auch im Prinzip das Thema von ‚Good Cop/Bad Cop‘.“

Du scheinst immer bemüht zu sein, dass die Leute auch die Texte in deinen Liedern hören können.

Bill:
„Ich denke, ich hab anfangs zu sehr versucht, schön und sauber zu singen, was sich letztlich ziemlich scheiße anhörte, weil ich alles betonen wollte. Ich habe für „Beauty in Wrath“ meinen Gesangsstil geöffnet.“

Die Ursprünge der Band?

Terry: „Ich bin in der Kleinstadt Bellfair, Washington geboren und war Mitglied in einer kleinen Punktruppe, in der wir nur getrunken haben. Ich war irgendwie der Einzelgänger, der mit den Punks abgehangen hat. Ich habe eine Phase durchgemacht, in der ich mit den Leuten in der Schule viel Drogen genommen habe und ich habe den negativen Aspekt der Sache bei meinen Freunden gesehen, sodass ich die bewusste Entscheidung getroffen hatte, keine Drogen mehr zu nehmen und nicht mehr zu trinken, obwohl ich niemals Straight Edge-Sachen gehört habe. Das ging dann für etwa ein Jahr, dass ich mich so selbst verleugnet habe. Manchmal macht es mir nämlich Spaß. Ich bin jetzt seit drei Jahren Vegetarier, nehme keine illegalen Drogen und trinke ab und zu, war aber nie Teil der Straight Edge-Kultur. Obwohl ich mich durchaus damit identifizieren kann, denn in diesem Gedanken der völligen Selbstkontrolle liegt eine ungeheuere Energie.“

Dave, was hat dich nach Seattle verschlagen?

Dave:
„Ich komme aus Wisconsin und lebe hier jetzt seit acht Jahren. Ich habe hier Urlaub gemacht, mich in die Stadt verliebt, all meine Sachen verkauft und bin mit meiner Frau hierher gezogen. In Sachen Alkohol und Drogen war ich zwar auch aktiv, aber nie so wirklich hart. Ich war auch nie sonderlich politisch aktiv, aber ich kann mir vorstellen, dass ich in den 50er Jahren Kommunist gewesen und vielleicht erschossen worden wäre.“