(INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY

Das dieser Tage erschienene Album "Survival Sickness" zählt zu den mit am meisten Spannung erwarteteten Platten der letzten Zeit, verbirgt sich hinter diesem Dokument intelligenter Punk-Kultur und dem kryptischen Namen THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY doch niemand anderer als der frühere REFUSED-Sänger Dennis Lyxzén mit neuer Band.

Die sorgt für mindestens genausoviel Staunen, wie sie sehnlich herbeigewünscht wurde wurde, denn modernen Hardcore/Punk sucht man auf "Survival Sickness" vergeblich. Statt dessen wird unter tatkräftiger Hilfe von u.a. Sara Almgren (ex-DOUGHNUTS) und Ludwig Dahlberg (ex-SAD I WAS) lupenreiner Rock´n´Roll in bester 60er Manier geboten, der sich nicht hinter JON SPENCER BLUES EXPLOSION verstecken muß, allerdings verfeinert mit Dennis ureigenem Organ und dank eines dicht mit Manifesten bestückten Booklets jeder Menge Futter fürs Hirn.

Zuerst gilt es jedoch den wahren Grund für den REFUSED-Split, um den sich die blumigsten Gerüchte ranken, aus erster Hand zu erfahren.

"REFUSED war für uns immer etwas ganz besonderes, mit dem ein außergewöhnlich kreativer Prozess einherging", beginnt Dennis zu erklären. "Im Prinzip hatte der schleichende Verfall schon vor "The Shape Of Punk To Come" begonnen. Plötzlich hatten wir das Gefühl, dass die Arbeit an einem Refused-Album unsere Kreativität blockierte. Um auch in Zukunft mit dem gleichen Spaß Musik machen zu können, mußten wir die Konsequenzen ziehen und REFUSED auflösen. Musikalisch hatten wir alles erreicht und das bedeutete uns mehr, als berühmt zu werden." Genau zu diesem Zeitpunkt kam der Durchbruch von "New Noise". "Eine einmalige Chance zu verpassen, war uns lieber als des Erfolges wegen zusammenzubleiben und uns kreativ zu limitieren." Wahr ist übrigens nicht, dass sich REFUSED aus reinem Punk-Ethos auflösten, weil ihnen die Heavy Rotation auf MTVIVA oder die Tatsache, dass sogar Frisösen zu ihrem Hit "New Noise" auf den Tanzflächen dieser Welt abzappelten zutiefst zuwieder waren. "Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Frisörinnen zu meiner Musik tanzen", amüsiert sich Dennis. "Wir waren nicht gerade traurig darüber, nach sieben Jahren endlich Platten zu verkaufen. Im Gegenteil, wir fanden es sogar ziemlich cool."

Für einige kommt die musikalische Entwicklung von REFUSED zur NOISE CONSPIRACY wahrscheinlich überraschend. Aufgrund seiner Vergangenheit bei REFUSED hätte man eigentlich komplexere, wenn auch definitiv rockige Musik von Dennis erwartet. Der meint dazu:"Ich wollte es immer so simpel und Punkrock wie möglich halten, denn ich war noch nie ein Fan von Experimenten der Experimente wegen. Mit THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY haben wir deshalb ganz bewußt bei Null und ohne ein konkretes Ziel angefangen." Auch wenn "Survival Sickness" ein wirklich großes Album ist, das nichts zu wünschen übriglässt, bietet es rein objektiv wenig Neues, denn coolen Rock´n´Roll gibt es schon seit über einem halben Jahrhundert - hätten THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY nicht einen Trumpf im Ärmel: "Niemand hat ihn zuvor mit derselben politischen Aussage aufgeladen", behauptet Gitarrist Lars Strömberg. "Unsere Mission ist es den Leuten catchy Tunes zu geben, zu denen sie abtanzen und ihnen dabei mit wichtigen Dingen geradezu den Kopf wegzupusten." Wie zum Beispiel? "Im Grunde gilt unser Hauptaugenmerk der Zerstörung der Produktions-Konsum-Kette - was die ROLLING STONES, um ganz ehrlich zu sein, natürlich schon vor uns gepredigt haben." Damit wird der Hörer jedoch vor ein Paradoxon gestellt, da ihm keine Alternative bleibt, als THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACYs Musik zu konsumieren. "Wir sind uns bewußt, dass auch wir Kinder des Kapitalismus sind. Hoffentlich können wir in unseren eng gesteckten Parametern trotzdem wirken, um seine Grundmauern zu erschüttern. Einerseits können wir als einzelne Band nichts bewegen und bestenfalls unsere eigenen Handlungen ändern. Andererseits fühlen wir uns dazu verpflichtet, unsere Chance zu ergreifen und den Leuten mitzuteilen, dass es unter der Oberfläche aus Plastik und Profilierungssucht Bands gibt, die etwas zu sagen haben."

