SOME GIRLS

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Leben unterhalb der Armutsgrenze

SOME GIRLS ist eine dieser Bands, bei der Jungs wohl schwache Knie bekommen. Zumindest mehr als Mädchen. Der Grund dafür ist, dass es sich bei SOME GIRLS wohl um eine so genannte All Star-Band handelt. Denn neben Wes Eisold von GIVE UP THE GHOST sind noch Rob Moran von UNBROKEN sowie Justin Pearson von THE LOCUST bzw. den legendären SWING KIDS am Start. Justin Pearson (nachfolgend JP genannt) ist einer dieser Menschen, vor denen ich schon ewig einen Heidenrespekt habe, da er immer in Bands gespielt hat, die noch ein Stückchen kreativer und innovativer als der Rest der Welt waren. Und genau deswegen habe ich JP ein paar Fragen zu Musik, Politik und einigen anderen Dingen gestellt, denn SOME GIRLS verdienen definitiv Aufmerksamkeit, wie auch JPs Werdegang.

JP war schon an Musik interessiert, als er gerade fünf oder sechs Jahre alt war. Allerdings fing er erst im Alter von 14 an, selber Musik zu machen. Mit 15 war er in seiner ersten Band, STRUGGLE, und die fing auch gleich mit dem Touren an. JPs Glück war in dieser Hinsicht wahrscheinlich auch, dass er aus San Diego stammt, einer dieser Hochburgen für Untergrundmusik in den 90ern. Allerdings scheint mir, als hätte sich diese Szene inzwischen drastisch verkleinert, als wären viele Leute in andere Städte wie Chicago oder L.A. gezogen. Auf die Frage wie San Diego heute sei, meint JP, dass Sachen sich eben verändern und weiterentwickeln, aber sich manchmal auch zurückentwickeln. „San Diego war in Bezug auf Bands und Leute immer gut. Meine einzige Kritik an San Diego ist, dass es nicht genügend Räume für Kunst und Musik gibt. Insbesondere All Ages-Venues,“ meint JP. „Aber die Leute sind sehr kreativ hier und es gibt ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl. Eigentlich ist das komisch, da San Diego eine sehr konservative Stadt ist. Aber vielleicht ist auch genau das der Ansporn dafür, dass die Leute hier einen Gegenpol schaffen wollen. „
Für ihn war Musik schon immer politisch, nicht dass er amerikanische Flaggen verbrannt hat oder „I hate cops“ schreiend durch die Straßen gelaufen ist. Er bezog sich immer spezifisch auf Dinge, von denen er dachte sie seien wirklich wichtig. „Ich denke, dass Musiker und Künstler allgemein Leute ganz schnell abschrecken, wenn sie zu dogmatisch sind. Aber bei THE LOCUST- und SOME GIRLS-Shows haben wir zum Beispiel einen ‚Planned Parenthood‘-Stand. Ich denke, dass diese Organisation eine der wichtigsten ist, die es im Moment gibt. Denn dieses Thema ist für alle relevant. Für Menschen aller Altersgruppen, aller Kulturen und Klassen. Ich denke, in den 90ern war Politik mehr in Musik eingebunden. Aber man muss auch mit einbeziehen, was um einen herum passiert. Kunst und Musik sind in erster Linie Reflektionen der Gesellschaft. In den 90ern hatten wir den Golfkrieg, die Rodney King-Prozesse, etc. Und auch nun scheint Musik wieder politischer zu werden, auch aufgrund aktueller Ereignisse.“
Doch hat JP, unabhängig von aktuellen Ereignissen, schon immer alles auf einer DIY-Basis durchgezogen. Er hat sein eigenes Label, Three One G Records, war mit all seinen Bands auf Independent-Labels und hat nie in den Venues der konservativen Mediengruppe Clear Channel gespielt. Er hat sich auch immer politisch, sowie sozial weitergebildet, und zwar auf jedem Level. Angefangen bei seiner Ernährung und seinen Kaufgewohnheiten, über die Wahl der Leute mit denen er zusammen arbeitet oder tourt. Alle Bands, mit denen er auf Tour war, standen immer auf derselben Seite wie er und seine Bands. So hatte er persönlich nie das Gefühl, dass seine Musik sich irgendwann einmal weniger politisch engagiert zeigte. „Bands wie DOWNCAST oder STRUGGLE passierten aus einem bestimmten Grund, und ihre bloße Existenz war das Wesentliche.