GHETTO WAYS

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Some Fucking Balls And Bush

Stößt gegenwärtig das lesende Auge auf die Worte „New York City“ und „Rock‘n‘Roll“, ist völlig offen, welcher Art Publikation man aufgeschlagen hat. Längst widmet sich das Feuilleton dem Thema so selbstverständlich wie der notorisch RAMONES-verliebte Punk-A5er. Neben der mit jedem verstorbenen Ramone wachsenden Popularität der „Bruddas“ zeichnet dafür bekanntlich der jüngste Lederjacken-Hype mit Namen STROKES verantwortlich. Vergnügt leckte sich ihretwegen kürzlich die Mainstream-Journaille den Griffel, kramte grobkörnige s/w-Fotos vom CBGB‘s aus dem Archiv und füllte Seite um Seite mit leptosomen Twentysomethings in T-Shirts und ausgelatschten Turnschuhen.

Der journalistische Auftrag des Ox ist ohne Frage anders gelagert. Der Ox-Leser verlangt nach Informationen aus anderen musikalischen Sphären, verlangt nicht nur das Neueste, er verlangt zudem das „Echte“, das „Glaubwürdige“, das, was man in Szenekreisen den „real shit“ nennt. Und da diese musikalische Substanz unlängst in reinster und überzeugendster Form tatsächlich aus dem Big Apple seinen Weg auf hiesige Plattenteller fand (mit einem kurios anmutenden Umweg über das schwäbische Untergruppenbach), könnten auch für die vorliegenden Ausführungen die Eingangsworte als Überschrift dienen.

7,3 Bewertungspunkte heimste die Debüt-LP der New Yorker GHETTO WAYS im Durchschnitt der letzten Ox-Geschmaxcontrol ein. Das bedeutete den Spitzenplatz im Feld der 20 bewerteten Tonträger. Ein Ergebnis, das für sich spricht. Umso mehr, wenn man einige frappierende Fehlleistungen der Rezensenten in Rechnung stellt. Fatal: Sogar Chefredakteur Hiller, der sein Urteil traditionsgemäß an den Anfang des Reviewreigens platziert, hörte nicht richtig hin, bevor er dem Erstling des Trios „über die ganze LP-Länge“ eine „Konditionsschwäche“ attestierte. Ein Fauxpas, der sich glücklicherweise nicht in den guten 8 Punkten, die der Herausgeber dennoch vergab, niederschlug. Verlässlich dagegen das Ohr Norbert Johannknechts: Seit jeher aufrechter Anwalt der Garagenpunk-Partei bewertet der langjährige Redakteur mit einer kompetenten 9 und befindet sich damit in guter Gesellschaft des für seine mitunter kruden musikalischen Vorlieben bekannten Tom van Laak.
Auffällig: Beide bewerten nicht nur korrekt, sondern nennen unabhängig voneinander in ihrer Kurzkritik auch den zentralen Terminus: Beide loben die Musik des klassisch titellosen GHETTO WAYS-Debüts als „Ghetto-Soul-Trash“. Zugegeben ein mehr atmosphärisch als präzis beschreibender Begriff, der jedoch (nicht zufällig!) in seiner Mitte das entscheidende ausspricht: Soul! Wie das angehängte „Trash“ deutlich macht, erwartet den Hörer dabei kein Soul klassischen Zuschnitts. Gleichwohl ist er zu vernehmen in der gleichermaßen krachigen wie groovenden Garagenschaffe von Jenna, Shane und Harry. Und spätestens beim zweiten Hören der auf dem deutschen Label Alien Snatch erschienenen LP ist es nicht mehr leugnen: „This band‘s got soul.“

