MINISTRY

Foto

Ein alter Punkrocker mit Sampler

Mit „Psalm 69“ veröffentlichten MINISTRY 1992 ein epochales Album, dem die Single „Jesus built my hotrod“ vorangegangen war. In dieser Intensität hatte bislang niemand Hardcore, Metal und Industrial kombiniert, und entsprechend euphorisch waren die Reaktionen aus allen musikalischen Lagern auf das Schaffen von Al Jourgensen. Vorangegangen waren zwei weitere Klassiker, „The Land Of Rape And Honey“ von 1988 und „The Mind Is A Terrible Thing To Taste“ von 1989, doch erst mit „Psalm 69“ gelang der weltweite Durchbruch und MINISTRY wurden zu Stars. Dabei blieb Jourgensen, ein chronischer Drogenfreak, seiner Verwurzelung im Underground immer treu, war und ist ein Meister der Nebenprojekte, seien es nun die Parallelband REVOLTING COCKS, die mit Jello Biafra als Sänger operierenden LARD oder das legendäre PAILHEAD-Projekt mit Ian MacKaye als Frontmann. Ende der Neunziger und Anfang dieses Jahrzehnts wurde es dann etwas ruhiger um MINISTRY, erst mit dem letztjährigen Album „Houses Of The Molé“ hatte man das Gefühl, dass Jourgensen wieder zu voller Form aufgelaufen war. Im Herbst nun erschien mit „Rantology“ ein interessantes Remix-Album, und ich nutzte die Gelegenheit zu einem Interview. Ich erwischte Al im Studio in El Paso, Texas, an der Grenze zu Mexiko.

Al, was machst du gerade?

Ich bin gerade dabei, das neue REVOLTING COCKS-Album fertigzustellen. Das erste nach fünfzehn Jahren ... Ich hatte Gibby Haynes von den BUTTHOLE SURFERS hier, der singt bei drei Songs, und Jello Biafra, der singt auch bei ein paar, und Billy Gibbons von ZZ TOP war auch hier, der spielt bei ein paar Songs Gitarre, und Rick Nielsen von CHEAP TRICK war ebenfalls da. Du siehst, da sind ein paar Verrückte zusammengekommen, haha, und die Platte wird richtig gut! Sie erscheint im Februar.

Das überschneidet sich doch beinahe mit dem neuen MINISTRY-Album, oder?
Nein, das kommt am 1. April. Und nein, das ist kein Scherz. Sobald ich diese Woche die RC-Platte fertig habe, mache ich das MINISTRY-Album fertig.

Du bist ein viel beschäftigter Mann, wie mir scheint. Was motiviert dich?
Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und außerdem sinkt die Verbrechensquote hier in der Stadt rapide, wenn ich im Studio bin, harharhar.

Wohnst du auch in der Stadt?
Ich wohne jetzt in Texas. Zuvor lebten wir in Kalifornien, aber ich war so oft hier im Studio, dass ich hierher gezogen bin.

Ich habe dich immer mit Chicago in Zusammenhang gebracht.
Ja, aber dort fand nur die eine Hälfte meiner Karriere statt, für die andere Hälfte war Texas die Ausgangsbasis.

Zuletzt erschien ein MINISTRY-Remix-Album, „Rantology“. Und ich war verblüfft, mit welchem Furor du deiner Wut über die politische Situation in den USA Luft machst.
Dann hast du wohl vergessen, wo ich lebe: In Texas! Ich muss mich jeden Tag mit diesem fucking idiot beschäftigen! Und klar bin ich deshalb wütend. Ich wohne quasi in nächster Nachbarschaft zu den Bushs, so fuck him!

Ein klares Statement. In Deutschland würde man da von gewissen Kreisen, den so genannten Anti-Deutschen, schon wieder ins rechte Lager gesteckt, denn die USA und ihren Präsidenten darf man auf keinen Fall kritisieren, sonst ist man ja antisemitisch ...
Hä? Was? Wenn man antiamerikanisch ist, ist man antijüdisch? Hahahahahahaha ... ! Das ist ja ganz schön weit hergeholt, aber bitteschön, wenn die meinen.

