TURBOSTAAT

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Weder Köterkacke noch Jensen-Devotees

Wie klingt eigentlich „norddeutsch“? Auch wenn das kaum jemand wirklich zu beantworten vermag, so fallen doch immer schnell Bandnamen wie DACKELBLUT, ANGESCHISSEN oder gar ABSOLVENT EINER HAMBURGER SCHULE. Letzteres taucht zwar im TURBOSTAAT eher gar nicht auf, aber auch wenn die Band das anders sehen mag, klingen sie für mich einfach typisch norddeutsch, jedenfalls im Sinne der zuerst genannten Bands. Ein erster Beweis dafür war 2001 das erste großartige Album „Flamingo“, dem Ende letzten Jahres „Schwan“ folgte, eine weitere grandiose Platte, die wieder eindrucksvoll zeigt, dass „norddeutsch“ auch angepisst und nicht nur altersstarsinnig heißen kann.


„Schwan“ war es wert, die fünf Jungs, die auch schon unter anderem in Bands wie ZACK AHOI, UNABOMBER und EXIL – deren Platte „Onkel Feinkosts‘ Super 8 Memories“ ich übrigens nur empfehlen kann – musizierten, ein zweites Mal fürs Ox zu interviewen. Das Konzert am Ostermontag in Solingen sollte Uschi, Joachim und mir den Rahmen dafür bieten. Wir trafen TURBOSTAAT inmitten ihres wohlverdienten Abendessens an und ließen die Jungs natürlich brav ihre Tellerchen leeren, bevor wir uns mit den beiden Gitarristen Roland und Marten, Sänger Jan, Bassist Tobert und dem Schlagzeuger Peter etwas zurückzogen, um über das Dasein als Fischkopp zu sprechen.

War das Essen gut?

Alle:
„Es war großartig.“

Wie sind denn eure Ansprüche in Sachen Tourernährung? Habt ihr die Phase, in der man mit Nudelpampe mit Ketchup glücklich war, schon hinter euch gelassen?

Tobert: „Da war man nie mit glücklich.“

Peter: „Wir kommen natürlich nicht mit einer Cateringliste an, aber Abendessen und Frühstück – vegetarisch oder vegan – sollten schon sein.“

Roland: „Man merkt aber, dass die Leute sich mittlerweile schon mehr Mühe geben.“

Die Getränke natürlich nicht zu vernachlässigen.

Roland:
„Das ist manchmal echt hart: Da kriegen wir vier Kästen Bier hingestellt und nichts anderes, und müssen höflich nachfragen, ob wir nicht einen der Kästen gegen einen mit Wasser tauschen können.“

Ansonsten lief die Mini-Tour aber gut?

Peter:
„Wenn du die paar Tage eine Tour nennen willst ... Es war sehr unterschiedlich. Wir haben in Kassel mit den BEATSTEAKS gespielt, da waren elfhundert Leute da, einen Tag später in Köln mit TREND auch noch 450, in Luxemburg waren es so ca. 250 und in Siegen haben wir im Keller einer Pizzeria gespielt. Sehr skurril das Ganze, aber super Essen.“

Im „Schwan“-Booklet sowie auch in etwas anderer Form schon bei „Flamingo“ steht: „TURBOSTAAT sind und werden auch immer bleiben: Jan Marten Roli Tobi Peter“. Zieht ihr das durch, TURBOSTAAT sterben zu lassen, sollte einer aussteigen? Also quasi das Dischord-Modell?

Tobert:
„Definitiv. Anders geht das nicht.“

Jan: „TURBOSTAAT kann nur so bestehen, wie es jetzt ist und wie es in den letzten fünf Jahren gewachsen ist. Nur diese Konstellation funktioniert. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass da jemand anderes neben mir steht und Gitarre bei diesen Songs spielt. Ich sähe das auch nicht gerne, wenn jemand anderes singen würde.“

Peter: „Das Bandgefühl ist nur mit diesen Leuten möglich, da ist nichts austauschbar.“

Roland: „Man kann natürlich mit anderen Leuten, anderen Liedern und anderem Namen ein anderes Bandgefühl aufbauen. Wir fallen ja nicht tot um, falls mal einer aussteigen sollte. Aber dieses ‚Wir holen einen Neuen, proben zwei Wochen und gehen wieder auf Tour‘ funktioniert bei uns nicht.“

Ihr seid also eine demokratische Band ohne Bandleader, der sich die nötigen Musiker zusammensucht.

Roland:
„Den größten Teil der Lieder macht zwar schon Marten, aber im Proberaum wird um jeden Ton gekämpft, bis alle zufrieden sind. Auch die Texte schreibt alle Marten, weil er das kann, und nur um der Demokratie Willen selbst was zu schreiben und einzubringen, was aber nicht so gut ist, macht keinen Sinn“

Marten: „Dafür kümmert sich Peter fast alleine ums Booking und Tobi macht die visuellen Sachen wie das Layout. Aber auch da reden alle mit.“

Es gibt viele Bandnamen, die gut klingen, aber völlig sinnlos sind. TURBOSTAAT in Assoziation mit Turbokapitalismus lässt einiges zu in Sachen Interpretation, sei es politisch oder philosophisch. Gab es solche Hintergedanken bei der Wahl des Bandnamens?

