STAGE BOTTLES

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Professionelle Spontaneität

Jeder, der sich auch nur ein bisschen mit Punkrock beschäftigt, weiß es: Die ersten drei Alben einer Band sind die besten. Alles was danach kommt, ist nur noch heiße Luft, und bestenfalls unverbesserliche Die-Hard-Fans und Komplettisten legen sich die Spätwerke zu. Das vierte Studioalbum der STAGE BOTTLES widerlegt diese These. Mit „We Need A New Flag“ klingen die Frankfurter so frisch und so aggressiv, als hätten sie gerade ihr Debüt eingespielt. Wie bringt man nach elf Jahren Bandgeschichte mal eben sein bestes Album heraus?

Sänger und Saxophonist Olaf führt das in erster Linie auf zwei Besetzungswechsel zurück. Die beiden Positionen an Gitarre und Schlagzeug wurden mit Frank und Genschi, beide ehemals WONDER WART HOGS, neu besetzt. „Die beiden Neuen haben viel klarere Vorstellungen von ihren Instrumenten, sind einfach richtig gute Musiker. Außerdem hatten wir im Studio tierisch lange Zeit diesmal, vier Wochen nämlich. Und zum ersten Mal haben wir richtig geprobt, so dass wir, als wir ins Studio gingen, unsere Vorstellungen von der Platte auch umsetzen konnten.“
Nicht zu unterschätzen ist allerdings auch die dicke Produktion unter Mithilfe von Marc Burgnard, der der Band auch mit zahlreichen guten Ideen helfen konnte. Anfangs schien man deswegen aber eher skeptisch. „Wir dachten zuerst, die Platte sei überproduziert. Das war aber nur so eine Phase, vor allem als ich meine Texte schrieb. Ich hab mich noch nie so lange mit den Lyrics beschäftigt wie für ‚New Flag‘. Das liegt vor allem daran, dass ich Anfang des Jahres meine Diplomarbeit zum Thema ‚Jugendsubkulturen‘ angefangen habe und mir zum ersten Mal so richtig bewusst war, was ich da eigentlich schreibe. Ich fürchtete, die Spontaneität gegenüber früheren Texten würde etwas verloren gehen. Mittlerweile merke ich aber, wie politisch die Songs wieder geworden sind. Und die zwei Wochen nach den Aufnahmen, als wir alle an uns zweifelten und dachten ‚Was haben wir da gemacht? Das will doch keiner hören.‘, ist vorbei.“
Aber warum wechselte die Band nach jahrelanger Zusammenarbeit mit Mad Butcher zu Knock Out Records? „Der Wechsel war nötig, weil Mad Butcher keinen guten Vertrieb hat. Außerdem bin ich mit Mosh von Knock Out gut befreundet. Mit Michael von Mad Butcher zwar auch, aber wie das dann so ist mit Freundschaften: immer wenn da irgendwas ‚Geschäftliches‘ im Raum steht, dann peitscht sich das so ein bisschen hoch und es kommt zu Missstimmungen. Wir haben dann entschieden, dass es wohl besser ist, nicht mehr zusammenzuarbeiten und lieber einfach gute Freunde zu bleiben. Mosh hängt sich richtig für uns rein, und er hat einfach den besseren Vertrieb. Bei Mad Butcher gab es nicht einmal einen Barcode auf unseren Alben, und so kannst du zum Beispiel keine CD beim Media Markt verkaufen. Wir wollen ein paar Leute mehr erreichen als vorher, ohne dass wir jetzt plötzlich Ambitionen haben, Rockstars zu werden. Wir wollen die Möglichkeiten, die wir haben, voll ausschöpfen.“
Wenn schon nicht Rockstar, dann wenigsten Comedystar. Ande vom Comedy-Duo MUNDSTUHL („Dragan & Alder“) ist auf der neuen Platte als Backgroundsänger zu hören. „Ande ist ein Kumpel von uns, vor allem von unserem Schlagzeuger. Früher hat Ande selbst in einer Hardcoreband gesungen, war oft auf unseren Konzerten, und hatte einfach Bock Backingvocals mit einzusingen. Aber an die große Glocke wollten wir das eigentlich nicht hängen. Ande ist nicht auf der Platte, weil er von MUNDSTUHL ist, sondern weil er aus unserem Bekanntenkreis kommt.“
Neben der eigenen Band beteiligte sich Olaf außerdem an der Zusammenstellung des „Tales from the streets“-Samplers, der von Hooligan Streetwear präsentiert wird. Die Songs haben alle mit Fußball zu tun. Einige Songs eignen sich hervorragend zur musikalischen Untermalung einer romantischen Massenschlägerei unter rivalisierenden Fangruppen nach dem Schlusspfiff. „So eine ‚dritte Halbzeit‘ sieht so aus, dass man von dem Fußballspiel schon mal gar nichts mehr mitkriegt, dass schon im Stadion Gerüchte umgehen, wer sich wann wo befindet. Dann wird wild herumtelefoniert und sich verabredet. Meistens zehn Minuten vor Abpfiff verlässt man dann das Stadion und wartet irgendwo auf den Gegner oder wird selbst schon erwartet. Manchmal trifft man auch absichtlich aufeinander, um Kräfte zu messen. Und dann geht es halt spontan ab. In 80 Prozent der Fälle sieht das aber dann so aus, dass die Gruppen wie zwei Urstämme aufeinandertreffen, ganz laut ‚Uh, uh, uh‘ machen, mit den Armen wedeln und dann vielleicht mal die ersten drei aufeinander losgehen. Dann kommen meistens schon die Bullen, oder eine Seite sucht das Weite.“ Meistens geht es also glimpflich aus, teilweise verlaufen die Schlägereien auch unter Einhaltung eines Ehrenkodexes, beispielsweise, dass man auf unten liegende Gegner nicht mehr eintritt und nach dem Spektakel sogar gemeinsam einen saufen geht. Olaf muss es wissen, er selbst ist kein unbeschriebenes Blatt in der Szene. „Das gehört aber der Vergangenheit an, ich kann mir so etwas nicht mehr erlauben. Ich will nichts riskieren, und überhaupt ist das alles nicht mehr so wichtig für mich.“