UNDERTONES

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New songs about chocolate and girls

„And these are words which I‘d never thought I‘d be saying on the radio again, a new single from THE UNDERTONES.“ Mit diesen Worten präsentierte John Peel 2003 die neue UNDERTONES-Single „Thrill Me“. In einer Nacht spielte er „Thrill Me“ in seinem Programm direkt, dasselbe hatte er 25 Jahre zuvor mit „Teenage Kicks“ gemacht. Die UNDERTONES, einst aktiv von 1975 bis 1983, kommen aus Derry. Nach ihrer Reunion 1999 veröffentlichten sie im Oktober 2003 ein neues Album mit dem Titel „Get What You Want“. Fast in Originalbesetzung, nur Sänger Feargal Sharkey wurde durch Paul McLoone ersetzt.

Die UNDERTONES waren nie so erfolgreich wie THE CLASH oder die BUZZCOCKS. Dennoch haben sie Anfang der 80er Jahre nicht nur mich, sondern auch unzählige andere Menschen und Bands musikalisch beeinflusst – und sie tun es noch immer. Mit ihrer Mischung aus RAMONES und BUZZCOCKS schufen die UNDERTONES auf ihren ersten beiden Alben „Undertones“ (1979) und „Hypnotised“ (1980) zeitlose Pop-Punk-Klassiker. Songs wie „Teenage Kicks“, „Here Comes The Summer“, „You‘ve Got My Number (Why Don‘t You Use It)“ und „My Perfect Cousin“ sollten allen ein Begriff sein, und für mich war ihr Debütalbum eine meiner ersten zehn Punkplatten. Also Grund genug, anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums „Get What You Need“ mit Damian O‘Neill, dem Gitarristen der UNDERTONES, Ende letzen Jahres ein längeres Telefongespräch zu führen. Damian präsentierte sich als ein äußerst sympathischer Gesprächspartner – diesen Eindruck vermittelte er bereits beim letzten UNDERTONES-Gig im Hamburger Logo im Mai 2002.

Nach zwei tollen Alben kam es 1982 mit dem Album „The Positive Touch“ zur Wende, trotz einiger guter Momente wie „When Saturday Comes“ oder „It‘s Going To Happen“. Mit Songs wie „Forever Paradise“ betraten die UNDERTONES musikalisches Neuland. Der Nachfolger „The Sin Of Pride“ (1983) läutete den stilistischen Wechsel und das Ende der Band ein. Statt kurzen schnellen Punk-Nummern gab es jetzt Geigen, Orgel, Bläser und sogar Spinett-Einlagen bei „Got To Have You Back“. Als Sänger Feargal Sharkey kurz nach der Veröffentlichung des Albums im Mai 1983 verkündete, er habe genug, war es auch für den Rest der Band nach einigen Minuten beschlossene Sache ganz aufzuhören. Feargal Sharkey stieg bei THE ASSEMBLY ein und hatte mit „Never never“ einen Hit, dann folgte seine erfolgreiche Solokarriere u.a. mit „A Good Heart“, John und Damian O‘Neill gründeten THAT PETROL EMOTION, der Bassist Michael Bradley arbeitete als Fahrradkurier in London und Billy Doherty spielte in Derry weiter Schlagzeug und gründete mit Paul McLoone, dem aktuellen Sänger der UNDERTONES, die CARRELINES. Damian O‘Neill rief nach dem Ende von TPE zusammen mit einem der Gitarristen, Cirian McLaughlin, die Band WAVEWALKERS ins Leben. Über den Punkt der Demosongs ist diese Band dann aber nicht herausgekommen. Später veröffentlichte Damian noch ein Soloalbum mit Samples und Loops, aber auch das war nicht sehr erfolgreich.

