SPERMBIRDS

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Not Only A Phase

 Die SPERMBIRDS waren eine der ersten deutschen Hardcore-Bands, die ich kannte, und das erste Mal live sah ich sie wohl 1987. Es folgten unzählige Konzerte, in Heidenheim, Schwäbisch Gmünd, Nagold, Dillingen und wie die Käffer in Süddeutschland alle hießen, diverse Auflösungen und Reunions. Und so hat diese Band, die damals aus Kaiserslautern stammte, deren Mitglieder heute aber über die ganze Republik verteilt leben, das Ox von Anfang an begleitet – und das Ox auch die Band. Seit Ende der Neunziger ist man wieder in Originalbesetzung vereint, sprich mit Lee Hollis am Mikrophon, hat mit dem drahtigen Amerikaner und Wahl-Saarländer einen der weltbesten Punkrock-Sänger und -Texter am Start, ganz zu schweigen von der kickenden Old School-Mucke. Dass die SPERMBIRDS auf keinen Fall eine dieser lahmen Reunion-Truppen sind, die für ein paar Shows mit guter Bezahlung ihren guten Ruf ruinieren, bewiesen sie schon mit den diversen Auftritten seit der Reunion, doch dass sie auf ihre alten Tage noch mal so eine exzellente Platte einspielen würden, wie das auf dem bandeigenen Common Thread-Label erschienene „Set An Example“ – das ist schon beispielhaft! Ich unterhielt mich am Tag der Lieferung der neuen CD aus dem Presswerk mit Beppo und Roger in einem Kölner Biergarten.

Beppo, du hast eben die CD ausgepackt. Was ist das für ein Gefühl, nach neun Jahren wieder eine neue SPERMBIRDS-Platte in den Händen zu halten?

Beppo:
„Ich freue mich jedes Mal, vor allem, weil das bei uns immer so lange dauert. Diesmal freut mich das besonders, weil ich mit dem Sound und den Liedern so richtig zufrieden bin.“
Roger: „Wenn man die Platten im Vergleich hört und berücksichtigt, dass man heute andere Soundvorstellungen hat, als vor zehn oder fünfzehn Jahren, ist unsere erste Platte ‚Something To Prove‘ schon hart, verglichen mit den heutigen Standards. Das sage ich auch immer den Leuten, die sie bei Konzerten von uns kaufen.“

Bei MINOR THREAT oder 7 SECONDS ist das aber ja nicht anders.

Beppo:
„Eben, solche Platten würden ja auch an Charme verlieren, würde man so was neu abgemischt und in fetterem Sound veröffentlichen. Solche Scheiben sollte es immer im Originalsound geben.“
Roger: „Auch wenn Bands so was immer von ihren neuen Platten sagen: Ich denke, dass ‚Set An Example‘ von allen Platten den ausgewogensten Sound hat, nur zu vergleichen mit ‚Common Thread‘. Heute gehen wir auch anders ans Plattenmachen ran als früher, mehr mit dem Kopf und weniger mit dem Bauch.“
Beppo: „Man lernt eben auch, ist nicht mehr auf Gedeih und Verderb dem Produzent ausgeliefert.“

Mein erster Eindruck bei der neuen Platte war: Das sind die SPERMBIRDS wie früher.

Beppo:
„Das freut mich, und das ist auch unsere Gefühl.“
Roger: „Das hat unser Produzent Thilo Schenk auch gesagt, der schon mit 14 die SPERMBIRDS gehört hat. Und zwar, bevor noch Lees Gesang aufgenommen war. Das war gutes Feedback.“
Beppo: „Geplant war das nicht, das hat sich so ergeben. Durch die lange Pause haben wir quasi wieder von vorne angefangen, und vielleicht ist es das, was jetzt so old-school klingt.“
Roger: „Außerdem sind die Lieder nicht im Kollektiv entstanden, sondern die hat jeder für sich geschrieben, über einen Zeitraum von sechs Jahren. Und geprobt haben wir sowieso nur zweimal im Jahr. Dass das jetzt trotzdem alles wie aus einem Guss klingt, freut uns natürlich sehr.“

Ihr habt fünf Jahre gebraucht für das neue Album. Warum so lange? Dass ihr es noch könnt, habt ihr doch schon 1999 bewiesen.

Beppo:
„Wir waren eben auch darauf angewiesen, uns um unsere Jobs zu kümmern, um die Miete bezahlen zu können. Das machte die Band notgedrungen zu einer Nebenbeschäftigung, und das ist sie auch heute noch. Von der Band kann man eben nicht leben, das ist bestenfalls mal etwas Taschengeld.“

Die Zeit, wo ihr es wissen wolltet, gab es aber ja durchaus, nämlich 1993 bis 1995, nach dem Ausstieg von Lee Hollis und mit den beiden Alben auf Gun Records und mit Ken Haus als Sänger.

