WEIRD WAR

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Der Welterklärungsplan

Ian Svenonius ist ein faszinierender Gesprächspartner. Diese Erfahrung machte ich erstmals Anfang der 90er, als seine Band noch THE NATION OF ULYSSES hieß und auf Dischord veröffentlichte. Aus THE NATION OF ULYSSES wurde dann THE MAKE-UP, mit denen der Sound ein ganzes Stück schwärzer wurde und sich im Laufe der Jahre auch ein gewisser Erfolg einstellte, obgleich erst die Adaption von Stil, Style und Musik durch THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY den Durchbruch brachte – freilich für Letztere. Auf THE MAKE-UP, wo ich Ian bei deren letzten Europatour interviewte, folgten dann WEIRD WAR (als Partnerin in crime war/ist auch Michelle Mae wieder dabei), die sich nach der ersten Platte in SCENE CREAMERS umbenannten und 2003 mit „I Suck on That Emotion“ auch eine Platte unter diesem Namen veröffentlichen. Dann verlor man allerdings einen Rechtsstreit gegen irgendwelche französischen Graffitikünstler und hieß letztendlich doch wieder WEIRD WAR. Mit „Illuminated By The Light“ erschien nach der letztjährigen Platte „If You Can’t Beat ’Em, Bite ’Em“ just ihr drittes bzw. viertes Album auf Drag City. Was sich verändert hat? Fragt man Ian, eine Menge. Doch als langjähriger Beobachter sieht man vor allem die rote Linie, die sich durch alle drei Bands zieht: ein seltsamer funky Sound, trotzdem viel Rock und auch Roll, sexy groovende Musik abseits aller Klischees und eine Message, die manchmal ziemlich spleenig wirkt. Ich traf Ian in einem Kölner Hotel, und ihm gelang es mal wieder, das Gespräch thematisch nach seinem Belieben zu gestalten ...

Euer letztes Album ist gerade mal ein Jahr her, ihr seid ja schrecklich produktiv.


„Ja, aber diesen Rhythmus habe ich schon lange: Eigentlich schaffe ich immer ein Album pro Jahr und dazu noch ein paar Singles, und das liegt an der Arbeitsweise. Wir produzieren die Platte direkt im Studio, versuchen nicht Brian Wilson zu imitieren.“

Mich erstaunt es ja immer wieder, wie Bands Wochen und Monate im
Studio zubringen können.


„Es ist einfach die Frage, wie viel Zeit du dir zugestehst – und wie viel Geld. Was du als Maximum festlegst, das brauchst du auch, aber mehr Zeit und Geld bedeuten nicht, dass das Produkt ein besseres ist. Wir befinden uns gerade in einer Phase, in der Produktion wieder viel zählt in der Musik, und das ist eigentlich gut. Denn als ich ein Kid war, in den Achtzigern, war das Produzieren eine aussterbende Kunst, ja man machte sich als Band verdächtig, wenn man Wert darauf legte. Heute dagegen wird ein richtiger Kult darum betrieben, mit welchen Mikrofonen man aufnimmt, wie diese zu platzieren sind, und so weiter. Das knüpft an die Frühzeit der Tonträgerherstellung an, als das Aufnehmen einer Platte ein industrieller Vorgang war, beaufsichtigt von Toningenieuren, die in weißen Kitteln herumliefen, die über jedes noch so kleine technische Detail Bescheid wussten. Das hatte Vor- und Nachteile, denn einerseits waren die Aufnahmen technisch perfekt, doch Menschen dieser Denkart haben nicht unbedingt Sinn für musikalische Innovation. Als Rock’n’Roll dann kam, warf der natürlich viel über den Haufen. Nimm Leute wie Lee Hazelwood, die steckten das Mikro in einen Mülleimer, statt es sorgsam im Raum zu positionieren. Später dann kam Punkrock, und da wurde ein Mangel zum Trend, wie später im Elektrobereich und aktuell im Neo-Folk-Bereich: Die Arbeitsweise von Musikern, die kein Geld haben, wird zum Standard. Der ganze Überbau wird einfach abgeschafft. Ich finde es immer spannend, mich mit solchen Transformationsprozessen in der Musik zu beschäftigen. Andererseits muss man, auch in Sachen Punkrock, immer im Blick haben, was einem als allgemein akzeptierte Geschichte verkauft wird, denn viele Mythen sind einfach falsch.“

Zum Beispiel?

