SOKRATES II, AKTION COMENIUS 1

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Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage

Das Berufliche Schulzentrum Oskar-von-Miller in Schwandorf in der Oberpfalz hat 2005 den in Europa anerkannten Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ erworben. Schüler- und LehrerInnen nebst Verwaltungs- und Reinigungspersonal haben eine Vereinbarung gegen Diskriminierung und Rassismus und für ein friedvolles Miteinander unterschrieben. 1988 entstand diese Aktion an belgischen Schulen, deren Schüler gegen den wachsenden Rassismus aufbegehrten. Durch die Compilation „Songs gegen Rechts“ auf die Berufsschule aufmerksam geworden (siehe Review Ox #61), habe ich mich mit dem Projektleiter und Religionslehrer Günter Kohl über das europäische Schulprojekt Comenius 1 gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus unterhalten.

Nicht ohne Hintergrund fühlt sich Günter Kohl verpflichtet, gegen Rechtsradikalismus Zeichen zu setzen: „Die oberpfälzerische Kreisstadt Schwandorf war in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1988 Schauplatz des ersten fremdenfeindlich und rassistisch motivierten Brandanschlages mit Todesfolge in Deutschland. Der stadtbekannte Neonazi Josef Saller legte in einem Gebäude in der Innenstadt Feuer, in dem vorwiegend türkische Mitbürger wohnten. In den Flammen starben drei Mitglieder der türkischen Familie Can sowie der deutsche Staatsbürger Jürgen Hubener. Der Täter war zur damaligen Zeit Auszubildender des Maler- und Lackiererhandwerks und somit Schüler der Schwandorfer Berufsschule. Er wurde 1989 zu zwölf Jahren Jugendstrafe verurteilt, die er in der JVA Straubing bis zum letzten Tag absaß, da er nach wie vor von seiner Tat überzeugt ist. Gerüchten nach lebt Josef Saller heute im Großraum Berlin und ist in der Neonazi-Szene integriert.“
Seit diesem Zeitpunkt werden in Schwandorf übergreifende Schulprojekte zu diesem Thema durchgeführt, besonders erwähnenswert „Rechts-freier Raum“ aus dem Schuljahr 2000/2001, das sich der Prävention rechten Denkens und Handelns widmet und dafür mehrfach Auszeichnungen erhielt. Das EU-Bildungsprogramm Sokrates mit der Aktion Comenius 1 zum Thema „Rechte Gewalt und ihre Prävention“ scheint dafür ein perfekter Rahmen zu sein, da es zudem die Kooperation mit ausländischen Partnerschulen ermöglicht. Über den Zeitraum von drei Jahren entwickeln die Schulen gemeinsam Konzepte im Sinne einer positiven Veränderung. Da die Formulierung von Argumenten, die Sprache an sich für dieses Projekt wichtig ist, sollen die Partnerschulen aus dem deutschsprachigen Ausland sein. Schon bald findet man in den Landesberufschulen Savoy in Meran in Südtirol (Italien) und Hartberg in der Steiermark (Österreich) die geeigneten Partner. Während aus Hartberg bisher keine Vorfälle rechtsextremer Aktivitäten zu vermelden sind, wurde im Meraner Umland vor einigen Jahren gegen eine rechtsradikale Bewegung strafrechtlich ermittelt. Dieser Gruppe gehörten etwa zehn Schüler der LBS Savoy an. Seit dem Schuljahr 2003/2004 wird nun im regelmäßigen Erfahrungsaustausch an gemeinsamen Projekten gearbeitet.

