CRIME & THE CITY SOLUTION

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„Heart full of pain, mouth full of coals“

CRIME AND THE CITY SOLUTION (C&CS), 1977 in Sydney von Simon Bonney ins Leben gerufen (später siedelte man nach Melbourne über), waren die ersten Jahre bis 1985 (abgesehen von dem Song „Moments“ auf einem Cassetten-Sampler 1979 auf Fast Forward) mit wenig Output gesegnet. Bis die Band 1985 mit dem Multiinstrumentalisten Mick Harvey und dem Gitaristen Rowland S. Howard (von den zuvor aufgelösten legendären THE BIRTHDAY PARTY) mit neuem musikalischen Rückgrat wie ein Phoenix aus der Asche auferstand.

Dann ging alles relativ schnell. Bonney kannte Howard bereits seit Mitte der 70er Jahre, als dieser in Melbourne in mehreren Bands aktiv war, u.a. bei TOOTHO AND THE RING OF CONFIDENCE (1974-1976), THE OBSESSIONS (1977), THE YOUNG CHARLATANS (1977-1978), mit Jef Wegener, der später bei den fantastischen LAUGHING CLOWNS wieder auftauchen sollte. Die YOUNG CHARLATANS vererbten der pre-BIRTHDAY PARTY-Formation BOYS NEXT DOOR den wunderbaren Song „Shivers“ und ein junger Nick Cave – damals noch stark von David Bowie beeinflusst – nahm dies dankbar an. Die Initialzündung war dann ein Anruf von Mick Harvey bei Daniel Miller (Mute Records), der – nachdem Nick Cave bereits ein Jahr zuvor auf Mute sein erstes Soloalbum „The First Born Is Dead“ veröffentlicht hatte – die erste EP „The Dangling Man“ (1985) von C&CS finanzierte und veröffentlichte.
Während der Studio-Sessions, die gerade mal vier Tage dauerten, stieß Schlagzeuger Epic Soundtracks (der Ende 1999 verstarb) als neues Mitglied zur Band, welcher zu diesem Zeitpunkt für Mute Records Musikerbiografien schrieb und bereits in illustren Bands wie den legendären SWELL MAPS (mit seinem Bruder Nikki Sudden) und bei RED CRAYOLA mitgewirkt hatte. Gerade für Howard schien es nach längerer Zeit der Untätigkeit nach dem Split von BIRTHDAY PARTY (abgesehen von seiner Zusammenarbeit mit Frank Tovey aka FAD GADGET auf dessen Album „Gag“ von 1984) wie eine kreative Befreiung. Und es kam, wie es kommen musste: ein entrückter und verzweifelter Bonney legte sich mit seiner paralysierenden Dunkelheit über alle Songs „... its quartet of songs nags at themes of loneliness and desertion“ (Biba Kopf, NME, 1985). Referenzen an einen Tom Waits und Jim Morrison durchzogen die Presse wie ein roter Faden, und auch ein David McComb von den TRIFFIDS sei hier erwähnt.
Simple, plakative Gefühlsausbrüche waren indes nicht Bonneys Sache, eher Authentizität: „Going back to my lyrics, I don’t think they are doomy at all. I never see things as ultimately hopeless, I see things potentially good” (Simon Bonney, 1985).
Gleichwohl vermitteln Songs wie „At the crossroads“ und „The dangling man“ eine Faszination für die morbiden Stimmungen, Mythen und Bilder des Bluesdeltas, in Anlehnung an Robert Johnsons „Crossroads blues“ oder einen Josh White, so wie Bonney in „Strange fruit“ über leblose Körper singt, die von Bäumen hängen. Der fast distanzierte und kühle Gitarreneinsatz von Howard und Harvey (live auch an den Keyboards) unterstützt noch dieses Bild, und der stoische Basslauf von Harry Howard, Rowlands Bruder, tat sein übriges. Dennoch wurde die Band nicht müde, Vergleiche mit dem zu dieser Zeit populären Gothic-Rock auszuräumen – eines Tages schleppte Bonney die Bandmitglieder auf ein Konzert von BONE ORCHARD und SKELETAL FAMILY, um ihnen jenes Genre vor Augen zu führen. „I don’t see that our group has anything to do with any goth group, that’s just another journalistic tool, a bad reference point. People tried to plaster The BIRTHDAY PARTY with the same tag and it didn’t stick. I won’t for crime.“ (Mick Harvey, 1985).

