GEISTERFAHRER

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Ein Geisterfahrer auf der Überholspur

GEISTERFAHRER wurden 1979 von Matthias Schuster (Gitarre, Synthesizer), Michael Ruff (Gesang), Jürgen Weiß (Schlagzeug, Bass) und Hans Keller (Geige, Gitarre) gegründet. Der erste Auftritt fand am 29.06.1979 auf einem von Alfred Hilsberg organisierten Festival in der Hamburger Markthalle statt. Ihre erste Single war auch die erste Veröffentlichung auf dem Hilsberg-Label ZickZack. Vielfach waren sie ihrer Zeit voraus, ob Industrial, New Wave, oder Gothic, am Ende wurden GEISTERFAHRER zu einer richtig rockenden Band. Mit dem Song „Himmel auf Erden“ gab es sogar einen kleinen NDW-Hit. In wechselnden Besetzungen wurden bis 1989 insgesamt sieben Alben veröffentlicht, dann wurde es still um die Band und die Musiker kümmerten sich um diverse andere Projekte. 2005 wurde mit „1979-1989“ eine umfangreiche Zusammenstellung der frühen Jahre veröffentlicht, die erste Single wurde neu aufgenommen und es gab, nach 15 Jahren Live-Abstinenz, sogar einen Auftritt. Ich habe Matthias Schuster einige Wochen vorher in seinem Studio besucht. Geräte, so weit das Auge reicht: Synthesizer, wie der Korg MS10, Effektgeräte aus den 70er Jahren oder ein PC-gesteuertes Mischpult.

Also ich bin ja echt überrascht über so viel Equipment. Teilweise erinnert das hier ja schon an ein Museum.

Das stimmt, diese multiplay-analoge Bandmaschine zum Beispiel stammt aus dem LICHTJAHR-Projekt. Mit der konnte man im Pingpong-Verfahren überspielen, die ist von 1975. Hier steht sie, die Originalmaschine ist jetzt 30 Jahre alt. Aber alle Geräte hier sind miteinander vernetzt und an ein Pult angeschlossen. Sie funktionieren und können über Trigger angesteuert werden.

Das Projekt LICHTJAHR, hat damit alles begonnen?
Ja, richtig. Ich habe mal Kunst studiert und Kunstkram gemacht. Ich dachte mir, ich brauche unbedingt einen Synthesizer, und habe dann zusammen mit Jan Krahn auf Vernissagen gespielt und bei Theaterstücken, das war beides Lärm. Das Projekt LICHTJAHR haben wir beide jahrelang gemacht, mehr oder weniger erfolglos. Ich bin dann nach London geflogen und habe das Virgin angeboten. Die haben dann gesagt, so etwas haben wir schon. Das war so ein bisschen angelehnt an etwas zwischen CARBARET VOLTAIRE und TANGERINE DREAM, nur etwas krachiger, und TANGERINE DREAM war bei denen unter Vertrag. Dann ging aber auch schon der Punk los. Ich weiß noch, im Marquee wollte ich THE INCREDIBLE STRING BAND gucken, das ist eine Hippieband vor dem Herrn, die ich aber immer gut fand, und da stand dann, es fällt aus, dafür spielen MEAN STREET. Nie gehört natürlich, aber ich dachte, da gehe ich mal rein (Anmerkung: Der Sänger von MEAN STREET, Gary Webb, gründete später TUBEWAY ARMY und nannte sich Gary Numan). Drinnen war das dann echt grotesk, denn ich wusste gar nichts, so etwas gab es in Deutschland nicht. Die ganzen Typen mit dem Eisen im Gesicht – Sicherheitsnadeln durch die Nase. Ich dachte, das muss ein Fake sein, aber das war ja echt. Und dann kamen die auf die Bühne, schmeißen eine Glasflasche an die Decke, ein Scherbenregen prasselte auf die Masse und es ging los, one, two, three, four. Das krasse Gegenteil. Das war so die Initialzündung. Ich habe gedacht, das ist total geil. Es war zwar auch irgendwo total Scheiße, die konnten keinen Ton spielen, aber die Energie, die dabei rüberkommt, das ist geil. Und das Zweite, was ich immer geil fand war, dass es jeder machen kann. Ich hatte mal mit 15 Gitarrenunterricht, das hat mich so angekotzt, ich habe es nach zwei Monaten geknickt. Aber ich konnte A, E, C. Das war es, drei Akkorde, mach ’ne Band. In Hamburg von einem Hippiekumpel gleich eine Gitarre gekauft, eine Telecaster, und gleich am ersten Tag einen Song geschrieben, natürlich nach diesem Muster, und gedacht, mehr brauche ich nicht: Telecaster, Minipops. Das war die totale Abkehr zu dem Vorherigen, diesem Kunstkram. Dabei war ich damals eigentlich schon viel zu alt für Punk. Ich habe danach die BIG BALLS, die erste Hamburger Punkband, im Winterhuder Fährhaus gesehen. Das war Punk aus England, nachgespielt, mit englischen Texten, es war nicht wirklich etwas Neues. Die fand ich grottenschlecht, aber der Geist war das, genau das wollte ich machen. Dann habe ich Hilsberg angerufen und gesagt, ich spiele da in der Markthalle.

