STRYCHNINE

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East Bay Menace

Bei STRYCHNINE haben wir es mit einer Streetpunkband aus der Eastbay Area von Kalifornien zu tun. Was sie uns bieten? Eine Menge Spaß, ausgelassenen Pogo und dennoch Texte mit Anspruch und musikalischer Vielseitigkeit. Die fünf Jungs scheinen mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren ihre beste und energiereichste Zeit zu erleben. Ich traf Jim (voc), Joe Fucko (bass), Idon Bryant (gt), Markley Hard (dr) und das Nesthäkchen Brian Hood (gt) das erste Mal im Hochsommer letzten Jahres in Osnabrück, wo sie im Rahmen ihrer Europatournee einen Auftritt mit TINY ELVIS (Bath) und AGGRA MAKABRA (Bremen) hatten. Bei diesem „Mini-B.O.B“ konnte ich STRYCHNINE für mich entdecken. Rund zwei Wochen später traf ich sie im Kölner Bürgerzentrum-Ehrenfeld wieder, wo dann zu recht später Stunde dieses Interview mit Jim und Joe zustande kam.

In welchem Jahr habt ihr euch zusammengetan?

Jim:
„Angefangen haben wir ‘95. Damals waren es nur Markley, unser Drummer, und ich. Dann kam ‘97 Joe, unser Bassist, dazu. Also zählen wir ihn fast schon mit zu unserer Originalbesetzung. Der Rest der Jungs kam dann schließlich vor vier Jahren dazu.“

Wie viele Platten habt ihr bisher veröffentlicht?

Jim:
„Unsere erste Platte war eine 7“ mit dem Namen ‚Fucked up inside‘, 1996 kam unsere erste Platte ‚Dead Ratz And Oakland Dogs‘ und dann noch die 7“ ‚Gotta git drunk‘. Dann haben wir 2001 das Album ‚Born To Lose‘ rausgebracht.“
Joe: „Und dann gibt es ja auch noch unser Liveplatte ‚Oakland Stadtmusikanten in Bremen‘.“
Jim: „Genau, die haben wir in Bremen aufgenommen. Das ist hervorragend geworden. Es war das letzte Konzert unserer Europatournee, und im Publikum waren sehr viele Freunde von uns. Die Stimmung war dementsprechend großartig.“
Joe: „Ich glaube, es ist die beste Liveaufnahme, die ich je gehört habe, haha.“

Wie oft seid ihr bisher eigentlich in Europa auf Tour gewesen?

Joe:
„Für mich ist es das vierte, für die Band das fünfte Mal. Jimi, Markley und Idon Bryant, neben Brian Hood einer unserer zwei Gitarristen, waren schon früher mit ihren Bands vor STRYCHNINE in Europa unterwegs.“
Jim: „Stimmt, ich war früher bei HELL‘S KITCHEN, Idon bei CRIMPSHIRE, Markley bei ECONOCHRIST und Joe bei NAKED AGRESSION.“

Lässt sich euer häufiges Touren in Europa auf eventuelle Unterschiede des Publikums hier im Vergleich mit dem in den Staaten zurückführen?

Jim:
„Ich finde, dass europäische Punks einfach mehr mit Punkrock verbunden sind – die sind einfach echter. Ich habe das Gefühl, dass im Vergleich zur künstlichen kalifornischen Punkszene, die von Popbands wie GOOD CHARLOTTE beherrscht wird, in Europa viele Nischen existieren, ohne diese ganzen Showelemente. Es ist halt schöner, wenn hinter einer abgefuckten Lederjacke und einem Iro noch wirklich etwas steckt. In Amerika wird es langsam zu einer einzigen Modenschau. Das ist jedenfalls einer der Gründe, warum wir hier gerne spielen.“

Ihr wart früher mal auf East Bay Menace Records. Bei welchem Label seid ihr jetzt, und was war der Anlass für euren Wechsel?

