HELMET

Foto

Meiner ist der Längste

HELMET waren eine der innovativsten Rockbands der 90er Jahre. Wenn es Platten wie „Meantime“ oder „Betty“ nicht gegeben hätte, wären jede Menge Nu-Metal-Bands ganz sicher um eine erhebliche Anzahl Gitarrenriffs ärmer, was vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Und das Prinzip der Einfachheit galt bei HELMET nicht nur für die Musik, auch sonst gab’s keine Schnörkel. Page Hamilton, der die Band damals gegründet hat, ist ein vollkommen durchschnittlicher Typ, der komische Wanderschuhe und weiße Tennissocken trägt. Nur eben einer, der daneben klassische Gitarre studiert und eine große Affinität zu brutalen Gitarrenriffs hat. HELMET haben sich 1997 nach ihrem letzten Album „Aftertaste“ aufgelöst, und der Großteil ihrer Fans hatte bis vor kurzem die begründete Hoffnung, dass hier eine Band nicht die eigene Reputation an die Wand fährt, indem sie sich reformiert. Und irgendwie haben sie das ja auch nicht getan. „Size Matters“, das neue HELMET Album nach sieben Jahren Pause, ist eine Platte, auf der außer Page Hamilton von der HELMET-Originalbesetzung niemand mehr übrig ist.

Page sagt, Henry Bogdan und John Stanier hätten jetzt anderes zu tun, die beiden selbst geben an, von der neuen HELMET-Platte durch die Zeitung erfahren zu haben. Und von Peter Mengede ist ohnehin keine Rede mehr, der war allerdings auch schon vor Jahren ausgestiegen. Für Mr. Hamilton gestaltet sich die Sache jedenfalls ganz einfach:
„HELMET war einfach immer meine Band, von Anfang an, ich hab da ja alles gemacht. Und jetzt hatte ich einfach nicht das Gefühl, dass ich damit schon fertig war. Andere Leute haben sich Elemente von HELMET angeeignet, musikalisches Vokabular sozusagen, hör dir einfach diesen ganzen Nu-Metal und Rap-Metal an. Ehrlich gesagt, gefällt mir eine ganze Menge davon nicht, ich glaube einfach, ich kann das besser. Und mir hat es gefehlt, diese Art von Musik zu machen, also habe ich diese Platte gemacht.“

Das Gespräch, das wir in den nächsten vierzig Minuten führen, ist eine seltsame Sache. Der Typ ist freundlich, schlau, und bitte: er hat HELMET gegründet, und mit dieser Band Songs geschrieben, die auch im Jahr 2005 vollkommen zeitlos klingen, die trotz aller Reduktion mitunter so herzzerreißend emotional sind, dass man dazu bei jedem Hören erneut in Tränen ausbrechen möchte. Und jetzt kommt mit „Size Matters“ eine Platte, die bestenfalls wie die logische Fortsetzung von „Aftertaste“ klingt. Und das nach sieben Jahren Pause, von einer Band die auch deswegen so wegweisend war, weil sie immer vor allen Dingen eines war: überraschend.

„Na ja, es gibt Leute, die sehen das ganz anders, die sagen, dass wir mit ‚Size Matters‘ einen riesigen Sprung gemacht haben. Klar, da sind Songs auf der Platte, die auch auf vorherigen HELMET-Platten hätten sein können wie z. B. ‚Last breath‘. Aber dann sind wiederum Songs darauf, die wir vor ein paar Jahren niemals gemacht hätten. Für mich liegt die größte Entwicklung im Songwriting. Ich habe mit ‚Aftertaste‘ angefangen, Songwriter zu schätzen, vorher fand ich das blöd, ich wollte rocken. Jetzt interessiert es mich mehr, eine Geschichte zu erzählen. Und ich habe auch musikalisch mehr experimentiert. Die Musik passt jetzt besser zu meiner Stimmlage, deswegen kann ich auch besser dazu singen und eigentlich mehr mit meiner Stimme machen.“

Aber jetzt ergibt sich dieses seltsame Dilemma: Er hat mit HELMET in den 90er Jahren einen bestimmten Gitarrensound geprägt, der von nachfolgenden Generationen harter Rockbands übernommen wurde. Jetzt kommen sie nach sieben Jahren wieder und sind konfrontiert mit einem jungen Publikum, das zum Teil noch nie etwas von ihnen gehört hat. Die sind mit PAPA ROACH eingestiegen und empfinden das, was HELMET jetzt machen, als lahme Kopie aktueller Nu-Metal-Bands.