Jan:
„Da bist du schon auf dem richtigen Weg. Irgendwann hat Marten das Wort Turbokapitalismus mal als Erklärung des Bandnamens benutzt, aber als er damals im Proberaum den Namen TURBOSTAAT aufbrachte, da habe ich mir keine Gedanken über Interpretationen gemacht, da gefiel mir einfach die Konstellation aus Turbo und Staat, das fand ich passend für Punkmusik.“

Roland: „Unseres Wissens nach ist TURBOSTAAT zwar eine Wortneuschöpfung, aber im Internet ließ sich vor einiger Zeit über eine Suchmaschine auch ein Eintrag irgendeiner seriösen Zeitung finden, in dem das Wort Turbostaat als Zustandsbeschreibung für Schröders Bundesrepublik benutzt wird. Und vor ein paar Wochen habe ich das Wort noch mal in einer bayerischen Zeitung gelesen.“

Marten: „Als mir der Name damals eingefallen ist, fand ich nur die Vorstellung eines Staates, der auf Turbo schaltet interessant, aber ein politisch etwas versierterer Mensch hat mir erzählt, dass es das Wort wohl schon länger in linken Kreisen gibt.“

Inwieweit würdet ihr euch als politische Band sehen, abgesehen davon, dass man als Punk per se ja irgendwie politisch ist?

Roland:
„Wir sind sicher keine aktionspolitische Band. Politisch sein passiert eher im privaten Leben, wo man sich gar nicht unpolitisch verhalten kann, wo jede Haltung, die du an den Tag legst – oder auch nicht – eine politische Aussage ist. Natürlich handeln unsere Texte nicht von Mädchen und Bier, sondern entstammen auch diesem politischen Kontext, aber wir treiben uns als Band nicht auf Demos rum.“

Wie sind die Resonanzen auf „Schwan“? Könnt ihr sehen, ob mehr passiert als nach der Veröffentlichung von „Flamingo“, ist so eine Art Karrieresteigerung zu bemerken?

Roland:
„Es hat sich schon immer kontinuierlich entwickelt, aber als wir direkt nach der Veröffentlichung von ‚Schwan‘ auf Tour gegangen sind, war das schon erstaunlich, wie viel sich da tut. In Hamburg mussten sogar zweihundert Leute nach Hause geschickt werden, weil der Laden ausverkauft war.“

Peter: „Wobei das aber eine Ausnahme ist. Im Schnitt kommen so zwischen 150 und 400 Leuten zu unseren Konzerten. Was die Platte selbst angeht: Wir waren bereits bei ‚Flamingo‘ überrascht, wie gut die eingeschlagen hat, dadurch kamen ja die meisten Leute auf uns und diejenigen, die die alte Platte mochten, haben natürlich auch die neue gekauft. Im Großen und Ganzen haben wir eher positive Reaktionen bekommen, mehr Magazine schreiben über uns, dadurch kommen auch wieder mehr Leute und im Zuge der neuen verkauft sich auch die alte Platte wieder. Ihr kennt das ja.“

Wie weit darf das denn gehen? Kann die Band irgendwann zum Beruf werden?

Peter:
„TURBOSTAAT sind keine Hobbyband, die wir nur aus Spaß mal am Wochenende machen. Wir leben das , es ist unsere große Leidenschaft, und die Band hat oberste Priorität.“

Tobert: „Bei mir ist es so, dass ich neben der Band so gut wie nichts anderes mache. Das aber Beruf zu nennen, sehe ich eher fragwürdig, ich würde das mehr daran messen, wieviel Zeitaufwand es für mich bedeutet. TURBOSTAAT ist halt das, was ich mache. Und ich würde die Zeit, die ich für die Band aufbringe, auch gar nicht reduzieren wollen, eher noch mehr Zeit investieren, sollte es dazu kommen.“

Irgendwann ist man aber an dem Punkt, an dem man gar keine Zeit mehr für einen normalen Job hat, und das Ding, in das man 50 Stunden die Woche investiert, dann auch das Leben finanzieren muss.

