STRIKE ANYWHERE

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Politik von Herzen

Kann sich noch jemand an das STRIKE ANYWHERE-Interview aus Ox #45 erinnern? Da erklärt Sänger Thomas Barnett, was es mit der Schlange als T-Shirt-Motiv auf sich hat. Die steht symbolisch für die einstigen englischen Kolonien auf dem nordamerikanischen Kontinent. Genau dort knüpft das neue Album „Exit English“ des Fünfers aus Richmond/Virginia an. Sozusagen die Platte zum T-Shirt. Grund genug, sich mit Thomas ein bisschen zu unterhalten.

Thomas, wie läuft die Tour bisher?


„Großartig. Wir hatten keinen Regen in den letzten vier Tagen, und das obwohl es mitten im Winter ist. Sogar die Sonne hat geschienen. Unsere Tourmates sind fantastisch, wir sind alle glücklich und wohlauf, und freuen uns, endlich die neuen Songs live spielen zu können. Natürlich freuen wir uns auch auf die alten Songs. Wir sind überrascht, wie gut wir von den Leuten aufgenommen werden. Gestern spielten wir in Leipzig, und es war toll, wie viele Leute erschienen sind, um uns zu sehen.“

Bis jetzt seid ihr also von schlechten Tourerfahrungen verschont geblieben? Letztes Jahr wurde euch in Italien ja das ganze Merchandise gestohlen.

„Nein, bis jetzt ist nichts passiert, und ich hoffe auch, dass das so bleibt. Wir spielen auch diesmal wieder in Italien, für vier Tage. Morgen spielen wir in Budapest, da freue ich mich ganz besonders drauf. Wir waren schon auf unserer zweiten Europatour 2002 dort. Budapest ist ein fantastischer Ort. Unglaubliche Hardcore-Szene, wunderschöne Architektur, großzügige Menschen. Die Szene dort ist sehr wild und mitreißend, vielleicht weil sie noch so neu ist. Früher hatten sie in den osteuropäischen Ländern bestimmt nicht die Freiheiten oder wirtschaftlichen Möglichkeiten wie zum Beispiel in Deutschland, wo Hardcore ja fast schon eine Institution ist. Wir würden auch gerne noch in mehreren osteuropäischen Ländern auftreten, aber leider gibt es ein Problem mit unserem Bassisten Garth. Er ist Kanadier, und es ist ziemlich schwierig und teuer, Visa für Polen, Tschechien, für die östlichen Staaten allgemein zu bekommen. Wir anderen sind Amerikaner und kommen überall hin. Vor zwei Jahren haben wir versucht, Garth nach Tschechien zu schmuggeln, aber der Zoll hat uns an der Grenze erwischt, und wir mussten eine hohe Strafe zahlen. Klar könnte man sich die Visa besorgen, aber sie sind extrem teuer. Wir sind nur eine kleine Band, müssen uns um alles selbst kümmern – Unterkunft, Verpflegung, Sprit, Geldwechsel. Das sind alles Ausgaben, die durch die Gigs und Merchandising halbwegs gedeckt werden müssen. Kämen noch die Kosten für die Visa hinzu, würden wir die Fans finanziell zu sehr belasten.“

Gibt es ein Land, in dem du noch nicht warst, aber unheimlich gerne einmal spielen würdest?

„Prinzipiell würde ich gerne in jedem Land einmal spielen, aber wenn du so fragst: Russland. Aber das soll sehr schwierig sein, immer noch. Wir haben leider nur Negatives gehört von Bands, die da waren. Und das waren nicht nur amerikanische Bands. In Japan standen wir übrigens unter Hausarrest. Wir hatten eine Tour dort geplant, alles schien bestens vorbereitet. Am Flughafen an der Grenze wurden wir zurückgehalten. Wir durften nicht einreisen, unsere Pässe und Visa wurden einbehalten, und wir wurden für zwei Tage unter Hausarrest gestellt. Wir durften mit niemandem kommunizieren. Sie schickten uns nach Australien, wo eine Tour zehn Tage später geplant war, und da landeten wir dann, fünf obdachlose, abgebrannte amerikanische Punkrocker. Aber wir kamen schnell unter.“

Ihr seid ja mittlerweile recht erfolgreich. Könnt ihr von der Musik leben?

