SPARIFANKAL

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Apokalypse und Zärtlichkeit

Die frühen 70er Jahre in Deutschland. Krautrock ist angesagt. CAN, GURU GURU, KRAAN, AMON DÜÜL II, KRAFTWERK, EMBRYO oder TRIUMVIRAT feiern nationale, wie internationale Erfolge, es wird eigenständige, ja teilweise kolossal originelle Musik geboten, es entstehen Musikkommunen – Aufbruchstimmung allerorts. Auch die Jugend muckt gegen den immer noch vorhandenen konservativ-nationalsozialistisch-christlich geprägten Mief ihrer Väter und Großväter auf. Und die schier übermächtigen TON STEINE SCHERBEN bieten den passenden Soundtrack dazu. Ja, und da waren auch noch SPARIFANKAL (altbayerisch für „kleiner Teufel“ oder „aufmüpfiges Kind“), die eigentlich nicht so recht in eine bestimmte Szene passten – musikalisch und vom Spirit her schon gar nicht. Die „Sparis“ waren schon independent, bevor dieses Wort in Deutschland überhaupt eine Bedeutung hatte, und mit ihrer DIY-Attitüde, sowie den großartigen lyrischen Ergüssen waren die Oberbayern schon damals mehr Punk als die meisten Bands heutzutage.

Vor nicht allzu langer Zeit lief im Bayerischen Fernsehen eine mehrteilige Doku mit dem zugegebenermaßen etwas dämlichen Titel „Alpen Rock“, wo diverse österreichische und bayerische Mundart-Bands und -Sänger vorgestellt wurden. Neben entbehrenswertem wie der nervigen SPIDER MURPHY GANG oder Falco gab es sehr interessante Portraits zu sehen, u.a. von den großartigen Volksmusikanarchos ATTWENGER, BIERMÖSL BLOSN, HAINDLING, DRADIWABERL oder RINGSGWANDL. Selbst Hans Söllner kam zu Wort – und das, obwohl er dem Bayerischen Rundfunk mal so ein schönes Lied gewidmet hatte ... Überhaupt nicht erwähnt (nicht mal in einem Nebensatz), wurden SPARIFANKAL, obwohl genau sie es waren, die als erste Rockmusik mit bayerischen Texten verknüpften. Sieht man zudem, dass deren Sänger und Gitarrist Carl Ludwig Reichert lange Jahre das Rundfunkprogramm von Bayern 2 (u.a. „Zündfunk“) maßgeblich prägte, muss man sich schon irgendwie wundern. Aber das ist irgendwie typisch für eine Band, die, wie schon gesagt, so recht in kein bestimmtes Schema passen wollte. SPARIFANKAL sind SPARIFANKAL und sonst nix, basta. Musikalisch gesehen gab es eh so gut wie keine vergleichbare Band hier in Deutschland. Ihr Ding war Blues, Folk und Country Music, CRAZY HORSE natürlich oder GRATEFUL DEAD und auf alle Fälle CAPTAIN BEEFHEART, der mit seiner „Trout Mask Replica“-Scheibe die Sparis nachhaltig beeindruckt hatte.

Gegründet wurden SPARIFANKAL im Jahre 1972 von Carl Ludwig Reichert (Gitarre, Gesang), Tillmann Obermeier (Gitarre, Geang) und Jan Dosch (Bass). Mit Florian Laber gesellte sich noch ein weiterer Bassist dazu. Einen Drummer, Günther Sonderwald, gab es erst drei Jahre später im Jahre 1975. Diverse Songs, bzw. Texte entstanden allerdings schon in den 60er Jahren. Um dem Stress und der Hektik der Großstadt München zu entgehen, zog es die Band und ihr Umfeld aufs Land, genauer gesagt auf den leer stehenden Leitnerhof in Illbach bei Leitkirchen. Man begann, den alten Hof zu restaurieren und lebte hauptsächlich von dem, was der Boden so hergab – von selbst angebautem Gemüse und Marihuana. Und in Interviews traten die Sparis immer als Kollektiv auf, da man bewusst auf eine Machtstruktur in Person eines Bandbosses/musikalischen Kopfes verzichten wollte. Es blieb aber nicht aus, dass Tausendsassa Carl Ludwig Reichert, der sich als Schriftsteller, Karl Valentin- und Indianerexperte, Rundfunkmoderator etc. einen nicht unbeträchtlichen Ruf geschaffen hatte, immer wieder ungewollt in den Vordergrund gedrängt wurde. Mit dem Namen von SPARIFANKAL ist auch die Gründung eines der ersten deutschen Independent-Labels untrennbar verknüpft: Schneeball Records, die wohl die Ersten waren, wo nicht irgendwelche Produzenten oder Manager, sondern die Musiker selbst alles in die Hand nahmen. Auch die Scheiben der SCHERBEN wurden bei Schneeball vertrieben. Später entstand daraus ja bekanntlich der EFA-Vertrieb.

