THEE BUTCHERS’ ORCHESTRA

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Feiern dionysische Feste im Leoparden-Slip

Wenn man an Brasilien denkt, kommen einem der Zuckerhut, die Strände und Samba-Rhythmen in den Sinn, aber auch Slums und die dortige Armut. Diese zwiespältige Umgebung, genauer gesagt Sao Paulo, nennen THEE BUTCHERS’ ORCHESTRA ihre Heimat. Musikalisch ist man, obwohl das Trio ohne Bass schon seit ewigen Zeiten in die Saiten haut, auf den anderen Kontinenten noch relativ unbekannt, was eigentlich schade ist, sind die Butchers doch eine bluesige Rock’n’Roll-Kapelle, die ihr rasch in eurer Herz geschlossen haben werdet. Obwohl das auf Voodoo Rhythm erschienene Album den deutlichen Titel „Stop Talking About Music, Let’s Celebrate That Shit“ trägt, ließ ich mich nicht von einem Gespräch mit Sänger Marco abbringen, das wäre ja noch schöner!

Wie würdest du euren Background einem unbedarften Hörer beschreiben?


„Es ist eine Mischung von Punk und Blues, auf der wir aufbauen. Dazu inspirierten uns Gruppen wie BLACK FLAG, PUSSY GALORE und Musiker wie Hound Dog Taylor und John Lee Hooker. Ich bin in den Achtzigern aufgewachsen, also vermute ich, dass auch Combos wie JAMES CHANCE AND THE CONTORTIONS, BIRTHDAY PARTY und GUN CLUB zu meiner Sozialisation gehörten. Adriano ist etwas jünger als ich und steht auf Bands wie BLACK FLAG, MINUTEMAN und MINOR THREAT. Folglich haben uns sowohl Punkbands, als auch, mit den STOOGES und MC5, die Musik der sechziger Jahre beeinflusst.“

Kommt es häufiger vor, dass ihr Shows in Leoparden-Unterwäsche spielt?

„Es kann in Südamerika ziemlich heiß werden, deshalb war es eigentlich ganz angenehm in den Leoparden-Shorts zu spielen, denn es sind Shorts, keine Unterwäsche! Die Zuschauer widmen dem Modeaspekt auch immer zuviel Aufmerksamkeit, deshalb wollten wir mal wild sein, und da passte der Leopard ganz gut.

Tim Kerr hat das Album aufgenommen, könntest du ein paar Worte über ihn sagen?

„Tim Kerr ist ein Gentleman, der weise, aber auch voller Tatendrang ist. Er beschäftigt sich mit Punkrock, Skaten, Surfen und malt nebenbei auch noch. Er ist Gründungsmitglied der BIG BOYS und danach hatte er mit den größten Punkbands aller Zeiten zu tun, nämlich mit POISON 13, BAD MOTHA GOOSE & THE GRIMM BROTHERS, LORD HIGH FIXERS, JACK O’ FIRE und THE KING SOUND QUARTET. Als Produzent war er verantwortlich für die besten Alben von THE MAKERS, THE MOONEY SUZUKI, THE NOW TIME DELEGATION, SUGAR SHACK und THE CYNICS. Wer noch mehr erfahren möchte, sollte timkerr.net besuchen.“

Wie ist er denn menschlich so und wieso sollte er euer Album produzieren?

„Er ist einfach beinahe so was wie ein Punk-Guru, nett und erfahren wie ein schlauer Dad oder ein cooler älterer Bruder. Wir haben uns das erste Mal kennen gelernt, als mein Label ‚Ordinary Recordings’, das ich mit einem Freund zusammen betreibe, LORD HIGH FIXERS zu einer Tour durch Brasilien einluden. Zwar löste sich die Band auf, noch bevor die Tour in die Tat umgesetzt werden konnte, aber die Freundschaft zu Kerr blieb bestehen. Wenn man sich seine Alben anhört, dann weiß man, dass er der Richtige ist, um einem Stück die Seele zu entlocken. Wir wollten eine kraftvolle Produktion, die aber trotzdem soulig ist und da er nur Bands produziert, die er mag, war es eine tolle Erfahrung dies mit ihm machen zu können. Tim nimmt am gesamten Prozess teil, bringt sich richtig ein und verleiht dem Sound eine ganz eigene Atmosphäre.“

Wie steht ihr musikalischer Veränderung gegenüber?

„Während der acht Jahre, die wir schon Musik machen, haben wir uns sowohl persönlich, als auch auf musikalischer Basis verändert, versuchen aber immer roh und authentisch zu klingen. Für mich ist es einfach undenkbar, mein ganzes Leben lang die gleichen Sachen zu spielen. Das neue Album verfolgt eher Blues-Ansätze und ist mehr einer allgemeinen Ausdrucksform als einem spezifischen Stil zuzuordnen. Es ist etwas experimenteller aber trotzdem noch Rockmusik. Schnelle Songs, langsame Titel, Punk-Songs, es wird einem alles geboten, innerhalb des Rock’n’Roll.“

Nehmen Brasilianer Musik offenherziger wahr als Europäer?