Das zweite Leben der UNDERTONES beginnt irgendwann 1999. Ende 1999 wurde das Nerve Center in Derry eröffnet. Das Nerve Center, ein Multimedia Center, wurde geschaffen, um Musikern und Künstler auch in Derry die Möglichkeit zum Arbeiten zu geben. „Ursprünglich wurden wir eingeladen um zur Eröffnung des Nerve Centers in Derry zu spielen“, erzählt Damian. „Der Kontakt kam über meinen Bruder John zustande – er arbeitete dort. Es ist wirklich ein sehr wichtiges Gebäude mit Studios usw. Ich erinnere mich, dass wir im November 1999 dort an zwei Abenden gespielt haben – natürlich das alte Zeug.“
Zuvor gab es bereits einen Gastauftritt der vier Original-Bandmitglieder (ohne Feargal) bei einem Konzert der SAW DOCTORS und spät in der Nacht einen Spontanauftritt in einer Hotelbar mit verschiedenen Gastsängern. „Als dann das Angebot vom Nerve Center kam und wir einen Sänger suchten – es war klar, das Feargal nicht dabei sein wollte –, schlug Billy Paul als Sänger vor“, berichtet Damien. „Wir haben es probiert und gemerkt, wie gut er ist. Paul ist ein komplett anderer Sänger als Feargal, auch wenn einige meinen, dass er ähnlich klingt. Er interpretiert die Songs auf seine eigene Art und das ist exzellent.“
Sie haben es also einfach ausprobiert, nach dem Motto „Sie hängen dich oder es geht gut“ – und es ging mehr als gut. Ursprünglich war nur ein Konzert geplant, aber für den zweiten Abend war dann sogar ein zusätzlicher Gig notwendig. So langsam entwickelte sich alles Schritt für Schritt: „Und dann kam John mit neuen Stücken. Es hatte uns gelangweilt, nur immer die alten Songs zu spielen.“
Im Dezember 2001 wurden diese neuen Songs bei einem Liveauftritt, wieder im Nerve Center, als Coverversionen vorgestellt. Eine Sicherheitsvorkehrung für den Fall, dass sie nicht gut ankommen. „Wir haben sie dann Freunden vorgespielt und die Reaktion war sehr positiv. Daraufhin gingen wir in ein Studio in Derry, um einige Demos aufzunehmen.“
Im Dezember 2002 nahm die Band im Blast Furnace-Studio, einem Ableger des Nerve Centers, ein ganzes Album auf. Die Songs von dem aktuellen Album „Get What You Need“ sind also schon fast ein Jahr alt und inzwischen arbeiten die UNDERTONES bereits an einem weiteren Album. „Das Debütalbum hat auch deshalb über ein Jahr gedauert, weil wir uns immer nur am Wochenende treffen konnten“, erklärt Damien. „Ich lebe in London, John, Michael und Billy leben in Derry, und Paul lebt in Dublin.“

Über drei Ecken landeten einige Songs schließlich bei einem Freund eines Freundes von Damian O‘Neill. Er hörte einige dieser Songs und fragte, da er im Rough Trade Shop in London arbeitete, ob er „Thrill Me“ als Single auf dem Four Us-Label herausbringen könnte. Fast zeitgleich nahmen die UNDERTONES eine Session für Radio One auf. John Peel traf die Band bereits zwei Jahre zuvor im Rahmen eines Interviews. (Dieses Interview findet sich auf der sehr empfehlenswerten UNDERTONES-DVD „Teenage Kicks“, die zusätzlich alte Promo-Videos beinhaltet und einige Impressionen von der Wiedervereinigung der Band.) Damals jedenfalls entstand die Idee einer neuen Session, aber die Band hatte überhaupt kein Interesse - im Gegensatz zu einigen anderen alten Punkbands, die es leider nicht rechtzeitig schafften aufzuhören und uns stattdessen unter dem alten Bandnamen lediglich ihre Bierbäuche und schlechten Hardrock präsentieren. Erst im letzten Jahr, jetzt mit dem neuen Material, erfolgten die Radio One-Aufnahmen für John Peel. Aufgrund der schon aufgeführten Gründe zuerst zwar mit sehr zwiespältigen Gefühlen, aber die neuen Songs wurden doch sehr gut angenommen und brachten John Peel immerhin zu der oben angeführten Aussage. Und seine Begeisterung teile ich, denn neben Songs im Stil der frühen UNDERTONES höre ich auch THAT PETROL EMOTION, 60er-Garagepunk und Souleinflüsse heraus. „Der Titel ‚Get What You Want‘ ist für die Hörer gedacht“, meint Damien. „Jeder soll sich das heraussuchen, was er mag. Zum Beispiel für die Fans der alten Songs gibt es die RAMONES-mäßigen, eingängigen Stücke wie ‚Oh Please‘, ‚Touch‘ oder ‚Enough‘. Diese Songs sind ganz im Stil der ersten beiden UNDERTONES-Platten, aber dann haben wir auch viele Garage-Sachen im 60er-Stil. Es klingt alles sehr eingängig, kurz und prägnant. Wir wussten, wir konnten nicht mit einem langsamen Album zurückkommen. Deshalb sind viele Songs schnell und gerade zwei Minuten lang. Dabei benutzen wir auch neuen Techniken wie Samples.“
Ein wichtiger Punkt ist natürlich die Rolle von Feargal Sharkey. Es ist offensichtlich unvermeidlich, dass Vergleiche zwischen dem neuen Sänger Paul McLoone und Feargal Sharkey gezogen werden. Aber Paul hat zumindest das Gefühl, dass ihm eine Chance gegeben wird. Viel wichtiger ist ihm aber, dass die Tatsache, dass er nicht Feargal ist, nicht gegen ihn verwendet wird. Auf der UNDERTONES-Website posten die Fans ihre Meinung – „Well done, good job done“ bringt die Meinungen auf den Punkt.