„Na, dass Punk entstanden ist als Reaktion auf die Rock- und Popmusik der Siebziger. Wir hören das immer und immer wieder, und irgendwann ist das die akzeptierte, nicht hinterfragte Wahrheit. Meiner Meinung setzte Punk nur auf andere Weise fort, was im Rock’n’Roll mit der Ausbeutung schwarzer Kultur begonnen hatte. Bei Punk war es eben die Schwulen-Kultur mit ihren Lederjacken, die Camp-Ästhetik, der schwarze Humor. Nimm die Ästhetik vieler Punk-Plattencover, die letztlich auf Jamie Reid und Pop-Art zurückgeht – eine Kunstrichtung, die aus der Schwulenszene kommt. Punk hat diese Optik ‚adoptiert‘. Und was die politische Ausrichtung der Punkszene anbelangt: Die war anfangs vielfach reaktionär und konservativ, und auch da sehe ich eine Entsprechung zur Gay-Szene. Oder nimm Paul Morrissey, den aus Andy Warhols ‚Factory‘ hervorgegangenen Filmemacher, der ein rechter Republikaner ist. Zwischen seinem Schaffen und den RAMONES und SEX PISTOLS sehe ich durchaus Parallelen.“

Wenn es nicht Punk ist, welche Musikrichtung transportiert denn dann progressive Ideen?

„Nun, ich denke, Rock’n’Roll ist in gewisser Weise eine Religion, geschaffen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, mittels dem die USA in die gesamte Welt einmarschiert waren und begonnen hatten, die Weltwirtschaft nach ihren Vorstellungen zu formen. Der Zweite Weltkrieg hatte die USA radikal verändert: Vorher gab es diesen Mythos des autonomen Cowboystaates, mit einer starken christlich-puritanischen Strömung. Durch den Krieg hatte sich die Wirtschaft dann in der Weise geändert, dass vorher zehntausende Firmen 70% aller Güter herstellten, und danach waren es fünf Konzerne, die 80% produzierten. Die industriellen Strukturen, wie sie die heutige Welt kennzeichnen, nahmen also damals schon ihren Anfang, in dieser faschistischen ökonomischen Restrukturierung. In den Massen von Soldaten, den Millionen von Männern, die infolge des Krieges oft tatenlos herumsaßen, sah die Wirtschaft dann ein riesiges ökonomisches Potenzial. Die taten ja nichts Konstruktives, sie waren nur passive Konsumenten, und darin erkannte man ein grandioses ökonomisches Modell: Die Verwandlung einer Bevölkerung von autonomen Cowboytypen, Mark Twain’schen Zynikern, in kultivierte Konsumenten. Damit war auch eine neue Religion erfunden worden. Während das Christentum eine Religion war, mittels der die Herrschenden ihre Untertanen dazu brachten, sich aller Freuden zu enthalten, so dass mehr für sie blieb, man den Leuten beibrachte, es sei gut, nichts zu haben, war das aber dem neuen Amerika nicht mehr angemessen, ja, genau das Gegenteil war jetzt gewünscht: Begehren und Genuss waren jetzt plötzlich gut, zu konsumieren heroisch, eine patriotische Pflicht. Und genau darum geht es letztlich auch im Rock’n’Roll: Gimme gimme gimme! Und wenn du Rock’n’Roll als Religion ansiehst, dann kannst du auch all die Heiligen ausmachen, die wegen ihrer übermäßigen Hingabe an die Sache starben: Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin, Elvis Presley. Die starben an einem Zuviel, und wir, die hingebungsvolle Gemeinde, versuchen ihnen nachzueifern.“

Und wie kriegst du an der Stelle den Bogen zu Punk?

