WOGGLES

Im Auge eines Hurricanes des Wahnsinns

Wer die WOGGLES aus Athens, Georgia jemals live gesehen hat, wird dieses Erlebnis kaum vergessen haben: Die Band, deren aktuelles Album „Ragged But Right“ letztes Jahr in den USA auf Telstar und jetzt in Europa auf Rock&Roll Inc./Munster erschienen ist, zählt definitiv zu den mitreißendsten Garage-Rock‘n‘Roll-Formationen dieser Tage. Ihre Shows sind shakende, groovende Partys, bei denen kaum jemand ruhig stehen bleiben kann, gute Laune ist garantiert. Um so schlimmer war es deshalb für Band wie Fans, als letztes Jahr im Mai die Nachricht vom Tod des schon rein optisch beeindruckenden Gitarristen Montague – ein Berg von Mann – die Runde machte. Doch die WOGGLES machten weiter und fanden in Jeff Walls (ex-GUADALCANAL DIARY) einen würdigen Ersatz. Ich unterhielt mich vor dem ersten Konzert ihrer Europatour, das Anfang Januar in Düsseldorf stattfand, mit Frontmann Manfred, aber auch Dan (dr.) und der neue Gitarrist Jeff Walls (git.) brachten sich ein, während Basser Pat „Buzz“ sich vornehm zurückhielt. Noch vor dem Interview erzählte Manfred, der eigentlich nahezu perfekt deutsch spricht (seine Familie mütterlicherseits stammt aus Deutschland), dass er wegen seiner roten Haare früher den Spitznamen „Red Baron“ ertragen musste, und dass seine Großmutter früher mit einer Schwester des echten Roten Barons Manfred von Richthofen Karten spielte.

War es schwer für euch, nach dem Tod von Montague mit der Band weiterzumachen?

Manfred:
„Sein Tod war sehr schockierend. Dabei hätte es uns eigentlich nicht überraschen sollen: Montague war ein großer Mann, er hatte Herzprobleme, war Diabetiker, er rauchte – und wir scherzten gerade auf Tour immer wieder, er werde sich mit seinem Lebenswandel noch umbringen. Er und wir wussten, dass er besser auf sich aufpassen sollte, aber dass er dann so jung – er wurde nur 31 – sterben würde, damit hatte keiner gerechnet, das schockierte uns. Seine Eltern verweigerten eine Autopsie, und wir hatten den Verdacht, es habe was damit zu tun, dass er sich kurz zuvor im Krankenhaus wegen einer Blaseninfektion eine ganze Menge Schmerzmittel hatte verschreiben lassen – in seiner Wohnung fanden die Sanitäter leere Medikamentenverpackungen. Monate später ergab eine Untersuchung seines Blutes jedoch, dass er keine Überdosis genommen hatte, sondern dass sich die Blaseninfektion wahrscheinlich auf sein Herz ausgeweitet hatte. Wir waren also wirklich schockiert von seinem Tod.“
Dan: „Uns war von Anfang an klar, dass wir weitermachen würden, spielten die erste Show eine Woche nach seinem Tod. Es war eine lange geplante Memorial-Show für einen anderen Musiker aus Athens, der fünf Jahre zuvor an AIDS gestorben war. Und zwei Tage vor Montague war auch ein anderer bekannter Musik aus Athens gestorben, Scott Rogers von der Surfband THE PENETRATORS. Eine Woche später sind wir dann auf Eastcoast-Tour gegangen, was emotional ganz schön hart war, aber es stand nie zur Debatte, die Tour abzusagen.“

Bleiben einem nach so einem Erlebnis nicht die ganzen makabren Rock‘n‘Roller-Scherze über den Tod à la „Live fast, die young“ im Halse stecken?

Dan:
„Haha, nein, daran hat sich überhaupt nichts geändert!“
Manfred: „Unsere Erinnerungen an George Montague Holton III sind noch sehr frisch, und wenn wir wie jetzt auf Tour sind, sind sie besonders präsent. George schlief meistens im Van, und wenn wir dann draußen etwas sahen und sagten ‚Schau mal!‘, war das längst vorbei, bis er sich aufgerappelt hatte.“
Dan: „Er stand auf alte Autos – ‚Look, George, a ‘57 Chevy, ah, too late, you missed it!‘ –, und er verfolgte eine ganz besondere Diät: McDonalds, Burger King, KFC. Als wir heute von Amsterdam nach Düsseldorf fuhren, kamen wir an einem McDonalds vorbei, und ich rief nach hinten in den Van: ‚George, da ist ein McDonalds, sollen wir anhalten? Oh, zu spät, wir sind schon dran vorbei, you missed it.‘ Das ist unser Running Gag, und auf diese Weise ist George immer noch mit uns auf Tour.“
Manfred: „Eine andere Geschichte ist der alte Verstärker von George, mit dem Jeff jetzt spielt. Der war ständig kaputt, George stand immer bis direkt vor dem Konzert davor und reparierte irgendwas. Und heute stellt Jeff den Verstärker auf, dreht an allen Knöpfen rum und nichts passiert – und wir mussten alle lachen, weil wir diese Szene so gut kannten.“

Dan, es heißt, du hütest dein Schlagzeug wie deinen Augapfel.

