RAZZIA

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Ausflug mit einer Legende

RAZZIA war in den späten Siebzigern und Achtzigern neben SLIME eine der bekanntesten Punkbands aus Hamburg. Die Stücke „Neo-Nazi“ „Schatten über Geroldshofen“, „Nacht im Ghetto“ oder „Kriegszustand“ von ihrem Debütalbum „Tag ohne Schatten“ aus dem Jahr 1983 sind Punk-Klassiker. Dazu kommen noch Beiträge wie „Arsch im Sarge“ oder „Ami-Fraß“ von den legendären Samplern „Underground Hits“ und „Keine Experimente“. Die fünfköpfige Band RAZZIA wurde 1979 in Hamburg gegründet. Schlüsselfiguren waren damals sicherlich der Sänger Rajas Thiele und die beiden Brüder Andreas (Gitarre) und Peter Siegler (Schlagzeug). Mitte der Achtziger habe ich RAZZIA dann aus den Augen und den Ohren verloren. Erst 2004 weckte das Album „Relativ sicher am Strand“ alte Erinnerungen und meine Neugier.

Interview mit RAZZIA. Kurz vor dem Treffen in einer Kneipe im Hamburger Schanzenviertel habe ich noch mit Frank, dem Gitarristen, telefoniert, „Wir kommen dann zu dritt, der Sänger kann nicht.“ Ich war gespannt, meine Erinnerungen liegen 20 Jahre zurück. Immerhin gehörte RAZZIA, neben SLIME und BETON COMBO, zu meinen damaligen Favoriten. Zum Einstieg, bei Kaffee und Bier, wollte ich gerne über meine meinen frühen RAZZIA-Erinnerungen sprechen: Mein erstes RAZZIA-Konzert in der legendären Hamburger Punk-Disko Graffiti im Januar 1983 oder ein Konzert in einem Jugendzentrum in Wedel, welches nach nur 15 Minuten Spielzeit beendet wurde, angeblich weil sowenig Leute da waren. Damals wirkte das auf mich etwas arrogant, so in etwa nach dem Motto „Wir haben eine Platte draußen und haben das nicht nötig“. Dazu konnte sich aber niemand äußern, denn von der Urbesetzung war heute, beim Interviewtermin, niemand mehr dabei.

Denn zuerst kamen Frank (Gitarre) und Arne (Schlagzeug) mit einer Überraschung: „Matthias, unser neues Bandmitglied kommt leider etwas später.“ Thomas, der etatmäßige Bassist ist vor einigen Wochen ausgestiegen. „Er hat einfach bei Arne angerufen und gesagt, er kommt nicht mehr, er hat jetzt einen Job. Dazu muss du wissen, Thomas ist Pilot.“ Wenn also jemand von euch demnächst mit der Lufthansa in den Urlaub fliegt, dann kann es durchaus sein, dass der ehemalige RAZZIA-Bassist am Steuerknüppel sitzt. Bereits 1992 ist der frühere Sänger Rajas Thiele ausgestiegen und abgetaucht. Mit dem neuen Sänger Stephan „Schraube“ Arndt und Arne Brix am Schlagzeug, als Ersatz für Peter Siegler, wurde 1995 das Album „Labyrinth“ veröffentlicht. Frank dazu: „Was Peter heute macht, weiß ich leider nicht, der Kontakt ist abgebrochen. Ich kann dir nicht sagen, warum er nicht mehr dabei ist. Er ist einfach nicht mehr gekommen. Das hört sich komisch an, doch es ist leider so – grundlos gegangen. Sicherlich hatte er einen Grund, doch den hat er uns nie erzählt.“
Der Gitarrist Frank ist seit etwa zwei Jahren dabei. Somit ist Arne das dienstälteste anwesende Bandmitglied. Arne: „Ich bin seit elf Jahren dabei, nur Schraube, der Sänger, ist länger dabei, zwölf Jahre. Schraube ist übrigens vierfacher Vater. Mit unterschiedlichen Frauen, aber der zieht das Ding so richtig durch. Das finde ich toll. Der steht dazu, das macht es natürlich schwierig, live aufzutreten, zumal wenn er am Wochenende die Kinder hat – und dann natürlich Andy, er ist ein Gründungsmitglied.“ Richtig, Andy Siegler, er ist nicht nur Gitarrist, sondern der Kopf der Band und so ganz nebenbei auch noch der Triton-Labelmacher. Arne: „Nur leider ist er live nicht mehr dabei. Der Grund? Er hat sich am Finger verletzt, es war mehr oder weniger ein Unfall, auf jeden Fall wurden dabei wohl einige Sehnen verletzt und jetzt sind einige Finger taub. Es reicht nicht mehr um live aufzutreten, aber die Stücke schreibt er noch immer. Die Songs sind zu 90% Andy Siegler.“

