CHALLENGER

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Herausfordernde Meilensteine

Im Frühjahr erschien mit „Give People What They Want In Lethal Doses“ via Jade Tree das begeisternde Debüt von CHALLENGER aus Chicago. Die geben sich da altmodisch, ohne retro zu wirken, lassen den D.C.-Sound der späten Achtziger auf Chicago-Klassiker à la NAKED RAYGUN treffen, spielen wütenden, kantigen, treibenden Rocksound, der einfach gefällt. Neu ist das nicht, aber gut, und neu im Geschäft sind auch die Beteiligten nicht: Gitarrist Dave Laney und Sänger/Bassist Al Burian sind die Gründungsmitglieder von MILEMARKER. Als Email-Interviewpartner suchte ich mir Al aus, denn der ist seiner deutschstämmigen Mutter wegen dieser Sprache auch schriftlich mächtig. Was folgt ist, was bei einer US-Band ja eher Seltenheitswert besitzt, kein aus dem Englischen übersetztes Interview.

Es gab mal eine deutsche Hardcoreband namens CHALLENGER CREW – hat euer Name den gleichen Hintergrund?


„Ja, die Band kenne ich von der ‚Viva Umkohnto‘ Compilation, von 1987. ‚Challenger Crew‘ ist als Bandname eindeutiger; da kann man die Bedeutung kaum missverstehen. Bei uns war es nicht genau so – wir haben den Namen Challenger wörtlich als ‚Herausforderer‘ gewählt, was irgendwie für uns die richtigen persönlichen und politischen Andeutungen hatte. Man kann sich ja vorstellen, dass die NASA aus ähnlichen Gründen diesen Namen gewählt hat. Es ist auch natürlich, wenn Leute den Bandnamen mit dem Space Shuttle-Unfall verbinden, besonders in den USA. Es macht mir Spaß, wenn irgendjemand sagt, dass der Name offensiv sei. Dazu sage ich: Hey, das ist ein Wort, das ‚Herausforder‘ bedeutet! Es ist nicht meine Schuld, dass ihr alle ein schlechtes Gewissen habt.“

Warum CHALLENGER als „Sideproject“ zu MILEMARKER? Wo sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten?

„MILEMARKER hatte von Anfang an bestimmte Grundregeln. Zum Beispiel, durfte niemand in der Band einem anderen Mitglied gegenüber Nein sagen. Wenn ich also gerade an Hardcore-Songs arbeitete, und Ben Davis plötzlich in eine New Wave-Richtung ging, konnte ich nicht sagen: ‚Hey, das geht nicht. Das passt nicht in meine Vorstellung von dieser Band.‘ Stattdessen mussten wir lernen, alle Ideen zu integrieren. Das war anfangs sehr chaotisch und schizophren; nach einer Weile haben wir aber einen bestimmten ‚Sound‘ entwickelt. Allmählich merkt man, dass man sich dabei selbst zensiert – wir wussten zum Beispiel alle, ohne es zu diskutieren, dass die CHALLENGER-Lieder nicht bei der jetzigen Entstehung von MILEMARKER reinpassen würden. Also, neue Band, ähnliche Grundregel, aber von Anfang an ein definierterer ‚Stil‘ – CHALLENGER ist eben ein poppigerer und auch aggressiverer Punksound als MILEMARKER, was sich gerade eher in eine Psychedelic-Richtung entwickelt.“

Eure musikalischen Vorbilder? Euer Infosheet erwähnt NAKED RAYGUN und EFFIGIES, zwei meiner absoluten Lieblingsbands.

„Ich kann da musikalische Ähnlichkeiten sehen, aber eigentlich sind die beiden Bands mehr wegen ihrer geographischen Nähe erwähnt, glaube ich, denn die kommen auch aus Chicago. Ich finde die Musikszene hier tatsächlich sehr inspirierend, und verstehe viele Bands aus dieser Gegend auch viel besser, seit ich hier wohne – JESUS LIZARD zum Beispiel oder TRENCHMOUTH. Die musikalische Reaktion auf die Umgebung in Chicago scheint gespalten zu sein, zwischen sehr sanftem, technisch kompliziertem ‚Post-Rock‘ und Bands wie NAKED RAYGUN oder sogar SHELLAC. Wir wollten eine Platte machen, ohne allzu viel darüber nachzudenken, ohne bestimmte Vorbilder – einfach das aufnehmen, was natürlich aus uns raus kam. In dieser Hinsicht kann ich aber nachvollziehen, dass wir ziemlich in der Chicago-Punkecke sitzen.“

Was machen MILEMARKER derzeit? Eine kreative Pause?

