GUIDO LUCAS

Foto

Kaffeeklatsch im blu:box-Studio

Wer sich in Deutschland mit Gitarrenmusik jenseits von Punk und Hardcore beschäftigt – Indierock ist wohl das Stichwort –, kommt um den Namen Guido Lucas nicht herum. Seit Mitte der Neunziger ist der 43-Jährige mit seinem in Troisdorf (irgendwo im Niemandsland zwischen Köln und Bonn) gelegenen blu:box-Studio eine der wichtigsten Hausnummern in der Produzenten-Landschaft. Und nicht nur das: Einst spielte er selbst bei LES HOMMES QUI WEAR ESPANDRILLOS, war danach bei SCUMBUCKET, KEN und schließlich GENEPOOL, betreibt mit blunoise ein Label, auf dem zum Beispiel das erste Album von HARMFUL erschien, und weil Symbiosen so schön sind, sitzt ein paar Türen weiter auch sein alter Weggefährte Carsten „Keule“ Collenbusch, der sich um das Finest Noise-Fanzine sowie diverse andere Aktivitäten wie Mailorder, Promotion und Mastering kümmert. Von daher war es längst überfällig, dem sympathischen Bartträger einen Besuch abzustatten. Der Weg führte mich in einen versteckten Hinterhof (mit imposanter Alkoholika-Altglas-Sammlung) in einem rheinischen Provinzstädtchen, in ein Eigenbaustudio, das mit musikalischer Kompetenz glänzt statt mit Marmor. Und so sitze ich jetzt auf einer nach frisch vom Sperrmüll aussehenden Sofagarnitur im Aufenthaltsraum des blu:box-Studios, bekomme Kuchen von der Geburtstagsfeier des Vortages serviert nebst frischem Kaffee, und während wir noch über den iPod als Phänomen räsonieren, sind wir auch schon mitten drin im Interview ...

Digital oder analog, ist das für dich eine Glaubensfrage?


„Heute nicht, da arbeite ich mit beidem, aber anfangs war es das schon. Da hat das auch insgesamt die Leute polarisiert, da ging es entweder um digital oder analog. Und wenn ich mich für eines entscheiden müsste, dann für analog, schon weil das beim Arbeiten ein ganz anderes Gefühl ist. Mittlerweile ist das aber alles entspannter geworden, und man kann ja auch beides miteinander koppeln. Ich kann hier im Studio sowohl digital als auch analog arbeiten oder eben beides mischen. In der Regel wird erstmal analog auf Band aufgenommen und dann später auf den Rechner überspielt. So kann ich den Sound der analogen Bandmaschine mit dem Vorteil der digitalen Bearbeitung kombinieren. Das ist eben viel einfacher, da kannst du eben für eine Rassel oder einen Shout eine neue Spur anlegen, während das früher analog sehr aufwendig war.“

Wo analoge Technik unnötig verkompliziert, da ist digital für dich okay, wo analog besser klingt, nimmst du das.

„Genau so isses. Dabei ist die analoge Technik der digitalen immer noch weit überlegen, nur kann man mit Digitaltechnik beim Mischen viel kreativer sein. Außerdem arbeiten Musiker bei Analogtechnik disziplinierter: Die wissen, es kommt drauf an, wenn das Band läuft, während die bei digital das Gefühl haben, sie könnten auch 30 Versuche machen, bis es passt. Wenn dagegen am Band die Lichter angehen, sind die alle nervös. Und ja, feuchte Hände müssen Musiker schon kriegen im Studio. Die müssen alles geben, und das muss dann auf dieses bisschen Band drauf.“

Ist analog oder digital auch eine Generationsfrage?

„Also ich kann da nicht verallgemeinern. Die Leute, die zu mir ins Studio kommen, wollen jedenfalls alle analog. Aber klar, wer Anfang 20 ist, der hat in der Regel keine Erfahrung mit Analogtechnik. Der hat stattdessen seinen Rechner, nimmt damit digital auf und weiß gar nicht, wie das analog klingen könnte.“

Ist die Kombination von analoger und digitaler Technik, wie du sie praktizierst, im Profibereich Usus?

