PANTEÓN ROCOCÓ

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Rebel Music

PANTEÓN ROCOCÓ zur Ska(punk)band zu „degradieren“ und den besonderen Stempel „Latin“ zu verpassen, ist angesichts ihrer musikalischen Vielfalt nicht angemessen. 1995 in den Ghettos von Mexiko City gegründet – damals noch zu fünft –, kam sehr schnell ein Bläserensemble hinzu, und mit mehr und mehr Aktivitäten war der musikalische Zwölfzylinder bald perfekt.
Man hat es hier mit aktiv politischen Menschen zu tun, die sich als Bestandteil der illegalen Zapatistenbewegung in Mexiko betrachten. Die Band sieht sich selbst als basisdemokratische Gemeinschaft. Nichts geschieht ohne Mehrheitsbeschluss. Zwar gibt es ein Management, dennoch trifft die Band sämtliche vorrangige Entscheidungen selbst (sogar die Eintrittspreise der kommenden Shows in Deutschland sollen auf keinen Fall zwölf Euro überschreiten!), und auch der Medienriese BMG Entertainment passt sich dem an. Durch die Zusammenarbeit von Übersee Records und der Booking Agentur Rocky Beach Club gab es sowohl 2003 das zweite Album „Compañeros Musicales“ erstmals auch im deutschen Handel, als auch ein weiteres Mal die Band live zu sehen. Das dritte Album steht kurz vor der Veröffentlichung, der eine Tour folgen wird. Live sind PANTEÓN ROCOCÓ derzeit eine der besten Bands dieses Genres. Es ist längst an der Zeit, Mexiko etwas mehr Beachtung zu schenken. Mehr Informationen und Hintergründe über PANTEÓN ROCOCÓ bietet die Musik-Dokumentation „Panteón Rococó - Rebel Music“ von Sarah Möckel und Stefan Schulte, die bei einem zweimonatigen Aufenthalt in Mexiko 2002 in Eigenregie gedreht wurde (uebersee-records.de/bienvenido/rebel).

Was steckt hinter der Bandbezeichnung PANTEÓN ROCOCÓ?

Mona:
„‘Panteón Rococó‘ ist im Titel eines wichtigen mexikanischen Theaterstücks, Hugo Arguelles‘ Drama ‚El Cocodrilo Solitario Del Panteón Rococó’ enthalten. In den ersten Novembertagen zelebriert man in Mexiko den Tod, in dem man die Panteones, die Friedhöfe, besucht. Die Hinterbliebenen feiern mit Essen und Musik gemeinsam mit den Verstorbenen. Beides zusammen interpretiert, ergibt die Synthese eines feierlich-fröhlichen und verschnörkelten Rokoko-Kunststils.“

Das erste Album „A La Lzquierda De La Tierra“ verkaufte sich über 40.000 Mal, der Großteil davon Bootlegs über Flohmarkthändler ...

Mona:
„Die erste CD war eine Independent-Produktion. Derartiges in Mexiko auf die Beine zu stellen, ist immens schwierig. Unser Vertrieb arbeitete sehr uneffektiv. Die Leute hingegen, die ihren Freunden Kopien weitergaben, halfen uns sehr damit, unsere Musik zu verbreiten, um so bekannter zu werden.“

Wie denkt ihr dann über das Downloaden von Musik aus dem Internet?

Mona:
„Für neue Bands, die keine Möglichkeit haben, eine CD zu produzieren, ist es ein geeignetes Medium, um so ihre Musik zu verbreiten.“

Ihr habt ja auch einen Vertrag mit BMG Entertainment – „that respects your creative independence and organizational structure.“ Was steckt dahinter?

Mona:
„Unsere Beziehung basiert auf gemeinsamen Respekt. Bevor etwas durchgeführt wird, was unsere Karriere betrifft, treffen wir als Band alle letzten Entscheidungen.“

Kürzlich habt ihr das Titelstück „Sonja“, einen Klassiker von Bobby Hebb aus den 70er, für den Film „Sin Ton Ni Sonia“ eingespielt. Erzählt doch mal etwas zu den Dreharbeiten und zum Film selbst. Habt ihr noch mehr zum Soundtrack beigetragen?