„Nein, wir müssen alle ‚normale‘ Jobs zwischen dem Touren machen, zumindest versuchen wir das. Es ist nicht einfach, immer für einen kurzen Zeitraum einen Job zu finden. Garth, unser Bassist, arbeitet als Möbelpacker, Eric arbeitet in verschiedenen Cafés als Koch. Matt Smith betreibt ein kleines Tonstudio in seinem Keller namens ‚Ultrasound‘, in dem in letzter Zeit ein paar wirklich gute Platten aufgenommen wurden. Matt Sherwood arbeitet als Tontechniker, repariert Soundboards, Computer und all das andere Aufnahme-Equipment. Ich selbst arbeite als Obst- und Gemüsehändler auf Märkten und in Reformhäusern. Das ist ein angenehmer Job, aber andererseits auch wieder hart, denn durch die andauernden Unterbrechungen durch das Touren kann man sich nichts Vernünftiges aufbauen. Ich meine, wir führen ein Leben als ob wir 19 wären, dabei sind wir alle schon Ende 20. Wir haben keinerlei Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt und werden es niemals zu Geld, einer Rente oder einer Krankenversicherung bringen.“

Kommen wir mal zu eurem neuen Album „Exit English“. Was soll der Titel bedeuten? Wollt ihr alle Engländer aus dem Land werfen?

„Nein, wir wollen weder die Engländer noch die Briten loswerden. Es geht um den englischen Kolonialismus, der die Ursache für das Monster USA ist, den wirtschaftlichen Imperialismus, den Amerika heute betreibt. Das ganze System – die Reichen gegen die Arbeiterklasse, die Globalisierung – hat seine Wurzeln im englischen Kolonialismus. Ihr Europäer versucht dagegen zu halten, schließt euch zusammen, um eure Wirtschaft zu schützen. Das ist sehr wichtig, aber es wäre ebenso wichtig, wenn auch andere Staaten aus Afrika, Südostasien, Zentralasien mal ihre Köpfe zusammenstecken könnten, ihr Geld zusammenlegten, um ihre kleineren Wirtschaftssysteme gegen die USA, bzw. die Globalisierung zu verteidigen. Was wir mit dem Titel also sagen wollen, ist: Befreit eure Köpfe vom Kolonialismus! Darum geht es ja auch prinzipiell bei Punkrock. Sich vom herrschenden System zu lösen. Genauso beim Reggae, der Rastafari-Bewegung. ‚Leaving Babylon‘ hat für mich dieselbe Bedeutung wie ‚Exit English‘. Der Titel ist aber auch ein Wortspiel, das mit dem Song ‚Extinguish‘ verbunden ist. In diesem Lied geht es darum, dass in den Staaten immer nur die Geschichte der reichen Männer erzählt wird, wie sie Amerika aufbauten. Die Geschichte des kleinen Mannes, der Arbeiterklasse, der Sklaven, wird an amerikanischen Schulen nicht vermittelt. Dabei gibt es gerade in den USA eine lange Tradition der Arbeiterkämpfe und Rebellionen, nur wird sie nirgends vermittelt.“

Engagierst du dich in einer Partei oder einer anderen politischen Organisation?

„Nein, um in solch einer Organisation arbeiten zu können, muss man am College studiert haben. Ich habe leider nur einen High School-Abschluss. In Amerika ist es sehr schwierig, sich fortzubilden. Wer sich Bildung finanziell nicht leisten kann, kriegt auch keine. Wir haben uns bei einigen Aktivistengruppen in Richmond beteiligt, wie zum Beispiel ‚Living Wage‘, einer Anti-Armuts-Kampagne und bei ‚FoodNotBombs‘. Nicht zu vergessen Industrial Workers of the World, IWW, einer Art internationalen Gewerkschaft. Ansonsten unterstützen wir noch diverse ‚Animal Rights‘- und Antiglobalisierungsgruppen, indem wir Stücke zu Benefiz-Compilations beisteuern, aber darin erschöpft sich unser Aktionismus als Musiker. Durch die Band und die Jobs bleibt leider kaum Zeit, um sich noch mehr zu engagieren. Das ist ein Symptom des amerikanischen Lebensstils. Das ist der Grund, warum die meisten Amerikaner so – ich will mal sagen – erschöpft sind. Sie sind nicht so dumm, wie einige meinen, aber viele Leute haben zwei Jobs und sind einfach zu müde, um sich politisch zu engagieren. Wie auch immer, nur College-Studenten haben die Zeit und das Geld für politischen Aktivismus.“

In euren Songs gebraucht ihr häufig die Vokabeln „Unity“ und „Nation“. Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit scheinen euch sehr am Herzen zu liegen. Wo bleibt der gute, alte Punk-Individualismus?

