HOT WATER MUSIC

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Free Radio Gainesville

1999. Ich sitze in einem Büro in Frankfurt und kümmere mich um die Vorbereitung meiner kleinen Punk/Hardcore/Metal-Radioshow. Die Platte, die ich höre, heißt „No Division“ und kommt von einer Band aus Florida. Ich kenne die Typen nicht, aber die Platte funktioniert sofort. Kurz darauf freue ich mich, die Männer, die diese Musik gemacht haben, in meine Show einladen zu können, danach sehe ich HOT WATER MUSIC zum ersten Mal live. Nach diesem Abend fahre ich mit dem unglaublich euphorischen Gefühl nach Hause, eine neue Lieblingsband gefunden zu haben. So heftig von Musik angerührt habe ich mich schon lange Zeit nicht mehr gefühlt.

2004. Eine Hotelbar in Köln. Meine Radioshow gibt es nicht mehr, aber die Band. Mit den Veröffentlichungen vor „No Division“ und den Platten danach haben HOT WATER MUSIC mittlerweile neun Longplayer veröffentlicht, darunter eine „Best of“ und eine Liveplatte. Ihr neues Album heißt „The new what next“, und neu ist das tatsächlich. Wie neu, fällt mir und den Herren schwer in Worte zu fassen, aber ganz offensichtlich ist mit dieser Band etwas passiert, als die Platte aufgenommen wurde. In einem Holzhaus, in dem Produzent Brian McTernan sein Studio hat, hat die ganze Band während der Aufnahmen gewohnt. Ruhiger seien sie gewesen in dieser Zeit, im Gegensatz zu Platten wie „A Flight And A Crash“, die im wesentlichen auf Tour geschrieben wurde, sagen Gitarrist Chris Wollard und Bassist Jason Black. „Angepasster“, mögen diejenigen nörgeln, die von HOT WATER MUSIC die x-te Variante von „Fuel For The Hate Game“ erwarten. Ein Problem, dessen die Band sich durchaus gewahr ist ...


Ihr leidet ein bisschen am SLAYER-Syndrom: Die Leute scheinen von euch zu erwarten, dass ihr euch nicht verändert.

Chris: „Stimmt. Aber wir wollen das nicht. Wir haben mit jeder Platte versucht, uns weiter zu entwickeln. Alles andere wäre extrem langweilig.“

Wenn ihr auf eure Bandgeschichte zurückblickt, was ist für euch die größte Entwicklung innerhalb der Band?

Jason: „Dass wir all das immer noch tun können.“
Chris: „Ich glaube, wir finden so langsam heraus, was uns wirklich an einem Song interessiert. Ich denke da gar nicht so komplex drüber nach. Ich habe jedenfalls das Gefühl, eine vollkommen andere Person zu sein, im Vergleich zu damals. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass die Band viel näher an ihren anfänglichen Idealen ist, näher als zum Beispiel vor fünf Jahren.“

Wie findet ihr das eigentlich, wenn die Leute sich auf Shows immer die alten Gassenhauer wünschen?

Chris: „Es ist cool, wenn die Leute sich den alten Kram wünschen, und ein paar von den Songs spiele ich tatsächlich noch sehr gern. Aber manchmal wünschen sich die Leute Songs, die ich mal für eine Freundin geschrieben habe, die ich vor neun Jahren hatte. Nichts könnte mich weniger interessieren! So was bedeutet mir eben überhaupt nichts mehr. Ich freue mich ja, dass sie anderen etwas bedeuten, aber natürlich macht es mir mehr Spaß, Songs zu spielen, denen ich mich aktuell verbunden fühle.“

Chris Martin von COLDPLAY weigert sich mittlerweile, seit er mit Gwyneth Paltrow verheiratet ist, einen bestimmten Song live zu spielen, den er mal für seine Ex-Freundin geschrieben hat.