„Ja, ab einem gewissen Level schon. Und nimm angesagte Bands wie BLOC PARTY oder FRANZ FERDINAND, da würde es mich wundern, wenn die nicht so arbeiten würden.“

Digitales Homerecording is killing Tonstudios?

„Also meines nicht. Digitales Homerecording ist gut für die Vorproduktion. Ich sage das jeder Band, dass sie idealerweise mit Vorproduktionen ins Studio kommen soll, dann habe ich schon mal was, mit dem ich arbeiten kann. Und Homerecording hat ja seine Vorteile, doch ein Schlagzeug mit 20 Mikros gut aufnehmen, das kannst du zu Hause eben nicht, für einen fetten Rocksound brauchst du ein Studio. Und dann ist da ja auch noch der kreative Input, denn die Leute, die zu mir kommen, die wollen ja meine Meinung wissen, dass ich ihnen sage, was sie anders machen sollen.“

Erzähl doch mal eben, wie du überhaupt zu deinem Job als Produzent und Tonstudioinhaber gekommen bist. Ich nahm dich erstmals Anfang der Neunziger wahr mit deiner damaligen Band LES HOMMES QUI WEAR ESPANDRILLOS.

„Ja, das habe ich bis 1996 mitgemacht. Zu dem Zeitpunkt hatte ich dann immer mehr mit meinem Label und dem Studio zu tun. Damals waren auf blunoise die aktuelle LHQWE-Platte raus, die erste von ULME und die erste von HARMFUL. Nach dem Ausstieg bei LHQWE kamen dann SCUMBUCKET, KEN und schließlich GENEPOOL. Hier in diesem Studio, in diesen Räumlichkeiten, war ich erstmals 1990 als Musiker, als Kunde und nahm da meine erste Platte auf. Das Studio gehörte drei Leuten, die auch eine Band hatten, und denen fehlte damals ein Bassist, und so stieg ich da ein. Das war eine reine Studioband, die sich auch selbst aufnahm, und ich war von der Technik sofort angefixt, hatte vorher schon immer wieder mal was mit 4- und 8-Spur gemacht. Tja, und dann war ich irgendwann mit dem Studium – Philosophie und Germanistik – in Bonn fertig, mit dem Job an der Uni hat es nicht geklappt, und da habe ich mir gesagt, dann machst du halt Musik, so lange, wie es irgendwie geht. Na ja, aber nur Musik zu machen, das ist ein hartes Brot hierzulande, und da passte das mit der Studioarbeit ganz gut, denn da kann man das Geld verdienen, das man zum Überleben braucht, hat aber auch genug Zeit zum Musikmachen. Bis heute ist mir das wichtig, dass ich beides machen kann.“

Vom Geisteswissenschaftler zum Produzenten, wie macht man das, zum Beispiel auch was die Technikkenntnisse anbelangt?

„Also ich bin kein Techniker, meine Herangehensweise ist eine ganz andere, als wenn jemand Toningenieur ist. Ich kann selbst zwar alles bedienen, aber für konkrete Techniksachen arbeitet hier auch ein gelernter Techniker. Die Physik, die dahinter steckt, ist für mich Horror, theoretisches Hintergrundwissen ist bei mir gar nicht vorhanden. Ich sehe mich eher als Musiker und Künstler. Anfangs war mir der Sound bei Musik scheißegal, aber die Luft musste brennen, da musste was passieren. Da war es mir egal, welches Mikro verwendet wird oder ob was übersteuert ist.“

Kann man denn so genau trennen zwischen dem für die Technik Zuständigen, der dann auf Platten mit „engineered by“ aufgeführt ist, und den Mann mit dem Masterplan, der der Band schlaue Ratschläge gibt und mit „produced by“ im Booklet steht?

„Theoretisch kann man das so trennen, in der Praxis nicht, das geht ineinander über.“

Wie kamst du zur Musik, zum Punk?