„Punk ist so etwas gewesen wie die Reformation innerhalb des Rock’n’Rolls. Punk war nicht als Rebellion gegen das Konsumdenken gedacht, sondern hauchte dem Rock’n’Roll-Ideal neues Leben ein. Für uns heute ist Rock’n’Roll eine uns vererbte Ausdrucksform, unsere Kultur. Es hat was mit Rebellion zu tun, aber wir wissen nicht mehr so recht, warum eigentlich. Auf jeden Fall hat es was mit Lederjacken zu tun. Wir haben diese Symbole der Rebellion geerbt, wissen intuitiv, dass unsere Kultur bankrott ist, und so sind wir auf der Suche, enden aber letztlich als Jünger dieses konsumistischen Kults und wiederholen nur alle Verhaltensweisen des ‚Mutterkults‘.“

Wo siehst du in diesem Themenkomplex aber dann eure Band WEIRD WAR?

„Kunst ist enorm kraftvoll und durchsetzungsfähig, ist stärker als Armeen und Bomben, wobei man mit denen mehr Geld verdienen kann, deswegen ja auch der Krieg im Irak. Aber Kunst hat eine viel größere Kraft, wenn es um die Veränderung einer Gesellschaft geht. Jede Kunst ist aber auch ein Paradoxon, zumindest in Teilaspekten, und so müssen wir uns als Künstler in die Terminologie, die Verhaltensweisen der Rockmusik flüchten, uns ihrer bedienen, um mittels Subversion letztlich unsere eigene Geschichte erzählen zu können. Dass wir uns des Rock’n’Rolls bedienen, ist auch erklärbar: Es ist eine Religion, ist mystisch und magisch, er kann Superkräfte verleihen, er spricht jeden von uns an, hat etwas Ruchloses, Schändliches an sich, das einen starken Reiz ausübt. Und sowieso ist jede Kunst ein zweischneidiges Schwert, das sieht man ja auch an der deutschen Geschichte. Ideell stützte sich das Dritte Reich in vieler Hinsicht auf die Opern und Ideenwelt Richard Wagners. Wagner war neoheidnisch, ein Nationalist, ein Antisemit. Und Hitler sagte einmal, um das Dritte Reich zu verstehen, müsse man Wagner und seine Opern kennen. Er, Hitler, habe aus ‚Parsifal‘ eine Religion gemacht, und eine Wagner-Opernvorstellung sei für ihn die Offenbarung, der Anstoß gewesen, sich politisch zu betätigen. Das ganze Nazi-Theater basierte also auf den Wagner-Erzählungen, die SS-Uniformen sind Entwürfe aus der Berliner Oper. Und ja, es war ein höchst ästhetischer Kult, dessen Faszination bis heute anhält. Aber auch der Kommunismus hatte eine große ästhetische Ausstrahlung, man nehme nur Eisenstein, der unglaubliche Propaganda gemacht hat. Ich denke, diese Propaganda war ein wichtiger Aspekt, weshalb sich Menschen für die kommunistische Ideologie begeistert haben. Erst kommt die Kunst, dann der Rest. Und bei Punk ist das auch so: Die Leute werden Punk, weil sie von der Frisur fasziniert sind, und bleiben es wegen der Musik. Oder lass es die coole Lederjacke gewesen sein. Aber um auf Hitler und Wagner zurück zu kommen: So, wie Wagners Erzählwelt den Aufstieg des Dritten Reiches vorgezeichnet hat, so ist das auch für dessen Untergang der Fall: In einer tragischen Oper stirbt der Held eben am Schluss, und so hat Wagner gewissermaßen Hitler umgebracht.“

Und wie kommen wir von hier jetzt wieder zum Rock’n’Roll?