Das legendäre „Punk bis zum Untergang“-Festival ...
Aber es gab keine Gruppe. Es existierte nichts, es gab nur mich. Meine Rhythmusmaschine, meine Telecaster und ich. Und das Ganze heißt STROMAUSFALL und fertig. Zwei Tage vor dem Auftritt habe ich dann die anderen Leute kennen gelernt, Hans Keller etwa bei Govi im Plattenladen. Ich habe ihm erzählt, ich spiele übermorgen in der Markthalle, da sagte er: „Da hätte ich auch Lust zu.“ Und ich antwortete: „Ja, dann mach doch mit.“ Und in diesem Plattenladen arbeitete auch Jürgen Weiß und der meinte: „Und ich spiele Schlagzeug.“ Und ich habe gesagt: „Dann mach doch auch mit.“ Da fragte mich Jürgen: „Was für Songs gibt es denn“ Und ich antwortete: „Es gibt keine Songs – wir gehen da hin und gucken mal.“ Und daraufhin hat er gesagt: „Nee, dann will ich nicht, das ist Scheiße.“ Deshalb sind wir dann mit der Rhythmusmaschine aufgetreten.

Michael Ruff und Holger Hiller, der später PALAIS SCHAUMBURG gründete, waren auch mit dabei ...
Hans wohnte in einer WG, zusammen mit Alfred Hilsberg und Holger Hiller, war dann auch mit dabei. Michael Ruff habe ich auch zufällig, wieder in einem Plattenladen, kennen gelernt: „Ich habe gehört, du machst da was in der Markthalle, da würde ich ja gerne mitmachen“. Ich: „Ja, was machst du denn so?“ Er: „Ja, ich schreibe Texte.“ Er gab mir da ein Buch in die Hand, gebunden und so. Das waren alles großartige Texte, ich habe es heute noch, das steht hier unten. Na ja, wir haben gedacht, jetzt passt der Name STROMAUSFALL nicht mehr, lasst uns mal GEISTERFAHRER nehmen. Damals bin ich nebenbei Taxi gefahren. Ich hörte das immer in den Verkehrsmeldungen und dachte, das ist ein guter Name, deutsche Tradition wie KRAFTWERK und jeder kennt das, auch im Ausland, aber keiner weiß, was es ist. In England waren später Kritiken im NME, da stand dann „Master Of Mind“ oder irgend so etwas. Das klang so völlig esoterisch, die Platte wurde umschrieben mit: „Das klingt so, als ob man das Rauschen der Wälder im Schwarzwald hört.“ Hahaha.

Euer Auftritt vor tausend Punks geriet zum Fiasko, mit selbstgeklebten Bandschlaufen ...
Wir sind gesteinigt worden, beim ersten Gig flogen Glasflaschen auf uns. Man hatte uns den Strom rausgerissen, denn wir hatten Stücke, die hießen „Simpel 1“, jetzt kommt „Simpel 2“. Nur Krach. Haha, die Leute haben gebrüllt: Aufhören, Scheiße, ihr Wichser!