„Natürlich kopiere ich gar nichts, ich höre mir diesen Kram ja gar nicht an. Hätte ich eine BON JOVI-Platte gemacht, dann könnte sich jemand beschweren. Aber letzten Endes mache ich doch genau das, was ich immer gemacht habe. Und ehrlich: ich versuche nicht, mich neu zu erfinden. Das ist nun mal mein Sound, der damals verdammt eigenständig war. Wenn jemand die Platte nicht mag, werde ich nicht versuchen, ihn zu überzeugen, das ist schon okay. Ich weiß ja, dass die Platte gut ist. Für die Kohle, die ich mir leisten konnte, ist das wirklich die beste Platte, die HELMET jemals gemacht haben. Ehrlich gesagt, hat mich die Meinung anderer Leute niemals interessiert. Als wir ‚Betty‘ gemacht haben, haben sich die Leute beschwert, dass es nicht ‚Meantime‘ ist, und mit ‚Aftertaste‘ war es genauso. Mich für diese neue Platte zu verteidigen wäre doch Zeitverschwendung. Und ich bin wirklich kein Millionär, wir haben verdammt viel Kohle bei der US-Tour draufgelegt, und hier wird es genauso sein, aber vielleicht sieht das in sechs Monaten auch anders aus. Wir müssen die Leute eben neu überzeugen, und ich denke, das klappt auch.“

Aber auch das wirft natürlich Probleme auf. Wieviele neue Hörer sind mit einer Platte wie „Size Matters“ ins Boot zu kriegen? Und irgendwie betont der Mann ein paar mal zu oft, dass er vollkommen hinter dieser neuen Platte und der „Reunion“ steht, als dass es wirklich glaubwürdig wäre. Immerhin zeigt sich beim Konzert, dass der alte HELMET-Zauber nach wie vor funktioniert. Das Prinzip Einfachheit: „Ein Großteil der Faszination, die HELMET auf Leute ausgeübt hat, war immer die Geradlinigkeit. Metal war ja immer eine Sache, die viel damit zu tun hatte, seine Fähigkeiten zu zeigen. Und das hat mich einfach nie interessiert, mir ging es immer mehr um Leidenschaft und Seele. Ich könnte das ja alles auch, komplizierten Wichskram spielen und dazu singen, aber ich will das eben nicht. Deswegen hat mich Metal auch nie wirklich interessiert. Mozart rockt doch viel mehr, oder John Coltrane.“

Aber sollten ihn, als studierten Musiker, technische Aspekte nicht interessieren?

„Bis zu einem gewissen Grad ist das ja auch so. Wenn ich z. B. einen Sound höre, weiß ich, wie ich den auf meinem Instrument finde. Aber ich schreibe Musik nicht wie eine mathematische Gleichung. Ich schreibe, was ich höre, es geht nicht nur um dieses Technikgewichse. Es ist interessant, wenn du siebzehn bist, dir einen Jazz-Gitarristen wie Allan Holdsworth anzugucken, aber verdammt, das sind so viele Noten! B.B. King sagt mit ein paar Noten mehr als Holdsworth mit hunderten, und darum geht’s bei HELMET. Es gibt ein Beispiel dafür und das ist natürlich Beethovens Fünfte: ‚Da-da da Daaa ...‘ – das ist ein HELMET-Riff, verstehst du? ‚Meantime‘ ist für mich ein gutes Beispiel dafür, das ist eine Note, die ich da spiele, das ist fast so was wie Zen-Meditation.“

Davon abgesehen, dass er in den letzten Jahren viel als Musiker für andere Leute gearbeitet hast (z. B. NINE INCH NAILS), was hat er überhaupt die ganze Zeit gemacht?

„Eigentlich nicht sehr viel. Ich hatte eine Scheidung, bin von New York nach Los Angeles gezogen, habe Musik für ein paar Filme gemacht, z. B. ‚Catwoman‘, arbeite mit jemandem an einer Oper ... Gerade produziere ich die Platte von Gavin Rossdale, die ist noch nicht ganz fertig, wir arbeiten bald wieder dran. Außerdem arbeite ich mit jemandem an meinen Grundlagen der Orchestrierung und Komposition.“

Er ist jetzt 44. Fühlt er sich alt?