„Der ist die Erzählgrundlage des US-Imperialismus. Wenn man den Rock’n’Roll subversiv unterwandern und nach eigenen Vorstellungen gestalten kann, kann man auch die herrschende Klasse zerstören. Wie mächtig diese Musik sein kann, das zeigt sich dadurch, wie groß das Interesse des Big Business daran ist. Oder des Staates. In Hollywood etwa gibt es ein Büro des US-Verteidigungsministeriums, das zur Unterstützung von gefälligen Filmproduktionen dient. Da werden Drehbücher geprüft, und wenn die ausreichend der Yankee-Ideologie entsprechen, kann die Produktion auf Hilfe der Streitkräfte hoffen. Genauso wurden einst Pop-Art-Künstler von der CIA unterstützt, der damit die Avantgarde, europäische Stile wie Dada und Surrealismus, von ihrem traditionell linken Hintergrund lösen wollte. Ziel war die Schaffung einer explizit apolitischen Kunstrichtung, und das haben sie auch geschafft. Wenn Darstellende Kunst heute noch politisch ist, dann nicht mehr links, sondern nur noch ganz allgemein, abgedroschen und banal. Warum? Weil die CIA zum Beispiel verschiedene Kunstmagazine gesponsort hat, und Künstler wie Jackson Pollock. In diesem Kontext muss man sich dann einfach auch seine Gedanken über Musik machen: welchen Transformationen die Popmusik unterworfen ist, was es mit dem Erfolg der STROKES auf sich hat. Wer weiß, vielleicht sind die ja eine Erfindung der CIA? Welche Rolle spielen die dabei, dass die Underground-Musik sich in den letzten fünf Jahren immer weiter weg entwickelt hat von ihrem linken Background, dabei immer apolitischer wurde und sich fast nur noch um Berühmtheiten und Geld dreht?“

Und auch ihr seid in einer paradoxen Situation, macht das Spiel mit, du fliegst zur Album-Promotion durch die Welt.

„Ich weiß, ich bin mir dessen voll bewusst. In gewisser Weise bist du immer Teil des Spiels, bist in keiner anderen Situation als jemand, der eine Imbissbude aufmacht. Gewissen wirtschaftlichen Notwendigkeiten kann man sich eben nicht entziehen, doch die Frage ist: Kann eine Imbissbude einen politischen Anspruch haben? Kann sie anarchistisch oder kommunistisch sein?“

Kann sie?

„Nun, eine Band ist eben keine Imbissbude, du machst nicht Falafel, sondern Kunst. Und du musst über Kunst nachdenken, was das ist, wo die Ursprünge liegen. Da wird es dann interessant: Kunst in der Form, wie wir sie heute kennen, beginnt mit der Renaissance, sie ist eine Erfindung des modernen Kapitalismus. Das ganze Geld, das Spanier und Venezianer verdienten oder erbeutet hatten, trug zur Herausbildung einer neuen Mittelklasse von Kaufleuten bei, die wiederum den Adel hassten. Es war der Konflikt zwischen ererbtem und erarbeitetem Reichtum. Vor diesem Hintergrund erschufen sie ihre eigenen Helden, genügsame Genies, eben Künstler. Im Gegensatz zu den Helden der Vergangenheit, die den Vorstellungen der Aristokraten entsprachen, Priester, Krieger, Ritter. Diese neue Mittelklasse also erschuf sich ihre Helden, machte einfache, versierte Handwerker zu mit beinahe magischen Fähigkeiten ausgestatteten Helden, sozusagen zu Priestern des Merkantilismus. In gewisser Weise waren das aber auch Clowns, hatten sie nur Macht, wenn ihnen diese von den Mächtigen zugesprochen wurde. Warum der Künstler zum neuen Helden gemacht wurde? Er war das heldenhafte Spiegelbild der Mittelklasse, er durfte die Herrschenden kritisieren, aber nur, so lange ihm diese etwas Leine ließen, denn er hing ja ab von ihrem Geld. Mit der industriellen Revolution wurde der vom Handwerker zum Künstler gewordene Held dann zum Musikstar, eignete sich sein Produkt doch durch die massenhafte Herstellbarkeit bestens für die industriellen Prozesse, Stichworte: Schallplatten, Radio. Wir reden jetzt vom Amerika der Vierziger, Fünfziger des letzten Jahrhunderts, und da wurde dann der nächste Schritt getan: Die Ära der Gruppen begann, die mit ihren Namen und ihren Strukturen ja die industriellen Firmenstrukturen nachbilden. Die Zeit der Helden war damit vorbei.“

