SLAYER

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Disputable Attitude

SLAYER sind ein Phänomen. Live gehört die Band zu den besten, die ich jemals gesehen habe und auch ihr letztes Album „God Hates Us All“ stellt durch seine straighte Brutalität viele Metal- und Metalcore-Bands in den Schatten. Anhand von „God Hates Us All“ kann man getrost sagen, dass die alten Herren es immer noch am besten können. Mittlerweile liegt die Platte aber mehr als drei Jahre zurück, und auch wenn seitdem zwei Live-DVDs („War At The Warfield“ und jüngst „Still Reigning“, auf der SLAYER nur ihr Kultalbum „Reign In Blood“ spielen) sowie die großartige „Soundtrack To The Apocalypse“-SLAYER-Box zum 20-jährigen Bandjubiläum erschienen sind, wartet man doch sehnlich auf ein neues SLAYER-Album. Über all dies sollte man aber nicht vergessen, dass SLAYER durch manche Songs und Aussagen für reichlich Kontroversen gesorgt haben. Und im Laufe des Gespräches mit Jeff Hanneman, dem musikalischen Kopf der Band, wird klar, dass der Herr Meinungen hat, die man nicht teilen muss. Entgegen seinem Ruf als hartnäckiger, einsilbiger Gesprächspartner ist Hanneman aber nett, redet und lacht viel. In den dreißig Minuten, die wir ihm gegenüber saßen, wirkte er fast harmlos, wie ein redefreudiger Surfer, den es gerade aus dem Nightliner in den Backstageraum verschlagen hat.

Der englische Metal Hammer schrieb einmal: „SLAYER starteten als Punks und sind es immer noch“. Wie wirkt diese Aussage auf dich?


„Es ging uns niemals darum, das zu tun, was von uns erwartet wird, deswegen trifft die Aussage den Nagel auf den Kopf. Einerseits hat unsere Attitüde viel mit Punk zu tun. Für uns bedeutet Punk, deinen eigenen Weg zu gehen und dir von niemandem reinreden zu lassen. Genau das haben SLAYER immer getan. Andererseits hat Punkrock einen großen Einfluss auf unsere Musik. Als wir die Band gründeten, mischten wir Punkrock mit kompromissloser Aggression und traditionellen Metal-Riffs à la JUDAS PRIEST oder BLACK SABBATH. Daraus entstand unser Stil. Und selbst wenn SLAYER eine Metalband sind, haben wir Punkrock immer wieder Tribut gezollt.“

Du spielst auf euer Album „Undisputed Attitude“ an, auf dem ihr fast nur Punksongs covert.


„Ja, auf dem Album haben wir Bands wie MINOR THREAT, D.I. oder GBH gecovert. Ich finde das Album fantastisch! Es ist sehr intensiv und energisch, unsere Fans haben es aber nicht verstanden. In den Staaten lief ‚Undisputed Attitude‘ überhaupt nicht.“

Kannst du dir erklären warum?

„Ich glaube, dass ‚Undisputed Attitude‘ viele SLAYER-Fans vor den Kopf stieß, weil das Album nicht SLAYER ist. Außer ‚Gemini‘ ist ja kein Song auf dem Album von uns. Mich hat es überrascht, dass die Platte so schlecht von den Fans aufgenommen wurde. Auch wenn ich damit vielleicht etwas weit gehe, würde ich sagen, dass die Leute nicht ganz verstanden haben, dass es uns mit dem Album darum ging, unsere musikalischen Wurzeln zu würdigen.“

Kurz nach dem 11. September 2001 wart ihr Headliner der „Tattoo The Planet“-Tour in Europa. Alle Bands auf der Tour, u. a. BIOHAZARD und CRADLE OF FILTH, haben damals auf der Bühne hirnlose Ansagen bezüglich der Anschläge gemacht. Nur ihr habt nichts dazu gesagt. Warum?


„Hm, was hätten wir sagen sollen? Jeder wusste doch, was passiert war. Uns war klar, dass wir das Thema auf der Bühne ausklammern würden. Etwas wie ‚Fuck the Arabs‘ auf der Bühne zu sagen, wäre nichts anderes gewesen, als sich über den Tod von viel zu vielen Menschen lustig zu machen. Menschen sind gestorben, es war falsch. So etwas muss man nicht ausnutzen, um das Publikum bei einem Konzert in Stimmung zu bringen.“

Sind dir denn politische Statements von Musikern allgemein zuwider?