Dass diese Arbeit in den Schulen notwendig ist, erläutert Günter Kohl wie folgt: „Fremdenfeindlichkeit ist ein großes gesellschaftliches Problem, das viele noch gar nicht erkannt haben. Gerade durch die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten existiert ein Bodensatz, der uns schwer zu schaffen macht. Ein rechtsextremes Weltbild vertreten bis zu 25 Prozent, eine fremdenfeindliche Einstellung bis zu 60 Prozent der Deutschen. Festzustellen ist, dass die Fremdenfeindlichkeit in den Regionen zunimmt, in denen es kaum Ausländer gibt, wie zum Beispiel in Sachsen-Anhalt mit einem Ausländeranteil von nur 1,7 Prozent. Im Osten Deutschlands versucht die NPD ganz gezielt in die Gemeinden zu gehen und organisiert beispielsweise Stadtteilfeste. Den Menschen ist das egal. Sie gehen wegen des Biers hin und weil eben was los ist. Dann gibt es so genannte ‚national befreite Zonen‘, in denen die Rechten Einfluss nehmen, dass sich dort keine Ausländer niederlassen. Man scheut sich nicht davor, ausländische Investoren durch Übergriffe zu verunsichern, die sich aus diesem Grund dort nicht ansiedeln. Fremdenfeindlichkeit und rassistische Diskriminierung sind für 65 Prozent der deutschen Großunternehmen ein enorm die Wirtschaft hemmender Faktor.
Und die Berufsschule? Deren Aufgabe ist es, sich nicht selbst zu schaden, sondern dem entgegenzuwirken. Es gibt Hauptschullehrer, die behaupten, Fremdenfeindlichkeit wäre auf ihrer Schule kein Thema. Wir haben diese Schüler dann hier in der Berufsschule und merken sehr wohl, dass die Einstellung damals schon vorhanden war. Selbst an Gymnasien haben wir zum Teil haarsträubende Meinungen festgestellt. Wenn diese Jugendlichen dann noch von den Eltern und ihrer Peer Group das gleiche zu hören bekommen, wer ist dann noch da, der eine gegenteilige Meinung vertritt? Ich glaube, dass unsere jungen Leute ganz stark durch das Elternhaus geprägt sind. Zudem ist es heute wieder in der Jugendkultur ‚in‘, rechts zu sein. Deshalb ist die Aufklärungsarbeit gerade an Schulen so ungemein wichtig, da in diesem Alter die jungen Menschen noch ‚formbar‘ sind. Wir sehen uns als Gegenpol, um Programme gegen vorgefasste Meinungen zu entwickeln, um Sprüchen wie ‚Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg‘ oder ‚Das mit Hitler war doch gar nicht so schlimm‘ nicht emotional, sondern strategisch entgegen zu wirken. Beispielsweise durch ein Argumentationstraining gegen Stammtischparolen oder durch Seminare für interessierte Lehrkräfte zum Thema ‚Rechte Gewalt und ihre Prävention‘, um besagte Methoden zu erlernen und im Unterricht anzuwenden. Solche Programme sollten Standard in den Schulen werden.“

