LIBERTINES

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What Became Of The Likely Lads?

Auch wenn man nicht mit der englischen Boulevard-Presse liebäugelt, ist es derzeit nahezu unmöglich, etwas über die LIBERTINES zu lesen, was weder den Schlamassel zwischen den beiden Protagonisten Carl Barât und Pete Doherty oder Petes Drogensucht zum Inhalt hat. Natürlich ist das erwähnenswert, doch es scheint, als würde die Tatsache vergessen gehen, dass es sich bei den LIBERTINES in erster Linie um Musiker handelt, die mit „The Libertines“ ein hervorragendes und zugleich erfrischend anderes Folgealbum zu ihrem 2002er Debüt „Up The Bracket“ aufgenommen haben. Möchte man den Gerüchten glauben, dann könnte „The Libertines“ das Dokument für den Anfang vom Ende einer der gegenwärtig wichtigsten Bands aus Großbritannien sein. Nicht enden wollende Drogenexzesse wechseln sich mit missglückten Entziehungskuren ab, Beschuldigungen in der Presse häufen sich, eine neue Band wird gegründet, und der auf unbestimmte Zeit vollzogene Ausstieg von Pete Doherty sind alles andere als positive Zeichen, die für eine etwaige Rückkehr stehen.

Mit einem bemühten Ersatzgitarristen, der leider nicht den fehlenden Pete ersetzen konnte, kamen die Likely Lads aus London für nur zwei Konzerte in unsere Republik. Beide Shows waren komplett ausverkauft, natürlich, und boten darüber hinaus die Gelegenheit, den eher introvertierten LIBERTINES-Bassisten John Hassall vor der Kölner Show zu treffen. Der hatte im Jahr 2001 für ein paar Monate die Band verlassen, ist aber vor dem Durchbruch der LIBERTINES wieder richtig eingestiegen. Gesprächsstoff galore also. Und Verständnis für die Boulevard-Presse, als man erfährt, dass der eigentliche Gesprächspartner, Carl Barât, vom Vorabend in Berlin noch immer nicht genesen sei und erst seit drei Stunden im Bett liege – jetzt ist es 14:50 Uhr.

Ihr seid mit „The Libertines“ direkt auf Platz 1 der englischen Album-Charts eingestiegen. Allerdings ist eure neue Platte in vielen Punkten anders als euer Debüt und es braucht eine gewisse Zeit, bis man mit dem neuen Sound vertraut ist. Ich könnte mir vorstellen, dass auch im Hinblick auf eure Shows Veränderungen eintreten. Wie reagierten die Leute bis jetzt auf die neuen Stücke?


„Die Reaktionen sind bis jetzt sehr gut. Als wir in den Staaten unsere neuen Songs spielten, waren die Leute begeistert, obwohl die Platte zu dieser Zeit noch nicht veröffentlicht war. Normalerweise verhält sich das Publikum zurückhaltend bei neuen Liedern, aber diesmal waren eigentlich alle am tanzen. Mit der Zeit werden wir wohl sehen, ob die neuen Stücke bei den Leuten genauso gut ankommen wie die alten.“

Meiner Meinung nach ist „The Libertines“ ein sehr emotionales Album geworden, das an einigen Stellen auch besser klingt als „Up The Bracket“. Und es ist wohl normal, sich als Band über die Jahre musikalisch zu entwickeln. Aber kann man sich überhaupt auf die Arbeit konzentrieren, wenn Bodyguards im Studio sind, um Pete und Carl voneinander zu schützen?

„Wir haben uns einfach nur mit den neuen Songs beschäftigt und versucht, die Situation im Studio zu vergessen. Jeff und Michael, die beiden Bodyguards, sind zwei super Typen, und im Grunde mehr Freunde als Bodyguards. Es war nicht so schlimm, wie es die Presse darstellt, und rückblickend hatten wir reichlich Spaß während der Aufnahmen.“

Also waren die Aufnahmen zu „The Libertines“ einfacher als zu „Up The Bracket“?