„Ja, so ungefähr. Wir haben neue Lieder für eine halbe Platte, aber im Moment proben wir nicht oft, weil Dave und ich mit CHALLENGER sehr beschäftigt sind. Mit MILEMARKER ist es so, dass wir, unserer Meinung nach, sozusagen das Ziel erreicht hatten: Wir waren relativ populär, hatten einen guten Plattenvertrieb und konnten nach etlichen Touren überall in der Welt Konzerte spielen, und dabei Leute treffen, die unsere Band gut fanden. Vom Standpunkt von vier Punks, die in einem Keller in North Carolina eine Hardcore-Band gegründet hatten, war das ein Signal, eine Flasche Champagner zu öffnen und unseren Sieg zu feiern. Aber vom Musikindustrie-Standpunkt sieht man das ganz anders. Plötzlich hatten wir ein Label, eine Touragentur, einen Presseagenten, und alle sagten uns: ‚Wenn ihr 10.000 Platten verkaufen könnt, könnt ihr 20 oder 30.000 Platten verkaufen! Ihr müsst jetzt ständig auf Tour, eure Karriere fängt jetzt an!‘ Diese Leute sind dabei natürlich nur an Geld interessiert – ihnen ist es egal, ob wir in der Band alle miteinander gut auskommen, oder ob wir Musik machen, auf die wir stolz sind. Das ist für uns total unmenschlich und wenig interessant. Wir sind Jahre lang ständig auf Tour gegangen, weil wir das so wollten. Ich finde diese ganze Karrierementalität dabei total scheiße. Ich möchte schon gerne mit MILEMARKER weitermachen, aber ich will, dass diesen Leuten klar ist, dass wir uns weigern, in diesem Kontext weiterzumachen. Wir warten einfach, bis der Druck weg ist. Wie gesagt, ich bin zufrieden mit der Band, und wo wir damit gelandet sind – wenn wir nicht weitermachen, ist das auch okay. Ich will nur nicht etwas werden, was wir nie seien wollten, nur weil die Gelegenheit da ist.“

Ihr wart/seid Teil der Punkvoter-Tour. Warum?

„Als Musiker hat man keinen besonders starken politischen Einfluss. Man kann Lieder schreiben, oder sich von der Bühne aus über Big Brother und Mobiltelefone und so was beklagen, aber ich bilde mir nicht ein, dass das einen großen Effekt hat. Auf der Punkvoter-Tour wird man zumindest die Gelegenheit haben, das Publikum zum Wählen zu animieren – das finde ich wichtig. Die letzte US-Präsidentenwahl entschied sich aufgrund von 600 Stimmen! Dass mehr Leute wählen, ist hier sehr wichtig, denn mit einem so schmalen Spielraum ist es einfach zu leicht, Wahlbetrug zu organisieren. In den USA merkt man, dass die Leute im rechten Spektrum der Politik sich viel besser organisieren können, als wir hier auf der linken Seite. Das ist ja auch klar: Die Rechten haben ihre Konformität und Herdeneinstellung, während die Linken Individualität und Selbstbestimmung als Hauptwerte preisen. Ich zum Beispiel habe kein Interesse, mich mit der Demokratischen Partei, den Grünen oder sonst einer sozialistischen, anarchistischen oder kommunistischen Organisation in diesem Lande zu identifizieren. Dabei bin ich doch politisch eingestellt und weiß, dass man, ohne sich mit Anderen zusammenzutun, keine Chance hat, die politische Lage zu verändern. Ich versuche also, ein pragmatischer Idealist zu seien. Die politische Tendenz von Punk ist die einzige, mit der ich mich, seit ich von Politik irgendeine Ahnung habe, immer irgendwie identifizieren konnte. Die konkreten Standpunkte von Fat Mike oder Punkvoter sind nicht unbedingt meine eigenen, aber zumindest haben diese Leute eine ähnliche Basis. Na ja, ich bin zur Zeit dieses Interviews noch nicht auf der Tour gewesen, mal sehen, was der Eindruck am Ende ist.“

Was hältst du von Conservativepunk.com?