Aber zumindest gab es eine Reaktion.
Ja, das ging bis in die Boulevardpresse, dort stand dann: „Punkkonzert wurde Strom abgedreht.“ In den einschlägigen Fanzines stand: „Die ekelhafteste Erscheinung des Abends waren ein Retortenprodukt aus Hamburg: die GEISTERFAHRER.“ Die haben uns gehasst, die eigene Szene hat uns gehasst und die große Szene sowieso, aber wir waren die Einzigen, die ein Echo erhielten. Am nächsten Tag riefen RCA an und Teldec, wir hätten beides machen können. Dann kamen Radio und Fernsehen. Wir waren bei der NDR-Talkshow mit Achim Reichel und BAUER, GARN UND DYKE. Die uns auch gesagt haben: „Ihr seid Cretins, ihr habt keine Ahnung von Musik.“ Haha! Dieses Verhasstsein – das ist dann aber später umgeschlagen in Fansein. Wir haben später dann eine Tour mit LEATHER NUN gespielt und die Leute haben gekreischt und „GEISTERFAHRER“ gebrüllt, den Tourbus belagert und so weiter. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. In der Endphase kündigte uns Alan Bangs im Radio als Deutschlands beste Rockband an. Da haben wir uns dann am Kopf gekratzt und gesagt, jetzt müssen wir wohl mal die Notbremse ziehen, sonst müssen wir noch im Rockpalast spielen. Jetzt sind wir wohl langsam richtig scheiße.

Ihr hattet in vielerlei Hinsicht eine Vorreiterrolle. Nicht nur musikalisch, schließlich gingen GF als erste ZickZack-Band zur Industrie.
Es gab eine heftige Debatte bei GF, sollen wir das machen und zu Phonogram gehen, schließlich waren wir die erste Band auf ZickZack. Wir waren ZickZack 001, die erste Single. Hilsberg hat immer gesagt, ich zahle gar nichts. Ich zahle euch auch kein Midi-Studio, ihr habt ja ein Studio. Und das war ich leid, Ich habe gesagt, ich mache das jetzt schon seit fünf Jahren ohne. Vor GF konnte man das machen, denn Synthesizer klingen auch so gut. Aber ich will einen Drumsound haben denn ich habe einen Drummer und will nicht diesen Schlafzimmersound. Ich möchte so einen Hall auf der Snare haben, ich möchte, dass das geil klingt, und deswegen bin ich zu Phonogram. Ich habe Bock, dass was losgeht. Ich will einen Standard erfüllen. Später habe ich zwar wieder Sachen gemacht, da habe ich gesagt, ich will Schlafzimmersound, aber in dem Moment wollte ich es nicht. Deswegen müssen wir dahin gehen, nicht wegen dem Geld.

Aber Geld gab es dann doch auch, oder?
Wir haben irgendwie pro Platte 5.000 Mark bekommen. Die haben schon Geld rausgetan, aber nicht in Form von Schecks oder so. Kohle gab es erst zu NDW-Zeiten. Die haben eine Otari-Bandmaschine ausgeschüttet, Mischpulte ...

Ihr hattet mit „Himmel auf Erden“ von dem 1981er Album „Fest der vielen Sinne“ auch einen richtigen Hit.
Wir wollten es nicht auf der Platte haben. Wir waren damals sehr um eine gewisse Ernsthaftigkeit und Dunkelheit bemüht, und plötzlich war das Ding da. „Himmel auf Erden“ war der erfolgreichste GEISTERFAHRER-Song. Den hätten wir nie herausgebracht. Wir haben das im Studio so funmäßig gemacht. Der Einzige, der dafür war, das war Tommy Richter, der Labelmanager, der meinte, das ist das Geilste, das ist super gut. Michi fand das auch gut, er hatte auch schon einen Text: „Himmel auf Erden“. Jürgen und ich, wir haben uns mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Wir haben gesagt, du bist wahnsinnig, das ist das Schlechteste, was wir je gemacht haben, das ist jetzt wirklich fast NDW – und prompt war das ein Hit. Wir waren dann plötzlich auch auf den Dingern mit TRIO, KONDITORS, NENA und der SPIDER MURPHY GANG drauf. Später hieß es dann, eigentlich sogar bis heute, GF, das ist NDW. Dabei hatten wir später englische Texte, wir wollten wir uns eben von dieser NDW-Scheiße streng abgrenzen. Michi, das muss man zugestehen, schreibt bereits seit 1970 englische Texte.