Wie meinst du das?

„Diese neuen Bands hatten nichts Heroisches mehr an sich, für mich ist jemand wie Fidel Castro einer der letzten verbliebenen Helden – und er ist auch ein Krieger, er hat was von einem König alten Schlages. Er kämpfte im Dschungel, er befreite afrikanische Länder, er ist ein großer Held. Dem steht der Typus des westlichen Anführers entgegen, des großindustriellen Geschäftsmannes ohne Persönlichkeit. Wenn so jemand mal etwas Charisma entwickelt, gilt er schon beinahe als verrückt, auf jeden Fall gilt sein Verhalten als unangemessen. Aber um auf meine Theorie zurückzukommen: Die bislang letzte Entwicklung im Musikbereich ist die Herausbildung des DJs, und der ist ein Äquivalent zum Stockbroker an der Börse. Er spielt mit der Arbeit anderer Menschen. Er weist nach Belieben Bedeutung zu, er kann alte Schallplatten ausgraben, die keinerlei Wert haben, und indem er sie spielt, bekommen sie wieder einen Wert, werden wieder zu einer Ware. Es ist wohl auch kein Zufall, dass die DJ-Kultur in den Neunzigern parallel zum Börsen-Boom ihren Höhepunkt erlebte. Seitdem sind die DJs wieder auf dem absteigenden Ast, und Bands, Gruppen haben wieder an Bedeutung gewonnen. Gruppen, die haben etwas Ehrliches, Echtes an sich, die sind wie Immobilienbesitz.“

Sie sind authentisch ...

„Ja, genau, da hält man etwas in den Händen, sie sind real. Aber ich glaube, wir sprachen vorhin noch von Eisenstein und dem Einfluss von Kunst. Eisenstein bekam 1938 von Stalin den Auftrag, den Film ‚Alexander Nevsky‘ zu drehen. In diesem werden die Deutschen als titanische Ritter dargestellt, die in Russland einfallen, Babys töten, alles niederbrennen, in ihrem Gefolge die Katholische Kirche. Zuerst verlieren die Russen, doch dann schaffen sie es, die deutschen Ritter auf einen Eissee zu locken, wo diese einbrechen und ertrinken. Das war 1938, vor dem Krieg, vor dem deutschen Angriff – ein sehr prophetischer Film. Was ich damit sagen will: Kunst kann eine Prophezeiung sein, und als Künstler kann man mit seiner Kunst eine Geschichte erzählen, die auch die Geschichte der Kultur ist, in der man sich bewegt. Und deshalb sind die USA auch so besessen von Kunst, wurden und werden Hollywood und die Musikindustrie vom Staat unterstützt. Sie wollen die Kontrolle darüber haben, sie wollen sicherstellen, dass sie den Ausgang der Geschichte kennen und bestimmen. Um es simpel auszudrücken: Wenn Rocky am Ende des Filmes gestorben wäre, wäre das auch der Untergang des US-Imperiums. Rockys Kampf, das waren die USA in Vietnam. Später kamen dann Rambo, die Siege in Grenada und Panama.“

Hat euer Bandname WEIRD WAR mit dieser Thematik etwas zu tun?