„Heute ja, aber grundsätzlich nicht. Wenn ich auf die Bühne gehe, fühle ich mich großartig. Ich glaube, was die Leute an uns mögen, ist, dass wir einfach nur Musik spielen. Wir haben wirklich absolut keinen Style oder Sinn für Mode, es gibt keine Show.“

Na ja, ein Laster hat er doch, er ist ein Angeber. Die Platte heißt „Size Matters“.

„Ja, ich weiß. Ich werde einfach nicht erwachsen. Wir kommen einfach nicht über unsere Penis-Phase hinweg, haha. Das ist gleichzeitig so was wie ein Segen und ein Fluch. Ich hätte Geld auf der Bank, wenn ich nicht so ein Schwanztyp wäre, ehrlich ... Aber bitte, der Scherz ist doch so offensichtlich! Meine Plattenfirma hat natürlich gesagt: ‚Das kannst du nicht machen!‘ Denen habe ich das so verkauft: ‚Seht den Bezug zur amerikanischen Weltanschauung!‘ Bei uns ist eben alles ‚bigger, better, faster, louder‘. Es geht nur um Geld, wie heiß deine Frau ist, wie groß dein Auto oder deine falschen Möpse sind. So kann man es eben auch sehen. Die Leute sind unfähig, etwas jenseits ihres eigenen Gartenzauns wahrzunehmen. Ich habe schon immer Songs darüber geschrieben, z. B. ‚Driving nowhere‘. Diesen Song habe ich Jahre vor dem Bombenanschlag in Oklahoma geschrieben, oder vor dem 11. September. Solche Ereignisse zeigen einfach, dass die Art, wie Amerika sich als Weltmacht präsentiert, ohne Respekt vor anderen Kulturen, Probleme macht. Das ist ein verdammt schwieriges Thema in Amerika. Ich kenne Leute aus beiden Lagern, die auch in zwei verschiedene Richtungen gewählt haben.“

Aber diesmal wurde Herr Bush offiziell gewählt.

„Darauf würde ich nicht meinen Arm verwetten. Ich glaube, sie hatten bloß vier Jahre Zeit, um die Wahl zu manipulieren. Ich bin wirklich kein Verschwörungstheoretiker, und ich rede mich gerade um Kopf und Kragen, aber wenn ich mir den Typen im Fernsehen angucke, habe ich nicht den Eindruck eines Mannes, der intelligent genug ist, der Welt zu sagen, wo es langgeht. Ich bin Amerikaner, ich liebe mein Land und meine Familie, aber diesem Typen glaube ich nicht ein Wort. Und das macht mir Angst.“ Und Page Hamilton in 20 Jahren? „Oh, da sehe ich mich auf einer Insel mit ein paar Kindern, denen ich das Surfen beibringe ... Okay, ich müsste sie dann mit mir herumschleppen weil ich ja weiter Shows spielen will. Das Musikgeschäft ist offensichtlich keine wirklich lustige Angelegenheit. Aber trotzdem, Musik machen ist großartig, und ich will das weiterhin machen.“

Ist Geld wichtig?

„Ja, natürlich. Insofern, dass ich gerne soviel davon hätte, mich im Leben nur noch um musikalische Probleme kümmern zu müssen. Die Rechnungen müssen bezahlt sein. Ich denke, man muss die Verantwortung für sich selbst tragen und natürlich auch seinen Beitrag zur Gemeinschaft leisten. Es gefällt mir zwar die meiste Zeit nicht, wofür meine Steuern ausgegeben werden, aber na ja. Und Strom und Wasser sind auch eine dufte Sache. Aber Geld selbst? Bin ich eifersüchtig auf Fred Durst? Sicher nicht ... Na gut, ich hätte schon gerne einen Mercedes, oder einen BMW, ich mag einfach den Sound, wenn man bei einem BMW die Tür zumacht. Mein VW ist aber auch okay. Wenn ich wirklich viel Kohle hätte, würde ich mich darum kümmern, dass die Lehrer in den USA besser bezahlt werden. Solche Menschen leben am Existenzminimum, und das, obwohl wir von ihnen erwarten, dass sie unsere Kinder zu verantwortungsvollen und gebildeten Menschen machen! Oder die Obdachlosensituation. Das macht mich wirklich fertig. Niemand sollte unter den Stufen einer Kirche in Manhattan schlafen müssen. Das ist einfach nicht richtig.“