Hier weitere Stichworte zum GHETTO WAYS-Sound: Detroit, Cobras, DIRTBOMBS. Ich beginne von hinten: Zweifellos, wenn sich bei den DIRTBOMBS Garagen-Soul mit Rock paart, zeitigt das ein Ergebnis von einer den GHETTO WAYS verblüffend ähnlichen Sexyness. Dennoch stößt der Vergleich auf den Protest der Band – nicht zuletzt weil sie bezeichnenderweise ausgesprochen häufig mit ihm konfrontiert werden.
Die DETROIT COBRAS wirken als Bezugspunkt weit unglaubwürdiger, wie selbst Alien Snatch-Chef Daniel Bouché zugibt, via dessen Mist dieser Vergleich erst seinen Weg in den Diskurs fand. Bleibt Detroit. Denkt man hier vor allem an MC5, geht dieser Namedrop indes ohne Frage in Ordnung.

Doch was sagt die Band selbst? Hier der erwähnte DIRTBOMBS-Protest: „We don‘t sound anything like the fuckin‘ DIRTBOMBS?“, sagt Gitarristin und Sängerin Jenna im von der Band selbstständig anhand per E-Mail übermittelter Fragen durchgeführten Interviews, das sich nach Bandaussage ausgesprochen „hilarious“ entwickelte. Eine von der Band sorgfältig angefertigte Abschrift bestätigt dies. Kostprobe:

Jenna: „Check this shit out. (reads question #1) I only know your fantastic debut-lp, but nothin‘ about the band. Please introduce yourself – names, age, vita, hobbies, etc.“

Harry: „Dude, I‘m so bad ... This is so on the spot. That‘s why I can never get interviewed. Alright, Shane, go, dude. See you in fucking hell. No really, my name is Harry Edwin Warwick III and this is a poem called ‚The Life of a Rose‘. Just kidding, let me start over. What‘d you say? Your name, your hobbies, what you love. I want to get straight to my hobbies. Seriously, man, let‘s just get through it. Go, read it to me Shane, I‘ll be serious.“

Ganz offensichtlich wird hier das Informationsbedürfnis des Interviewers kalt ignoriert. Der Fortgang des Transkripts lässt den Eindruck zur Gewissheit werden:

Shane: (reads question #1) „I only know your fantastic debut-lp, but nothin about the band. Please introduce yourself – names, age, vita, hobbies.“

Harry: „What is vita?“

Shane: „What vitamins you take.“

Harry: „Okay, your vita, then what?“

Shane: „Name, age, vita, hobbies.“

Harry: „Alright. My name‘s Harry E. Warwick III. My age is 31. I‘m going to be 32 in about 28 days. My vita is the energy drink and, uh, my hobbies are ... My hobbies are jackin‘ off, snortin‘ blow, fucking and more. God! This is too on the spot. That‘s what everybody would say right there – coke, porn, fucking, white sands El Paso fucking surfing cardboard boxes on the fucking highway, man, and riding my bike with no tires, wearing my shoes with no soles!“

Obwohl man hier wenig mehr an harten Fakten erfährt als Name und Alter des Schlagzeugers Harry, wird dennoch eines deutlich: Die GHETTO WAYS fahren offensichtlich in keiner Weise die Schleimspur in Richtung Popularität, sondern pflegen eine tadellose Arschlecken-Attitüde. Hier sind keine vom Ehrgeiz korrumpierten „Musiker“ am Werke, sondern Typen jenseits des Jugendalters, die schon seit Ewigkeiten in der Garage rummachen.

Und alle drei haben einen Job – davon Jenna sicher den prominentesten: Die Gitarristin arbeitet beim Traditionsunternehmen in Sachen „Garage“, Crypt Records. Wieso ihre Platte da nicht naheliegenderweise gleich im Hause Warren (Crypt-Chef) verlegt wird, weiß jedoch nicht einmal Tim Warrens Frau Micha, bekennender Fan der GHETTO WAYS.
Wer nicht will, der hat schon (im Falle Crypt die ebenfalls aus New York stammenden LITTLE KILLERS), sagte sich da Label-Überzeugungstäter Daniel Bouché und kann sich heute freuen, das kommende große Ding des Garage-Rock‘n‘Rolls exklusiv unter Vertrag zu haben. Gut für ihn, schlecht für die Amis: in New York kostet die importierte Scheibe der New Yorker so schlappe 17 Dollar. Nicht, dass man im R‘n‘R-Mutterland die Qualität des Trios vollkommen verkennen würde, doch Greg Oblivian etwa war letztlich einfach zu schnarchnasig, die Band auf seinem Label Goner heraus zu bringen. Vielleicht beim nächsten Mal ...