Wie stehst du denn dazu, wenn Menschen aus anderen Ländern die USA und George W. Bush kritisieren?
Die ganze Welt sollte die USA kritisieren! Es gibt heute keine Grenzen mehr, wir leben im Internetzeitalter, also, was immer die USA tun, betrifft die ganze Welt. Bush ist nur die Marionette einer Maschinerie, des industriell-militärischen Komplexes, den die Rechte hier in den USA aufgebaut hat. Und der geht die ganze Welt etwas an. Es verwundert mich eher, dass es nicht noch viel mehr Protest gegen Bush gibt, in den USA wie dem Rest der Welt. Die ganze Sache läuft ja schon seit über fünfzig Jahren, und der Krieg in Südostasien wurde doch nicht losgetreten, um den Kommunismus zu bekämpfen, sondern um der Rüstungsindustrie zu profitablen Aufträgen zu verhelfen, damit die mit dem Geld der Steuerzahler immer noch mehr Flugzeuge, Hubschrauber und Panzer bauen konnten. Und natürlich das Öl, das vor den Kommunisten gerettet werden musste. Es geht nur um Öl, ums Militär und um Geld! Das läuft jetzt schon eine halbe Ewigkeit so, und verdammt, dagegen muss man doch was tun! Und nein, das hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun, das ist die Realität.

Nun wurdest du musikalisch schon vielen Genres zugeordnet, oft auch dem Metal und dem Industrial. Von den letzten beiden MINISTRY-Platten und deiner klaren, politische Attitüde her kommt mir das aber alles sehr punkrockig vor.
Mann, genau das bin ich: Ein alter Punkrocker mit einem Sampler! Im Herzen bin ich immer Punkrocker geblieben. Und wenn ich von Leuten aus dem Goth-, dem Metal- und dem Industrial-Lager gehört werde, ist das nur gut, wir kriegen sie alle, haha.

Was für Feedback bekommst du denn von dieser Seite auf deine politischen Statements?
Meist positives, aber von anderer Seite auch viel negatives. Es gibt hier eine Website der Rechten, auf der bin ich direkt nach Michael Moore auf Platz zwei der „public enemies“. Die haben da die fünfzig schlimmsten liberalen Arschlöcher aufgeführt, die umgebracht gehören. Und ich finde, das ehrt mich.

Eine neue Ära des McCarthyismus ...
Neu? Das ist nicht mal neu, es hat sich nichts geändert, und das war für mich auch der Grund, „NWO“ zu remixen. Der McCarthyismus geht fröhlich weiter, und so habe ich da den alten und den neuen Bush ein Duett singen lassen.

Unlängst führte ich ein Interview mit Jello Biafra, in dem er dich als den „Jerry Lee Lewis unserer Generation“ bezeichnet hat, der nach wissenschaftlichen Maßstäben angesichts seines Drogenkonsums gar nicht mehr am Leben sein dürfte. Wie geht es dir heute?
Also, ich bin seit drei Jahren clean. Und der einzige Grund, weshalb ich überlebt habe, ist wohl, dass bei mir jemand Gen-Experimente in Sachen Kreuzung von Mensch mit Kakerlake vorgenommen hat. Irgendwie bin ich diesen verrückten Wissenschaftler aus der Petrischale entwischt und habe bis heute überlebt.

Nun ist es eine alte Plage des Rock’n’Roll, dass sich oft die kreativsten und schlauesten Köpfe durch einen exzessiven Lebenswandel vorzeitig verabschieden und damit ihren Feinden einen Gefallen tun.
Ich habe nichts gegen Drogen, obwohl ich – ehrlich! – seit drei Jahren völlig clean bin. Ich bin nicht gegen den Drogengebrauch, sondern habe etwas dagegen, wenn die Droge dich kontrolliert. Anfangs nimmst du Drogen aus Gründen der Inspiration und Kreativität, doch irgendwann kontrolliert die Droge deine gesamte Kreativität, deine Motivation, alles. Und du bist kein „drug user“ mehr, sondern ein „use drugger“. Es gibt da einen Punkt, an dem das kippt, und diese Balance zu halten, kriegen nur die allerwenigsten hin. Ich war einer von denen, ich habe 21 Jahre lang Heroin genommen und immer noch was geregelt bekommen, aber letztlich bist du auch nichts anderes als ein „functional alcoholic“, ein Alkoholiker, der seine Arbeit noch erledigt bekommt, aber trotzdem ein totaler Alkoholiker ist. Aber ich habe dann gemerkt, dass ich meine Kreativität ganz hinten angestellt habe, und deshalb bin ich derzeit so aktiv, denn ich habe das Gefühl, eine zweite Chance bekommen zu haben. Ich bin immer noch über und nicht unter der Erde und ich werde mir diese Chance nicht entgehen lassen.

Das klingt aber jetzt ehrlich gesagt nicht viel anders als das, was man beispielsweise von einem George W. Bush zu hören bekommt, der einst auch ein schlimmer Finger war, ein Säufer, der dann „wiedergeboren“ wurde und seine zweite Chance ausgiebig nutzt.
Uh, das war jetzt aber eine üble Beleidigung! Wasch dir den Mund mit Seife aus! Das war das Schlimmste, was ich seit langem zu hören bekommen habe!