„Wie gesagt, die Brasilianer feiern einfach etwas mehr, es geht ja auf dem Album auch darum, nicht so viel über Musik zu sprechen, sondern sie zu genießen. Wie bei einem dionysischen Fest. Der Europäer an sich ist ein hervorragender Musikfan, weil es ihm nicht so sehr um die Mode geht, sondern wirklich um die Musik. Euer Equipment und die Organisation ist auch um einiges besser als bei uns zu Hause. Brasilien ist ein hartes und armes Land und wir spielen oft unter widrigen Umständen.“

Mit welchen Alben beginnt man ein neues Leben im Stil der Butchers?

„Also, ihr braucht die GORIES mit ‚I Know You Be Houserocking‘, ‚Back To The USA‘ von MC5, ‚Funhouse‘ von den STOOGES, ‚Exile On Main Street‘ von den ROLLING STONES, ‚Right Now‘ von PUSSY GALORE, ‚Popular Favourites’ von den OBLIVIANS, ‚Sound Verite‘ von MAKE UP, ‚When Revolution Comes‘ von den LORD HIGH FIXERS, ‚Junkie Yard‘ von BIRTHDAY PARTY und dann noch was von John Lee Hooker, da könnt ihr alles nehmen.“

Verlangt eure Musik dem Hörer eine gewisse Reife ab?

„Ja, die Mehrheit unserer Zuschauer ist schon etwas älter, das stimmt wohl, aber auch viele junge Brasilianer stehen auf unsere Songs. Das gesetzte Publikum bildet aber schon die Überzahl und die meisten davon stehen halt auf Blues, Soul und Jazz. Die jüngeren Leute wuchsen wohl mit der Musik der Neunziger auf und mögen unsere Aggressivität und Noiselastigkeit. Mit der Zeit gefallen ihnen aber auch die bluesigen Passagen und generell scheint es einiges an Nachholbedarf zu geben, denn man erkundigt sich bei uns oft nach älteren Bands und deren Alben, speziell aus dem Blues und Garage-Metier.“

Wie ist die Musikszene in Sao Paulo?

„Sao Paulo ist eine der verschmutztesten, größten und lautesten Städte der Welt und irgendwie spiegelt sich das in unserer Musik und der Szene wider. Es gibt viele Rock’n’Roll-Bands und auch gute unabhängige Labels. Man kann sowohl die schönen Plätze der Wohlhabenden, als auch viel Armut und Elend sehen und das aller innerhalb einer Stadt. Diese Kontraste machen unsere Musik aggressiv, aber zugleich auch poetisch. Die Menschen werden auf viele Arten durch ihre Umwelt beeinflusst. Man kann nicht einfach wie in Europa die Straße entlanggehen, man muss schon ein bisschen auf sich Acht geben. Die Menschen arbeiten auch sehr, sehr viel und bekommen nur magere Löhne dafür. Dieses klaustrophobische Element hört man auch auf dem Album. Ebenso wie der Blues ist auch die brasilianische Musik von der Suche nach dem Glück bestimmt, so als ob man all dem Elend entkommen könnte. Obwohl diese Zustände manchmal traurig und entmutigend sind, feiert man doch immer wieder ganz gerne.“

Du hast die vielen Probleme angesprochen, wieso bleibt ihr dennoch auf einer eher persönlicher Ebene?

„In Brasilien geht es wirklich ums Überleben, aber musikalisch feiert man gerne, ich denke das ist einfach kulturell bedingt. Das Leben ist schon hart genug, also genießt man jede Minute in der man abschalten kann. Wer hier lebt kennt weder Gesetz noch Ordnung, aber dafür Gewalt und viele andere Dinge. Die Einstellung sich davon zu lösen, indem man sich der Musik hingibt ist an sich sehr brasilianisch. Also vermeiden wir Politik nicht, sondern singen eben über das Leben auf persönlicher Ebene. Das muss auch so sein, sonst würde jeder wahnsinnig angesichts der Zustände in unserem Land. Es ist sehr wichtig, das Land wachzurütteln und eine Einstellung zu haben. Also wackelt mit dem Hintern, erhebt eure Stimme, dies ist unsere Art der Revolution. Was die Labelpolitik angeht, sind wir zu hundert Prozent eine Indieband und wir kooperieren weder persönlich, noch als Band mit korrupten Plattenfirmen. Wir machen alles im kleinen Stil und bedenken die Ethik. Wir rocken und denken. Auf der Bühne lassen wir alles aus uns raus, was uns bedrückt. Obwohl wir lukrative Angebote als Band hatten, sind wir immer bei den Indies geblieben.“