OCEAN

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Ontogenese im Wandel der Zeit

Eine der wohl hoffnungsvollsten Bands aus deutschen Landen sind zweifelsfrei die progressiven Düstercoreler THE OCEAN aus Berlin. War das vielbeachtete 5-Song-Debüt „Fogdiver“ (Make My Day) noch rein instrumental und eher ruhig gehalten, überraschte das Musikerkollektiv mit seiner zweiten Platte „Fluxion“, ebenfalls auf Make My Day, nun vielerorts mit einer satten Portion atmosphärischer Klangeruptionen und Vocals nahe der Kehlkopftransplantation. Da man in baldiger Zukunft auf noch mehr Überraschungen gefasst sein darf, befragte ich Robin (Gitarre und Chefdenker hinter THE OCEAN), Jonathan (Bass) und Andreas (Gitarre) zum derzeitigen Stand der kreativen Entwicklung dieses wandelbaren Ozeans.

Seit unserem letzten Interview vor einem Jahr scheint sich bei euch recht viel getan zu haben. Erzähl mal bitte, was passiert ist.

Robin:
„Anfang des Jahres haben wir in einer Mammutsession gleich zwei Alben aufgenommen, dessen erste Session das aktuelle Album ‚Fluxion‘ ist. Eigentlich wollten wir die beiden Alben zeitgleich rausbringen, haben dann aber die Arbeiten erst mal auf Eis gelegt, um uns mehr auf ‚Fluxion‘ und ausgedehnteres Touren zu konzentrieren. Mittlerweile sind auch ein paar neue Musiker mit an Bord, aber eher fürs Studio. Als nächstes steht ein neues Album auf dem Plan, das soweit schon im Kasten ist.“

Gibt es zwischen „Fluxion“ und dem kommenden Album eine konkrete Verbindung?

Robin:
„Nicht direkt. Vielleicht werden wir das Layout an ‚Fluxion‘ anlehnen, ansonsten handelt es sich bei den beiden Alben um zwei eigenständige Angelegenheiten. Während wir bei unserem aktuellen Album noch mit jeder Menge Elektrospielereien und Orchesterinstrumentierung gearbeitet haben, beschränken wir uns beim kommenden auf typische Rockinstrumente wie Schlagzeug, Gitarre, Bass. Es wird noch härter als ‚Fluxion‘ und weniger harmonisch sein, und noch vertrackter, also ganz anders. Das Material von ‚Fogdiver‘ und ‚Fluxion‘ stammt eigentlich aus derselben Zeit, während die Songs, die ich für das kommende Album geschrieben habe, schon vor dieser Zeit existierten. In all den Jahren hat sich soviel Material angesammelt, da versuchen wir jetzt alles so schnell wie möglich rauszuhauen, um Raum für neue Stücke zu haben.“

Würdest du sagen, dass THE OCEAN eher eine Band für größere Bühnen ist als für kleine Jugendzentren, gerade hinsichtlich eures ganzen Equipments?

Robin:
„Kommt auch ganz drauf an. Uns ist es egal, ob wir vor 30 oder 3000 Leuten spielen, solange der Funke beim Publikum überspringt. Auf kleineren Bühnen sieht es schon sehr gequetscht aus, wenn wir da mit sieben oder neun Leuten stehen. Außerdem sind wir auch keine sonderlich kommunikative Band, dafür lassen wir lieber unsere Musik und unsere Show für uns sprechen. Auf größeren Bühnen kommt das dann natürlich sehr viel erhabener und mächtiger rüber, als wenn du auf einer kleinen Bühne gerade dem Bassisten deinen Gitarrenhals in den Rücken rammst. Noch ein entscheidender Vorteil bei größeren Festivals ist, dass da wesentlich kompetentere Techniker am Mischpult sitzen, was für unseren Sound extrem wichtig ist. Aber bis wir große Hallen oder Stadien füllen können, dauert es noch eine Weile.“

Wie wäre es, wenn ihr, um dieses Vorhaben ein wenig zu beschleunigen, ein paar Supportshows für Yvonne Catterfield machen würdet? Jonathan müsste da doch ganz gute Connections haben, oder?

Jonathan:
„Die Zeiten sind vorbei. Ich habe da als Teil meiner musikalischen Profession als Live-Bassist mitgespielt und das war’s.“
Robin: „Wir sind froh, dass das endlich vorbei ist und er sich nun voll auf THE OCEAN konzentrieren kann. Im Vertrag stand, dass er Yvonne bei Fernsehauftritten oder Liveshows den Vorrang geben muss, wodurch wir manchmal ohne ihn auf der Bühne standen. Aber da wir nach Sequenzer spielen konnten, feuerten wir die Bass-Spuren durch den Rechner ab, und es kam auch so fett über die Boxen rüber, als wenn Joni live spielen würde. Also eigentlich ist er total überflüssig für die Band, haha.“
Jonathan: „Ich fungiere eigentlich mehr als Model in der Band ...“

Könnt ihr euch vorstellen, mal ein Popalbum aufzunehmen?