Gorri:
„Nein, trotzdem ein sehr interessantes Projekt für uns, da neben den RAZZOS nur wir einen Song neu für den Film aufgenommen haben. Der Rest des Soundtracks besteht aus Liedern, die man in den 70er Jahren gehört hat. Als wir das Stück aufnahmen, war der Film bereits abgedreht. So konnten wir auf Teile des Films zurückgreifen und das Video so schneiden, dass man den Eindruck erhält, wir spielen in diesem Film mit. Es war ein sehr anstrengender Dreh, denn das Filmteam arbeitet sonst nur mit professionellen Schauspielern. Mit diesem Team haben wir auch das Video zu ‚La Rubie Y El Demonio‘ gedreht. ‚Sonia‘ wurde uns angeboten, wir wurden gefragt, ob wir für den Soundtrack eine Version dieses Stückes, von dem es ja bereits unzählige Versionen weltweit gibt, aufnehmen wollen. In Mexiko selbst hört man davon immer wieder mal zwei Versionen auf Spanisch. Der Film ist eine romantische Komödie, die von Beziehungsproblemen der 25-30-jährigen handelt, und er karikiert aufs wunderbarste die schlecht synchronisierten Medien, die wir aus den USA empfangen.“

Eure Musik bezeichne ich mal als Modern World Music, inspiriert von lateinamerikanischen Rhythmen, gemischt mit Ska, Pop, Punk und vielen anderen Stilrichtungen. Wo seht ihr euch selbst? Gibt es musikalische Inspirationen oder Vorbilder?

Mona:
„Deine Definition ist gut. Unsere Musik ist wie ein Laboratorium, in dem wir unzählige Rhythmen zusammenmischen.“
Felipe: „Unsere Musik ist eine Möglichkeit, nach bestem Gewissen der Wahrheit zu dienen. Wir versuchen, in unseren Texten eine Botschaft zu vermitteln, Gegebenheiten, die wir erfahren, die wir mögen oder auch nicht. Unsere Lieder erzählen Geschichten, gleichzeitig aber sprechen sie von uns als Mexikanern. Da wir zwölf Musiker sind, gibt es natürlich viele Einflüsse, aber wirklich wesentlich sind Künstler wie LOS FABULOSOS CADILLACS, MANO NEGRA oder MALDITA VECINDAD.“

Angesichts dieser musikalischen Vielfalt, wen trifft man auf euren Konzerten? Gibt es da Unterschiede zwischen Mexiko und Europa?

Felipe:
„Wir machen da keine Unterschiede, deshalb ist das in jeder Stadt immer wieder eine Überraschung. Lediglich, was die Energie auf den Konzerten betrifft, ist das mexikanische Publikum sehr geladen. Man fühlt förmlich die Intensität eines Tornados. In Europa wächst die Energie langsam an, aber bis zum Ende der Show hat man die absolute Party.“

PANTEÓN ROCOCÓ sieht sich als politische Band, die die (Neo-) Zapatistische Bewegung unterstützt. Wie ist die derzeitige politische Situation in Mexiko?

Tanis:
„Für Mexiko ist es sehr schwierig, eine demokratische Regierung aufrecht zu erhalten, solange wir eine Grenze mit den USA teilen, dem widerrechtlichsten wie stärksten System der Welt. Seit knapp 200 Jahren wird gemordet, wurde mehr als die Hälfte des mexikanischen Territoriums okkupiert, die karibische Region und Zentralamerika geplündert, wurden Diktaturen in Lateinamerika und der ganzen Welt unterstützt und sogar mit Hilfe der USA erst an die Macht gebracht. Die Zapatistische Bewegung stellt sich dem mit einem ‚Ya Basta‘, ‚Es reicht‘, entgegen. Die Forderung der indigenen Bevölkerung nach dem Recht auf ihr Land stand immer im Mittelpunkt dieser Bewegung. Emiliano Zapata, indigener Bauer, hat im Jahre 1910 eine Revolution begonnen, die viel indigenes Blut vergossen hat. Deren Ruf ‚Land und Freiheit‘ ist bis heute zu hören. Unter ‚Neo‘-Zapatismus versteht man die momentane Bewegung, die den bewaffneten Aufstand und die Kriegserklärung der EZLN – das Zapatistische Heer der Nationalen Befreiung, das Sprachrohr der Zapatistischen Bewegung – gegen die Regierung am 1. Januar 1994 teilt. Dieser Tag war wie ein Erwachen Mexikos, das den Traum der ersten Welt träumte. Es hat der Welt die Willenskraft der mexikanischen indigenen Bevölkerung gezeigt, Krieg zu führen, bevor es an Hunger und Krankheit stirbt.“

Wo ist die Verbindung zwischen eurer Musik und dem Zapatismus?