“ Und an diesem Punkt kommt wieder die Frage ins Spiel, ob Musik sich politisch zurückentwickelt hat oder nicht. Seiner Meinung nach kommt es ganz darauf an, wie man die ganze Sache sieht. „Es gibt Bands, die auf der Bühne eine plakative politisch korrekte Message nach der anderen ablassen und die dann, wenn sie von der Bühne runter kommen, totale Arschlöcher sind. Die sich überhaupt nicht für ‚women‘s issues‘ interessieren, oder nicht darauf schauen, wofür sie Geld ausgeben, und die sich nicht einmal mit Umweltproblemen auseinandersetzen. Also ist das Politische nicht immer offensichtlich.“
Auf die Frage, was er denn an Musik ändern würde, meint er, er würde bei den großen Plattenfirmen anfangen. Mainstream-Musik sei so abgefuckt, da sie ausschließlich von Werbung und Geld kontrolliert wird. Aber andererseits: „Wie würde ich all das ändern, und wieso sollte ich derjenige sein, der dies tun kann? Ich habe wirklich keine Ahnung, wie ich all die Capital Records und Clear Channels dieser Welt eliminieren sollte, genauso wie die Britneys und die KORNs. Denn dann würden wir darüber reden, Gott zu spielen. Würde ich all die Sachen ändern, die mir nicht gefallen, würde ich wohl sehr vielen Leuten ganz schön auf die Füße treten. Ich meine, wer bin ich denn, dass ich das Recht habe zu sagen, was richtig und was falsch ist? Ich konzentriere mich lieber darauf, zu versuchen Leuten bestimmte Dinge zu vermitteln und versuche vorzuleben, was ich für richtig halte.“
Setzt man all dies auf die Weltpolitik um, dann wählt er zwar, allerdings nicht bei den Präsidentschaftswahlen, die in den USA bald anstehen. „Ich bin an Lokalpolitik und neuen Gesetzesvorschlägen interessiert. Aber bei der Präsidentschaftswahl haben wir die Wahl zwischen zwei Marionetten, und ich will lieber gar nicht erst versuchen, herauszufinden, welche das kleinere Übel darstellt. Beide von ihnen haben sich von menschlichen Lebewesen zu Abschaum in Reinform entwickelt. Natürlich denke ich, dass Mr. W. aus dem Amt getrieben werden muss, und zwar aus offensichtlichen Gründen wie seinen Ölgeschäfte und der Freundschaft des gesamten Bush-Clans zur Bin Laden-Familie. Aber ich denke, er hat seine Grenzen eh schon überschritten. Ein kokainsüchtiger Cheerleader kann im Fernsehen nur eine bestimmte Weile lang Scheiße labern, bis es die Bevölkerung ankotzt. Ich denke auch, dass Leute wie Michael Moore und Howard Stern mit ihren groß angelegten Anti-Bush-Kampagnen einen großen Teil dazu beitragen, Bush aus dem Amt zu jagen. Und ich denke, wenn er doch wieder gewählt wird, wird eine Kugel genügen, um dieses Problem aus der Welt zu schaffen. Oder die Welt wird endgültig den Bach runtergehen.“
Auf den finanziellen Part der ganzen DIY-Sache angesprochen, meint JP, dass er von seinen Bands und seinem Label schon leben kann, doch es kommt wohl darauf an, was man als „leben“ bezeichnet. „Natürlich esse ich etwas und habe das Geld, mir ein Haus im Ghetto zu mieten. Man kann von allem leben, wenn man hart genug arbeitet und seinen Lebensstandard dem Minimum anpasst. Ich befinde mich unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, aber ich sage immer ‚Yeah, ich kann vom Musik machen leben.‘ Und dann lache ich etwas. Denn mein Haus ist auch Three One G Records, ich lebe also in meinem Büro.“
Das ist auch das Einzige, was er neben Musik macht – sein Plattenlabel. Denn das zu betreiben, ist ganz schön hart und sehr zeitaufwändig, somit hätte er gar keine Zeit für andere Dinge. Außer Touren natürlich. Viele Leute sprechen ihn darauf an, wie toll es doch sei, dass er die ganze Welt sehen kann. Darauf meint er, dass das auch stimme, doch sieht er die Welt nur durch die Fensterscheibe eines Vans, nur im Vorbeifahren. Doch sei dies besser, als den ganzen Tag in einem Büro zu sitzen und einen Schreibtischjob zu machen.