Jim:
„Unser damaliger Gitarrist Leni Rook hat mit ein paar Freunden das Label gegründet, aber er hat zuviel getrunken, sodass sehr schnell das ganze Label nur noch aus dauerbesoffenen, kaputten Typen bestand. Jetzt sind wir bei TKO Records, wo auch unser nächstes Album erscheinen wird.“

Ihr habt bisher selten Interviews gegeben, weshalb euch viele hier gar nicht kennen. Woran liegt das?

Joe:
„Das liegt wohl daran, dass wir ganz gerne im kleineren Kreis auftreten, und dass unsere Musik nicht die breite Masse anzieht. Insofern haben wir auch nie wirklich Interviews gegeben. Wenn dann nur für Zines, die uns gefallen. Auf unsere Konzerte bezogen, muss ich sagen, dass wir meistens in autonomen Zentren oder anderen Schuppen dieser Art spielen. Das hat einfach den Vorteil, dass die Leute, auf die wir keinen Bock haben, größtenteils weg bleiben. Eigentlich gehen wir ja auf Tour, um Freunde zu treffen, gute Musik zu spielen und einfach eine schöne Zeit zu haben. Dafür brauchen wir kein größeres Publikum.“

Gibt es Bands, die euch in musikalischer Hinsicht beeinflusst haben, oder die ihr zu euren Favoriten zählt?

Joe:
„Ich höre sehr viel unterschiedliche Musik, von Klassik bis Heavy Metal, aber hauptsächlich hören wir Songs von 85/86er HC-Punkbands. Bands wie POISON IDEA, MOTÖRHEAD und so was. Der Scheiß, der dich echt an den Eiern packt und sie ordentlich rumschüttelt, haha. Und natürlich die FLESHIES. Die sind ebenfalls ziemlich gut, und wir sehen uns oft, da sie auch in Oakland leben. Oakland ist echt schön.“

Was gefällt euch an Oakland so sehr?

Jim:
„Das Tolle an Oakland ist, dass es mehr Punkbands als Punkfans gibt. Doch leider gibt es kaum noch Läden, wo man spielen kann. Deshalb treten wir meistens in San Francisco auf. Scott Alcoholocaust, unser Tourmanager, kümmert sich ebenfalls um unsere Konzerte in San Francisco. Denn außer der Gilman Street gibt es eh nichts mehr an Auftrittsmöglichkeiten in Oakland. Da ist noch ein Laden, der Store Club, aber der ist beschissen. Dann das Portlight, wo inzwischen keine Konzerte mehr stattfinden, wahrscheinlich weil die Security-Typen so beschissen waren. Trotzdem ist die Szene in Oakland großartig. Ich würde nicht unbedingt gemeinschaftlich sagen, aber jeder hilft dem anderen aus, mit Musikequipment, Vans, und was man halt so braucht. Im Sommer finden zudem auch noch die besten Partys statt. Wenn das nicht genug Gründe sind ...“

Ihr tretet also oft in San Francisco auf. Wie seht ihr die Stadt und die Szene im Vergleich zu Oakland?

Joe:
„Das ist eine ganz andere Geschichte. Wir kennen ‘ne ganze Menge Bands aus San Francisco, mit denen wir befreundet sind, weil wir so oft da auftreten. Grundsätzlich ist zu sagen, dass es eigentlich eine Szene ist, nur dass wir in verschiedenen Städten wohnen. San Francisco ist mehr so eine Art Spielwiese für uns, wo wir Konzerte geben, Freunde treffen und abends mal weggehen. Wir möchten da nicht leben, es ist einfach zu hektisch. Die Stadt ist zu klein, dafür dass so viele Leute da leben. Unsere Abende in San Francisco sind echt nett. Trotzdem ist es wunderbar, nach einer durchzechten Nacht wieder nach Oakland zurückzufahren, sich zu entspannen und die Großstadt hinter sich zu lassen.“

Wie viel Zeit investiert ihr in die Band?