„Individualismus ist das, was sich die Reichen auf die Fahne geschrieben haben, mit der sie jetzt die ganze Zeit rumwinken; mit der sie die Menschen dazu bringen, ihre Familie, ihr ganzes soziales Umfeld zu vernachlässigen. Individualismus ist der Grundgedanke des American Dream, dieser amerikanische Mythos, nach dem es jeder zu etwas bringen kann, dieser Vorstellung von einer klassenlosen Gesellschaft – aber das ist eine Lüge. Dieser Traum basiert auf Isolation und auf Angst. Dieser Traum hat unsere Kultur zerstört, insbesondere die ökonomische Kultur. Okay, wir sind Punkrocker, und natürlich muss auch für Individualismus Platz sein, aber mittlerweile ist dieser Platz zu einem großen Geschwür ausgeartet. Soziale Verbesserungen erreicht man nur in einer Gemeinschaft, und genau jetzt ist der Zeitpunkt, um etwas zu erreichen. Mit Nationalismus hat unser Anliegen nichts zu tun. Nationalismus ist ein falsches Gefühl von Zusammengehörigkeit, das seinem Anhänger keinerlei Bereicherung verschafft.“

Glaubst du, dass populäre Künstler wie zum Beispiel Michael Moore mit ihrer Art der Aufklärung Erfolg haben?

„Er hat mehr Erfolg, als ich zunächst angenommen hatte. Ich bin kürzlich von der Stadt aufs Land gezogen, wo fast jeder eine Schusswaffe im Schrank hat und ein anderes Verhältnis zu Gewalt. Als Moores ‚Bowling for Columbine‘ in den Kinos anlief, sind die Leute wirklich in diesen Film gegangen. Gerade in Amerika – wo es, wie ich schon sagte, gar nicht so einfach ist, sich über solche Dinge wie Schusswaffenregulierung zu informieren – ist es ungeheuer wichtig, solche Anliegen auf populäre Art und Weise zu verkaufen. Michael Moore hat seinem politischen Standpunkt auf sehr amerikanische, effekthascherische Hollywood-Art zu einer Stimme verholfen. Er bleibt sehr bodenständig und lustig dabei, und spricht somit nicht nur die intellektuelle Elite an. Ich stimme ihm in seinen Ansichten nicht vollständig zu, aber er macht seinen Job gut.“

Ich möchte auf einen eurer älteren Songs zu sprechen kommen, „Chalkline“. Das ist ein feministischer Song, in dem es um die Akzeptanz von Frauen im Musikgeschäft geht. Die Hardcore-/Punkrockszene ist leider immer noch eine Männerdomäne ...

„Das stimmt leider. Wir sprechen das immer mal wieder auf unseren Shows an. Manchmal kommen wir uns dabei nutzlos vor, weil hauptsächlich Männer im Publikum stehen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, denn es gibt immer noch soviel Unterdrückung und Scheinheiligkeit. Auch in der Hardcoreszene, die vorgibt, eine ehrliche Bewegung mit fortschrittlichen Idealen zu sein, gibt es diese Probleme. Das müssen wir uns immer wieder von befreundeten Musikerinnen anhören. Aber es soll in den letzten zehn Jahren besser geworden sein. Es tanzen immer mehr Mädchen auf den Shows, und sie werden respektvoller behandelt. Neulich befanden wir uns auf Nordamerika-Tour mit BOUNCING SOULS und TSUNAMI BOMB. Deren Sängerin hat während unseres Gigs in D.C. ‚Chalkline‘ gesungen. Das war so fantastisch und auch so wichtig für uns, und ich glaube, jeder im Publikum war innerlich berührt davon und hat verstanden, worum es geht.“

Bist du nicht manchmal genervt, ständig nach politischen Statements gefragt zu werden?

„Nein. Ich sehe uns auch nicht als politische Band. Ich singe einfach über das, was mir am Herzen liegt.“