Tanis:
„Die Forderungen der Zapatisten gelten für alle Menschen. Jeder soll ein ‚angemessenes‘ Leben führen dürfen, dem die Menschenrechte zugrunde liegen. Es ist ein Kampf für die Menschlichkeit und gegen den Neoliberalismus. PANTEÓN ROCOCÓ wächst in dieser Bewegung und hat in diesem Kampf der Zapatistischen Bewegung einen Platz und einen Weg gefunden, um die Botschaften durch die Musik auszudrücken. Darüber hinaus nehmen wir aktiv an Demonstrationen, Soli-Konzerten und weiteren Aktivitäten teil. Wie bereits Comandate Zebedeo der EZLN über die Musik sagte: ‚Die Musik ist Ausdruck, ist Ernährung für das Bewusstsein, ist eine Blume. Ohne Musik ist es sehr schwierig, eine Revolution durchzuführen und diese dem Volk näher zu bringen.‘ In diesem Sinne versuchen PANTEÓN ROCOCÓ gemeinsam mit den Zapatisten den Kampf, der auch unserer ist, zu begleiten. Wir sind auch ‚Companheros Musicales‘ und hoffen, dass die Welt die Gelegenheit ergreift, die historischen Schulden an den indigenen Völkern zu bezahlen.“

Wie hat sich die Situation seit 1994 für die mexikanische Musikszene verändert?

Luis:
„Seit dem 1. Januar 1994 in Chiapas haben viele Menschen begonnen, mehr über die wirklichen Umstände unseres Landes in Erfahrung zu bringen, veranstalten Konzerte, kulturelle Aktivitäten, engagieren sich bei Organisationen, die unabhängig von der Regierung arbeiten. Die jungen Menschen spiegeln dies in ihren Gedanken und Meinungen wider. Mexiko war ein weiteres Mal im Kampf. Rockbands, Schriftsteller, Filmemacher, Schauspieler, Künstler jeglicher Art in Mexiko dokumentieren bis heute die aktuelle soziale Situation des Landes. Es gibt unzählige Bands, allerdings kaum Auftrittsmöglichkeiten. In Mexiko City leben über 30 Millionen Menschen, 80 Prozent davon junge Leute. Für die gibt es gerade mal zwei oder drei alternative Einrichtungen, in denen Rockmusik gespielt wird.“

Welche Rolle spielt eine Band wie PANTEÓN ROCOCÓ angesichts Verkaufszahlen von derzeit 85.000 Alben?

Luis:
„Wir haben eine große Verantwortung allen Menschen gegenüber, die unsere Musik hören. Wir kommen von der Straße, aus dem Ghetto. Bei jedem Schritt, den wir machen, denken wir an unsere Fans, da die meisten gerade mal zwischen 15 und 23 Jahre alt sind. Es fehlen ihnen viele Informationen von dem, was in der Welt passiert, um sich einen Gesamteindruck darüber machen zu können.“

Wann kann man mit eurem neuen Album in Europa rechnen?

Gorri:
„Unser drittes Album ‚Tres Veces Tres‘, was ‚dreimal drei‘ bedeutet, wird in Mexiko und in den USA am 11. Mai veröffentlicht. In Europa steht ein Release derzeit noch nicht fest. Es enthält dreizehn Songs und eine gesprochene Aufnahme des Subcomandante Marcos. Der Titel des Albums ist aus dem Text, den Marcos spricht, entnommen. Wie bereits erwähnt, unser drittes Album, und dreimal drei macht ja bekanntlich neun, welches wiederum das Alter von PANTEÓN ROCOCÓ ist. Die Platte wurde im Januar und Februar 2004 in Argentinien aufgenommen und von Flavio Cianciarulo, Bassist der FABULOSOS CADILLACS, produziert.“