BALZAC

Scary Guys

Anfangs als reine MISFITS-Clones belächelt, haben es BALZAC mit nur zwei Veröffentlichungen geschafft, viele Fans in Europa von sich zu überzeugen. Ihre gerade absolvierte erste Tour hierzulande kann folglich auch als ziemlicher Erfolg gewertet werden. Irgendwie ist ein Kult um die vier Japaner entstanden, dem wir nachgehen mussten. Wir trafen BALZAC bei Konzerten in Köln und Solingen, wo mit Hilfe der Übersetzungskünste von Tourbegleiter Lobi (der übrigens einst bei der deutschen Hardcore-Legende MOTTEK spielte) das Interview mit Frontmann und Bandboss Hirosuke entstand.

BALZAC sind das erste Mal in Deutschland – mit was für Klischees und Vorstellungen im Kopf seid ihr hier angekommen?


„Hahaha, wir dachten, alle Deutsche seien so groß wie Jens von GIGANTOR – bis wir Tilo, die andere Hälfte von G-Force trafen. Und wir wussten nicht, dass es hier überall so schön grün ist.“

Apropos: Welche deutschen Bands außer GIGANTOR und den SCORPIONS kanntest du?

„Ich kannte MAD SIN, mit denen wir glücklicherweise auf dieser Tour auch gespielt haben. Und die SPERMBIRDS kenne ich auch, noch aus ganz frühen Punkrock-Tagen.“

Die haben jetzt ein neues Album raus.

„Echt? Das muss ich unbedingt hören. Wir sind hier in Deutschland auch ständig in Plattenläden.“

Das ist ja schon mal billiger als in Japan.

„Auf jeden Fall, und ich habe auch schon reichlich eingekauft – übrigens nicht nur Sachen, die was mit den BEATLES zu tun haben. Und erfreulicherweise habe ich auch ein paar MISFITS-Bootlegs gefunden, die ich noch nicht kannte.“

Wie muss man sich BALZAC-Konzerte in Japan vorstellen? Man hört ja, dass ihr dort große Hallen füllt, während es hier doch eher kleinere Clubs sind.

„Es ist nicht so, dass wir in Japan nur in großen Hallen spielen, auch da spielen wir Shows in kleinen Läden. Die Größenordnung liegt zwischen 250 und 1.500 Leuten. Die Größe des Clubs ist uns auch egal, wir spielen überall. Ich bin auch sehr glücklich darüber, dass wir hier in Deutschland in kleinen Clubs spielen, denn das macht einfach richtig Spaß. In Japan ist es allerdings so, dass wir immer einen riesigen Tour-Tross mit ca. 12 Leuten dabei haben, und auch alle zwei Tage einen Off-Day. Das ist nicht ganz so anstrengend.“

Ist Punk in Japan eher ein Phänomen der großen Städte, oder findet das auch in der Provinz statt?

„Nein, das beschränkt sich nicht nur auf die Großstädte, Punks findest du auch in den ländlichen Gegenden. Und in jeder kleineren Stadt gibt es ein ‚Livehouse‘, eine Konzerthalle, wo man spielen kann.“

Was für Parallelen, was für Unterschiede hast du festgestellt?

„Ähnlich ist es in der Hinsicht, dass es überall ein ‚Livehouse‘ gibt, doch in Japan ist das nicht mit einer Kneipe verbunden. Da treten nur Bands auf, da wird nicht getrunken. Der größte Unterschied ist aber, dass die Bands in Japan viel früher auftreten, so um sieben oder acht, spätestens um neun ist alles wieder vorbei.“

Und wie gefällt es euch da hierzulande, mit späten Konzerten, bei denen auch gerne viel getrunken wird?

„Ich finde es auf jeden Fall interessant, das zu erleben, denn ich bin ja das erste Mal in Europa. Betrunkene Leute auf den Konzerten sind schon eine neue Erfahrung für uns, haha.“

Eine BALZAC-Spezialität, die man so in Deutschland nicht kennt, ist das unglaubliche Merchandise-Sortiment, das BALZAC in Japan am Start haben. Ist das da so üblich oder seid ihr auch für Japan in der Hinsicht was Besonderes?

„Haha, nein, selbst für japanische Verhältnisse haben wir vergleichsweise viel Merchandise am Start! Vielleicht schon ein bisschen zu viel, aber egal. Das Ganze war meine Idee, ich habe mir viel davon ausgedacht, aber die anderen in der Band haben auch eine Menge Ideen, und so kommt eins zum anderen. Und dann kommen natürlich noch unsere Fans mit Ideen an, und die greifen wir manchmal auch auf.“

Gibt es auch Merchandise-Bootlegs?