SPARIFANKAL sangen von Anfang an nicht in Englisch oder gar in Hochdeutsch, sondern so, wie ihnen der Schnabel gewachsen war, auf Bayrisch. Carl Ludwig Reichert dazu in der Sounds-Ausgabe 6/76: „Unsere Sprache ist bayrisch. Sie ist differenzierter, wenn es darum geht, Gefühle und Erfahrungen auszudrücken, aber auch direkter und konkreter, sinnlicher vor allem, wenn wir auf Realitäten hinweisen wollen.“ 1976 erschien dann die erste LP der Sparis mit dem unmissverständlichen Titel „Bayern-Rock“, eine Platte, die auch heute noch von epochaler Schönheit und Wahnsinn lebt. Songs wie der „Bluus fo da peamanentn Razzia“, „De Groskopfadn“, „Da Braune Baaz“ oder „Wans ums farecka nimma ged“ sind auch heute noch, bald 30 Jahre später, genauso aktuell wie „Keine Macht für niemand“, „Der Rauch Haus Song“ oder „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“. Leider lösten sich SPARIFANKAL nach dieser Scheibe erst einmal auf, die üblichen musikalischen Differenzen machten auch vor ihnen nicht halt. Carl Ludwig verließ die Band als erster, die anderen machten noch bis Winter 1976 weiter, dann war Sendepause. Tillmann Obermeier verwaltete zunächst alleine den Leitnerhof (was er übrigens heute noch immer tut), dann zog auch er aus und das Anwesen stand vorübergehend leer. Carl Ludwig widmet sich von nun an unter anderem einigen Theaterprojekten, bei denen auch Tillmann wieder mit von der Partie war.
Im Herbst 1977 bezieht man wieder den Leitnerhof und fortan übt man neue Stücke für die zweite LP ein. Die erscheint dann 1978 unter dem Titel „Huraxdax Drudnhax“ (der bezieht sich auf einen Abzählreim, das Wort „Drud“ ist altbayerisch und bedeutet „Hexe“). Im Vergleich zur „Bayern-Rock“ fällt der Zweitling doch deutlich anders aus, kein Rock mehr, sondern im Großen und Ganzen rein akustischer Blues/Folk mit den wie erwartet großartigen Texten dominiert die ganze Scheibe. In Songs wie „De greana Fliang“, „Koid weadz“, dem punkigen „D’Schui brennt“ oder „Nix is aso“ werden wieder auf unvergleichliche Weise bayerische Zustände besungen, die sich aber locker und leicht auf den Rest der Republik ummünzen lassen. Die Texte sind wie üblich satirisch und nihilistisch, aber nie hoffnungslos.

Es dauerte wiederum fast drei Jahre bis zu einer weiteren SPARIFANKAL-Platte. 1981 kam dann die dritte und lange Zeit letzte Doppel-LP unter dem Titel „Negamusi“ in die Läden. Soundmäßig tendierte man wieder mehr in die Ecke von „Bayern-Rock“, jedoch haben Anfang der 80er Jahre Punk, New Wave und frühe NDW ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Die 16 Songs sind kürzer und vor allem wesentlich rockiger als zu früheren Zeiten ausgefallen. Außerdem befand sich mit dem „Summertime blues“ (hier allerdings „Huifsarbeiter Bluus“) die erste Coverversion auf einer SPARIFANKAL-LP. Nach dieser Scheibe herrschte für lange Zeit Funkstille im Hause SPARIFANKAL – genau 18 Jahre lang. Vor allem Carl Ludwig blockierte irgendwelche Revival-Versuche, da man nicht wie diverse andere alte Männer auf der Bühne enden wollte.
1999 reformierten sich SPARIFANKAL dann anlässlich des von Stefan Liedke, Gitarrist auf der „Huraxdax“-Scheibe, initiierten Punkfestivals in München, dessen Einnahmen der Sprachausbildung eines kleinen kalifornischen Indianerstammes zukommen sollte. Und 23 Jahre nach ihrer letzten Platte erschien 2004 ziemlich überraschend ihre neuste Scheibe mit dem Titel „Dahoam is wo andas“ auf Schneeball Records, die insgesamt vierte Scheibe von SPARIFANKAL in 33 Jahren. Zu diesem Anlass unterhielt ich mich mit Carl-Ludwig Reichert.