„Nein, der Name kommt von einem Horror-Comic aus den Sechzigern und mir gefiel einfach sein Klang, die Alliteration.“

Sprechen wir über euer neues Album. Das finde ich auf eigenwillige Weise recht glamrockig, aber auch soulful und poppig.

„Das kann ich nachvollziehen. Nachdem die Platte davor recht ‚psychic‘, dunkel und wütend war, wollten wir die Neue etwas positiver klingen lassen. Wir hatten irgendwie Grace Jones und die BEACH BOYS, deren Alben ‚Friends‘ und ‚Sunflower‘, vor Augen, als wir sie aufnahmen. Platten sind aber für uns einfach nur Platten, man macht sie, und sie fallen so oder so aus und es steckt nur wenig Absicht dahinter. Klar hat man eine Art von Konzept, wenn man ins Studio geht, aber wie so vieles funktioniert auch das meist nicht, du schaffst es nie, deinen eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Eine gute Platte zu machen, ist vor allem Glück.“

Mir gefällt speziell der Gitarrensound, der sich wie ein roter Faden durch die Platte zieht.

„Ja, Alex ist ein exzellenter Gitarrist und er hat eine Menge kleiner Kästchen, die ihm helfen. Ich kenne mich da auch nicht aus, da musst du schon ihn fragen. Wir haben bei dieser Platte sehr viel direkt aufgenommen, ohne Raumklang in einem abgedämmten Raum, in klassischem Seventies-Style, die Overdubs gingen direkt ins Mischpult. Wir haben also eher wie in den Seventies oder bei elektronischer Musik aufgenommen, statt im klassischen Garagen-Stil. Früher war es mir immer wichtig, Platten in einem möglichst natürlich klingenden Raum aufzunehmen, aber mittlerweile experimentiere ich gerne.“

Darf ich dich ganz direkt fragen, wie groß oder klein WEIRD WAR sind? Bei Bands mit so eigenwilliger Musik fällt es mir immer sehr schwer, das einzuschätzen.

„Haha, also wir sind nicht gerade en vogue. Ich denke, wir werden derzeit Zeuge bedeutender Veränderungen in der populären Musik, und wir sind definitiv nicht Teil irgendeines aktuellen Trends: Wir gehören nicht zum New-Wave-Revival, wir klingen nicht wie GANG OF FOUR oder JOY DIVISION und sind auch kein hippes Psych-Folk-Ding. Aber das ist auch nicht unser Ding, wir wollen ganz persönliche Musik machen, wollen unverwechselbar sein. Womit ich nicht gesagt haben will, wir seien einzigartig, originell, noch nie da gewesen – das wäre gelogen, das sind wir nämlich nicht im geringsten. Wir sind wie alle anderen Musiker auch von den verschiedensten Bands beeinflusst. Das Problem vieler Bands ist allerdings, dass sie nicht einmal versuchen, einen Hauch von Persönlichkeit in ihre Musik einzubringen, dass sie einfach schon wieder zu gut im Kopieren sind. Früher war es mal so, dass Bands interessante, eigenwillige Musik machten, weil sie einfach nicht wussten, was sie da taten. Die Songs waren seltsam, und auch die Bands, man hatte als Zuhörer das Gefühl, etwas Neues zu hören. Nimm eine Band wie HÜSKER DÜ, die klang wie keine andere, und das war so, weil die nicht irgendwelche von der Plattenfirmen bezahlten Typen im Hintergrund hatten, die ihnen die Songs schrieben – im Gegensatz zu vielen heutigen Bands.“

In gewisser Weise geht es mir so bei einer Band wie INTERPOL, auch wenn ich die eigentlich mag ...