„Haha, leider ja! Ich bin selbst immer wieder überrascht, auf was für Ideen die Leute noch kommen, hahaha. Gerade von diesen BALZAC-Spielzeugpuppen gibt es eine Menge Bootlegs, aber eigentlich ist mir das egal. Sicher, es ärgert mich, dass wir dafür kein Geld sehen, aber an sich finde ich das cool.“

Macht das außer BALZAC noch jemand so exzessiv?

„Also es gibt ja wirklich hunderte Arten von verschiedenem Merchandise, von Artikeln. Und ja, es gibt ein paar andere Bands, die versuchen uns nachzueifern, aber natürlich kommen die nicht an uns ran, hehehe. Es gibt mittlerweile wirklich hunderte T-Shirts von uns, ich denke, da kann uns keiner das Wasser reichen. Wir haben sogar zwei Geschäfte, die nur BALZAC-Sachen verkaufen.“

Was macht die BALZAC-Fans so verrückt nach diesem Zeug?

„Das sind wahrscheinlich alles so Typen wie ich. Ich bin ein völlig fanatischer Sammler von allem, was mit George Harrison zusammenhängt, und da kann ich mir schon vorstellen, dass es auch Leute gibt, die alles von BALZAC haben müssen.“

Ihr übertrefft damit fast KISS, die Erfinder des Merchandise-Wahns. Wird es demnächst auch Särge, Kondome und Toiletten-Papier von BALZAC geben?

„Haha, schön wär‘s. Wenn die Fans das wollen, vielleicht.“

Wieso BALZAC? Was hat der Name mit dem französischen Schriftsteller Honoré de Balzac zu tun?

„In der Tat kommt unser Name von diesem Schriftsteller, es ist mein Lieblingsschriftsteller. Da bot es sich an, die Band danach zu benennen. Ich lese insgesamt sehr viel, sowohl japanische wie ausländische Autoren. Besonders interessieren mich dabei Kunstbücher, denn ich habe Design studiert.“

Machst du denn dann auch die gesamte BALZAC-Graphik selbst?

„Ja, alles. Allerdings nicht nur am Mac, sondern auch noch sehr viel von Hand.“

Mit japanischen Bands ist die Kommunikation immer etwas schwierig, weil sie kaum Englisch sprechen. Hast du dafür eine Erklärung?

„Das japanische Schul- und Erziehungssystem ist einfach Mist, da wird kein Wert auf das Sprechen der englischen Sprache gelegt. Heute weiß ich auch, dass ich besser Englisch gelernt hätte, hahaha.“

Generell ist ja der größte Kritikpunkt bei euch, dass die Texte nicht zu
verstehen sind ...


„Das liegt natürlich daran, dass ich meine Texte auf Japanisch schreibe und die dann übersetzen lasse. Ich versuche außerdem, mich immer recht gewählt auszudrücken, was das Verständnis der Texte noch zusätzlich erschwert. Mich selbst stört das nicht so. Ich singe eben über einige persönliche Dinge, die auch nicht jeder verstehen muss. Bei uns kommt es einfach auch auf die Atmosphäre an, die die Stimme in Verbindung mit der Musik vermittelt.“

Persönliche Texte? Bei BALZAC erwartet man eigentlich eine Ansammlung von Horror-Klischees in den Lyrics.

„Klar verarbeiten wir Horror-Themen, aber eben inspiriert von der japanischen Art des Horrors. Der ist eben eher psychologisch als körperlich, und so kann man seine persönlichen Albträume gut in solche Texte einbringen.

Das Thema „Horror“ in Verbindung mit Punkrock scheint derzeit recht aktuell zu sein, und BALZAC waren mit den Song „Wall“ auch auf der „This is Horrorpunk“-Compilation vertreten. Seht ihr euch als Teil dieser Szene?

„Ich liebe viele der neuen Horrorpunk-Bands, und bin immer auf der Suche nach guten neuen Sachen. Also fühlen wir uns schon irgendwie da zugehörig. Anderseits aber auch nicht, schließlich gibt es BALZAC schon seit vielen Jahren, und ich war schon als Teenager Horror-Fan. Auch musikalisch unterscheiden wir uns von den anderen Bands.“

Die MISFITS haben ja sehr viele Bands inspiriert, die heute ähnlichen Sound fabrizieren. Was ist mit euch? Gibt es in Japan schon BALZAC-Clones?

„Es gibt wirklich schon Bands mit Devilocks oder Skeletthandschuhen, die durch uns auf diesen Sound gekommen sind. Aber die sind weder bekannt, noch haben sie bisher Platten veröffentlicht. Wir empfinden das aber trotzdem als große Ehre.“

Joachim Hiller, Thorsten Willms
Foto: Sponge-Pix