ISIS

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Zwischen Transzendenz und totaler Beschattung

Angesichts der neuen ISIS-Scheibe blieb mir keine andere Wahl: Ich musste zum Hörer greifen und der Band ein paar Fragen stellen. Hatte sich meiner Meinung nach doch schon der Vorgänger „Oceanic“ zum heimlichen Album des Jahres 2002 entpuppt, so schafft es „Panopticon“ heute locker, sich davon noch abzuheben und in seiner vollen Blüte und Schönheit zu entfalten. An einem entspannten Freitagabend sprach ich also mit ISIS-Sänger Aaron Turner, dem Mann, dem wir das exquisite Hydrahead-Label zu verdanken haben und der es immer wieder schafft, die Stimmung diverser CDs (BURST, COALESCE, ISIS, etc.), durch seine Covergestaltung in Bildern zu fassen. Ein sympathischer Mann, der viel zu erzählen hat.

Aaron, bist du mit dem neuen Album zufrieden?


„Soweit ja. Ich meine, ich bin nie wirklich komplett mit unseren Sachen zufrieden. Sicher gibt es diese Momente im Studio, bei denen du völlig euphorisch bist und mit den ganzen Spuren arbeitest, und immer wieder etwas ergänzt, ausschmückst und abmischst. Aber später erlebe ich dann Phasen, bei denen ich unser Album total schrecklich finde. Ich gehe da wohl immer vor und zurück und habe jedes Mal Ängste und einen sehr hohen Anspruch an mich selbst, wenn wir eine neue Platte aufnehmen. Auf der anderen Seite mache ich mir natürlich auch Gedanken, ob andere Leute unsere Platte mögen oder hassen. Na ja, aber wie schon erwähnt, ich fühle mich damit soweit glücklich. Und Matt Bayles hat großartige Arbeit geleistet. Er hat jedesmal einen guten Job gemacht, wenn wir mit ihm aufgenommen haben, doch dieses mal war es schon eine enorme Verbesserung zu unseren letzten Aufnahmen und zu ‚Oceanic‘. Die Scheibe klingt jetzt auf jeden Fall viel mehr nach dem, was wir vor den Aufnahmen in unseren Köpfen hatten. Wir sind unseren Vorstellungen viel näher gekommen. Ich mag die Lieder und denke, es ist unser bisher bestes Material.”

Du hast es schon angesprochen: ihr habt diesmal wieder mit Matt Bayles zusammengearbeitet. Warum habt ihr diesmal nicht einen anderen Produzenten genommen, um vielleicht neue Einflüsse und Ideen in eure Songs zu bekommen?

„Durch die Tatsache, dass er zwischen den drei ISIS-Alben immer wieder verschiedene Bands aufgenommen hat, weiß ich, dass er viele neue Erfahrungen gesammelt hat. Das bedeutet für uns natürlich auch, dass wir von seinen Erfahrungen und neuen Techniken profitieren. Abgesehen davon vertraue ich Matt natürlich ungemein. Wir kennen uns nun schon sehr lange und er weiß genau, was unsere Ästhetik ist, und wie er sie einfangen kann. Sicher könnten wir mit einem anderen Produzenten eine Platte machen, die man nicht von uns erwarten würde, und trotzdem könnte eine gute Sache dabei rauskommen. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass wir Matt vertrauen können, dass er einen guten Job für uns macht und unsere Visionen verwirklicht. Wer weiß, vielleicht arbeiten wir eines Tages mit jemand anderem ...”

Was sind denn die großen Unterschiede zwischen „Oceanic“ und dem neuen Album „Panopticon“?