Sorry ... Aber lass mich dich fragen, wie du das geschafft hast? Viele Leute in ähnlichen Situationen werden ja tatsächlich zum Opfer religiöser Anfälle.
Glaub mir, es war eigentlich ganz leicht. Ich habe mein damaliges Leben betrachtet, wie ich Haus, Familie, meine Musikinstrumente, mein Geld, ja alles verloren habe, wie ich bei irgendwelchen Heroindealern auf dem Fußboden geschlafen habe. Das war hart, das war schwierig! Clean zu werden, war dagegen ganz leicht: Ich bin eines Tages aufgewacht und hatte einen jener Momente, wo dir ein Licht aufgeht. Und ich wusste, dass ich entweder draufgehe oder mein Leben geregelt kriege.

Das klingt durchaus nach einem spirituellen Erlebnis.
Das war es auch. Wenn du ganz unten aufschlägst, dann spürst du das einfach. Das ist bei jedem anders. Manche wollen aufhören, aber sie sind noch nicht ganz unten angekommen, aber irgendwann kommst du an den Punkt, wo du dich zwischen Leben und Tod entscheiden musst. Und klar, das Ganze hat auch eine spirituelle Komponente, aber das hat ja nicht notwendigerweise etwas mit dem Christentum zu tun. Du kommst am Boden deiner Seele an und musst dir darüber klar werden, was du tun willst.

Warst du dir bewusst, dass dein damaliger Lebensstil vielleicht einen Gegensatz darstellt zu dem, was du an politischer Meinung hattest, also die Leute aufzufordern, sich für gesellschaftliche Veränderung einzusetzen, aber nicht die Stärke zu haben, mit Veränderung beim eigenen Körper zu beginnen?
Ich habe ja für Veränderung gekämpft, bin auf die Straße gegangen, aber gleichzeitig habe ich mich selbst zerstört. Das aber wiederum halte ich für eine persönliche Angelegenheit, da sehe ich keinen Widerspruch und da hat auch niemand das Recht, einem andere Vorschriften zu machen. Jeder muss selber wissen, wann und ob er sich ändert. Was meine Musik anbelangt, so sehe ich keinen Widerspruch zwischen meinem künstlerischen Schaffen und meinem persönlichen Verhalten, denn ich habe ja nie versucht, die Tatsache zu verbergen, dass ich Drogen nehme.

Und was ist mit dem Beispiel, das man als Musiker ja auch immer irgendwie seinen Fans gibt?
Das ist doch scheißegal. Du bist für dich verantwortlich innerhalb dessen, was für dich okay ist. Was andere denken und tun, was sie in dein Verhalten hineindeuten, ist ihr Problem. Du musst erstmal zu dir selbst ehrlich sein, bevor du das gegenüber anderen sein kannst. Ich wurde schon gefragt, warum ich als Musiker all diese politischen Statements und Aktionen bringe, mich würde doch keiner ernst nehmen. Da habe ich geantwortet, das würde ich nicht als Musiker machen, sondern als betroffener, engagierter Weltbürger. Und das ist ein großer Unterschied. Okay, ich beziehe mittels meiner Musik Stellung, aber das hat nichts mit Musik zu tun, sondern mit dem, woran ich glaube, was mir wichtig ist.

Ein anderes Thema: Du wirst immer wieder als Vorreiter der Industrial-Musik bezeichnet, wobei ...
Ach, das ist doch lächerlich. Da könnte ich mich ja auch gleich hinstellen und behaupten, ich hätte das Rad erfunden. Lass mich das eben klarstellen: Das Rad war längst da, ich habe höchstens ein paar zusätzliche Speichen eingefügt. Ich habe nichts erfunden, ich habe dem Genre nur meinen eigenen Stempel aufgedrückt, indem ich meine eigenen Einflüsse auf eine eigene Weise interpretiert habe. Wenn das gleichbedeutend mit Erfinden ist, okay, aber nach meiner Sicht der Dinge habe ich nur ein paar Dinge ergänzt. Das Rad dreht sich einfach weiter, und andere fügen ihrerseits noch einige Speichen ein.

Wer hat dich einst inspiriert, und was beeindruckt dich heute?
Also heutzutage bin ich so mit meiner eigenen Musik im Studio beschäftigt, dass ich gar keine Zeit habe, mich darum zu kümmern, was andere für Musik machen. Was nun eine neue Platte der REVOLTING COCKS zu etwas Besonderem macht, ist die Tatsache, dass ich, der ich mit Billy Gibbons und ZZ TOP aufgewachsen bin, heute mit ihm zusammen an meiner neuen Platte arbeite. Das bedeutet mir etwas. Als Jugendlicher hörte ich ansonsten die üblichen Sachen, neben ZZ TOP eben LED ZEPPELIN, PINK FLOYD, HAWKWIND, THE PINK FAIRIES, viel Progressive Rock – einfach alles, was gut war.