Bonney war ohnehin etwas dünnhäutig, was sein Verhältnis zur Musikpresse anging, insbesondere wenn es um seine Texte ging: „It would be ridiculous for me to sing songs about driving around in a Maserati, picking up my long-blonde-haired girlfriend with her incredibly long legs, and motoring off whatever restaurant it is that your are supposed to go to. My life isn’t like that, I don’t think most people’s are. Excuse me!“ Doch Bonney ging es nie um eine klischeebehaftete Ästhetisierung von Depressionen („... maniac depression is about as interesting as gout or diabetes. It’s on a par with trying to make heroin addiction charismatic ...“), wenngleich man sich einig war, dass die Untiefen des Lebens für einen Songwriter kreatives Potential eröffneten („... as a songwriter myself I’ve always found it much easier to write when you’re miserable ...“ Rowland S. Howard, 1985).
Auch die ersten Live-Auftritte standen nur zu deutlich unter dem Einfluss und einer Erwartungshaltung, die an die großen BIRTHDAY PARTY angelehnt waren – letztlich musste man das englische Konzertmanagement feuern, weil Flyer mit dem Verweis „Come and see the new BIRTHDAY PARTY!“ die Band nicht wirklich glücklich stimmen konnten. Ende 1985 erschien – produziert von Flood, der bereits mit PSYCHIC TV, SOFT CELL und CABARET VOLTAIRE gearbeitet hatte und später auch Alben für Nick Cave, U2 und DEPECHE MODE produzierte – die Mini-LP „Just South Of Heaven“. Und der erste Song „Rose blue“ manifestierte geradezu perfekt das, was als Bonneys „fatalistic blues romanticism“ bezeichnet wurde. Es war der verzweifelte Versuch, die teilweise fast destruktive Beziehung zwischen Bonney und der Violinistin Bronwyn Adams, die ab 1987 festes Mitglied von C&CS werden sollte, zu verarbeiten. Eine tiefsinnige und schwermütige Ballade, getragen von verzweifelten Piano-Sounds und akustischer Gitarre. Bonney singt, nein, erzählt fast von einer zerbrechenden Beziehung, im Hintergrund das entrückte Schlagzeug von Epic Soundtracks, der die Musik im Alleingang schrieb – als einzigen Song im Gesamtwerk von C&CS, und vielleicht der beste Song der Gruppe überhaupt.
Auch das Stück „The coal train“ widmet sich den Themen, die bereits Nick Cave auf seinem 1984er Solodebüt „The First Born Is Dead“ verarbeitete: Entfremdung, Entwurzelung, vereinsamte Menschen in verzweifelten Situationen. Und alles getragen von einem alkoholgetränkten Nihilismus (klassische Themen eines Johnny Cash, dessen Einfluss auf Bonney später in seinen Soloalben deutlicher wird). Die Texte sind im Wesentlichen geprägt durch eine Co-Autorenschaft von Bonney und Adams, die ein ausgeprägtes Gespür für das „editieren“ – wie es Bonney nannte – von Texten hatte. Eine Fähigkeit, die später auch Nick Cave für seine zweite Novelle „And The Ass Saw The Angel“ nutzte. Die Anmerkungen von Bronwyn Adams waren Cave letztlich so wichtig, dass es ihm fast peinlich war, in der fertigen Druckversion Adams nicht entsprechend hervorgehoben zu haben.