War euch schon bei der Gründung im Jahre 1971 klar, dass ihr in Bayerischer Mundart singen würdet?

„Ja, logisch, ausschließlich. Ich habe ja schon 1969 einen ersten Gedichtband in bayerischer Sprache herausgebracht und so entwickelte sich das. Der Liedermacher Julius Schittenhelm hat uns ja eigentlich zusammengebracht, da haben wir Gedichte und Minihörspiele vertont. Das war dann der Vorläufer von SPARIFANKAL. Als wegen eines zweiten Lyrikbands angefragt wurde, habe ich sofort Nein gesagt. Da wollten wir dann Musik machen. ZYANKALI waren die ersten, die eine Platte in bayerischer Sprache rausbrachten, uns dagegen wollte die Industrie überhaupt nicht. Dafür waren wir sofort im Fernsehen. Da hat einer einen Fernsehbeitrag über das finanzielle Elend von Rockbands gedreht, und da waren wir prädestiniert dafür. Wir haben unseren Song ‚Bis zum nexdn Weidgriag ...‘ gespielt, und das wurde dann in der Tagesschau gesendet. Heute eigentlich unvorstellbar.“

Wurde und wird man da nicht automatisch gleich in die übliche Lederhosendeppenmusikantenstadl-Ecke hineingestellt?

„Nein, überhaupt nicht. Wenn uns der Moik hört, fällt der ja sofort in Ohnmacht. Ein Lehrer aus Niederbayern hat uns mal wegen eines Schulprojekts kontaktiert, aber als er unsere Texte gelesen hatte, ist er dreimal vom Stuhl gefallen. Das gab natürlich eine Absage, ich war aber auch nicht beleidigt darüber. Wir sind halt nicht Hofnarren-kompatibel. So etwas kannst eher BIERMÖSL BLOSN anhängen – so gern ich die mag, wir kennen uns ja auch sehr gut. Aber inzwischen ist es ja so, dass diverse Politiker schon richtig beleidigt sind, wenn sie von denen nicht beleidigt werden.“

Mit eurer DIY-Attitüde habt ihr in den 70er Jahren ja schon das praktiziert, was in der Punkszene einen enorm wichtigen Status genießt. Inwieweit war euch eure musikalische und künstlerische Unabhängigkeit wichtig?

„Extrem wichtig. TON STEINE SCHERBEN haben ja vorgemacht, wie es geht, und mit der Industrie hatte man damals nur Probleme. CHECKPOINT CHARLIE und EMBRYO wurden von den großen Plattenlabels eh nur gelinkt und so entstand dann halt Schneeball Records, eines der ersten deutschen Independentlabels und der erste Indie-Vertrieb. Unsere erste LP ‚Bayern-Rock‘ erschien gleichzeitig bei Trikont und Schneeball – mit der Nummer 0000. Wir hatten die Schneeball-Platten in lauter Kartons verstaut und haben dann die ganzen Plattenläden abgeklappert. Die waren teilweise sogar richtig begeistert, WOM hatte damals dann sogar ein ganzes Fenster mit unseren Veröffentlichungen dekoriert. Aber irgendwann wird es dann zuviel, das wächst dir über den Kopf, wir mussten ja auch noch live auftreten usw. Das nahmen dann Gott sei Dank einige andere Leute in die Hand.“

Anfang der 80er kam dann vorerst das Aus für SPARIFANKAL. Warum?

„Neben den üblichen musikalischen Problemen und internen Ehekrisen war es einfach so, dass wir am Ende unserer Möglichkeiten waren. Wir spielten ja fast nur Benefiz- und Freikonzerte, worauf wir dann von einigen Leuten angemacht wurden, wenn wir Eintritt verlangten. In Bayern gab es ja damals ein Rockfestivalverbot von Regierungsseite her – angeblich wegen Rauschgift und öffentlicher Sicherheit –, also haben wir halt die Landesgrenzen hinter uns gelassen. Aber das ist uns dann über den Kopf gewachsen, das nahm schon fast Woodstock-Dimensionen an. Wir haben ja alles selber gemacht, Organisation, Aufbau, Abbau, Müllentsorgung usw. Als dann sogar der Stern mal einen Bericht brachte, verfasste ich einen Rundbrief, und das war’s dann. Es war einfach nicht mehr zu bewältigen, das wurden zu viele Leute. Für mich persönlich war das Thema SPARIFANKAL durch.“

Wie kam es eigentlich zur Reunion 1999? Du selbst warst ja dafür nicht so empfänglich.