„Bei mir fing das so Anfang der Achtziger an. Da hörte ich in erster Linie Punk, RAMONES, CLASH, JAM, STIFF LITTLE FINGERS. Aber ich war nicht in der Szene drin, das war alles nicht wirklich fundiert.“

Ein Einzelgänger, hier in der Kleinstadt?

„Nein, mit einem Freund zusammen, in meiner Heimatstadt Hagen. Ich war aber schon damals nicht auf Punk fixiert, habe auch viele Mainstream-Sachen wie Springsteen oder ROLLING STONES gehört. Ich war ein totaler Musiknerd, ein Plattensammler. Und weil ein Freund aus der Schule eine Band hatte und jemand brauchte, der Bass spielt, fing ich eben an Bass zu spielen.“

Hattest du damals schon eine irgendwie analytische Herangehensweise an Musik, die man ja, das unterstelle ich mal, braucht, um als Produzent arbeiten zu können?

„Nein, ich war einfach nur Fan und begeistert von der Musik. Und ich habe immer sehr genau auf die Texte, die Aussage geachtet, habe versucht, die Musik irgendwie in eine gewisse Tradition einzuordnen, der mich dann auch zugehörig fühlte.“

Ideell? Politisch?

„Im weitesten Sinne politisch, irgendwie aus der linken Ecke und mit Aussage. Musik, die Stellung bezieht. Und klar fing ich dann auch irgendwann an, analytisch zu sein, hörte viel Jazz und Klassik, und letztlich ist das für mich heute die Musik, die ich noch hören kann, ohne sofort zu analysieren. Das Analytische, tja, das kam dann irgendwie, und das ist nicht schön, das nimmt einem die Unschuld. Nimm zum Beispiel BLOC PARTY: Ich weiß nicht, ob ich die Band gut finde oder nur der Sound gut ist. Im Gegensatz zu FRANZ FERDINAND, die höre ich gar nicht analytisch, die gefallen mir einfach nur. Wenn ich selbst etwas produziere, erkenne ich den Zeitpunkt, an dem eine Produktion fertig ist, daran, dass ich dann beim Hören nicht mehr analysiere, sondern nur auf die Musik höre. Dann steht der Mix, dann ist man drin im Sound, dann ist es mir scheißegal, ob da jemand von einer Band ankommt und sagt, er höre seine Gitarre nicht. Wenn die Musik funktioniert, ist es mir völlig egal, ob man die Gitarre hört oder nicht.“

Versteht eine Band das?

„Jaaa ... Die hängen mir teilweise schon sehr an den Lippen. Ich kann aber auch sehr stur und penetrant sein, es wird hier schon auch mal gefightet, aber immer mit guten Argumenten. Ich höre mir immer an, was eine Band zu sagen hat, denn die hat sich ja viel länger mit der Sache befasst als ich. Oft mangelt es nur an der Erfahrung oder am Vokabular, um auszudrücken, was gewollt ist. Da gilt es dann zu ergründen, was die Band meint, um das umsetzen zu können. Für mich ist der Auftrag erst erfüllt, wenn es mir gefällt, aber es passiert nur selten, dass ein Mix nur mir und der Band nicht gefällt.“

Was würdest du denn einer jungen Band raten, die ihr erstes Album aufnehmen will und keine Lust hat, an den Halsabschneider vor Ort zu geraten. Man kennt das ja: Das örtliche Studio, technisch perfekt ausgerüstet, leider nicht ganz billig, betrieben vom einstigen Provinz-Rockstar, dessen beste Zeit vor zwanzig Jahren war und der eigentlich kein Stück versteht, was die Band vor ihm musikalisch will ...