„Diese Website kommt auch aus North Carolina, wo ich aufgewachsen bin. Da gab es eine Skinhead-Band namens PATRIOT. Ich arbeitete vor Jahren in einer Druckerei, zufälligerweise zusammen mit dem Schlagzeuger. Der war total nett, sehr klug und sehr offen, und er konnte seine konservativen Ideen gut verteidigen. Wir haben uns oft über Politik unterhalten, dabei haben wir uns natürlich sehr gestritten, aber dennoch haben wir uns gut verstanden und gegenseitig respektvoll behandelt. Dass seine Kumpels, die sich als ‚anti-racist skinheads‘ bezeichneten, dann gelegentlich Schwule oder Frauen verprügelten, war eher Nebensache. Also, wenn ich von ‚conservative punks‘ höre, ist das nichts Neues, die waren ja schon immer da. Dave Smalley zum Bespiel schreibt auf der Website ‚Mit 16 bis 18 Jahren war ich Anarchist, jetzt, wo ich 30 bin, verstehe ich aber, das Reagan Recht hatte.‘ Es ist aber bekannt, dass Smalley in diesem Alter an der Entwicklung von intoleranten, faschistischen Tendenzen der Bostoner Straight Edge-Szene beteiligt war. Das nennt sich dann ‚Anarchie‘ ... Meiner Meinung nach waren diese Leute schon immer in Randbereichen der Szene aktiv – und ich bin froh, wenn sie sich als das zeigen, was sie sind. Desto schneller können wir sie loswerden.“

Auf eurer Website erklärt ihr den Hintergrund jedes Songs - warum? Viele Bands lassen ihre Fans ja eher im Unklaren über die Bedeutung.

„Die Inspiration dafür kam von BIG BLACK. Ich fand es immer cool, dass Steve Albini, anstatt Texte zu drucken, eine kurze Geschichte, die irgendwie zum Thema des Liedes passte, aufschrieb. Dabei wurden die Lieder gar nicht ‚erklärt‘, stattdessen musste man darüber nachdenken, um sie zu entschlüsseln. Wir haben das Textblatt der CHALLENGER-Platte absichtlich unlesbar gemacht. Dabei kann der Zuhörer zwischen verschiedenen Bedeutungsebenen wählen. Man kann sich einfach die Musik anhören, oder man kann sich ein bisschen anstrengen, und die gedruckten Texte entziffern. Bei weiterem Interesse kann man die Texte auch auf der Website finden. Es kommt eben darauf an, wie weit man sich da reinbewegen will. Die Erklärung der Texte sollen auf jeden Fall keine endgültigen Erklärungen sein – kein Lied hat nur eine Bedeutung. Zum Beispiel schreibe ich bei ‚Blackouts‘ etwas über den Stromausfall in New York, obwohl es in dem Lied eigentlich um etwas ganz anderes geht. Ich wollte die doppelte Bedeutung klarmachen, denn ‚Blackout‘ kann sowohl ‚Stromausfall‘ als auch ‚Bewusstseinsverlust‘ bedeuten.“

Was macht dein Fanzine „Burn Collector“?

„Ich arbeite gerade an Nr. 13. Hoffentlich habe ich es bis zur Europa-Tour fertig, die im September stattfindet. Wenn nicht, dann bringe ich wenigstens die letzte Ausgabe mit. Ich dachte eigentlich immer, dass es außerhalb englischsprachiger Länder nicht viel Interesse dafür geben würde, das ist nämlich so ein Ego-Fanzine, wo ich irgendwelchen Quatsch aus meinem Leben erzähle. Aber anscheinend habe ich mich geirrt, denn ich werde häufiger danach gefragt, was mich natürlich freut.“