RAWSIDE

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Back on track

RAWSIDE aus Coburg haben in der deutschen Punkszene einen fast schon legendären Status. Mit „Staatsgewalt“ brachte die Band Ende der Neunziger eines der feinsten Hardcore-Alben heraus, das eine deutsche Band jemals gemacht hat. Durch eine kompromisslose Mischung aus Streetpunk und Oldschool-Hardcore, die auf teils englisch und teils deutsch gesungene Texte trifft, bestechen die Coburger. Nach „Staatsgewalt“ lösten sie sich vorübergehend auf, um sich 2004 wiedervereint und mit einem neuen Album namens „Outlaw“ zurückzumelden. Und auch auf „Outlaw“ findet man all das, was „Staatsgewalt“ ausmachte: einen messerscharfen Sound, der auf einen bellenden Gesang trifft, und die ungehobelte Energie, die daraus entsteht. Ungeschliffene Songs wie „No gods, no war“ und „Es herrscht Krieg“ haben heutzutage Bedeutung, da nur wenige Bands so unmissverständlich zu politischen und sozialen Dingen Stellung beziehen wie RAWSIDE, deren Sänger Henne sich am Telefon als sehr netter und redefreudiger Gesprächspartner entpuppte.

Henne, RAWSIDE sind zurück. Ab 2004 habt ihr wieder Konzerte gespielt und euer neues Album „Outlaw“ heraus gebracht. Wie entstand das Album?


„Als wir uns wieder zusammen fanden, stand es anfangs gar nicht zur Debatte, eine neue Platte zu machen. Es waren zunächst nur Konzerte geplant, und während wir uns auf sie vorbereiteten und probten, begannen wir, ein paar neue Songs zu schreiben, um sie live zu spielen. Mit der Zeit wurden es immer mehr und als wir schließlich sieben, acht Songs fertig hatten, beschlossen wir, ein neues Album zu machen. Wir buchten ein Studio und schrieben einen guten Teil der restlichen Songs, allerdings nicht alle, was dazu führte, dass wir im Studio und zugegebenermaßen etwas unter Druck die letzten die Songs schreiben mussten. Alles in allem hat es aber gepasst, denke ich. Haha, wir sind stinkfaule Hunde, wenn der Druck nicht da ist, dann sitzen wir nur im Studio rum und betrinken uns, ohne, dass etwas dabei herum kommt.“

Straight edge bist du also noch nicht geworden?!

„Nein, aber ich war vier Jahre lang straight edge. Das ist schon lang her, damals fand ich Hardcore, die Szene und die Idee geil. Folglich habe ich es ausprobiert und fand es okay. Irgendwann habe ich aber wieder am Tresen gesessen. Viel trinke ich aber nicht.“

Zurück zu „Outlaw“. Als klar wurde, dass es nach Jahren wieder ein RAWSIDE-Album geben wird, lastete da Druck auf euch?

„Teils, teils. Da wir das Album aufnahmen, ohne bei einem Label unter Vertrag zu stehen, konnten wir die Aufnahmen ohne Druck bzw. Erwartungen seitens einer Plattenfirma aufnehmen. Schließlich gingen wir auf Labelsuche, wobei ich mir zu Beginn nicht mal sicher war, ob wir ein Label finden würden. Denn ich hatte mich viel zu lange nicht mehr mit den deutschen Labels beschäftigt und wusste nicht, ob eines an uns interessiert sein würde. Letzten Endes blieben aber Earth A.D. über. Und nachdem wir den Vertrag mit ihnen geschlossen hatten, gaben sie ein Veröffentlichungsdatum bekannt. Da stand dann die Deadline und der Arsch ging uns auf Grundeis.“

Warum?

„Weil noch Einiges fehlte, unter anderem das Cover. Da wir alles selber machen wollten, gerieten wir etwas unter Zeitdruck, da wir die Designs entwerfen, sowie zusammenfügen und uns auch noch um einige andere Sachen sorgen mussten.“

Was mir an RAWSIDE im Allgemeinen und auch an „Outlaw“ gefällt ist, dass eure Texte unmissverständlich und auf den Punkt gebracht sind. Gleichzeitig sind sie aber ein häufiger Kritikpunkt.