Eigentlich möchte ich hier etwas einwerfen, aber wenn ich mir vorstelle, elf bzw. zwölf Jahre, das ist ja auch schon eine ganze Menge. Viele Bands halten nicht solange durch. Aber wie reagiert das Publikum, wenn RAZZIA nicht mehr in Originalbesetzung auftritt? Frank: „Na ja, zuerst sind die schon etwas skeptisch, aber spätestens nach dem dritten Stück geht das dann. Ich rede auch gerne nach dem Gig mit den Leuten. Sie fragen auch nach und dann erkläre ich, warum ich dabei bin. Es haben schließlich schon so viele Leute bei RAZZIA gespielt. Wenn es eine Kontinuität in der Band gibt, dann sind es die wechselnden Besetzungen. Jede Platte wurde bisher in einer anderen Besetzung aufgenommen.“
Begeistert berichtet Frank von den Tourerlebnissen. 2004 gab es eine Tour, die führte RAZZIA durch Deutschland, die Schweiz und Österreich. Überall gab es eine sehr positive Resonanz: „Im Publikum sind ganz unterschiedlich Leute. Natürlich immer eine Traube Punks, aber auch ganz normale Rockfans. Altersmäßig geht das von ganz jung bis Mitte vierzig. In Hannover, da hatte mich ein junges Mädchen angesprochen, die war eigentlich nur da, weil ihr Vater zu uns wollte. Er konnte dann aber doch nicht und hatte die Karte an seine Tochter weitergeben. Aber die fand es auch gut. Wenn es diese ganzen positiven Reaktionen nicht gäbe, würden wir auch aufhören. Diese Resonanz gibt uns die Kraft weiterzumachen, denn Geld verdienen können wir mit unserer Musik eh nicht.“
Aufgrund der wechselnden Besetzungen steht und fällt die Band RAZZIA also mit Andy Siegler. Wenn er nicht mehr dabei ist, dann wäre dies definitiv das Ende – und das ist allen Beteiligten klar. Arne: „Es ist nicht so, dass wir alles alleine machen. Andy ist irgendwie im Hintergrund immer dabei. Er zieht die Fäden. Wie sind aber keine Marionetten. Es ist eher so, dass wir die Band im Auftrag und Sinne der ehemaligen Bandmitglieder fortsetzen.“ Frank: „Wenn Andy nicht mehr dabei ist, dann würden wir auch nicht mehr als RAZZIA auftreten, höchstens als RAZZIA-A oder RAZZIA-B.“ Das Phänomen „wechselnde Besetzung“ taucht auch nach der letzten Veröffentlichung auf, einer Split-CD mit dem Titel „RAZZIA & DER DICKE POLIZIST - Live!“.
Nach dem Ausstieg von Tomas heißt der neue Bassist Matthias. „Ich komme eigentlich aus der Klassik und bin ausgebildeter Sänger. Ich gebe Gesangsunterricht und trete auch als Sänger auf, z. B. singe ich Stücke von Bach.“ Nur wie kommt man gerade mit diesem Hintergrund dazu, bei einer Punkband Bass zu spielen? Matthias: „Zum einen, weil ich Arne schon lange kenne, und zum anderen deshalb, weil ich es mag, diese Musik zu spielen. Es ist dieser Gegensatz. Es reizt mich, Punk und Rockmusik zu spielen. Ich bin ja erst seit drei Wochen ganz frisch dabei. Wir hatten bisher erst einen Auftritt. Es reizt mich, die Stücke genau so zu spielen, wie sie einmal gedacht waren. Ich habe mir dazu vorher alle CDs rauf und runter angehört, mit den ganzen kleinen Soloparts. Gut, vielleicht wird mal ein Lick anders gespielt, aber im Großen und Ganzen versuche ich alles eins zu eins wiederzugeben.“