Joe:
„Wie fast jede Band versuchen wie soviel Zeit zu investieren wie möglich. Natürlich haben wir auch Jobs, um über die Runden kommen zu kommen, aber all unsere Liebe steckt in STRYCHNINE. Ich glaube, dass mein Kopf explodieren würde, wenn ich nicht mehr in einer Band spielen könnte.“

Eure Texte handeln nicht unbedingt von politischen Themen, obwohl ich von euch weiß, dass ihr politisch sehr aktiv wart. Woran liegt das?

Jim:
„Im allgemeinen reflektieren unsere Songs, wie wir unser Leben führen. Manches ist sehr ernst und manches halt weniger. Teilweise gibt es sehr viele Songs, die eher unseren Humor repräsentieren. Man muss über sich und andere lachen können, sonst hat man ein ernsthaftes Problem. Wir schreiben jedoch auch manchmal über äußerst ernste und tragische Erlebnisse wie den plötzlichen Tod von Freunden von uns, innere politische Konflikte zwischen verschiedenen Szenen, die sich untereinander bekämpfen. Wir trinken beispielsweise gerne, also handeln sie eben oft vom Trinken. Wem das nicht passt, der hat Pech gehabt. Dazu muss ich noch ergänzen, dass auf unserer neuen Platte auch viele ernste Songs drauf sind. Sie ist in vieler Hinsicht sehr politisch, obwohl wir versucht haben, die Politik unseres Landes nicht konkret in unseren Songs zu verarbeiten. Aber im Laufe der letzten Monate und Jahre ist es durch die Wahl von Bush zum Präsidenten für uns doch zu einem Thema geworden, das wir sehr ernst nehmen. Aber wir nutzen unsere Musik eher selten als Plattform für unsere politischen Statements. Jeder hat seine persönliche politische Meinung und das soll auch so bleiben. Allen, die uns noch nicht live sehen konnten, sei also gesagt: Wir machen eine Show, bei der man sich ausnahmsweise mal nicht mit allen Weltproblemen auseinandersetzen muss. Kommt hin und habt Spaß!“

Wie fühlt ihr euch denn im Moment als US-Amerikaner. Wie seht ihr eure Position in einem Land, das von einem Präsidenten regiert wird, dessen Kriegssucht fatale Auswirkungen auf das Leben von so vielen Menschen hat. Könnt ihr noch sagen, dass ihr gerne in Amerika lebt?

Joe:
„Wir sehen uns selbst nicht als Amerikaner, sondern als Punks. Es kommt leider häufiger vor, dass wir uns hier mit Leuten in Kneipen unterhalten, und sie uns erklären, warum unser Land so scheiße ist. Und ich erwidere: ‚Was willst du von mir? Ich lebe in Amerika. Ich mag mein Land. Ich hasse nur unsere scheiß Regierung.‘ Doch die meisten Regierungen sind beschissen. Es regt mich auf, dass Leute, die mich nicht kennen, mit Sätzen zu uns kommen wie: ‚Ihr dummen dreckigen Amis‘ oder so was. Dann erwidere ich: ‚Nein, ich bin kein beschissener Ami, ich bin ein scheiß Punk. Was ist dein Problem? Du verurteilst mich, anstatt dich mit mir zu unterhalten.‘ Das ist in letzter Zeit echt zu einem Problem geworden.“

Kommen wir abschließend auf eure neue Platte zu sprechen, an der ihr gerade arbeitet und die bald erscheinen wird. Inwiefern unterscheidet sie sich von den vorigen?

Jim:
„Die Texte handeln zum Teil noch mehr von einem sozialen Bewusstsein. Ich meine, wir haben zuvor schon genug Songs geschrieben, die von Besäufnissen handeln. Unsere neue Platte wird ernster sein als die vorherigen, sie ist musikalisch auch ausgereifter und experimentierfreudiger. Wir sind im musikalischen Sinn stärker geworden. Ich schätze, die Platte wird euch gefallen. Und wenn euch unsere Musik auf einem Tonträger nicht gefällt, rate ich euch trotzdem, eines unserer Konzerte zu besuchen, denn selbst Leute, die unsere Musik nicht mögen, sind begeistert von unserer Show.“