In eurem Bandinfo schreibst du: „In Radiointerviews wurden wir mit Bands wie GIANT SAND verglichen, deren Namen ich noch nicht einmal kannte.“
Die kannte ich auch nicht. Das Kranke war ja, Michi, also Michael Ruff, der kannte alles und ich kannte nix. Das muss ich schon sagen. Ich kannte Anfang der Achtziger Jahre auch alles, aber aus dem Industrial- und Elektronikbereich. In den Endachtzigern, als wir viel getourt haben, da kannte ich keine Bands und auch keine Labels, SST und wie sie alle hießen. Und wenn es einen Interviewtermin gab, dann hat er mich dahin geschickt und ich saß doof da. Ihr werdet ja mit GIANT SAND und so und so verglichen – kenne ich nicht. Ja, aber ihr seid jetzt die amerikanisch-deutsche Band und in dem und dem Lied singt ihr ja ... Tut mir Leid, ich mache die Texte nicht, ich habe da keinen Plan von. Ich habe diese Bands nie gehört, ich spiele einfach Gitarre und mache irgendwas.

Was sagst du zu dem Gerücht, das Intro von NIRVANAS „Come as you are“ stammt nicht von dem KILLING JOKE-Song „Eighties“, sondern hier stand „Mein Kind“ von GEISTERFAHRER Pate.
Ja, das Gerücht gibt es. Es gibt das Gerücht, dass Cobain, als er auf Tour war, das gehört hat. Aber es gibt auch das Gerücht, das Stück stamme von KILLING JOKE. Ich kann das Ganze ja eigentlich auch zugeben: Dieses Stück ist nicht von KILLING JOKE inspiriert, sondern von MODERN ENGLISH. Aber es ist nicht gecovert. MODERN ENGLISH war damals auch so eine Düsterband, da gibt es, wenn man so will, einige Parallelen, aber es nicht 1:1 geklaut. Das Gerücht, dass Cobain das von uns hat, ist Unsinn. Wenn man so will, kannst du jeden Titel auseinanderpflücken. Damals wurde uns zum Beispiel vorgeworfen, das auf der Scheibe wäre von JOY DIVISION. Das ist Quatsch. Natürlich finde ich die geil, da mache ich auch keinen Hehl draus, aber ich habe nie JOY DIVISION nachgespielt – alleine der Gesang, wie kann man Curtis nachsingen?

Beim Hören der Zusammenstellung „Geisterfahrer 1997 – 1989“ sind mir die ganzen Einflüsse aufgefallen. Neben JOY DIVISION höre ich auch GANG OF FOUR, CURE, P.I.L. und KILLING JOKE heraus. Alle diese Bands sind später groß herausgekommen. Anfang der Achtziger sind ja auch einige Bands aus Deutschland nach England gegangen und wurden dort bekannt wie zum Beispiel D.A.F. oder X-MAL DEUTSCHLAND. Ihr seid aber einen anderen Weg gegangen.
GF waren die totale Verweigerung. Wir konnten auch gar nicht anders. Keiner konnte wirklich gut spielten. Wir sagten: Nee, wir wollen nicht auf Tour gehen, wir wollen nicht spielen. Wir hatten aber hinter uns so eine Maschinerie und da hieß es immer: Warum spielt ihr nicht, wir bezahlen euch das. Ihr könnt ganz Europa abtouren. Und wir sagten, wir haben aber keinen Bassisten ... Und das geht bis heute so. GF war immer ein Projekt, von Anfang an. Wir haben uns nie gegründet. Es gibt keine GF-Platte, die gleich besetzt ist. Es war immer ein offenes Ding und dadurch haben wir uns bis heute auch nicht aufgelöst. Und jetzt mache ich es wie früher, ich buche die Halle und sage, ich spiele da, aber es gibt die Band gar nicht. Und irgendeiner, der mir über den Weg läuft, macht dann mit.