Chris: „Echt? Wie cool, das sind Prinzipien. War‘s eine Single? Schlecht für die Band, haha.“
Jason: „War‘s der Song, der sich zehn Millionen Mal verkauft hat? Gut gemacht, Bruder ... 20.000 angepisste Fans bei jeder Show!“

Es ist 12 Uhr Mittags, Chris und Jason wirken ausgeruht und sehr gelöst. Jason zieht die Schuhe aus und läuft auf Socken rum, das sei ja schließlich sein Wohnzimmer für den Rest des Tages hier. Alle Spannung scheint von ihnen abgefallen, jetzt wo die Platte fertig ist. Aber die Ruhe muss täuschen, kaum eine Band hat so einen chaotischen Alltag wie diese vier Typen aus Gainesville, Florida. Zumindest gemessen an den Katastrophen die sich bei ihnen regelmäßig ereignen. Wir reden von gescheiterten Ehen, verlassenen Hunden, Apartments, Mitbewohnern. Chris hat einen Sohn, der bei seiner Ex-Freundin lebt. Aus Häusern rausgeworfen zu werden ist eine Sache, mit der die vier Männer bereits eine gewisse Routine entwickelt haben. Und dann ist da noch Chuck, ebenfalls Gitarrist und Sänger, ein Mann mit einem gewissen Hang zur Dramatik. Bei den Aufnahmen zu „A Flight And A Crash“ schockierte er sich selbst und den Rest der Band mit komplettem Stimmverlust, der mehrere Wochen anhielt. Dieses Mal war es die Gitarrenhand, böse aufgeschnitten an einem zerbrochenen Weinglas.

Jason: „Chuck kann die Dinge einfach nicht mit weniger als 110 % erledigen. Egal, ob er sich mies oder gut fühlt, er ist in allem so. Und seine Verlobte ist genauso. Das ist manchmal total beängstigend, wenn die beiden sich streiten, da gehst du besser in Deckung, haha. Ich weiß auch nicht, was das ist. Im Moment scheint er einfach nicht still sitzen zu können. Aber er war schon immer so. Und irgendwann übertreibt er es dann so, dass das Leben ihn zwingt, sich mal fünf Minuten hinzusetzen und Luft zu holen. Immerhin muss er sich jetzt mal kurz erholen. Ansonsten verpulvert er seine Kohle in einer Woche, weil er dringend in den Schweizer Alpen snowboarden muss oder so was.“
Chris: „Er hatte nach der letzten Tour schon einen Job als Bauarbeiter. Natürlich hatten wir alle kein Geld, und er wollte dann eben Häuser bauen gehen. Wir haben ihm alle gesagt: ‚Alter, das ist deine Freizeit. Hör auf mit dem Scheiß.‘ Jesus!“

Ihr beide macht jedenfalls einen ziemlich entspannten Eindruck auf mich.


Beide: „Ja, wir fühlen uns großartig!“
Jason: „Okay, wir hatten wirklich Muffe, was die Leute von der Platte denken. Wir dachten schon wir kommen nach Deutschland, und alle sagen: ‚Mann, die neue Platte ist total scheiße, die ist sooo langsam! Was ist euer verdammtes Problem?‘ Haha!“

Es ist vielleicht ein bisschen so, als ob ihr eure neue Freundin zum ersten Mal zu euren Eltern mitbringt?


Jason: „Absolut! Und dann wartest du die ganze Zeit darauf, dass sie etwas Blödes tut, und alle ziehen sich daran hoch.“ Gewisse Dinge haben sich also derweil eingerenkt. Chuck ist mittlerweile wieder verheiratet, Chris hat eine neue Freundin und ein neues Haus, sein erstes eigenes, auch Jason und George geht es gut. Nur: berühmt werden HOT WATER MUSIC wahrscheinlich auch mit dieser Platte nicht. Seltsam, wenn man bedenkt, dass in Amerika Bands wie DASHBOARD CONFESSIONAL, AFI oder THRICE zu Megasellern mutiert sind. Ich habe oft darüber nachgedacht, warum das bei dieser Band nicht passiert. Die Band fragt sich das natürlich auch. Vielleicht haben sie einfach bei aller Altersmilde noch zu viel Dreck unter den Fingernägeln.
Chris: „Wir tun ja, was wir können. Wir schreiben das beste Zeug, zu dem wir in der Lage sind. Aber wir sind wirklich keine Geschäftsleute.“

Aber doch ambitioniert?