Dan:
„Das hat was damit zu tun, dass unser Sound maßgeblich von Montagues Selmer-Verstärker und meinem Schlagzeug bestimmt wird. Außerdem ist dieses Schlagzeug mein erstes und einziges, ich habe nie ein anderes gespielt. Ich habe es 1970 zu Weihnachten bekommen. Ich kenne dieses Schlagzeug in- und auswendig, seit 30 Jahren ist es so aufgebaut, und ich will mit keinem anderen spielen, nicht mit diesen neuen, fetten Pearl-Dingern – da stimmen der Sound und das Gefühl nicht. Mein Vater spielte früher in einer Countryband, und deren Schlagzeuger war Alkoholiker. Der stand meist nur den ersten von zwei Auftritten am Abend durch, und mein Vater dachte sich, wenn einer seiner Söhne Schlagzeug spielen könnte, wäre sein Problem gelöst. Und so saß ich mit zehn Jahren in der Band meines Vaters hinterm Schlagzeug. Wir spielten alles, von den BEATLES und Chuck Berry über Squaredance-Musik, bis hin zu Country. Wir spielten immer drei Sets nacheinander, für ein Publikum zwischen 20 und 70. Und mittlerweile war das Schlagzeug sogar schon sechs oder sieben Mal in Europa.“

Hat euch eigentlich diese dämliche „Rock‘n‘Roll is back!“-Kampagne geholfen?

(Alle lachen hysterisch durcheinander)

Jeff:
„Und wie, hahahaha! Vor ein paar Jahren hat man uns erzählt, die Kids würden nicht auf Rock‘n‘Roll stehen. Heute sagt man uns schon mal durch die Blume, wir seien ja vielleicht doch ein bisschen alt, und die Kids würden lieber junge Rock‘n‘Roll-Bands hören. Aber ich denke, all diese neuen Garage-Bands geben den Kids einen Kontext, so dass sie dann auch uns irgendwo einordnen können. Aber das ist auch das einzig Gute daran.“
Dan: „Und doch muss man sagen, dass viele dieser Bands, die von ihren Labels als Punk-, Rock‘n‘Roll- oder Garagebands bezeichnet werden, genau das einfach nicht sind. Vor zwei Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, sie als das zu bezeichnen.“
Jeff: „Ja, aber das ist immerhin noch besser, als wenn die Leute denken, Rock‘n‘Roll sei Grunge. Das ist jetzt immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.“
Manfred: „Wir spielten im Dezember seit langem mal wieder sechs Shows in England, und es war witzig, wie in den Ankündigungen der Clubs fast jede Band als ‚garage‘ bezeichnet wurde. Und dabei traf das gerade mal auf ein oder zwei der acht oder zehn, mit denen wir spielten, wirklich zu.“
Jeff: „Ich habe neulich irgendwo eine Besprechung der BLACK KEYS gelesen, und weil die so einen bluesigen, soulfullen Garagensound spielen, wurden sie natürlich mit den WHITE STRIPES verglichen, so als ob die dieses Genre erfunden hätten. Das ist so töricht!“
Dan: „Wenn du mir vor zwei Jahren erzählt hättest, das Wort ‚garage‘ würde sich in nächster Zukunft auf dem Cover des ‚Rolling Stone‘ finden, hätte ich dich ausgelacht. Das ist, als wenn man seinen eigenen kleinen Teich hat, und dann gibt es ein Hochwasser, und der nahe gelegene Fluss überflutet alles und spült all das Gift in deinen Teich. So kommt mir das mit diesem Garage-Boom vor. Mir wäre es am liebsten, wenn sich der Fluss ganz bald wieder in sein Bett zurückzieht, und wir wieder alleine in unserem Teich herumplanschen können.“

Wie groß seid ihr in eurem Teich, so im Vergleich zu den anderen Fischen?