Generell erschien die Zusammenarbeit zwischen Paaren, wenn auch nur temporär, die Kreativität der Australier zu beflügeln: Rowland S. Howard wird in seiner Zeit nach C&CS mit Genevieve McGuckin – die bereits auf dem „Prayers On Fire“-Album von BIRTHDAY PARTY an den Songs „Capers“ und „Ho ho“ mitschrieb – THESE IMMORTAL SOULS gründen und u.a. mit „Marry me (lie! lie!)“ wunderbare Songs veröffentlichen. Bis heute fruchtbar ist die Zusammenarbeit zwischen Mick Harvey und Anita Lane (u.a. das Album „Dirty Pearl“ von Lane, 1993), die ebenfalls aus dem Dunstkreis der BIRTHDAY PARTY stammte. Die Platte stand definitiv unter einem ausgeprägten Blues-Einfluss, wenn auch einem sehr speziellen. „There’s a strange situation with the blues. A black artist can exude certain emotions about a situation and be accepted as having a great deal of soul. And yet if you turn this into a white band like us it’s turned miserable“ (Simon Bonny, 1985). Dies war durchaus ein Verweis auf die englische Musikpresse, die C&CS provokativ als Musik für Menschen bezeichnete die „... considered suicide but abandoned the idea, because they can’t bear not being around to see how guilty they’ve made everybody feel about.“
„Just south of heaven“ schaffte es in Holland sogar unter die Top 40, was wohl dem Umstand geschuldet war, dass C&CS in Holland die meisten Konzerte außerhalb Australiens spielten – was im Übrigen auch für THE BIRTHDAY PARTY galt.
1986 erschien die LP „Room Of Lights“, produziert von Flood und Tony Cohen (Haus- und Hofproduzent für THE BIRTHDAY PARTY). Das Artwork des Albums gibt gleich die Richtung vor, das an die expressive Entwurfsskizze eines Van-Gogh-Gemäldes erinnert, obgleich noch dunkel, eröffnet es auch Räume für versöhnlichere und leichtere Passagen. Der Song „Six bells chime“ sich einem Country-affinen Sound öffnete – wohl auch eine der unzähligen Parallelen zu GUN CLUB. Der Song wurde 1988 in Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“ – die Band war mittlerweile von London nach Berlin übergesiedelt – Teil des Soundtracks, und im Rahmen einer Filmsequenz von C&CS in einem Club live gespielt.
Zwei Jahre später wurde „Shine“ veröffentlicht. Zuvor hatten die Howard-Brüder die Gruppe verlassen um THESE IMMORTAL SOULS zu gründen, und Gitarrist Alexander Hacke (ex-EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN) sowie Thomas Stern und der kürzlich verstorbene Chrislo Haas (Gründungsmitglied von D.A.F. und LIAISONS DANGEREUSES) stießen zur Band. Der Sound wurde durch den sehr spärlichen und sphärischen Einsatz elektronischer Versatzstücke glatter und verlor die einfache Struktur des Blues.
Das Folgealbum „The Bride Ship“ (1989) vermittelte gleich auf dem Cover durch Thomas Coles barockes Gemälde „Course Of The Empire – Destruction“ das Sinnbild einer apokalyptischen Untergangsstimmung. Bonney wandelte sich immer mehr zu einem reinen Erzähler, der sich mit seiner dunklen, grollenden Stimme (teilweise überlagernd aufgenommen) thematisch und auch in der Wahl der Songtitel („The bride ship“, „Free world“, „New world“) globalen Untergangsstimmungen widmete – jedoch mit der Hoffnung auf Veränderung. Das Ganze wirkte zunehmend komplexer und schwer zugänglich.
Daran ändert sich auch beim letzten Studioalbum „Paradise Discotheque“ (1990) nichts mehr. 1991 steuert C&CS für den Wim Wenders-Film „Bis ans Ende dieser Welt“ den Song „The adversary“ bei und 1992 für den Film „Gas, Food And Lodging“ mit Fairuza Balk das Instrumental „Sun before dawn“. Ohnehin wird sich Mick Harvey später – neben seinen Aktivitäten als Produzent (u.a. Anita Lane, THE CRUEL SEA, P.J. Harvey, Robert Forster) und als Allzeit-BAD SEED bei Nick Cave – der Veröffentlichung von Filmmusiken widmen, z. B. für „Ghosts of the Civil Dead“ (1989) gemeinsam mit Blixa Bargeld und Nick Cave (Cave ist im Film auch als psychotischer Häftling zu sehen), „Alta Marea & Vaterland“ (1993) oder „Australian Rules“ (2000). 1993 erscheint als letzte Veröffentlichung von C&CS „The Adversary – Live“, ein Album mit Konzertmitschnitten aus Paris von 1990 und dem letzten Konzert der Band im New Yorker CBGB’s im August 1991.

Anfang der Neunziger wanderte Bonney mit Adams nach Amerika aus. Nun begann das Leben eines rastlos Suchenden. Vor Ort suchte er sich neue Musiker wie beispielsweise Jon Dee Graham (ehemals TRUE BELIEVERS) und J.D. Foster, mit denen er das erste Soloalbum „Forever“ (1992) einspielte. Nicht nur in den Songs beschwört Bonney das Schicksal des unsteten Wanderers – dieses Leben lebte er auch. Nach der Veröffentlichung des Albums packte er all seine Habseligkeiten zusammen, um mit seiner schwangeren Frau und seiner kleinen Tochter die Reise über den amerikanischen Kontinent anzutreten. Das Cover zum Folgealbum „Everyman“ (1995) zeigt Bilder der reisenden Familie. Die Songs spiegeln genau die Gegebenheiten des unermüdlichen Nomaden wieder und sie entstanden größtenteils auf den Highways. Das Album – co-produziert von Daniel Miller (Mute Records blieb in allen Schaffensphasen die Heimat von Bonney) und u.a. mit Chuck Prophet an der Gitarre – öffnet sich nicht beim ersten Hören. Den Country- und Blueseinfluss hört man deutlich heraus. Doch etwas anderes vermitteln die Songs auch: für Bonney bedeuteten Wanderschaft und Heimkehr ein und dasselbe. „Everyman“ zieht sich in sechs Episoden durch das Album und rahmt die anderen Stücke ein. Einen Song widmete Bonney Johnny Cash: „A white suite in Memphis“. Ferner enthält das Album zwei Coverversionen, von Willie Nelson und Danny O’ Keefe. Die beiden Stücke „Travelin’ on“ und „All God’s children“ finden sich auch auf dem Soundtrack zu Wim Wenders Film „In weiter Ferne, so nah!“. Letztlich lässt sich das Werk von Simon Bonney mit den, wenn auch verkürzten, Worten von Johnny Cash wiedergeben: „Ich liebe Songs über Pferde, Eisenbahnzüge, Land, das Jüngste Gericht, die Familie, schwere Zeiten, Whiskey, Brautschau, Ehe und Ehebruch, Trennung, Mord, Stolz, Humor, Glauben, Herzschmerz und Liebe. Über meine Mutter. Und Gott.“