„Überhaupt nicht, mit diesem Revival-Gedanken konnte ich noch nie viel anfangen. Dann trat Stephan Liedke an mich heran, denn er hatte in Kalifornien 2000 Wintu-Indianer sitzen, die ihre Sprache wieder lernen wollten. Aus diesem Grunde veranstaltete er und die Leute vom Kruzefix-Magazin ein Benefiz-Punk-Festival mit der Bedingung, wir sollten dort auch spielen. Das war nicht so einfach, wir hatten nicht geübt, Uli Bassenge, unser Bassist, klemmte sich am Tag vorher den Arm in einer Eisenbahntür ein, einen Drummer hatten wir auch nicht, da musste dann der von den Regensburgern RAUSCHANGRIFF herhalten. Beim ersten Stück fingen die Leute zu pogen an, wobei ich erst dachte, die wollten uns verarschen. Als wir dann ‚Da Braune Baaz‘ intonierten, stand plötzlich ein ganzer Haufen Irokesenträger da und die sangen den Text Wort für Wort mit. Wir wussten gar nicht, dass wir für die Punkszene derart relevant waren. Einer von TANGO PERVERS meinte, selbst zu einer Zeit, wo sie alle deutschen Punkbands wegen was auch immer ablehnten, wurden SPARIFANKAL als einzige gehört und respektiert. Irgendwie machte dieser Gig richtig Spaß, und dann kam noch ein Mädel von der Roten Hilfe, die uns auch fragte, ob wir nicht mal für sie spielen könnten ... Ja, und so ging es halt wieder los.“

Eure Fanschar rekrutiert sich ja nicht nur aus bajuwarischen Gefilden oder sehe ich das falsch?

„Ja, das ist auch so eine seltsame Entwicklung. Einer unserer größten Fans ist ja Robert Forster von den GO-BETWEENS, der einige Jahre sogar in Bayern lebte, wo wir ihn aber nie getroffen haben. Till ist ihm mal in Australien über den Weg gelaufen. Kevin Coyne hat sich kurz vor seinem Tod ebenfalls an einem gemeinsamen Konzert interessiert gezeigt. Auch der Herausgeber der Ullstein-Krimis, Martin Kompard aus Köln, und der Hanauer Indorock-Experte Helmut Wenske gehören zu unseren Fans. Unsere Zielgruppe bezeichne ich halt immer als intelligente Außenseiter.“

Und jetzt eine neue Platte, war das eigentlich geplant?

„Klar, nachdem wir wieder zusammen spielten, habe ich sofort neue Stücke komponiert. Das Problem war nur: Wie schaffen wir mit einfachsten Mitteln die größtmögliche Wirkung? Wir haben das ganze ja live eingespielt, mit einer uralten 4-Spur-Maschine, dafür ist das Ergebnis wirklich erstaunlich. Der Typ, der das dann gemastert hat, holte auch noch so etwa 20% mehr raus. Zwei Stücke sind dabei aber auf der Strecke geblieben, da die einfach nicht so rüberkamen, wie wir das wollten. Aber eine weitere Platte ist auf alle Fälle irgendwann geplant, denn sehen wir mal weiter.“

Mit „Afghanistan“ wagt ihr euch textlich gleich mal überraschend auf weltpolitisches Niveau. Freund Bush lässt auch euch nicht so recht kalt.

„Nein, um Gottes willen wirklich nicht, die Scheiße brodelt ja überall. Zwei Stunden Fernsehen am Stück bringen dich schon in Irrenhausnähe. Heutzutage ist es uns klarer als noch vor 30 Jahren, dass es so, wie wir es uns vorgestellt haben, nie werden wird. Trotzdem, und auch wenn es fast unmöglich erscheint, etwas gegen die weltweiten kriminellen Interessen von Politik und Wirtschaft zu unternehmen, werden wir zumindest versuchen, bis zum letzten Tag dagegen anzurennen. Verdienst haben wir dadurch ja keinen, das ist eine Herzensangelegenheit.“

Irgendwelche Bands, mit denen ihr gerne noch auf der Bühne stehen möchtet?

„Ja, die gibt’s schon. Die DEAD KENNEDYS mit Jello, das wäre ein absoluter Traum, oder auch Biafra solo, sowie Eugene Chadbourne. Ganz konkret natürlich EMBRYO, mit denen wir jetzt ja tatsächlich wieder auf der Bühne stehen.“
Michael Kraus
www.sparifankal.de
www.schneeball-records.de