SLIME

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Wenn der Himmel brennt

Das ist das Gute bei SLIME: man muss erst mal niemandem irgendwas erklären. Zu dieser Gruppe hat auch nach all den Jahren so ziemlich jeder eine Meinung, und zwar in einem Umfang, wie das sicherlich bei keiner anderen deutschen Punkband jemals vorher oder nachher der Fall war. Eigentlich erstaunlich, denn zu den Hamburgern waren harte Fakten und Hintergründe nie wirklich bekannt. Stattdessen blühen seit zwanzig Jahren die wildesten Gerüchte und Theorien. Umso gespannter war ich auf die dieser Tage veröffentlichte SLIME-DVD „Wenn der Himmel brennt“. In puncto Umfang und Qualität der Ausarbeitung in der Tat ein absolutes Monster, welches sich im Untertitel denn auch völlig zu Recht als „die endgültige Band-History“ bezeichnet, aber auch weit über SLIME hinausreicht und die Geschichte von Punk in Deutschland insgesamt dokumentiert. Über das Projekt sprach ich mit Stephan Mahler, SLIME-Schlagzeuger und auch Verfasser vieler SLIME-Songtexte und -Musik. Stephan ist ein Stück BRD-Untergrund-Kultur, denn außer bei SLIME prägte er im Laufe der Jahre auch viele andere HH-Indie-Projekte durch seine Mitarbeit, etwa TORPEDO MOSKAU, ARM oder KOMMANDO SONNE-NMILCH, seine aktuelle Band.

Die seit langer, langer Zeit angekündigte SLIME-DVD ist jetzt raus. Was war für euch 2004, rund zehn Jahre nach eurer finalen Auflösung, die Motivation für die Veröffentlichung?

„Die DVD ist ja nicht bloß irgendein beliebiger Konzertmitschnitt oder dergleichen. Es ist eine akurate Dokumentation der gesamten Geschichte der Band, mit Material aus fast zwei Jahrzehnten. Wir wollten alles, was bezüglich der Band, unserer Geschichte, unseres Umfeldes, an Fragen und Antworten im Raum stand, hiermit ein für allemal klarstellen. Wir haben da alles reingepackt, was wir an Musik, Texten, unveröffentlichtem Material, Informationen und Ideen hatten. Deswegen sind dabei auch drei Stunden Spielzeit und fast 60 Seiten als Booklet-Beilage rausgekommen. Wir bezeichnen die DVD deshalb als das Vermächtnis der Band.“

Das Bildmaterial der DVD stammt aus zig verschiedenen Quellen und zeigt allein Ausschnitte von zehn unterschiedlichen Konzerten und Videoclips. Ein Überblick über fast eure gesamte Karriere, von den Spätsiebzigern bis tief in die 90er. Mitschnitte wie etwa von der „Tournee zum Untergang“ oder dem Hausbesetzer-Open Air in West-Berlin 1981 habe ich noch niemals vorher gesehen und die raue, räudige Atmosphäre der frühen BRD-Punk-Tage noch nirgendwo jemals so authentisch eingefangen gefunden. Wie kamt ihr an solche Aufnahmen?

„Also, der allergrößte Teil, 90 Prozent der DVD würde ich sagen, ist vorher noch niemals veröffentlicht worden. Die Aufnahmen stammen teils aus unserem Bandarchiv und teils hatte Weird System Connections zu verschiedenen Leuten, die damals was produziert hatten. Das war teilweise echt Glück. Der Hammer war zum Beispiel, als dieses Video vom Winterfeldplatz-Besatzer-Open-Air auftauchte, Aufnahmen, die wir selber noch nie gesehen hatten. So was schlummerte in einem Privatarchiv. Weiß der Teufel, was noch alles. Wobei man sagen muss, dass die Aufnahmen teils in keinem guten Zustand waren. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie lange das her ist und wie damals die Umstände waren. Wir haben da eine Menge Mühe und Zeit reingesteckt, diese Sachen technisch für die DVD auf den heutigen Stand zu bringen.“

Man muss auf jeden Fall auch auf das der DVD beiliegende, umfassende SLIME-Buch eingehen, in dem die ganze Geschichte der Band bis in die allerkleinsten Einzelheiten nachzulesen ist. SLIME, das war für mich über all die Jahre immer eine ultrapräzise Punk-Rock‘n‘Roll-Polit-Maschine, die ein Bild von totaler Einheit und Power ausstrahlte, bei der andererseits aber der Spaßfaktor etwas zu kurz zu kommen schien und die in der Brachialität ihrer Aussage und ihres Auftretens manchmal sehr undifferenziert und dogmatisch wirkte. Die DVD zeichnet nun das Bild einer Gruppe, die zwischen den Reibungspunkten „Anspruchshaltung“, „Szene-Korrektheit“, „Punk-Etikette“ und „persönliche Belastbarkeit“ mehr als einmal fast zerbrach. Wie hast du diese Situation, diesen Konflikt damals empfunden?