„In mancher Hinsicht waren sie einfacher, aus anderer Sicht waren sie wieder schwieriger. Wir wussten, was wir am Ende haben wollten und hatten die nötige Erfahrung, um eine Platte aufzunehmen, welche uns bei ‚Up The Bracket‘ noch fehlte.“

Wenn du heute „The Libertines“ hörst, bist du damit total zufrieden oder gibt es Stellen, die du lieber anders hättest?


„Es sind hundert Dinge, die ich im nachhinein lieber anders hören würde. Eine auf Perfektionismus ausgelegte Arbeit ist nicht unser Ding. Wir haben fast alles live eingespielt und ein sehr raues Album aufgenommen, was einem Schnappschuss der drei Wochen im Studio ähnelt. Nein, eigentlich würde ich doch nichts ändern, wenn ich noch mal darüber nachdenke.“

Würdest du eure Platte als eine Art Tagebuch beschreiben, die dem Hörer von der engen Beziehung zwischen Carl und Pete erzählt?

„Ja, ich denke es ist ein ziemlich persönliches Album geworden. Die Texte der beiden sind sehr ehrlich und zeigen, wie sie füreinander empfinden. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Carl und Pete ist ein wichtiger Teil der LIBERTINES. Songs wie ‚Can‘t stand me now‘ würden lächerlich klingen, wenn das, um was es bei dem Stück geht, nicht der Wahrheit entsprechen würde. Es kommt aus ihren Herzen.“

Bist du verärgert, dass die Presse solch ein Aufsehen um Petes Drogensucht macht und den LIBERTINES als Band weniger Beachtung geschenkt wird?


„Pete ist derjenige, der die Presse auch sehr gerne über seine Drogensucht informiert. Die Medien will ich nicht beschuldigen, dass sie darüber berichten. Ich bin aber wirklich traurig, wie sich alles entwickelt hat. Meiner Meinung nach wären wir heute eine viel bessere und erfolgreichere Band, wenn diese Scheiße mit dem ganzen Presserummel nicht so früh passiert wäre. Eigentlich ist es in England schon immer so, dass Musikzeitungen über die Probleme der Musiker mehr wissen wollen, als über ihre Musik. Bis 1977 schrieb der NME noch über die Musik, mit Punk hat sich dann aber doch alles geändert. Es ist halt einfach so, aber man gewöhnt sich daran. Wir hätten zu Beginn der LIBERTINES alles dafür getan, um in einer Zeitung erwähnt zu werden. Bis die ganze Sache mit den STROKES losging hatte uns niemand von der Musikpresse Aufmerksamkeit geschenkt.“

Carl und Pete stehen in den Medien in erster Linie für die LIBERTINES. Du und Schlagzeuger Gary erscheinen viel seltener in den Schlagzeilen. Würdest du euch beide als das Fundament der Band bezeichnen oder gar als diejenigen, die die LIBERTINES zusammenhalten?

„Ja, durchaus. Gary und ich haben so wenig mit dem ganzen Presse-Ding zu tun, dass wir einfach nicht den Boden unter den Füßen verlieren und es uns möglich ist, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren.“

Warum handeln nahezu alle Stücke auf eurer Platte von Petes und Carls Freundschaft? Denkst du nicht auch, dass die ganze Sache mit der Presse vielleicht nie so weit gekommen wäre, wenn ihr ihnen nicht soviel Input geliefert hättet?

„Tatsache ist, dass es an dem Punkt, wo es um das Schreiben der Texte geht, um Dinge gehen sollte, mit denen man eine wirkliche Verbindung hat oder um Sachen, in die man verwickelt ist. Es wäre Blödsinn, Texte zu schreiben, die einen nicht wirklich betreffen.“

Meiner Meinung nach zeigt euer Album-Cover zwei wahnsinnig gute Freunde, die nichts in der Welt auseinander bringen kann. Würdest du dem zustimmen?

„Die nichts auseinander bringen kann? Ich hoffe es. Sie sollten den ganzen Mist überwinden und herausfinden, warum sie damals Freunde geworden sind, die zusammen Musik machen wollten.“

Pete hat ja derzeit wegen seinem Drogenproblem die Band verlassen. Haben du oder Carl momentan Kontakt zu Pete?