Jonathan: „Ich denke, wir würden eher ein Surfalbum aufnehmen.“
Robin: „Worauf ich eher Bock hätte, wäre eine komplette Soloklavier-Version von ‚Fluxion‘, ausgehend von den Basslinien und der Orchesterinstrumentierung, und das dann für Klavier umzuschreiben. Aber dafür bräuchten wir erst mal einen Pianisten.“
Jonathan: „Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang auch mal den ‚Join THE OCEAN‘-Aspekt erwähnen ...“
Robin: „Auf unserer Website haben wir extra eine Rubrik, wo wir alle Instrumentalisten dazu einladen, mit uns zusammen Musik zu machen, egal ob Schlagzeuger, Bassist oder was auch immer. Wir versuchen gerade so eine Art Zweitbesetzung aufzubauen, da bei acht Leuten der eine oder andere nicht immer mit auf Tour gehen kann, oder auch teilweise die Interessen der einzelnen Musiker zu sehr auseinandergehen. Teilweise haben wir schon einen Musikerpool, mal schauen, wie sich das dann in der Praxis bewährt. Wir wollen halt mit THE OCEAN weg von diesem typischen Rockschema und eher mit verschiedenen Musikern auf einer Art Zeitbasis zusammenarbeiten, und das zum Konzept machen.“
Andreas: „Vielleicht schaffen wir es dann auch, dass THE OCEAN in zwei Städten gleichzeitig auftritt.“
Jonathan: „Oder mit uns als Vorband.“
Robin: „Oder eine Japan-Tour und gleichzeitig eine Europatour ...“

Wie wichtig sind eigentlich die Texte bei euch? Bei „Fluxion“ kann man die Texte ja eigentlich kaum lesen.
Robin:
„Die kann man schon gut lesen, wenn man sich etwas Mühe gibt, haha. Oder man schaut auf unserer Website. Bei den Inhalten gibt es verschiedene Ansätze. Die meisten Texte sind überwiegend abstrakt und beziehen sich auf persönliche Erlebnisse, die ich eher auf surrealistische Weise verarbeite. Ich lasse meist meinen Assoziationen freien Lauf und versuche weniger Thementexte zu schreiben, in denen ich einen Diskurs mit mir selber führe. Es ist viel mehr ein sich treiben lassen, von einem Bild zum nächsten, und mal schauen, was sich daraus ergibt.“

Wie gehst du mit Kritik um, bei soviel Engagement?

Robin:
„Eigentlich wurden wir durchweg immer gut besprochen, bis auf die Visions, aber ansonsten war nichts dabei, was meine kreativen Prozesse in Frage gestellt hätte. Kritik liegt im Auge des Reviewers, aber solange es sich um sachliche Kritik handelt, erlaubt es einem auch, sein eigenes Schaffen mal aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Man wird dadurch eventuell auf seine eigenen Fehler aufmerksam und beginnt daran zu arbeiten.“

Wird THE OCEAN auch im Ausland wahrgenommen?

Jonathan:
„Es gibt leider momentan wenig internationalen Diskurs. Aber das wollen wir ändern, insbesondere im Hinblick auf die Promotion im Ausland.“
Robin:„Make My Day haben sehr gute Arbeit für uns hier in Deutschland gemacht, aber im Ausland brauchen wir schon einen stärkeren Partner. Glücklicherweise übernimmt Petting Zoo jetzt die Promo für die Benelux-Staaten und Frankreich. Insbesondere aus Frankreich bekommen wir sehr viele Nachfragen wegen Interviews und auch jede Menge Feedback seitens einiger verrückter Franzosen.“
Andreas: „Letztens bekamen wir eine Mail von einer Koreanerin, die uns in völlig gebrochenem Englisch schrieb, das sie uns übers Internet kennen gelernt hätte und gerne eine CD von uns hätte, um sie im Studentenradio hoch- und runterspielen zu können.“

Würdet ihr euch trotz eures Hardcore-Backgrounds auch selber einen gewissen Einfluß an 70er-Prog-Rock-Geschichten attestieren?

Robin:
„Das ist durchaus zutreffend. Ich denke, da gibt es fast mehr Parallelen zum Progrock der 70er als zu den Hardcorebands, mit denen ich aufgewachsen bin. Bands wie PINK FLOYD haben mich in meiner Jugend eher weniger geprägt, als dass ich die jetzt als Haupteinfluss angeben würde. Auf diese Art von Musik bin ich erst in den letzten Jahren gestoßen, die aber jetzt durchaus einen größeren Einfluss auf mein Schaffen haben als eine Band wie zum Beispiel CATARACT.“
Jonathan: „Wir haben damals im Bio-Leistungskurs gelernt, dass die Ontogenese immer die Phylogenese nachvollzieht, das heißt dass das, was Robin als Individuum gerade durchmacht, also praktisch das ist, was das deutsche Volk schon durchgemacht hat. Robin ist also heute mit 25 gerade an dem Punkt, wo Deutschland schon 1975 war. Umgekehrt folgt daraus: Das Problem bei dieser Sache ist, in Bezug auf das musikalische Schaffen von OCEAN, dass die Musik zwar theoretisch dem Anspruch der damaligen Bands entspricht, diese Musiker heute aber aufgrund unserer produktiven Härte mit unserer Musik nicht klar kommen – oder einfach nur ein Problem mit Metal haben ...“