Neben Unmengen von Methodensammlungen in den unterschiedlichsten audiovisuellen Medien, die Günter Kohl seinen Kollegen für den Unterricht zur Verfügung stellt, ist vor allem das persönliche Erarbeiten und Erfahren eigener Konzepte für Lehrer und Schüler ein wichtiger Aspekt in diesem drei Jahre dauernden Projekt. „Ziel ist es, das Interesse zu wecken“, wie Günter Kohl zum Engagement der Schüler bemerkt und weiter: „Es liegt an mir, ob ich es interessant mache und ob mir meine Schüler wichtig sind. Gruppen- und Projektarbeit ist wichtig, da die Schüler gezwungen sind zusammenzuarbeiten. Wenn dann das Produkt noch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, strengen sie sich besonders an. Es geht nur über ein gemeinsames Arbeiten. Mit Predigen oder einer ‚Jetzt sind wir alle lieb zueinander‘-Theorie klappt das nicht. Wir haben uns in diesem Jahr bemüht, den Titel ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ zu erhalten. Die Thematik wurde in allen Schulen, nur nicht in der Außenstelle in Neunburg mit den Schülern erarbeitet. Während wir in allen anderen Schulen über die benötigten 70 Prozent der Unterschriften kamen, hatten wir in Neunburg nur 40 Prozent. Damit will ich sagen, diese 70 Prozent sind kein Selbstläufer. Man muss sich bemühen, Meinungen zu ändern.“
Schule versteht Günter Kohl als Teil der Gesellschaft, der sich mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzt und klar Stellung bezieht. Die Berufsschule ist für ihn keine Anstalt mit im allgemeinen schlechtem Ruf, die sich in erster Linie um das Sozialverhalten der Schüler kümmern muss, um später erst den eigentlichen Lehrplan zu erfüllen. „Bei uns nicht. In Großstädten mag das anders sein. Natürlich kommen manche Jugendliche vermurkst zu uns. Wenn man diesen Leuten freundlich und mit Respekt entgegen kommt und es überträgt sich, erfährt man eine Wechselwirkung. Das hat auch etwas mit Reformpädagogik zu tun. Die Wurzeln dafür gehen weit zurück. Auch wenn demokratisches Denken vorhanden ist, existiert jedoch ein ganz massives autoritär strukturiertes Grunddenken mit kaum Freiheit, um sich selbst finden zu können. Man muss den Schüler dazu bringen, dass er Subjekt seiner eigenen Revision wird. Er soll nicht meine vorgekauten Erfahrungen übernehmen, sondern durch seine eigenen Erfahrungen lernen. Der Grundsatz bei diesem Projekt ist: Lernen mit Hirn, Herz und Hand. Es geht insgesamt darum, wie man miteinander umgeht. Wird hier jemand diskriminiert, ausgegrenzt oder niedergemacht, dann muss hier angesetzt werden. Mache ich die Erfahrung, ich werde akzeptiert, erreiche ich die Persönlichkeit des Schülers und seine Emotionen. Dann kann ich etwas verändern. Hauptaufgabe der Berufsschule ist es jedoch, Fachliches zu vermitteln. Der Unterrichtsstoff mit all den ständigen Veränderungen ist enorm. Dennoch bin ich mir sicher, dass vor allem viele jüngere Kollegen, die an den Seminaren teilnehmen, ihre Kenntnisse in den Unterricht mit einbringen. Ein Fachlehrer wird das schlecht umsetzen können, aber im Rahmen des Deutsch-, Religion- oder Sozialkundeunterrichts muss es möglich sein.“

Unzählige Aktionen sind in den letzten beiden Jahren bereits in den drei Partnerschulen durchgeführt worden. Einige weitere sind im Rahmen des Comenius 1-Projektes noch geplant. Sicher ist, dass über 2006 hinaus gemeinsam an der Sache gearbeitet wird, ob nun selbst organisierte Ausstellungen, Bildungsreisen, Informationsveranstaltungen, Vorträge oder Workshops, von der Vergangenheitsbewältigung bis hin zum multikulturellen Austausch, um weiterhin gemeinsam gezielt Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entgegen zu wirken. Eine Auswahl der Projekte werden die Schulen im Frühjahr 2006 dem Europäischen Parlament in Brüssel vorstellen. „Mein Endziel ist 2006“, so Projektleiter Günter Kohl, „wenn dieses Projekt abgeschlossen ist, dass die Kollegen wissen, welche Strategien es gibt und an wen sie sich bei Fragen wenden müssen. Es hat sich herum gesprochen, dass sich an der Berufsschule in Schwandorf etwas gegen Fremdenfeindlichkeit entwickelt. Und darüber wird auch in den Familien und im Freundeskreis der Schüler diskutiert.“
Derzeit läuft in Regensburg eine Ausstellung von selbst entworfenen Plakaten der Schwandorfer Schüler mit dem Motto „Toleranz ausstellen – Nazis abstellen“. Unter anderem referierte dort der Nazi-Aussteiger Matthias Adrian, der zum Führungskader der hessischen NPD gehört hatte und heute für das „Zentrum für demokratische Kultur“ sowie der Neonazi-Aussteigerhilfe „Exit“ arbeitet.