„Ich mag es nicht besonders gerne, wenn Musiker politische Statements machen. Denn wenn ein Musiker politische Statements macht, dann folgen viele Menschen, die sich ansonsten einen Dreck für Politik interessieren, seiner Meinung. Und das ist falsch. Du musst dir eine eigene Meinung bilden, dich informieren und wissen wofür und wogegen du bist. Mir ist vollkommen klar, dass Musiker und somit auch SLAYER die Macht haben, Menschen in eine politische Richtung zu lenken. Ich will aber nicht, dass jemand etwas macht, nur weil wir es machen. Deswegen haben SLAYER nie politische Statements gemacht. Es geht hier um dich, das Individuum, lass dir doch keine Meinung aufdrücken. Denke selbst! Das versuchen wir seit unserem ersten Album ‚Show No Mercy‘ auszudrücken.“

Hörst du dir denn politische Bands an?

„Das tue ich, ich lasse mich aber nicht von den Inhalten beeinflussen. Die ersten Punkbands waren politisch. Das war aber nicht der Grund warum ich sie mochte. Die Aggression und die Kompromisslosigkeit der Musik haben mich beeindruckt.“

Du würdest also keinen politischen Song schreiben?

„Da es keinen politischen SLAYER-Song gibt, ja. Wir schreiben über Geschehnisse und beleuchten sie aus den Augen des Bösen. Deswegen finden sich Mörder, Nazis und Kriegsherren in unseren Songs wieder. Ich kann jetzt schon sagen, dass wir einen Song über den 11. September 2001 schreiben werden. Aber aus der Sicht der Terroristen. Was mögen diese Menschen gefühlt haben und was für Gedankengänge haben sie bei ihren Handlungen gehabt? Diese Fragen faszinieren uns und wir versuchen, mit unseren Songs einen fiktiven Einblick in diese Menschen zu geben.“

Und gerade da werden SLAYER doch oft missverstanden, oder?

„Richtig, nimm ‚Angel of death‘ als Beispiel. Der Song ist aus den Augen des KZ-Arztes Josef Mengele geschrieben und aufgrund des Songs werden wir oft als Nazis abgestempelt. Sobald uns jemand so verurteilt, muss ich ihm Dummheit unterstellen. Denn wenn man sich mit dem Song beschäftigt und sich den Text durchliest, dann wird man spätestens bei der Phrase ‚rancid angel of death‘ merken, dass wir Mengeles Taten nicht gut heißen. Ich habe auch gar keine Lust, jedem sagen zu müssen, dass Mengele ein Verbrecher war und dass seine Taten und seine Attitüde grässlich waren. Wenn man das macht, behandelt man seine Hörer wie Kinder und, sorry, das werde ich nicht tun. Und das gilt auch für alle anderen Songs, die aus der Sicht von Mördern etc. geschrieben sind. Die bösen Texte finde ich einfach interessanter als Texte darüber, wie wir unsere Leben leben, feiern gehen und so weiter.“

Nur interessanter? Ihr wollt doch sicher auch Leute aus der Reserve locken.


„Haha! Das ist wahr. Bei allen Leuten, die nicht zu hundert Prozent wissen, worum es bei SLAYER geht, wollen wir eine irritierte Reaktion oder/und einen Schock hervorrufen. Sie sind aber wiederum auch die Leute, die uns herzlich wenig interessieren.“

Gibt es ein Thema, vor dem ihr zurückschreckt, das ihr nicht in einem Song verarbeiten würdet?

„Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein solches Thema. Es ist ein krankes, böses Thema, aber das geht zu weit.“

Du sprachst gerade „Angel of death“ an. Du hast den Song und auch den Song „SS III“ geschrieben. Warum fasziniert dich das Dritte Reich?

„Es ist ein dunkles Kapitel der modernen Geschichte, das unserer Zeit noch sehr nahe ist. Mein Vater war einer der Soldaten, die in der Normandie landeten, deswegen habe ich eine gewisse Verbindung zu diesem Kapitel. Er erzählte mir, was er im Zweiten Weltkrieg erlebt hat, und daraus wuchs meine Faszination für das Dritte Reich.“

Und warum trägst du auf einem Foto in der „Soundtrack To The Apocalypse“-Box ein T-Shirt mit dem Logo der Totenkopf-SS?