„Nein.“

Angenommen du könntest die Zeit zurückdrehen. Was würdest du in Bezug auf die LIBERTINES anders machen?

„Aus persönlicher Sicht hätte ich damals nicht die Band verlassen. Es gibt viele Dinge, die ich anderes machen würde, aber wir haben nun mal diese Richtung eingeschlagen und können die Uhr nicht zurückdrehen. Leider. Wir müssen in der Zukunft eben aus unseren Fehlern lernen.“

Gibt es eine gemeinsame Zukunft für euch vier in einer Band?

„Ich weiß nicht, was mit den LIBERTINES passieren wird. Es könnte sehr gut eine gemeinsame Zukunft für uns vier geben. Eigentlich ist das sogar sehr einfach. Manchmal so einfach, dass es für mich verdammt hart ist zu sehen, wie leicht es wirklich ist. Klingt vielleicht seltsam, wenn man sich den ganzen Bullshit aus der Presse durchliest, aber wenn Pete es schafft clean zu werden, dann sehe ich darin kein Problem. Okay, es ist alles nicht wirklich leicht, aber es ist möglich. Pete kann jederzeit zu uns zurückkommen, sofern er will.“

Wie stehen die Chancen, dass es ein dritte Platte von euch geben wird?


„Ich kann es nicht sagen, aber es ist gerade erst ein paar Wochen her, dass unser zweites Album fertig gestellt wurde. Wir wollen jetzt auf Tour gehen und den Leuten die neue Platte vorstellen.“

Hast du in den letzten Monaten mit dem Gedanken gespielt, die LIBERTINES zu verlassen, oder gab es gar Gespräche darüber, die Band aufzulösen?

„Durchaus. Es wäre dämlich gewesen, wenn wir nicht darüber gesprochen hätten. Ich weiß aber, dass die LIBERTINES etwas besonderes sind. Mir ist es bereits damals aufgefallen, als ich die Band für einige Zeit verlassen habe, und in einer Autogarage arbeitete. Wir sind wohl alle durch irgendetwas stark miteinander verbunden.“

Pete hat neben den LIBERTINES unter dem Namen BABYSHAMBLES eine neue Band gegründet. Spielst du auch in einer anderen Gruppe neben den LIBERTINES?

„Ja, ich habe meine eigene Band, in der ich singe und Gitarre spiele. Sie heißt YETI. Wir werden sogar bald eine Single veröffentlichen, vermutlich auch auf Rough Trade. Wir haben drei Gitarristen, drei Sänger, Bass und Schlagzeug. Es soll etwas ganz Neues werden, YETI klingt wirklich gut.“

Was denkst du über BABYSHAMBLES?

„Ich kenne einige Songs, die Pete für BABYSHAMBLES geschrieben hat, sie sind gut. Live habe ich sie vor etwas längerer Zeit gesehen, noch mit einem anderen Line-up, und sie waren wirklich gut. Pete ist ein sehr inspirierender Musiker und BABYSHAMBLES können sicherlich groß werden.“

Wie wichtig sind Leute wie Alan McGee, Manager von OASIS und euch, Produzent Mick Jones, ex-Gitarrist von THE CLASH, und Geoff Travis, der Gründer von Rough Trade, für die LIBERTINES und das neue Album?

„Mick ist wirklich wichtig für uns gewesen. Ich denke nicht, dass wir das Album ohne ihn hätten aufnehmen können. Alan und Geoff haben uns ebenfalls stark unterstützt, das zu machen, was wir wollten, und Alan war letztendlich auch der, der uns vermittelt hat, die Platte auf jeden Fall aufzunehmen. Nicht unbedingt für uns, sondern für die Fans.“

Macht es noch immer Spaß, ein Libertine zu sein, zusammen Konzerte zu spielen und Platten aufzunehmen?

„Ja, es ist wundervoll! Es ist oftmals sehr leicht für mich festzustellen, was für ein Glück ich habe, das zu machen, was ich will und dafür noch Geld zu bekommen. Ich liebe es, jede Nacht Bass zu spielen – ich bin wirklich glücklich damit.“