GEISTERFAHRER hat bis 1990 sieben Alben veröffentlicht, daneben gibt es von dir diverse Soloprojekte. Du arbeitest aber auch als Produzent und hast bei über 150 Produktionen mitgewirkt.
Was ich so gemacht habe, da komme ich alleine auf etwa dreißig Tonträger. Dazu kommen JEANNETTE und das LAND Z, das war Disco, heute würde man das Easy Listening nennen. Danach habe ich BAL PARE gemacht, das kennst du wahrscheinlich nicht, das ist DEPECHE MODE-Synthiepop. Im weitesten Sinne ist jetzt DAS INSTITUT eine Fortführung von BAL PARE. Durch die Frauenstimme ist es zwar BAL PARE näher, aber es hat auch diese düstere, elektronische, dunkel elektronische Seite von GF. Ich habe auch eine Kunstplatte gemacht mit Büttner/Oehlen. Markus Oehlen war ja der Schlagzeuger bei MITTAGSPAUSE. Das ist Kult geworden, das ist plötzlich Kunst. Zuerst hat es sich überhaupt nicht verkauft und plötzlich ist so etwas heiß begehrt, wie die ganzen alten ZickZack-Sachen. Die 150 kommen dann noch einmal oben drauf, das sind dann Sachen wie KOSMONAUTENTRAUM, ABWÄRTS, DORAU, OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS, CHOCOLATE FACTORY ... Ich habe zum Beispiel damals „Auto-da-fe“ von SPK für Walter Ulbricht Schallfolien gemastert. Das Album haben die ihm damals quasi geschenkt. Und da hat er gesagt, du bekommst von mir auch kein Geld, du bekommst für den Job, den du da machst, dreißig Platten geschenkt. Ich habe die dann auch verschenkt. Heute liegen die bei 100 Euro oder noch mehr. Wenn man sich die so eingeschweißt hingestellt hätte, könnte man die jetzt gut einzeln abstoßen.

Hast du auch selbst Industrial gemacht?
Ja, wir haben Tonnen von Industrial gemacht. Die Phase nach GF. Ich habe immer Tonnen von Musik gemacht. Es gibt zwei Schienen, die Songschiene und dann machen wir auch im weitesten Sinne Ambient oder auch Industrial. Wahrscheinlich kommt jetzt eine CD auf Dom Elchklang heraus, mit sehr schweren Beats – quasi technoartig mit Industrial, sehr rhythmisch und krachig. Das repräsentiert für uns die Neunziger – das ist ganz klar GF. Völlig synthetisch. Ich wollte immer harte Gitarren mit Elektronik mischen, das war auch schon bei STROMAUSFALL so. Das zieht sich wie ein Strang durch alles durch. In der Endphase von GF fand ich das super, alleine das Gefühl, dass ich das kann, dass wir plötzlich einen Wall of Sound hatten. Du gehst auf die Bühne und wirst weggeblasen – und das war Rock’n’Roll. Irgendwann wurde mir das dann aber doch zu rockig und ich habe gesagt, ich will jetzt wieder Elektronik da rein haben. Daran ist GF zwar nicht zerbrochen, aber ich würde sagen, zerbröselt. Es war dann so, dass ich habe Sessions mit Andy oder Marco gemacht. Da kamen gute Sachen bei raus, aber es fehlte die Energie, weil die Leute nicht mehr geballt zusammen waren. Hier ein House-Einfluss, ein bisschen Acid, da ein bisschen Industrial. Die Beats kamen aus der Maschine, Jürgen hat sich mehr oder weniger gelangweilt. Später in den Neunzigern bin ich mit Jürgen wieder auf den Punkt gekommen, das war auch nicht zerfasert, das war richtig geil. Aber es gab irgendwie keinen Markt dafür. In den Neunzigern ist mein Interesse ziemlich erlahmt. Ich habe dann Werbemusik gemacht und Kinospots vertont. Aber ich habe nie richtig Geld dafür gesehen. Ich wollte nicht reich werden, aber schon ein bisschen Geld, aber das war damit gegeben. Die Spots waren etwa 25 Sekunden lang und dafür gab es dann 1.000 Mark.