Mein Blick fällt zufällig auf eine von Matthias mitgebrachte Setlist. Sie haben ja wirklich alle Hits dabei, „Nacht im Ghetto“, „Kriegszustand“, „Arsch im Sarge“ ... Matthias: „‚Arsch im Sarge‘ ist echt hart, das haben wir in Elmshorn als letztes gespielt, du denkst schon: ‚Toll, du bist durch!‘ und dann kommt dieses Stück mit dem schnellen zweiten Teil. Also der zweite Teil, der ist echt am Limit, schneller geht es nicht mehr.“ RAZZIA haben auch den GRAUZONE-Hit „Eisbär“ im Programm. Warum habt ihr denn gerade den Song auf eurem neuen Album gecovert? Arne: „Das war so eine Geschichte für einen Sampler, ‚Punkbands spielen NWD-Hits‘. Wir haben es im Übungsraum probiert und es ging sehr gut.“ Matthias: „Das Stück passt auch von der ganzen Stimmung her sehr gut, von wegen ‚Eisbären dürfen nicht weinen‘. Du siehst immer nur glückliche und zufriedene Menschen in Fernsehen, dieses ganze Heile-Welt-Zeug. Und dann kommt noch hinzu, dass ‚Eisbär‘ gerade live ein ungeheure Dynamik entwickelt. Es macht Druck und kommt sehr gut an.“
Ich gewinne den Eindruck, Matthias hat sich als neues Bandmitglied sehr schnell integriert. Auch beim Hören von „Relativ sicher am Strand“ fällt mir auf, dass noch immer alles eine Handschrift trägt: die Texte, die dunkle Gesamtstimmung, die Aussagen – da hat sich eigentlich nichts geändert. Die Zeit von 1985 bis zur Identitätssuche auf „Labyrinth“ (1995) lasse ich mal außen vor. Matthias: „Nein, es hat sich ja auch nichts geändert. Die alten Stücken sind ja noch immer aktuell. Wenn du nun z. B. ‚Neo-Nazi‘ nimmst. Ich denke da gerade an die ganzen genehmigten und nicht genehmigten Aufmärsche und Feiern zum Kriegsende am 8. Mai, dem Jahrestag der Befreiung. Ich finde in diesem Zusammenhang ein Zitat von Joschka Fischer ganz passend. Der hat ja als Alt-68er bullenmäßig auch so einiges mitgemacht. Ob er sich nun geändert hat und auch ein Politiker ist wie jeder andere, lasse ich mal dahingestellt, aber er sagte jedenfalls: ‚Mit der Schuld an dem Zweiten Weltkrieg werden und müssen wir immer leben‘. Und das finde ich sehr gut. Auch wenn ich 1970 geboren wurde, diese Verantwortung trage ich mit mir.“

Matthias hat eine Art Pressemappe dabei: alles was er im Internet zu RAZZIA gefunden hat, Kritiken, Konzertberichte und Fotos. Er hat sogar das Drehbuch zu dem neuen Video (in der „alten“ Besetzung) und eine Anzeige, in der Komparsen gesucht werden, entdeckt. Was hat es eigentlich mit diesem Video auf sich? Arne: „Das Ganze ist eine Big Brother-Verarschung mit dem Song ‚Sommer‘. Sowohl die, die bei Big Brother mitwirken, als auch die, die sich so etwas dann auch noch anschauen. Wir wollen die damit einfach nur ein bisschen ärgern. Wir wissen auch nicht, ob es was wird. Das Ganze ging nur, weil uns ganz viele Freunde dabei geholfen haben, ob es nun um die Kamera oder das Licht ging. Teilweise haben die auch für Big Brother gearbeitet, wir haben die Informationen sozusagen aus erster Hand. Wir haben keine Plattenfirma die uns 100.000 Euro für einen Videoclip gibt.“
Frank: „Die Idee kam von Arne und mir. Wir haben fast alles alleine gemacht, deshalb dauerte es auch so lange. Auch unsere Internetseite, das mache ich auch nebenbei. Aber es passt halt gut, jeder kennt jemanden und kann etwas dazusteuern. Ich arbeite zum Beispiel zeitweise beim Bühnenbau, ob beim Hafengeburtstag oder bei Nana Mouskouri. Mal sehen, wie die Resonanz ausfällt, wenn wir das Video vorstellen. Und wenn es nichts wird, dann können wir uns später einmal anschauen, wie wir früher aussahen.“ Und vielleicht sagt dann deine Freundin zu dir, früher hast du ja mal ganz gut ausgesehen ... Frank: „... früher hattest du noch keinen Bauch. Nein, früher konntest du deinen Bauch noch einziehen. Haha.“
Zum Schluss noch mein Eindruck von der Video-Release-Party im Knust: Das Video „Sommer“ ist sehr gelungen und auch Schraube zeigte sich im Gespräch als ein sehr sympathischer Zeitgenosse.