Jason: „Klar. Aber nicht um jeden Preis. Diesmal ist es vielleicht etwas anders, wir haben jetzt einen guten Manager, der für uns arbeitet. Aber da ist einfach nicht viel, was wir tun können, abgesehen vom Touren und Platten machen. Sicher, wenn wir diese Platte bei Warner herausbringen würden, dann würden wir zweifellos fünfmal so viele Platten verkaufen. Weil du dann mehr Chancen auf Videoplay hast. In Amerika hast du ohne einen Major in der Hinsicht keine Chance. Das läuft ja alles über Deals der Abteilung: ‚Wenn ihr das nicht spielt, kriegt ihr eben auch die neue Blablabla nicht.‘ Genauso ist es mit dem Radio und dem Tourbooking. Wir haben einfach nicht diese Rückendeckung, Epitaph ist eben nicht so groß.“

Wie wäre denn das, wenn ihr die Glotze anmacht und da läuft euer Video auf MTV?

Chris: „Ich wäre total begeistert. Denn letztes Mal haben wir verdammt viel Geld für das Video von ‚Remedy‘ ausgegeben, also viel Geld für unsere Verhältnisse. Und in Amerika habe ich es nicht ein einziges Mal gesehen. Natürlich will ich, dass es gespielt wird, sonst hätten wir es ja nicht gemacht. Das hat mich wirklich angepisst, du machst so was, und dann gibt es keine Plattform dafür. Außer Offene Kanäle oder so was. Ich kann das Ding jetzt meinen Freunden zeigen, aber das war‘s!“

Ich habe gerade einen Ausschnitt aus dem METALLICA-Film gesehen. Die Szene beim Therapeuten, wo Lars Ulrich und James Hetfield wie da sitzen und sich gegenseitig erzählen, dass es ihnen keinen Spaß mehr macht, miteinander zu spielen. Das war vollkommen surreal.

Chris: „Das hab ich auch gesehen, das ist echt wie Eheberatung mit vier Leuten.“
Jason: „Ja, und mit dem neuen Typen, Rob Trujillo. Die arme Sau, der tut mir total Leid: ‚Aber ich bin doch gerade erst eingestiegen!‘“

Wann werdet ihr diese Therapie brauchen?

Beide: „Haha, keine Ahnung!“
Chris: „Im Moment geht es echt ganz gut.“
Jason: „Okay, im letzten Jahr hatten wir ein paar schwierige Momente. Wir haben soviel getourt mit ‚Caution‘, und da haben wir gesagt: ‚So geht das nicht mehr!‘.“

Wie oft habt ihr in den letzten Jahren gesagt: „Jetzt steige ich aus.“?

Jason: „Ich glaube, Chuck war ein paar Mal kurz davor. George auch. Der steigt innerlich ständig aus, er ist zerbrechlich. Aber ich bin noch nie ausgestiegen!“
Chris: „Ich auch nicht. Also nicht, seitdem wir uns 1996 mal kurz getrennt hatten.“

Okay, George, der Zerbrechliche, Chuck ist Mr. 110%, was ist mit euch?

Chris: „Jason ist der Brainiac. Immer wenn du dich mal zehn Sekunden hinsetzen willst, um deine Ruhe zu haben, kommt Jason und sagt: ‚Du musst dir das anhören, ich habe diesen Plan ...‘ Er macht immer Pläne!“
Jason: „Chris spielt immer Gitarre! Wenn du mal rumhängen und deine Ruhe haben willst, klimpert er dich sofort mit seiner Gitarre zu, auch wenn wir gerade erst gespielt haben, und du denkst: ‚Hör auf! Ich hab die Schnauze voll!‘“
Chris: „Ich habe überall Gitarren, im Bus, Backstage, am Sofa, überall wo ich mich hinsetzen kann, liegt eine Gitarre. So bin ich.“

Gut, Platte ist draußen, und dann? Weltherrschaft?

Chris: „Das ist immer der Plan.“
Jason: „In ganz kleinen Schritten. Weltherrschaft in Babyschritten.“

Kennt ihr „Pinky & The Brain“?

Jason: „Ja, die verrückten Mäuse.“
Chris: „Was ist mit denen?“
Jason: „Die wollen auch immer die Weltherrschaft, aber es funktioniert nie. Dabei haben sie meist einen ziemlich guten Plan, und du denkst: ‚Das könnte jetzt funktionieren. Verdammt, doch nicht!‘“