Machst du das noch immer?
Nein, ich habe das ein paar Jahre gemacht. Alles mit Timecode und SMPD, das war nervenaufreibend, die Hälfte der Zeit verbrauchte man mit irgendwelchen Briefings und Sitzungen, wo dann immer gesagt wurde, wollen wir das denn nun so und so? Irgendwann langweilte mich das. Ich bin wieder zurückgegangen, im weitesten Sinne in den Bandsektor. So habe ich auch meine Freundin Traute kennen gelernt. Das war durch HERBST, die habe ich produziert. Dann habe ich auch wieder Punk gemacht, BAZOOKAS aus Hamburg, SABOTAGE O.C.O.C. aus Frankfurt, Techno, FORTIFICATION. Dann wurde DAS INSTITUT gegründet. Die erste Platte kam 1998 raus.

Fühlst du dich als Musiker oder bist du lieber ein Mann, der im Hintergrund der die Fäden zieht?
Ich bin der unbegabteste Labelchef, den man sich vorstellen kann. Wenn ich ein Label mache, dann ist Ende, denn ich mache keine Musik mehr. Ich habe jetzt wieder ein Label, das Archiv, und wenn da eine Platte rauskommt, bereitet mir das richtig Stress. Ich muss das Presswerk anrufen und so weiter. Ich bin Musiker und will Musik machen, und nicht diesen Bürokram. Zumal ich genau weiß, ich verdiene damit kein Vermögen, denn ich mache 500er Auflagen. Meine Freundin Traute gibt hier im Studio Gesangsunterricht, das ist sozusagen die Tagschicht, und ich mache die Nachtschicht. Ich habe Techno gemacht und Lounge-Sachen gemastert. Das mache ich vielleicht zwei Jahre lang, aber dann sage ich auch, jetzt reicht es, ich kann jetzt kein Lounge mehr hören. Wenn ich so etwas fünf Jahre mache, werde ich doof dabei. Letzte Woche habe ich hier Rock gemacht, das war sehr erfrischend und das ist eigentlich dass Geilste, dieses Vermischen. Immer wieder neue Sachen. Das ist spannend ... Auf der anderen Seite habe ich mich auch nie als richtiger Musiker gefühlt. Das war für mich das Interessante, das Dilettantentum. Mittlerweile kann ich eine ganze Menge, aber ich versuche oft, mich so weit wie möglich zurück zunehmen. Ich habe auf der ersten Platte bei dem Stück „Vertrauen“ am Schlagzeug gesessen, aber nicht, weil ich das wollte, sondern weil ich nicht den Gitarrenriff spielen konnte, den ich mir ausgedacht hatte. Jürgen war ein super Drummer, aber er konnte eben auch dieses Riff spielen und da haben wir gesagt, wir tauschen einfach. Mit Jürgen war ich dann später so eingespielt, dass wir Stücke wie „Blume“ einmal gespielt haben und alle Breaks saßen. Da haben alle Leute gedacht, wir hätten das tausendmal geübt. Das ist eine Übereinstimmung, die ich mit Jürgen immer hatte. Seit 1979/80 machen wir zusammen Musik. Nur jetzt trommelt er nicht mehr, jetzt sitzt er dort hinten am Synthesizer und ich hier. Seit 15 Jahren machen wir hier in diesem Studio Lärm. Es ist aber immer noch der GF-Geist – Elektro-Punk, oder wie man das nennen will. Und das Ziel ist, die Musik so minimal wie möglich zu halten.