„Ein oft gemachter großer Fehler besteht darin, dass Bands zu lange warten, bis sie ins Studio gehen. Und da versuchen sie dann zu weit zu werfen, haben ein unrealistisches Ziel. Die machen jahrelang nichts, sparen all ihr Geld fürs Studio und mieten sich da dann zwei Wochen ein. Und da soll dann die perfekte Platte bei rauskommen. Dabei ist es viel klüger, öfter mal für kurze Zeit ins Studio zu gehen, einfach um Erfahrung zu sammeln. Das ist, als ob du nach drei Jahren Proberaum ohne Auftritt gleich zwei Wochen auf Tour gehen würdest, das kann nicht klappen. Im Studio zu arbeiten, muss man genauso lernen, wie live zu spielen. Mein Rat ist deshalb: So oft es geht ins Studio, zwei, drei Tage, dabei verschiedene antesten. Und auch selber aufnehmen, mit primitivsten Mitteln, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was man da eigentlich macht. Es passiert mir immer wieder, dass Bands hier im Studio das erste Mal hören, was sie eigentlich mit der Bassdrum machen, weil sie das im Proberaum auch gar nicht hören können. Die sind dann meist erschrocken, wie schlecht das eigentlich klingt. Da muss ich dann erstmal erklären, wie das gespielt werden sollte. Da kommt dann oft die schöne Antwort: ‚Wieso? Da kann man doch ’nen Kompressor draufsetzen.‘ Nein, kann man nicht, das muss man schon richtig spielen. Ich sehe meine Aufgabe also schon darin, dass ich den Leuten konkret erzähle, was sie falsch machen, etwa dass der Schlägel an der Bassdrum nachfedert und ein Geräusch macht. Das merkt man normalerweise nicht, aber im Studio kommt das raus, und dann wird eben die Fußmaschine anders eingestellt und geübt, bis das klappt. Aber das dauert schon zwei, drei Wochen, im Studio ist das zu spät. Und deshalb gilt: selber aufnehmen, analysieren.“

Ganz schlimm finde ich ja schlechte Sänger. Wir bekommen so viele Demos und selbstproduzierte Alben, wo man sich fragt, warum bislang keiner dem Sänger gesagt hat, wie schlecht er ist. Ich glaube, viele Freunde einer Band trauen sich nicht, da Kritik zu üben. Da wird schief gesungen, die englische Aussprache ist grauenhaft, und so weiter.

„Meiner Erfahrung nach fehlt oft die Zeit, um im Studio gezielt an den Schwächen des Sängers zu arbeiten. Die sind dann meist sowieso schon unsicher und nervös, und wenn du da dann ankommst mit Ratschlägen, wie dass er doch auf seine Aussprache und dies und das achten solle, dann klinken die oft total aus, dann geht gar nichts mehr. Das ist ein ganz schwieriges Thema. Ein großes Problem besteht darin, dass Sänger oft nicht üben. Die fühlen sich als Gitarrist oder Bassist, aber nicht als Sänger, und sie denken, was da im Proberaum über eine billige Anlage noch okay klingt, das würde schon reichen. Und dann stehen die hier im Studio mit Kopfhörern auf, sie sind ganz allein, und dann ist die Not groß. Aber auch das kann ja geübt werden: eine vernünftige Anlage im Proberaum und selber aufnehmen.“

„Produziert von Guido Lucas“ ist schon lange ein Qualitätssiegel. Das bedeutet aber doch auch, dass es nicht in deinem Interesse liegen kann, deinen Namen auf der Platte einer nicht wirklich guten Band zu haben, oder?

„Also dass ich heute einen guten Namen habe, das ist von selbst passiert. Und ich habe natürlich in den frühen Jahren auch Sachen gemacht, die richtig Scheiße waren, die ich richtig verbockt habe, oft deshalb, weil mir selbst die Erfahrung fehlte. Mittlerweile ist es so, dass richtig schlechte Bands gar nicht mehr zu mir kommen, also ist die Gefahr, die du ansprichst, gar nicht da. Ich arbeite nicht mit Bands, die in drei Tagen 15 Songs einspielen. Früher war das oft der Fall, aber heute sind die Bands besser, ich habe mehr und mehr Erfahrung. Da kommt das eine zum anderen und du machst automatisch einen besseren Job. Und wenn dann auf einer Platte draufsteht ‚Produziert von Guido Lucas‘ und die Platte ist gut, dann spricht sich das herum. Die paar nicht so guten Sachen hört eh keiner.“

Was du stilistisch machst, lässt sich bei aller stilistischen Bandbreite doch auf den Begriff „Harte Gitarrenmusik“ reduzieren, oder?