Peter:
„An diesen Punkt möchte ich nicht gelangen, weil die Zugeständnisse und der Druck, diese auch einzugehen, zu groß werden. Dann muss man Konzerte danach auswählen, wo das meiste Geld drin steckt. Wir können nach wie vor vom Soli-Konzert über kleine bis hin zu großen Läden alles spielen, und das ist super. Wenn es in der Form größer wird, wie es bisher gewachsen ist, und wir den Finger weiterhin selbst draufhaben – wir haben ja keine Agentur oder ein Management, was so ein ‚größer werden‘ mit sich bringen würde – und dann auch finanziell mehr rüberkommt, wäre das völlig okay.“

Marten: „Der wichtigste Punkt ist wirklich, wie du so was gestaltest. Diese Hauruck-Methoden um größer zu werden, das ist nicht unser Ding.“

Roland: „Aber um nicht missverstanden zu werden: Wir sagen nicht, dass unser Weg der ist, den man gehen muss und die Bands, die es anders machen – egal, ob damit erfolgreich oder nicht – es falsch machen. Aber wir haben den Luxus, Nein sagen zu können, den Bands, die von ihrer Musik leben, manchmal nicht mehr haben.“

Tobert: „Die gleichen Freiheiten und Qualitäten behält man wahrscheinlich nur, wenn man versucht, so viel wie möglich selbst zu machen. Ich denke, es geht gar nicht anders, in einem Indie- oder Punkrahmen größer zu werden und davon zu leben, als so. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es funktioniert, wenn man sich der großen Mechanismen bedient. Vielleicht geht‘s ja doch, aber für mich nicht.“

Ihr habt ja zusammen mit den BEATSTEAKS in Berlin in einem Laden gespielt, in den man privat eventuell gar nicht gehen würde.

Marten:
„Ja, da haben manche Leute gemeckert. Aber wir spielen dann eben eine Woche später in einem Abbruchhaus nebenan. Diese Dualität ist wichtig.“

Tobert: „Sicher ist das ein anderes Level und eine ganz andere Szenerie, aber in so einem Fall stelle ich diesen Anspruch von wegen ‚Scheißladen‘ nicht. Wir haben dort gespielt, weil wir mit den BEATSTEAKS spielen wollten und sie uns eigeladen haben.“

Was kommen denn normalerweise für Menschen zu euren Konzerten?

Marten:
„Das ist ganz unterschiedlich. Vom derben Nietenkaiser bis hin zum Studenten ist da alles dabei.“

Peter: „Aber nicht das typische Deutschpunkpublikum, trotz deutscher Texte und Punkmusik.“

Mit diesem Uffta-Uffta-Sound, der früher leider gleichbedeutend war mit deutschem Punkrock, habt ihr ja eh nichts gemein.

Roland:
„Für mich waren Bands wie SLIME oder CANALTERROR früher wichtig, und ich finde, dass Bands, die auch heute noch so einen Sound spielen, ihre Berechtigung haben. Ich würde mich selber zwar nicht so ausdrücken wollen, finde es aber sympathisch.“

Jan: „Ich weiß gar nicht, wann wir das letzte Mal mit so einer richtigen Deutschpunk-Band gespielt haben. Ich kann mich noch an KÖTERKACKE aus Berlin erinnern, aber das ist auch schon wieder drei Jahre her.“

Eure Einflüsse liegen eh nicht im klassischen Deutschpunk. Gerade Jans Gesang weckt doch immer wieder Assoziationen zu ANGESCHISSEN, DACKELBLUT und den anderen Bands, in denen Jens Rachut sang oder singt. Oder liegt das an der norddeutschen Herkunft?

Marten:
„Dabei vergessen viele Leute aber immer gerne, dass in Hamburg neben Jensen auch noch ein paar andere Leute wohnen, die schon vor DACKELBLUT so einen Sound gemacht haben, wie SHEEP ON A TREE, 3000 YEN oder TORPEDO MOSKAU.“

Roland: „Deswegen haben wir auf unseren Platten ja auch Songs von denen gecovert, um diese Bands ein wenig aus ihrer unberechtigten Vergessenheit zu holen. Natürlich gibt‘s Ähnlichkeiten zu den genannten Bands, wobei ich doch finde, dass wir anders klingen. Ich würde ja MCLUSKY auch nicht vorwerfen, ein PIXIES-Abklatsch zu sein, nur weil sie ähnlich klingen. Mein Vater hat uns mal mit den TOTEN HOSEN und den ÄRZTEN verglichen, weil er eben sonst nichts kennt, was so ähnlich klingt. Wenn man nun nichts anderes kennt als DACKELBLUT, dann fällt einem auch nur dieser Vergleich ein.“

Jan: „Es sind halt nicht nur drei Akkorde, es ist deutsch, es reimt sicht nicht immer und es ist ein bisschen aggressiver. Da wird die Auswahl an Bands, mit denen man vergleichen kann, recht eng.“

Roland: „Ich finde aber doch, dass unsere Gitarren ganz anders klingen, dass Peters Schlagzeugspiel ganz anders ist und Jans Gesang ist zwar heiser, er keift und singt deutsch, aber er klingt nicht wie Jensen. Dessen Stimme ist außerdem einzigartig, den hörst du unter Tausenden hervor. Niemand klingt wie dieser Mann.“

Tobert: „Ich finde das außerdem total an den Haaren herbei gezogen, einen bestimmten Sound mit einem Standort zu verbinden. Wenn sich jemand eine Hornbrille aufsetzt, einen Pony schneidet und mit der Gitarre schnullige Lieder singt, dann kann der auch in Indien sitzen und Britpop machen.“

Wobei das aber auch mal eine englische Kolonie war ...