Beppo:
„Missen möchte ich diese Erfahrung nicht, auf keinen Fall. Und immerhin habe ich damals mit der Band mein Studium finanziert – okay, ich habe auch 20 Semester gebraucht, aber es gibt unangenehmere Wege. Anfang der Neunziger mit der Band in Spanien oder in Belgrad zu spielen, das ist unvergesslich. Später gab es mit Ken Haus zwar auch unangenehme Erinnerungen, weil es eben schwer war, mit dem zurecht zu kommen, aber unsere erste Tour mit so einem Nightliner, das war schon was. Oder die Touren mit anderen Bands, wie mit THERAPY? oder CARTER USM, das war spannend. Da konnten wir mal reinschnuppern, wie das so bei Rockstars läuft. Tatsache ist, dass wir bis heute lieber in kleinen Läden spielen als in großen.“
Roger: „Das Einzige, worauf ich damals wirklich hätte verzichten können, war der zwischenmenschliche Stress mit Ken. Vielleicht hätten wir damals den Namen der Band ändern sollen wegen des neuen Sängers, aber dass etwas ein Fehler ist, weiß man eben immer erst hinterher. Ich habe sporadisch mit ihm via E-Mail Kontakt und denke, es geht ihm gut.“
Beppo: „Ken war ja kein totales Arschloch, sondern ein sehr ichbezogener Mensch, ein Kind der MTV-Generation mit anderer musikalischer Sozialisation.“

Wie kommt man nach all den Jahren musikalisch wieder da raus, wo man angefangen hat?

Beppo:
„Das hat was mit unseren jeweils anderen Bands zu tun, so dass immer klar war, mit welcher Band man welchen Sound macht. Wenn mir Lieder einfallen, die wenig mit den SPERMBIRDS zu tun haben, dann fließen die eher bei KICK JONESES ein. Von daher hatten wir bei den SPERMBIRDS schon immer feste Außengrenzen, innerhalb derer wir uns versucht haben. Es war immer klar, dass wir keinen Jazzpunk à la NOMEANSNO spielen, und dass wir nicht Gitarrenpop machen.“
Roger: „Ich habe schon so meine Schwierigkeit, die Platte als richtig Hardcore anzusehen, denn zumindest vom Tempo her sind auf dem Album gar nicht so viele schnelle, harte Songs drauf, vielleicht zwei, drei. Das ist eben eher old-school. ‚Get up‘ ist etwa ein Song, wo nicht klar war, ob er auf die Platte kommt, einfach weil Lee gar nicht wusste, was er dazu singen soll. Er hat dann was ausprobiert, und es funktionierte.“

Sehr angenehm fand ich das Publikum bei eurem Konzert im Underground vor ein paar Wochen: Viele alte Fans, aber auch junge.

Beppo:
„Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass wir nach all den Jahren noch so ein treues Publikum haben. Gerade bei den Konzerten in Köln und Berlin letztens haben wir uns echt gewundert, was da ging, was für eine Atmosphäre da herrschte – eine angenehme, freundliche Pit-Stimmung. Das ist nicht selbstverständlich, und wir werden ja auch älter.“
Stimmt, die Pausen zwischen den Songs waren in Köln recht lang ...
Roger: „Haha, okay, stimmt, aber das lag nicht am Alter: Der eine musste trinken, der andere stimmen, der dritte den Schweiß aus dem Gesicht wischen.“
Beppo: „Wir müssen recht viel stimmen, vielleicht sollten wir die Songs mal anders gruppieren, da hast du Recht.“

Wie geht ihr damit um, dass die frühen Songs, etwa „My god rides a skateboard“, ja aus einer ganz anderen Zeit stammen, der Background von damals heute gar nicht mehr gegeben ist?

Roger:
„Das ist halt ein Party-Stück, das wir auch nur noch selten spielen. Ich verbinde damit keine nostalgischen Gefühle, war aber auch damals, als das entstand, noch nicht in der Band.“
Beppo: „Lee wählt die Songs schon sorgfältig aus, der will nicht alle alten Lieder singen. Und selbst bei manchen von denen, die er singt, hat er Bauchschmerzen, singt sie aber als Zugeständnis an uns und das Publikum trotzdem. Er kann halt hinter manchen Texten nicht mehr stehen, etwa ‚Get on the stage‘ oder ‚Scumbag‘.“

Auf jeden Fall habt ihr „Only a phase“ gespielt, einen meiner liebsten SPERMBIRD-Songs mit einem exzellenten Text zum Thema „Ich verrate die Ideale meiner Jugend“.