Was ist mit Bands wie EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, THROBBING GRISTLE, LAIBACH?
Ich liebe diese Bands! Aber die zählen nicht zu meinen frühen musikalischen Einflüssen. Ich bin eben schon verdammt alt – 47, wenn das Interview erscheint, wobei meine Leber sicher schon 90 ist.

Mein erster Kontakt war als pickliger Teenager. Da kaufte ich mir die „I Wanted To Tell Her“-12“ von MINISTRY, und aus heutiger Sicht ist das furchtbarer Disco-Pop. Was war damals passiert? Ich konnte später nicht glauben, dass das die gleiche Band sein soll, von der „Jesus built my hotrod“ ist.
Hahahaha, diese 12“ ist ja auch von, äh, 1931 oder so. Von vor dem Krieg. Das mit dieser Platte ist die typische Geschichte von ein paar Kids, die Musik machen, die Bands hörten wie jene, die du eben genannt hast, und die dann bei einem Majorlabel unterschrieben haben. Und sofort setzte uns das Label Produzenten und Songwriter vor die Nase, die aus MINISTRY so einer Art MILLI VANILLI machten. Ich musste das Label dann verklagen, damit die mich wieder gehen lassen, gründete mein eigenes Label und machte wieder das, was ich wollte. Die MINISTRY vor dieser Platte und die danach haben also sehr viel miteinander zu tun. Das dazwischen war kompletter Sellout, aber seitdem und bis heute kann ich wieder exakt das machen, was ich will. Das Gute an dieser Erfahrung ist, dass ich seitdem von Sellouts die Nase voll habe und so einen Fehler niemals wiederholen werde.

Das letzte MINISTRY-Album, „Houses Of The Molé“, war ja für viele alte Fans so was wie die Auferstehung dieser Band.
Ja, das hatte sicher alles was mit meinem Loskommen vom Heroin zu tun. Ich wachte aus meinem Heroinkoma auf, sah mich um und war angepisst, was aus diesem Land geworden war. Ein neuer Bush an der Macht, alles am Arsch, und da haben wir uns eben musikalisch Luft gemacht.

Du hast auch keinen Majordeal mehr, deine Platten kommen heute wieder über Indiestrukturen in die Läden.
Na ja, auch das ist eine gewisse Rückbesinnung. Einst hatten wir ja Wax Trax gegründet, ein Label, auf dem unter anderem LAIBACH und FRONT 242 waren. Ich habe also diesen Indie-Background und es war für mich immer eine seltsame Erfahrung, mit diesen Industrie-Motherfuckern zu dealen. Irgendwie haben wir aber auch das überlebt, hehe. Und wenn die neue MINISTRY-Platte erschienen ist, via Sanctuary, dann werde ich wieder mein eigenes Indie-Label namens 13th Planet gründen und meine Sachen selbst rausbringen. Die erste Veröffentlichung wird von einer Band namens SPIDERBABY aus Detroit sein.

Was ist denn aus Wax Trax geworden?
Also alle Sachen, an denen ich beteiligt war wie PAILHEAD, REVOLTING COCKS oder 1000 HOMO DJS sowie die alten MINISTRY-Sachen sind jetzt auf RykoDisc. Der Plattenladen Wax Trax existiert schon lange nicht mehr, aber ich war auch schon lange nicht mehr in Chicago, außer mal für einen Tag auf Tour. Danny Flesher, Jim Nash und ich waren Partner, Jim ist gestorben, Danny ist wieder nach Arkansas gegangen, und das war’s dann wohl, das Ende einer Ära. Ich selbst kaufe heute keine Platten mehr, ich mache sie lieber selbst, hahaha. Und deshalb habe ich wohl auch das, was man unter Musikern als „studio tan“ bezeichnet, diese vampirhafte Blässe im Gesicht, die davon kommt, dass man eigentlich nie bei Tageslicht ins Freie kommt. Wenn sie mich dann einmal im Monat rauslassen, gehe ich lieber in ein Restaurant als in einen Plattenladen. Ich habe also keine Ahnung, was derzeit so angesagt ist, und ich muss sagen, das macht mir gar nichts aus. Sicher machen andere ihre Musik auch mit großer Leidenschaft, aber an mir geht das vorbei.

Al, besten Dank für das Interview.