„Ja, im weitesten Sinne, ganz ohne Wertung. Es kommen aber auch keine anderen Bands zu mir. Früher hatte ich auch mal Hip-Hopper, Funk- oder Coverbands, aber aus der Richtung kommen keinerlei Anfragen mehr.“

Wie kam das? In gewisser Weise repräsentiert das ja auch das musikalische Spektrum der Bands, in denen du selbst aktiv warst bzw. bist.

„Und die ich auf dem Label habe. Eigentlich sind es eher die Bands, die ich auf dem Label hatte und die dann groß wurden, welche die Richtung vorgegeben haben, als jene, die ich im Studio hatte. Das hat eine Eigendynamik entwickelt, da muss ich gar nicht aktiv eingreifen, das läuft trotzdem in eine Richtung, die mir zusagt, die meinem Geschmack entspricht. Ich habe auch nie für das Studio Werbung gemacht, und eine Homepage fürs Studio gibt es auch erst seit Anfang des Jahres. Das läuft alles über Mund-zu-Mund-Propaganda.“

Müssen sich Bands „bewerben“, um bei dir aufzunehmen?

„Also wir haben ein Vorgespräch, wo ich ergründe, was die Band will, ob das passt. Und dann mache ich ein Angebot, und wenn der Preis für die stimmt, kommen sie vorbei und ich erzähle ihnen, wie ich mir die Aufnahmen vorstelle, sie können mir ihre bisherigen Aufnahmen vorspielen und ich sage was dazu, und wenn das passt, rufen die eine Woche später an und buchen – oder eben nicht. Und ich weiß nach der Besprechung hier vor Ort auch genau, welche Band wieder kommt und welche nicht. Das merkt man sofort, mir ist es wichtig, dass das menschlich passt.“

Das ganze Ding mit namhaften Produzenten ist in den USA wesentlich ausgeprägter als hierzulande. Wie verfolgst du das?

„Der ganze Starkult ist in den USA ja insgesamt viel ausgeprägter als hier, da wird viel mehr Show gemacht. Abgesehen davon sehe ich mich selbst ja auch überhaupt nicht als, äh ... Starproduzent?“

Okay, soweit würde ich jetzt auch nicht gehen, aber unter den wenigen Namen, die einem überhaupt einfallen, ist deiner schon dabei.

„Ich denke, das hängt in meinem Fall damit zusammen, dass ich ein eindeutiges Profil habe. Ich mache nicht alles mögliche, sondern nur bestimmte Sachen. Oder nenne es statt Profil auch Starrsinnigkeit, das trifft es genauso. Und Ehrlichkeit und Integrität sind mir auch wichtig.“

Dafür spricht, dass es hier nicht aussieht wie in einem Marmor verkleideten Studiotempel, der durch dicke Majorproduktionen bezahlt wurde.

„Na ja, die Leute sollen sich hier ja auch wohl fühlen, die Bands wohnen ja meist auch hier. Hier auf dem Sofa kann man schlafen, es gibt ein paar Matratzen, da drüben ist eine Küchenzeile, Dusche gibt’s auch. Mit Majorproduktionen habe ich ehrlich gesagt auch ein Problem. Wenn da schon mal Leute von einem Majorlabel vorbeikommen, denen fällt erstmal das Gesicht runter, wenn sie das hier sehen. Wenn du solche Produktionen machen willst, muss man auf jeden Fall als Studio protzen und auf Äußerlichkeiten achten, da wird sehr drauf geschaut. Ich hatte hier schon Leute sitzen, da hattest du das Gefühl, die haben Angst, sich ihr Anzügchen schmutzig zu machen, als wollten die sich zu Hause erstmal desinfizieren, hahaha.“

Na, noch springen keine Flöhe, wenn man hier aufs Polster haut ... Du machst ja auch noch mit blunoise dein eigenes Label, um das es in den letzten Jahren aber etwas ruhiger geworden ist.