Manfred:
„Wir sind nicht mal Fische, wir sind Trilobiten, die sich unten im Sediment tummeln, hahaha.“
Dan: „Tja, leider hat Rock‘n‘Roll noch nicht den gleichen Stellenwert wie Jazz, sonst hätten wir längst schon den Titel ‚Distinguished Ambassadors of Rock‘n‘Roll‘.“
Manfred: „Unser Job ist es, all die zu irritieren, die sich wünschen, wir wären schon längst wieder verschwunden. Und den Job machen wir sehr gut!“
Jeff: „Es kommt immer wieder mal vor, dass uns nach einem Konzert in einer kleinen Bar einer anspricht – 50, 60 Jahre alt –, der die ganze Zeit hinten an der Bar stand. Da kommt dann ein Spruch in der Art, dass wir doch viel zu jung seien, um die Musik aus seiner Jugend zu spielen. So jemand hat keinerlei Wissen um die heutige Garagenszene.“
Dan: „Bevor dieser ganze Garagehype losging, passierte es uns immer wieder mal, dass wir Kids mit 18, 19 auf dem Konzert hatten, die keinerlei Vorstellung davon hatten, was wir da machen. Die merkten, dass das irgendwie wilde Musik ist und haben instinktiv gespürt, dass das wohl Punk ist, wenn auch nicht die Art von Punk, die sie kennen, sondern alter Punk. Und dann sprachen sie uns an, dass wir ja eine Old School-Band sein müssten, wie die SEX PISTOLS oder DEAD KENNEDYS. Das gefiel mir, die hatten Spaß.“

Was war seinerzeit 1987, als ihr die Band gegründet habt, eure Motivation?

Dan:
„Girls.“
Manfred: „Die Musik zu machen, die wir gerne hörten, die aber bei uns in der Gegend niemand spielte. Ab und an spielten mal die FLESHTONES und die LYRES, aber das war‘s auch schon.“
Jeff: „Damals wurde in Athens nur dieser klimperige College-Pop-Rock à la R.E.M. gespielt, abgesehen von ANTIDOTE, die eher Hardcore machten. Der Rest war unerträglich.“
Manfred: „Jeff gründete kurz nach uns eine Band namens HILLBILLY FRANKENSTEIN, das war anfangs Rockabilly, ging dann Richtung Garage und später, lange bevor das angesagt war, machten sie so Lounge-Sound.“

Ich tippe mal, dass ihr nicht von eurer Musik leben könnt.

Jeff:
„Nein, und ich glaube, wenn wir von der Band leben müssten, würde es uns auch nicht so viel Spaß machen. Ich war ja in den Achtzigern bei GUADALCANAL DIARY, die freilich immer im Schatten von R.E.M. standen, aber doch ganz erfolgreich waren. Und da hatte ich schon ausreichend Gelegenheit, Eindrücke sammeln können, wie das so ist mit dem Erfolg im Rock‘n‘Roll. Ich traf genug Leute, die mal Erfolg gehabt hatten, um zu wissen, dass man im entscheidenden Augenblick sich selbst im Spiegel in die Augen schauen und wissentlich die Entscheidung treffen muss, die Augen davor zu verschließen, was wirklich im Musikbusiness vor sich geht. Das ist alles so dumm und abgezockt, dass du nicht anders kannst als ganz laut zu schreien, wenn du das mitbekommst. Wenn du einen Scheiß auf irgendwas gibst, hast du in diesem Business keine Chance. Und das schließt auch Leute ein wie R.E.M. oder John Cougar Mellencamp, die an sich echt okay sind und immer einen auf integer machen. Die müssen sich an einem bestimmten Punkt entscheiden, nichts davon wissen zu wollen, was ihre Plattenfirma hinter ihrem Rücken macht. Wenn sie es wüssten, könnten sie sich nicht mehr selbst ins Gesicht schauen. Und so schätze ich es, mit den WOGGLES nur ganz genau das zu tun, was wir wollen - und über den Rest müssen wir uns keine Gedanken machen. Seit ich als Kind das erste Mal eine Rock‘n‘Roll-Band gesehen habe, wusste ich, dass das genau das ist, was ich will: Im Auge eines Hurricanes des Wahnsinns stehen. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.“

Wenn nicht die Band die Miete bezahlt, was dann?

Manfred:
„Dan arbeitet auf der Fischfarm seiner Familie, Pat als Kellner, und ich bin bei einer Radio PR-Firma, bei der ich Interviewgäste an Talkshows vermittle und solche Sachen. Außerdem bin ich verheiratet und habe eine kleine Tochter, da ist es jedes Mal ein kleiner Balanceakt auf Tour zu gehen.“
Jeff: „Und ich verkaufe automatische Waffen, die in den USA verboten sind.“
Manfred: „Pass auf, was du sagst. Wer weiß, wer dieses Heft so alles liest ...“

Jungs, ich danke euch für das Interview.