Die UNDERTONES und Feargal waren schon damals nie eine Einheit. Bereits als Billy Doherty seinen Klassenkameraden Feargal zum Probesingen überredete, gab es unterschiedliche Voraussetzungen. Auf der einen Seite Feargal, er wurde bereits im Kirchenchor mit Preisen ausgezeichnet, und auf der anderen der Übungsraum der UNDERTONES im Kinderzimmer der O‘Neills. Das vorhandene Equipment – E-Gitarren, Verstärker etc. – überzeugte Feargal sofort, dabei wurde alles nur für diesen Zweck arrangiert und war ausgeliehen. Diese Zweiteilung setzte sich später fort. Feargal hatte als Einziger in der Band einen Job, er hatte Geld und er hatte ein Auto. Es gibt später diesen berühmten Ausspruch von Feargal Sharkey: „Ich bin nicht mehr 17 Jahre alt und habe keine Lust mehr ‚Teenage Kicks‘ zu singen“. Vielleicht ist es ihm heute peinlich, dass immer wieder der naive Junge in ihm gesehen wird. Er mochte nicht, dass seine Schritte zurückverfolgt werden – ich finde diese Einstellung nachvollziehbar. Feargal Sharkey lebt heute in London und arbeitet im Bereich der Lizenzabrechnungen mit Radiostationen. Allerdings führt das Fehlen von Feargal laut Damien auf einer ganz anderen Seite zu Problemen: „Das Publikum auf unseren Konzerten in Irland und in England reagierte phantastisch. Es sind nicht nur 40-jährige Fans, es kommen auch sehr viele junge Leute, so Anfang 20. Nur in der Presse war das Feedback nicht so toll. Die UNDERTONES und Feargal werden bzw. wurden immer gleichgesetzt. Aber das ist für uns nicht überraschend. Nur leider vergessen viele, dass die Songs hauptsächlich von John bzw. Michael und mir geschrieben wurden. Feargal ist ein guter Sänger, aber er hat nie Songs geschrieben und er hatte auch keine Beziehung zum Songschreiben.“

Lange Zeit war an eine Reunion nicht zu denken, denn niemandem ist die Idee gekommen, dass dies überhaupt ohne Feargal möglich wäre. „Der weit verbreitete Grund für eine Reunion ist Geld“, erklärt Damien. „Geld, das eine Band damals nicht bekommen hat, weil sich die Plattenfirma oder der Manager bedient haben. Eine Reunion, und dann auch noch mit einem neuen Sänger, ist also eigentlich ein klassischer falscher Zug“. Die UNDERTONES sind diesen Weg dennoch Schritt für Schritt gegangen, diesmal aber unter ganz anderen Vorzeichen. Um als 16- bzw. 18-jähriger eine Freundin zu bekommen, hatten sie nur die Wahl Fußballer oder Musiker zu werden. Die fußballerische Begeisterung (siehe das Video von „My Perfect Cousin“, es zeigt die Band unter anderem beim gemeinsamen Subuteo-Tischfußballspiel) war aber größer als das Talent. Also blieb nur noch Musiker übrig – manchmal können die Beweggründe so einfach sein.
In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass die UNDERTONES 1980 auf ihrer ersten US-Tournee im Vorprogramm von THE CLASH, unter anderem mit Bo Diddley, nach zwei Wochen das Angebot erhielten, noch fünf weitere Wochen zu touren. Aber das Heimweh nach der daheim gebliebenen Freundin war bei Damian und Billy größer. Heute haben alle Familie, Kinder und Job, sie brauchen keine Reunion, um irgend was zu erreichen, sondern könnten alle wieder in ihren Alltag zurückgehen. Und das ist das besondere, wie Damien meint: „Es ist einfach nur Spaß. Es hat 20 Jahre gedauert, bis wir begriffen haben, wie gut wir sind bzw. wie gut wir damals waren. Die Songs sind so erfrischend einfach. Ich arbeite heute mit Samples und diesem technischen Kram, aber die UNDERTONES-Songs haben dieses klassische Line-Up, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Sänger. Du bist jetzt 40 und kommst zurück, und es sieht so aus, als ob sich nichts geändert hätte. Es ist alles noch genauso wie früher, nur dass wir jetzt älter sind. Du denkst aber nicht lange darüber nach, du machst es einfach – und jeder hat seinen Spaß.“