Roger:
„Solche Lieder sind einfach zeitlos, wie auch ‚You‘re not a punk‘, die treffen heute wie damals zu. Vielleicht sind sie heute noch wichtiger als damals, denn da war die Szene noch recht klein, da konnte man bei einem Konzert noch eher davon ausgehen, dass die Anwesenden Punk leben, denken und fühlen. Mit der ganzen Kommerzialisierung hat das heute vielleicht noch mehr Bedeutung.“

Was bringt Leute, die geboren wurden, als ihr die Band gegründet habt, dazu auf eure Konzerte zu gehen?

Beppo:
„Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann, da stehe ich vor einem Rätsel – dankbar, aber sprachlos. „
Roger: „Es kommen eben immer Leute nach, und ich stelle ja selbst fest, dass in Punk-Kneipen in Köln auch heute noch die SPERMBIRDS gespielt werden. Und DJs legen unsere Platten auf. Die Leute sind eben immer neugierig, worauf sich die heutige Musik gründet, und dann stößt man vielleicht auch auf uns.“

Viele Bands von damals, von Mitte der Achtziger, als Leute wie Dolf vom Trust, Armin von X-Mist, Thomasso und so weiter den Grundstein zur heutigen Hardcore-Szene legten, sind ja nicht mehr übrig. Wer fällt euch da ein?

Roger:
„Hm, also mir fällt keiner ein, ehrlich gesagt.“
Beppo: „Musikalisch gesehen sind wir wohl die letzte verbliebene Band von damals.“
Roger: „Die ROLLING STONES des Hardcore, haha.“
Beppo: „Aber verschiedene Leute sind ja noch dabei, eben auch Armin und Dolf.“
Roger: „Und die Leute, die damals vor der Bühne tanzten, die stehen heute höchstens mit verschränkten Armen an der Bar und trinken ihr Bier. Und beschweren sich, dass wir nur eine Stunde und 15 Minuten spielen, wie neulich geschehen.“

Das Artwork von „Set An Example“ ist ein Rückgriff auf ganze alte Zeiten, knüpft direkt an „Something To Prove“ an. Wie kam‘s dazu?

Roger:
„Das ist die Figur ‚Cerebus‘ von Dave Sim. Der hat jahrelang diese ‚Cerebus‘-Comicserie gemacht und ist jetzt in Rente gegangen.“
Beppo: „Der ist so was wie der Gott der Independent-Comic-Szene. Wir hatten das Covermotiv damals geklaut, ohne zu wissen, was das für einen Hintergrund hat. Erst später kaufte ich mir ein Heft, und da schrieb dann auf der Leserbriefseite jemand, er habe da so eine Platte einer Band namens SPERMBIRDS gesehen ... Wir hatten schon Angst, verklagt zu werden, aber Daves Antwort war, er sollte diese Band ja eigentlich verklagen, aber er sei nicht so drauf. Daraufhin habe ich in kontaktiert, und dann war das auch wieder okay.“
Roger: „Diesmal lief das alles offiziell, wir haben ihn um Erlaubnis gefragt. Zuerst wollten wir ja nur T-Shirts mit dem alten Motiv machen, aber dann sprach ich mit Lee über ein Cover für die neue Platte und wir kamen auf die Idee, noch mal Cerebus zu nehmen. Das Cover passt auch gut zum Inhalt, finde ich.“

Erschienen ist die Platte auf Common Thread Records, dem bandeigenen Label, für das vor allem du, Roger, verantwortlich bist.

Roger:
„Ja, und wenn das mit unserer Platte gut läuft, sollen da auch andere Bands veröffentlicht werden.“
Beppo: „Vielleicht kann ein Erfolg unseres Albums ja den Grundstock des Erfolges einer anderen Band bilden, aber das muss man mal abwarten.“

War denn kein anderes Label interessiert?

Roger:
„Und ob! Da standen schon ein paar Labels auf der Matte, inklusive eines Majors, aber wir kennen mittlerweile das Geschäft, das stand nicht wirklich zur Debatte.“
Beppo: „Und wir hätten wohl auch nicht deren Erwartungen erfüllen können, etwa was Touren anbelangt. Und ich finde, das passt, dass die Platte jetzt auf unserem Label erschienen ist.“

Jungs, danke für das Interview. Und beim nächsten Konzert will ich „Cave“ hören.