„Bei den Aufnahmen wollten wir diesmal einen etwas natürlicheren, wärmeren Sound haben als auf ‚Oceanic‘. Versteh mich nicht falsch, ich mag die Scheibe so, wie sie aufgenommen wurde, doch nach einiger Zeit fallen Dinge auf, die ich nicht mehr mag. Diesmal haben wir diese Dinge zu korrigieren versucht. Die Gitarren hatten in der Vergangenheit vielleicht nicht den gewünschten Klang, besonders bei den verzerrten Parts. Bei den aktuellen Aufnahmen haben wir es etwas düsterer und noisiger hinbekommen, was auch gleichzeitig unseren eigentlichen Live-Sound widerspiegelt. Auf ‚Oceanic‘ findest du einige Teile, bei denen drei Gitarren genau identisch sind und diesmal haben wir weniger Gitarrenspuren gedoppelt, sondern lieber darauf geachtet, dass die Gitarren etwas unterschiedliches spielen und sich ergänzen, also interagieren. Im Bezug auf die Musik sind wir einfach weiter den Weg gegangen, den wir bei ‚Oceanic‘ schon eingeschlagen haben, nur dass es noch melodischer und atmosphärischer geworden ist. Du findest diesmal auch weniger Gesang. Ich habe ihn bewusst etwas reduziert, um das Ganze in ein eher instrumentales Umfeld gleiten zu lassen. Es gibt meiner Meinung nach Parts auf ‚Panopticon‘, bei denen Gesang das Gesamtbild nur zerstören würde, weil die Parts an sich schon so stark und aussagekräftig sind. Zudem habe ich meinen Gesangsstil etwas verändert. Ich schreie weniger und versuche mehr zu singen. Und die Teile, bei denen ich Gesang für notwendig hielt, haben dann auch eher einen etwas verhalteneren Gesang verlangt.”

Wie funktioniert das Songwriting bei euch?

„In der Vergangenheit verlief das Songwriting anders als bei dieser Platte. Diesmal war es viel mehr eine Zusammenarbeit, man könnte jetzt keinen ganzen Song einer Person zuschreiben. Viele Ideen sind durch Improvisation entstanden, so dass wir einige Parts solange gespielt haben, bis jeder seine festen Ideen gefunden hatte. Daher denke ich war es ein organischerer Prozess. Ich finde diese Art von Songwriting wesentlich effektiver, auch wenn es etwas länger gedauert hat.”

Obwohl du den Gesang etwas reduziert hast, sind dir die Texte doch immer noch sehr wichtig, oder?

„Sicher. Bei allem was ich tue, steckt immer 100% von mir drin, egal ob es nun das Gitarrenspiel oder der Gesang sind. Sicher kann man alles auf ein Minimum reduzieren, doch heißt das nicht gleich, dass die Wirkung dadurch auch geringer wird. Oft werden meine Lyrics sehr reduziert dargestellt, doch können sie meist mehr bedeuten, als tausend Töne oder Riffs. Texte müssen für mich nicht nur gefühlsmäßig ermutigend sein, sondern ich muss auch eine tiefe Art von Bindung dabei empfinden, bevor sie wirklich in einen Song einfließen. Trotz der Tatsache, dass es nicht sonderlich viele Text auf der neuen Platte gibt, habe ich doch sehr viel Zeit in die Lyrics gesteckt.”

Und wo können wir die Texte lesen? Im CD-Booklet findet man ja keine und auf der Website stehen sie auch nicht.

„In der Vergangenheit habe ich immer nur ein paar Ausschnitte der Texte in die Booklets gebracht. Diesmal habe ich mir gedacht, dass ich es ganz lasse. Vielleicht auch aus dem Grund, mir weiterhin etwas Privatsphäre zu gewähren. Ich mag es, wenn sie nur mir gehören, und ich bin noch nicht bereit, sie mit jedem zu teilen, der die Platte kauft. Aber parallel dazu gibt es ja auch diese Art von Hörern, die den Raum für Interpretation schätzen. Ich glaube, dass es mitunter einen Punkt gibt, den sie an ISIS mögen, und das ist eine bestimmte Menge an Geheimnissen, die man ausgraben darf. Zu guter Letzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich dem Booklet einige Quellen beziehungsweise Zitate beigefügt habe, die meine Texte beeinflusst haben. Ich dachte mir, dass diese Zitate den Lesern mehr helfen, das Konzept und den Grundgedanken der Platte zu verstehen, als die Sachen, die ich geschrieben habe.”

Die Platte trägt den Titel „Panopticon”. Besteht da ein Zusammenhang zu den Texten und zu der Musik? Gibt es auch politische Gedanken und Aussagen in deinen Texten?