„Du kannst ruhig sagen, dass unsere Texte einfach sind. Wir bekommen auch oft genug zu hören, dass unsere Texte zu platt sind und dass wir eh nur Phrasendrescherei betreiben. All das ist mir vollkommen egal. Denn erstens mache ich die Texte, und wenn es jemand besser kann, soll er eine eigene Band gründen. Zweitens haben unsere deutlichen Texte immer zu unserem Stil gehört, RAWSIDE sollte immer eine Band sein, deren Musik direkt aus dem Bauch heraus kommt. Ich habe keinen Bock darauf, irgendwelche Philosophien durchs Mikrofon zu dreschen, bei denen die Leute keinen Schimmer mehr davon haben, was ich eigentlich sagen will.“

Im Song „Rufmord“ auf „Outlaw“ geht es um die Punkszene. Geh doch ein wenig auf den Song ein.

„Die Idee, etwas über die Szene zu schreiben, wütete schon lange in mir und wurde von der Zeit geprägt, in der ich in Berlin gelebt habe. Damals habe ich viele intensive Eindrücke davon bekommen, wie es so in der Szene abgeht, wer was über wen erzählt und warum jemand aus irgendwelchen Gründen nichts mehr mit einem anderen zu tun haben will. Dabei hat aber nie jemand gefragt, ob das, was da gerade über einen anderen erzählt wird, auch wirklich stimmt. Hier in Bayern findet man dieses Phänomen kaum, denn hier findet man in der Szene weitaus weniger Menschen als in einer Großstadt wie Berlin. Daraus folgt, dass man sich, sofern man aneinander geraten ist, wieder zusammenraufen oder verpissen muss. Dennoch kann man, denke ich, sagen, dass dieser unreflektierte Rufmord schon tagtäglich in der Punkszene passiert.“

Denkst du, dass die Punkszene mittlerweile zu einem Spiegelbild der Gesellschaft geworden ist?

„Auf jeden Fall. Die Punkszene ist der beste Spiegel, den die Gesellschaft sich vorstellen kann. Alle Facetten, die man in der gutbürgerlichen Gesellschaft findet, findet man heutzutage auch in der Punkszene. Die Leute mögen aussehen, wie sie wollen. Es ändert nichts daran, dass viele von ihnen Super-Spießer, Super-Ökos, Säufer, Schläger oder Bürokraten sind.“

Wünschst du dir dieses Phänomen weg, dass die Punkszene ein Spiegelbild der Gesellschaft ist?

„Das würde bedeuten, dass wir eine optimale Szene hätten, und ob ich das will, das weiß ich nicht. Denn dann gäbe es keine Grundlage mehr für Provokation und auch keine Grundlage mehr dafür, Denkanstöße zu geben.“

Euer Album „Staatsgewalt“ erschien auf A.M. Music, einem Label/Mailorder, der mittlerweile pleite ist und sich in den letzten Jahren kaum Freunde gemacht hat. Wie stehst du heute zu A.M.?

„A.M. waren damals die einzige Möglichkeit für uns, aus einem beschissenen Vertrag mit We Bite Records heraus zu kommen. Und wie viele andere sind wir ebenfalls nicht besonders gut auf A.M. zu sprechen, denn trotz ihrer Pleite haben sie unter dem Strich viel Geld verdient, haben aber immer noch Schulden bei uns. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass es A.M. nicht darum ging, Punkrock zu unterstützen, sondern darum, Geld zu verdienen. Die Zeit, die wir bei A.M. unter Vertrag waren, habe ich als sehr komisch erlebt. Als wir ein Treffen mit ihnen hier in Coburg hatten, fuhr der Geschäftsführer mit einem Porsche vor und auf der Popkomm gab es zu der Zeit eine RAWSIDE-Ecke am A.M.-Stand mit Bedienungen und dem ganzen Schnickschnack. Derlei businessorientierte Dinge passen aber einfach nicht in unsere Welt.“

Von We Bite zu A.M., würdest du sagen, dass ihr von einer verzwickten Situation in die nächste gekommen seid?

„Nein, auf keinen Fall. In einer so blöden Situation wie bei We Bite habe ich in meinem ganzen Leben nicht wieder gesteckt. We Bite hat uns abartig schlecht behandelt. Sie haben die größten Versprechungen gemacht, am wenigsten gehalten, am wenigsten bezahlt und die schlechtesten Verträge ausgehandelt – nicht nur mit uns, sondern auch mit vielen anderen Bands. Ich habe gar keine Lust, da irgendein Blatt vor den Mund zu nehmen. Issler, der Labelboss von We Bite, verkauft heute noch RAWSIDE-Testpressungen von der „Staatsgewalt“bei Ebay, von der er damals im Einvernehmen mit A.M. Music die LP heraus gebracht hatte. Neulich war es die vierzigste Auktion, bei der er Testpressungen verkauft hat. Ich weiß ja nicht, wie viele Testpressungen er noch hat. Aber mir kommt das schon reichlich komisch vor.“