„Über SLIME waren nie viel wirkliche Informationen im Umlauf. Es gab ja
im Grunde wenig Interviews und O-Töne, dafür in erster Linie reichlich Gerüchte. Und die zeigten natürlich ein undifferenziertes Bild von uns. Sei es nun im Hinblick auf das, was man Dogmatismus genannt hat, oder die Reduzierung von SLIME auf unsere Bullentexte meinetwegen, oder zum Beispiel den daraus resultierenden Anspruch der politischen Verpflichtung, so von wegen: ‚Gestern war ‘ne Demo – und wo wart ihr?‘ Die meisten Dinge im Leben haben zwei Seiten, und auch wir waren immer ambivalent, hatten Zweifel, wollten auf jeden Fall differenzieren. Innerhalb der Band gab es immer sehr viele Diskussionen. Die Verpflichtung einer bestimmten Szene gegenüber, als exponierte Identifikationsfläche ihrer selbst sozusagen; der Umgang mit Themen wie Kommerz, politischer Inkonsequenz, Verrat an Idealen. Wie du schon sagst: die Gruppe ist daran und an Anfeindungen bzw. Ansprüchen von außen ja in den 80ern fast kaputtgegangen. Wir gehen in dem DVD-Booklet sehr intensiv und offen darauf ein. Es ist sehr viel persönliches von uns zu dieser Problematik da drin, was vorher auch noch nie so ausgesprochen worden ist. Aber klar, nach außen hat man natürlich versucht, sich als Einheit zu präsentieren, sich nicht auseinander dividieren zu lassen. Und wir hatten natürlich auch Spaß daran, uns mit sehr streitbaren Positionen aus dem Fenster zu hängen.“

Zweifellos mit einigem Erfolg. Steckte da eine Art Masterplan eurerseits hinter?

„Niemals. Wir waren Punks, waren Kids. Im Grunde war alles sehr chaotisch und ergab sich immer aus der Situation heraus. Aber das, was wir wirklich extrem verfolgt haben, war unsere Musik. Wir haben ja auf keinen Fall nur Parolen gegrölt, sondern vor allem extrem viel geprobt, super viel gespielt und alles. Ich denk mal, wir waren vielleicht nicht nur ein bisschen aggressiver und lauter als andere Gruppen, sondern auch ein bisschen hartnäckiger, hatten mehr Einsatz, mehr Power.“

Wie kam es zu den erheblichen Verzögerungen bei der Veröffentlichung der DVD? Immer wieder war von Stress mit Polizei und Staatsanwalt und neuen Hausdurchsuchungen bei einem von euch und beim Label zu hören. Wie kann es sein, dass eine bereits seit Jahren nicht mehr aktive Band immer noch solchen Repressionen von Staatsseite ausgesetzt ist?

„Es gab seit über 20 Jahren immer wieder Phasen, in denen SLIME-Texte massiv verfolgt wurden, und dann wieder nicht. Viele kennen die Geschichte mit den unsäglichen Pieptönen auf der zensierten Auflage der ersten LP. ‚Deutschland muss sterben‘, der Text ist ja mittlerweile sogar vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet und dort endgültig legalisiert worden. Gegen ‚Bullenschweine‘ wurde dagegen gerade in letzter Zeit wieder knallhart vorgegangen. Das ist alles eine lange, üble Sache, und auch ausführlich in dem Buch zur DVD erklärt. Denn ob aktiv oder aufgelöst als Band – es ändert nichts an der Brisanz der Texte, die ja nun mal im Raum stehen. Aber auch neben einem Aufruf zur Gewalt, wie in ‚Bullenschweine‘, steht SLIME ja, denke ich, vor allem für eine Band, die die Leute dazu bringen wollte, sich Gedanken über die Welt zu machen. Dazu gehört zum Teil auch Hass, gegen Bullen, Staat und Nazis meinetwegen. Aber unsere Botschaft war tiefgehender, zielte immer darauf ab, Alternativen darzustellen für ein besseres Leben, ein bewussteres, unter humaneren Bedingungen. Ich finde es völlig idiotisch, diesen Ansatz zu verbieten. Obwohl ich da auch mit zweierlei Maß messe, denn Nazipropaganda zu verbieten, finde ich in Ordnung. Denn der Unterschied ist, wenn du eine SLIME-Platte gehört hast, gehst du nicht anschließend los und schlägst Wehrlose zusammen.“