„Definitiv gibt es einen wichtigen Zusammenhang. Es beschreibt die entscheidende Szene in den Lyrics und ist ein Thema, welches sich durch die ganze Platte zieht. Es gibt im Booklet einen Auszug aus einem Aufsatz des Philosophen Michel Foucault, in dem er die Idee des Panopticon definiert. Es geht da einmal um die geschichtlichen Hintergründe und um die Art, wie das Panopticon die heutige moderne Gesellschaft beeinflusst, oder wie diese Ideen auf die heute Gesellschaft übertragen werden. Das Panopticon selbst ist eine architektonische Figur, die dafür gestaltet wurde, um die Kontrolle über eine größere Anzahl von Leuten zu maximieren, die wiederum in den Händen einer recht kleinen Gruppe liegt. Man kann sich also einen zentralen Turm vorstellen, von dem aus alles beobachtet werden kann, wobei die Beobachter innerhalb des Turms niemals sichtbar für die anderen sind. In den Köpfen der Beobachteten baut sich der Gedanke auf, dass sie permanent beobachtet werden. Dieses Thema ist also der ausschlaggebende Punkt, der mich dazu gebracht hat, meine Texte in diese Richtung zu lenken. Sicher sind in dem Aufsatz von Michel Foucault noch weitere interessante Gedanken, doch kann ich hier nicht alles zusammenfassen. Sicher beziehe ich mich dabei auch auf die momentane politische Lage in den Staaten, doch möchte ich ISIS keineswegs als politische Band sehen, denn das sind wir mit Sicherheit nicht.”

In dem CD-Booklet gibt es einige interessante Photographien, die du gemacht hast. Warst du da gerade in einem Flugzeug oder Hubschrauber?

„Ja, ich war im Flugzeug und als ich sie damals knipste, hatte ich sie nicht speziell für die CD eingeplant. Aber je mehr ich darüber nachdachte und je länger wir an der Platte arbeiteten, desto sicherer war ich mir, dass die Bilder sehr gut dazu passen würden. Sie haben eine sehr durchdringende und fast glückselige Ausstrahlung, auf der anderen Seite unterstreichen sie natürlich auch die Idee, dass wir alle auf die ein oder andere Art beobachtet werden. Ich hatte sogar zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt, Satellitenbilder für die CD zu verwenden, doch dann sagte ich mir, dass diese Luftaufnahmen eben von mir sind und mehr Persönlichkeit beinhalten. Daher bin ich dabei geblieben.”

Auf der Platte habt ihr ein Stück mit Justin Chancellor von TOOL gemacht. Wie kam es zu dem Kontakt?

„Wir kennen uns durch unsere gemeinsamen Freunde, die MELVINS, die ja schon mit TOOL auf Tour waren. Sie haben TOOL also auf die Musik von ISIS gebracht. Das Ergebnis war, dass Adam und Justin zu einigen unserer Shows kamen und sich als sehr freundliche Typen entpuppten. Justin war von beiden am enthusiastischsten, und deshalb fragten wir ihn, ob er nicht Bass auf unserer neuen Scheibe spielen wolle. Wir kommen mit ihm als Person sehr gut zurecht, was sehr wichtig für uns ist, und wir mögen sein Bassspiel sehr. Er hat unsere Ästhetik auf Anhieb verstanden, und hat ebenso seine eigene Persönlichkeit in den Song ‚Altered Course‘ einfließen lassen.”

Wie sieht es mit euren Tourplänen aus?

„Wir werden diesen Herbst in den Staaten touren. Im Winter werden wir in Japan und Australien spielen und im Frühling werden wir nach Europa kommen.”

Was gibt es naher Zukunft von ISIS zu erwarten?

„Es wird noch eine Split-EP mit den MELVINS geben. Wir hatten bei unseren Aufnahmen einen Song nicht fertig bekommen, den werden wir jetzt noch mal aufnehmen und ihn für diese Split-EP nutzen. Erscheinen wird sie dann nicht auf Ipecac Recordings, sondern auf Hydrahead Records. Ich bin schon sehr gespannt auf die Veröffentlichung.”[b]

Foto: qsysue