„Versteh mich jetzt nicht falsch, ich und SLAYER stehen nicht hinter diesem oder irgendeinem anderen Krieg. Hätte ich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges gelebt, hätte ich sicher nicht in der SS sein wollen. Der Krieg ist aber Geschichte und es kommt wieder zur Geltung, dass uns die dunkle Seite der Menschheit fasziniert. Diese Faszination kommt hier mit meinem Faible für den Stil der Nazi-Uniformen und Nazi-Logos zusammen. Deswegen habe ich ein T-Shirt mit dem Logo der Totenkopf-SS an und deswegen habe ich das Logo auf meinen Gitarren. Bei Tom ist das analog: Er hat haufenweise Bücher über Mörder, würde aber nie einen Menschen töten. Es ist einzig und allein faszinierend, wie sie denken und handeln.“

Was genau ist am Denken und Handeln von Mördern faszinierend?

„Jeder von uns hat doch schon einmal darüber nachgedacht, wie es wäre, einen Menschen zu töten. Ich könnte es nicht. Wenn ich jemanden töten würde, würde ich mich danach fragen: ‚Und? Was war jetzt so toll daran?‘ Ich würde absolut keine Spannung dabei empfinden und es deswegen auch nicht noch mal machen wollen. Für Mörder ist töten aber wie Sex haben. Sex willst du wieder haben, weil es schön ist. Aus irgendeinem Grund ist töten für Mörder wie Sex. Sie wollen es noch mal tun. Und der Grund dafür, so mysteriös, ungeklärt und krank er auch sein mag, fasziniert mich und die anderen. Deswegen sprechen wir in unseren Texte darüber. Ich denke, dass unsere Fans verstehen, dass wir aus der Sicht von kranken Menschen sprechen, uns dabei aber nicht für ihre Taten aussprechen. Sonst würden sie raus gehen und Menschen umbringen.“

Was geschehen ist. Ich denke an den „Pahler-Case“.

„Oh ja. Das war 1995, als das Mädchen Elyse Pahler von drei Jungs in einem Ritualmord getötet wurde, und uns der Anwalt der Jungen die Schuld in die Schuhe schob, weil sie gerne SLAYER hörten.“

Wie hast du dich damals deswegen gefühlt?

„Ich war verdammt sauer! Dass man die Schuld auf uns abwälzte, war vollkommen lächerlich. Keiner von uns war dabei und keiner von uns hat den Dreien gesagt, dass sie das Mädchen töten sollen.“

Der Prozess wurde eröffnet bevor ihr „God Hates Us All“ geschrieben und aufgenommen habt. Inwieweit hat er Einfluss auf die Platte gehabt?

„Der Einfluss des Prozesses ist auf der Platte deutlich zu spüren. ‚God Hates Us All‘ ist ein sehr persönliches, wütendes und straightes Album. Die Wut über den Prozess, die sich aufgestaut hatte, haben wir auf der Platte rausgelassen. Ich war so sauer, dass ich mehrmals gesagt habe, dass ich, wenn ich im Pahler-Fall schuldig gesprochen werde, das Mädchen wieder ausgrabe, vergewaltige und noch mal töte. Damit ich auch wirklich schuldig bin, wofür ich da verurteilt werde. Wenn man jemanden tötet, dann muss man die Verantwortung übernehmen. Du hast es dir ausgedacht, jetzt bade es auch aus. Du kannst dir nicht irgendeinen Schuldigen dafür suchen.“

Vor einigen Jahren wurde ein Interview mit Tom Araya veröffentlicht, in dem er Pinochets Regime in Chile als eines darstellte, das nicht so schlimm gewesen sei, wie gemeinhin behauptet. Was folgte, war eine große Kontroverse. Wie stehst du dazu?

„Bezüglich der Kontroverse muss ich sagen, dass sie vollkommen übertrieben war. Tom ist in Chile aufgewachsen und hat die Zeit erlebt. Alles, was er über Pinochet sagte, war, dass unter ihm weniger Gewalt auf den Straßen herrschte. Tom ist auf keinen Fall ein Unterstützer Pinochets, er hat lediglich den einzig guten Effekt seiner Herrschaft beschrieben, mehr nicht.“