„Anfangs hat man sich da mit mehr Power reingehängt, das stimmt, aber in den Neunzigern war das auch eine andere Zeit. Als ULME sich dann aufgelöst hatten, war da etwas die Luft raus, und ständig mit Bands zu diskutieren, darauf habe ich keine Lust. Und ich hatte auch keine Lust, mein ganzes Geld in Anzeigen zu stecken, doch in dem Moment hieß es überall, was denn mit blunoise los sei ... Jetzt mache ich immer noch drei, vier Platten im Jahr, verkaufe nicht mehr und nicht weniger, aber mache halt keine Anzeigen mehr. Außerdem ist es ganz klar so, dass ich mit dem Label immer nur Geld verloren habe, aber mit dem Studio Geld verdiene, und da muss ich mich eben auf Letzteres konzentrieren, schon aus Zeitgründen. Und wenn ich mal einen Tag frei habe, kümmere mich eben eher um die Steuer oder mache gar nichts.“

Hast du noch ein Privatleben?

„Ja, und das trenne ich völlig. Ich wohne ja auch 100 km von hier entfernt, in Erkelenz bei Mönchengladbach. Das sind zwei Welten für mich, hier das Studio, da meine Familie, denn ich habe ja zwei Kinder. Ich bin eben auch mal ein paar Tage zu Hause, dann wieder mehrere Tage am Stück hier, und ich finde es wichtig, beides zu trennen.“

Du meinst, um nicht ständig mit Bands zu versumpfen.

„Genau. Hier hat man ja auch keinen 8-Stunden-Tag, das geht von morgens bis in die Nacht. Und selbst nachts passiert es schon mal, dass ich aufwache, eine Idee im Kopf habe und dann nicht mehr einschlafen kann. Würde ich das Studio im Haus haben, würde ich aufstehen und um drei Uhr nachts am Mischpult sitzen, und das geht nicht. Ich muss mich da vor mir selbst schützen: zu Hause ist Feierabend, da wird nicht gearbeitet.“

Um noch mal auf dein Label zu sprechen zu kommen: Wie war denn der Werdegang „deiner“ Bands? HARMFUL zum Beispiel.

„Deren erste Platte hatte ich gemacht, dann sind die zu Intercord und dann zu BMG, zu SPV und schließlich zu Noisolution. SCUMBUCKET und BLACKMAIL waren jeweils auch zu Beginn auf blunoise und wechselten dann zu anderen Labels. Andere Bands wie PENDIKEL gibt es jetzt wieder, und sowieso scheint es so zu sein, dass blunoise-Bands entweder wegen des Erfolgs das Label verlassen oder sich wegen Erfolglosigkeit auflösen, hahaha. Dann musst du neue Bands suchen, und ich muss sagen, auf Dauer ist es schon anstrengend, immer wieder die gleichen Diskussionen zu führen. Ich mache den Bands von vorneherein klar, dass sie bei mir nicht mit Stadionrock ankommen brauchen, aber mit kompromissloser, extremer, krachiger Musik genau richtig sind. Wenn eine Band sich darauf einlässt und das vernünftig macht, dann kann das über Jahre funktionieren, auch wenn man nicht viele Platten verkauft.“

Bei der letzten CURE-Platte soll Alec Newport als Produzent die Band ja wie ein Drill-Sergeant bis zum Letzten getrieben haben. Siehst du so was auch als deine Aufgabe an?

„Auf jeden Fall. Es ist gut, die Band mal zwei Wochen an einem Ort zu haben, ganz konzentriert arbeiten zu können, es auch mal zu übertreiben oder auch mal einen Holzweg bis zum Ende zu gehen, um auszuloten, was geht. Da kannst du die Band motivieren, aber auch produzieren.“

Kommt bei so was dann ein Loch in der Tür heraus wie das drüben, das Lee Hollis geschlagen hat?