Und es gab wirklich zu keiner Zeit bei euren Texten irgendeine Art von Kalkül, nach dem Motto „Je krasser es kommt, desto mehr Aufstand draußen, desto besser die Plattenverkäufe“?

„Harhar, der Fragen-Klassiker. Also, ich habe nie geglaubt, dass man nur deswegen bekannt wird, weil eine Platte oder ein Text vor Gericht landen. Wenn, dann ist das doch eher andersherum: die Repression dagegen wurde höchstens dann zum Skandal, weil Stücke wie ‚Deutschland‘, ‚Polizei SA/SS‘ etc. und die Band dazu schon vorher einen guten Bekanntheitsgrad hatten. Und den haben wir uns erarbeitet, bzw. er ist entstanden, weil diese Lyrics nicht auf Sensation zielten, sondern die Leuten berührt haben.“

Gleich mehrfach stellt ihr im Rahmen der DVD fest, dass ihr einerseits die Dinge heutzutage differenzierter seht als das insbesondere in euren ganz frühen Texten zum Ausdruck kam, dass ihr aber andererseits die alten Aussagen aus dem damaligen Kontext heraus nach wie vor voll unterstützt. In wie weit geht das zusammen?

„Texte wie ‚Bullenschweine‘ und die ganz harten Teile waren ja nicht abstrakt, sondern entstanden aus unserer damaligen konkreten Erfahrung und Lebenssituation heraus. Ich persönlich war ja zeitweilig sehr in Politstrukturen eingebunden, Dirk auch. Aber mein Leben hat sich verändert, ich habe mich aus solchen politischen Szenen rausgezogen. Trotzdem bleibt das ein Teil von mir, von uns. Man kann nichts wirklich aus dem Zusammenhang reißen, aber alles, wofür SLIME stand und steht, ist gut so und hat Gültigkeit. Und noch mal: ein besseres Leben entsteht aus dem Inneren heraus. Ich lebe heutzutage viel mehr nach dem menschlichen Anspruch von uns als damals. Auch ohne so viele äußere Feindbilder. Davon abgesehen kann man wohl kaum ernsthaft behaupten, dass auf nationaler oder internationaler Bühne bei Themen wie Imperialismus, Krieg, Ausbeutung auch nur ein Hauch von Verbesserung eingetreten wäre, seit SLIME damals zum ersten Mal zusammen Krach gemacht haben. Oder?“

Ja, love it or hate it, aber ich denke, jeder muss feststellen, dass ihr einige Themen für alle Ewigkeit aus dem Dunkeln ins Scheinwerferlicht geholt habt und anstatt Unverbindlichkeit, Ästhetik und heißer Luft klare Positionen und Aussagen etablieren konntet. Gerade wenn man das nach wie vor überaus große Interesse an SLIME betrachtet, stellt sich mir die Frage: Ist das nicht ein zeitloses Konzept? Gibt es nicht längst die Möglichkeit, die dringende Notwendigkeit für jüngere Gruppen, in eure Fußstapfen zu treten?

„Wir haben uns ja selbst schon in einer Tradition verstanden, nämlich in der von TON STEINE SCHERBEN. Natürlich ist diese Tradition fortzuführen. Das wird auch getan, denke ich, selbst wenn das politische Umfeld und die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Zeit, aus der wir kommen, zum Teil anders waren. Es gab und es gibt aber auch in den Folgejahren immer Bands in unserem Geist, die uns auch nahe standen, wie zum Beispiel ...BUT ALIVE, oder auf eine andere Art Gruppen wie OMA HANS, die ZITRONEN oder TURBOSTAAT, um mal in Hamburg zu bleiben. Das ganze Konzept einer mehr ‚educated‘ Punkband entsteht eben unabhängig von der Zeit, in der du lebst. Es ist insofern zeitlos, weil es sich aus dem Bedürfnis heraus ergibt, das Leben hier zu verändern und für eine menschlichere, offenere Gesellschaft zu kämpfen.“