„Ja, was sind die denn? Die haben doch keine Persönlichkeit. Nimm eine JOY DIVISION-Platte, die ist beinahe schon 30 Jahre alt, und fast jeder ist der Meinung, die ist nahezu perfekt. Wenn nun jemand das kopiert, ist sein Album vielleicht perfekt, aber das ist es ja nicht, was eine JOY DIVISION-Platte so aufregend macht. Nein, sie waren innovativ, weil sie anfangs nicht richtig wussten, wie man spielt. Und ihre Musik steckt voller Gefühle und Persönlichkeit. Und ihre Platten haben Ausdruck, sie bringen die Sichtweise von Individuen zum Vorschein. Wenn man so etwas analysiert, kopiert, eine Erfolgsformel extrahiert, eine neue Platte macht mit Musikern, die auch so aussehen wie die Originale, wie New-Wave-Dandys, dann ist das aber nicht interessant, sondern langweilig. Das ist der Hype des Konservativismus, das hat für mich was von diesen Leuten, die sich fürs Mittelalter begeistern und sich für solche Treffen verkleiden. Nur dass diese Kostümfreaks richtige Nerds sind, und deshalb sind die cooler. Nein, wirklich, diese Retro-Wave-Bands sind wirklich verabscheuungswürdig, da wird mir richtig schlecht. Und wenn das Konzertpublikum noch über einen Hauch von Kritikfähigkeit verfügen würde, würde es sich abwenden. Vor ein paar Jahren wäre man mit so einem Scheiß doch niemals durchgekommen! Diese Bands verkaufen sich mit Hilfe der Medien an Menschen, die über keinerlei ästhetische Kultiviertheit verfügen. Oder ist das Problem ein ganz anderes, dass sich die Leute nämlich überhaupt nicht mehr für die einzelne Band interessieren, sondern nur so eine Art akustische Tapete um sich herum haben wollen?“

Ich denke, es hat auch etwas damit zu tun, dass heute in musikalischer Hinsicht ja nichts mehr irgendwie neu ist: Alles war schon mal da, es wird nur neu kombiniert und recycelt. Und es gibt auch keine Geheimnisse mehr, es gibt Bücher über fast jedes musikalische Thema, und wenn du deine eigene Musik machen willst, kaufst du dir die entsprechenden Sounds für deinen Computer.

„Exakt! Gleichzeitig wissen die Leute aber auch gar nichts! Jeder glaubt aber, alles zu wissen, die guten Bands zu kennen, die Gründe, weshalb sich etwas so und so entwickelt hat. Aber keiner interessiert sich dafür, was Geschichte eigentlich ist, wie der Kontext aussieht. Und da kommen alte Menschen ins Spiel ...“

Leute wie du und ich, jenseits der 30 ...

„Ja, und deshalb wissen wir, wie die Welt war, bevor es das Internet und Mobiltelefone gab, um mal ein Beispiel zu nennen. Die Menschen sind selten an richtiger Geschichte interessiert, ihnen reicht das, was sie häppchenweise an Schein-Geschichte vorgesetzt bekommen. Dabei ist es doch, zumindest für mich, viel interessanter, den echten Kontext zu kennen, in dem eine Platte entstand, etwa was die DOORS zu einer Platte inspirierte, vor welchem Hintergrund sie aufgenommen wurde. Und die DOORS sind für mich in gewisser Weise der Beginn dieser tödlichen Spirale, die letztlich zur Niederlage der USA in Vietnam führte.“

Um zum Schluss etwas positiver zu werden: Gibt es denn auch neue, junge Bands, die du magst?

„Natürlich, es wird ja auch viel gute Musik gemacht. Devendra Banhart etwa, oder BEEHIVE & THE BARRACUDAS. Ich sage ja auch nicht, dass alle Bands heute stinken, aber eben viele von den großen, gehypeten. Noch mal: Es reicht nicht aus, JOY DIVISION und GANG OF FOUR zu kopieren. Es kann ein Anfang sein, aber mehr nicht.“

Ian, ich danke dir für das Interview.