„Na ja, das ist kein ganz so gutes Beispiel, haha. Aber ich hab ihm dann etwas Gras gegeben, dann ging das wieder.“

Du selbst bist aktuell bei GENEPOOL involviert, das Album erschien via Noisolution.

„Die erste Platte erschien noch bei blunoise, da waren aber weder ich noch Letten von SMOKE BLOW dabei. Thilo, einst bei MY LAI, arbeitete eine Weile für mich als Techniker, wir hatten ein Jahr lang zusammen eine Band, und als es dann mit GENEPOOL weiterging, war ich eben dabei. Ich wiederum kannte SMOKE BLOW, da sie ihre letzte Platte bei mir aufgenommen hatten. So kam Letten dazu, und so wurde aus dem anfänglichen Projekt eine Band. Die Platte dauerte, da speziell Letten nicht so viel Zeit hatte, aber ich denke, letztlich ist sie ganz gut geworden. Live sind wir übrigens nicht mit Letten unterwegs, sondern mit Christan von den ROSTOK VAMPIRES. Den lernte ich kennen, als die letztes Jahr ihre Platte hier aufgenommen haben. Ich sehe GENEPOOL nicht als Projekt, sondern durchaus als Band. Für das nächste Album sind Christian und Jack Letten als Sänger geplant, Frank von den SPERMBIRDS wird dabei sein, und wir werden noch ein paar andere Leute als Gäste ins Studio einladen.“

Die Einflüsse, die ich bei GENEPOOL heraushöre, passen zu deiner musikalischen Sozialisation in den Achtzigern ... Ich meine damit auch speziell die Wave-Elemente.

„Ja, hinter denen stehe ich besonders. Das war die Zeit, als ich selbst anfing Musik zu machen, und man kann das auch bei LHQWE heraushören, auch wenn ich die da noch zu unterdrücken versuchte.“

Man macht sich mit so was ja auch verdächtig, haha.

„Nein, eine Zeit lang ging das gar nicht. Mittlerweile darf man das ja wieder machen, und ich stehe dazu. JOY DIVISION, THE SOUND, diesen melancholischen Düsterkram.

AND ALSO THE TREES, PLAY DEAD, CHAMELEONS ...

„... genau, das war so mein Ding damals. Und Letten hat auch diesen Background. Der MISFITS-Touch kommt eher von Thilo und Paco.“

Die WIPERS nicht zu vergessen.

„Und WIRE. Wobei die Ursprünge der Songs aber eher klassischer Punkrock waren, der Wave-Touch kam erst im Studio dazu.“

Und wer hat das Cover bei den GERMS geklaut?

„Das war Letten. Aber ich finde, das hat schon was Eigenes, ist nicht nur so ein Abklatsch. Das soll schon seine eigene Ästhetik haben, ein Aspekt, der mir sowieso immer wichtig ist.“

Du machst einen zufriedenen Eindruck, mir scheint, du hast dir alles so eingerichtet, wie du willst.

„Im Moment habe ich das Gefühl, ich bin irgendwie angekommen. Ich weiß, was ich tue, ich habe meinen Stil, bin damit zufrieden und kann den vermitteln, bin gefragt mit dem, was ich tue. Damit fühle ich mich sehr wohl, und wenn ich mir anschaue, wo ich vor zehn Jahren stand und wo ich heute bin, dann hoffe ich, dass ich das in zehn Jahren auch noch mache und es mir noch viel besser geht.“

Also keine Krise, weil du über vierzig bist.

„Nö, ich wollte noch nie jünger sein, da habe ich kein Problem damit. Man muss lernen, immer weiter zu lernen, nicht irgendwann dicht zu machen, muss flexibel bleiben. Dann ist das, was ich mache, keine Frage des Alters.“

Gibt es eine Band, mit der du gerne arbeiten würdest?

„Eigentlich nicht. Ich wünsche mir, dass die Bands, die zu mir kommen, wirklich Lust haben, mit mir zu arbeiten und offen sind für neue Einflüsse.“

Guido, ich danke dir für das Interview.