Bis dahin kommen deutsche Fans der Band allerdings in den Genuss eines erfreulichen Nebeneffektes der Germany-Connection der Band: Im Spätsommer werden sich die New Yorker erstmals gen Europa einschiffen, um hier eine Tournee zu absolvieren. Da wird folgende Frage erlaubt sein:

Shane: (reads question #13) „What can we expect from a GHETTO WAYS show?“

Harry: „From a GHETTO WAYS show?“

Shane: „Yeah, what can we expect?“

Harry: „Absolutely nothing.“

Shane: „That‘s about right.“

Harry: „You can expect a fucking record if you pay, t-shirts if we have ‘em, and a fucking cassette for $85 that‘s gonna get us on a plane to fucking Hondo, Texas.“

Wieder nicht ganz das, was man als befriedigenden Info-Input bezeichnen könnte. Doch Harry und Shane legen noch mal nach:

Shane: (reads question #13) „What can we expect from a GHETTO WAYS show?“

Harry: „A few false starts ...“

Shane: „A few false starts ...“

Harry: „Lots of sweat, and if you‘re lucky some fucking balls and bush! And uh, maybe a little argument or two. You‘ll definitely get your $16 worth. Alright, that‘s my response for that actual question: You‘re gonna get a few false starts, a few fake laughs, a lot of fucking not knowing what‘s going on, but you‘ll get your 16 goddamn dollars worth, I can tell you that. That‘ll stick. Go on, man, give me something else.“

Vielleicht ahnt es der Leser schon: Der Grund für die Wiedergabe der Antworten in Originalwortlaut ist schlicht der: Ich verstehe auch nicht alles. „Fucking balls and bush“? Meint das etwa die Band-Genitalien? Wollen die sich nackelig machen? Diese Aussicht würde gewiss den ein oder anderen männlichen Fan der Band erfreuen, bescheinigt man Jenna doch beachtliche Attraktivität. Übrigens wieder ein Hinweis auf die jegliche Marktgesetzmäßigkeiten ignorierende Haltung der Band: Hätte man statt des wenig dem Auge schmeichelnden LP-Covershots einer des Kieferorthopäden bedürftigen Kauleiste die Band inklusive Jenna auf Platten- bzw. CD- Futteral ins rechte Licht gerückt, wäre das Interesse an Band und Tonträger sicher auf breiterer Front und zügiger entflammt. Doch so oder so: Die Tour der Band in August und September riecht nach Siegeszug und nach erinnerungswürdigen Abenden – ob mit oder ohne Bälle und Busch.

Und für alle angehenden Schlagzeuger hat Harry zum Schluss noch ein Versprechen parat. Gebauchpinselt für seinen großartigen Drum-Sound auf dem Album (primal pounding in bester OBLIVIANS-Manier) gibt er zum Besten:

Harry: „My drums sound great because they are great. I‘ve got a badass formula that I use that‘s really easy and I think a lot of people should recognize that it‘s not about drum fills and knowing how to play. It‘s about getting by and making people move their fucking heels, making them aware. Just throw it down, man. They sound good because it‘s all about your punch, not about the wrists, it‘s about the arm. It doesn‘t matter if you know how to play the bass drum or you don‘t have a hi-hat. To any little buddies out there that want to fucking learn the easiest way to play drums, come watch me and I‘ll teach you.“