Dennis glaubt nicht, dass die Hörer in ihrem tiefsten Inneren wirklich der Überzeugung sind, dass Musik und Politik getrennt für sich stehen sollten: "Wir sind einfach so konditioniert, dass Denken ein scheinbar unüberwindliches Hindernis darstellt. Ich bin der Überzeugung, dass Menschen eigentlich die Herausforderung suchen - sie wollen leben, fühlen und interagieren."

Spricht man damit nicht all den Bands die Daseinsberechtigung ab, die nur den guten alten Sex, Drugs & Rock´n´Roll propagieren? "In einer Welt aus Image und Plastik hätten Rock´n´Roll-Bands die Chance, den Hörern etwas echtes und authentisches zu bieten. Leider aber machen die wenigsten davon Gebrauch und haben nicht mehr zu sagen, als jede x-beliebige Boygroup." Viele Leute mögen aber genau diese simplen Gesten. "Das mag sein, damit können wir aber leider nicht dienen. Mag man uns nur wegen unserer Klischees, dann ist das auch ok. An allererster Stelle spielen wir Musik, weil wir auf genau diese Musik stehen. Wäre das nicht so, sollten wir uns besser aufs Predigen oder Bücherschreiben beschränken oder terroristische Aktionen planen." Würde ein Dennis oder Lars denn Jon Spencer ins Gesicht sagen: Hey, du bist aber ganz schön scheiße, weil du deinen Fans nichts zum Nachdenken gibst? "Die meisten Musiker sind nicht mehr als genau das, d.h. keine Politiker. Grundsätzlich hat der durchschnittliche Musiker auch nicht mehr oder weniger politische Verantwortung als der durchschnittliche Milchmann, weil es ein Job wie jeder andere ist. Wir haben uns nur zufällig ausgesucht, Politik ins Spiel zu bringen. Auch wenn mir Jon Spencers Musik aufrichtig gefällt, hat es für mich mehr Reiz, wenn eine Band gute Musik macht und etwas zu sagen hat."

Aber hat nicht jemand wie Jon Spencer mit PUSSY GALORE und BLUES EXPLOSION genau wie mit BOSS HOG Grenzen gesprengt und damit für Progression gesorgt hat, wenn auch auf nicht-politischer Ebene? Lars: "Bestimmt. Trotzdem ändert sich nichts im Leben der Zuhörer und sie beschäftigen sich deshalb noch lange nicht mit Marxismus. Eigentich ist alles reine Ansichtssache: Wir stehen eben auf Bands, die etwas zu sagen haben. Ich finde es etwas traurig, dass die einzige Musik in den schwedischen Charts Sachen wie die A-TEENS sind. Rockmusik unterscheidet sich leider nur minimal davon und wird bestenfalls in einer anderen Verpackung geliefert."

Ist die mit Rock´n´Roll verbundene Subkultur nicht vom Ansatz her interessanter als der gemeine Mainstream? "Natürlich", stimmt Dennis zu. "Das ist aber nicht der Punkt, sondern kultureller Widerstand. Das Problem mit fast allen Subkulturen ist, dass sie sich zu sehr mit Image beschäftigen. Um Mitglied zu sein, muß man die richtige Musik hören und die richtigen Klamotten tragen. Es gibt zu viele Präfixe, die man beachten muß. Unser ultimatives Ziel ist es, das Weltbild des Hörers ins Wanken geraten zu lassen, so dass er alles, was er tut, überdenkt und sich selbst neu erzieht. Er soll erkennen, dass wir etwas ändern können und müssen. Das ist viel wichtiger als Life-Style und Subkultur. Selbstverständlich kann eine Subkultur auch der Weg sein, Menschen überhaupt zu erreichen." Leider mißbrauchen Mitglieder einer Subkulur ihre Zugehörigkeit nicht selten als Entschuldigung, nicht weiter aktiv zu sein. Dennis:"Wir wissen, dass wir vornehmlich Fans der Subkultur Punkrock anziehen, die hoffentlich willens sind ihr Outsider-Dasein als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zu nutzen."

THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY sind aber nicht nur als Band (politisch) aktiv. "Wir sind Teil des Black Mask-Kollektivs, was nicht unbedingt nur ein Label ist, sondern auch Bücher und Bulletins mit politischen Themen veröffentlicht", erklärt Dennis. "Keiner von uns ist in einer Partei organisiert. Ich habe nicht nur keine Zeit dafür, sondern kenne auch keine Partei, bei der ich Mitglied sein möchte. Trotzdem denke ich, dass es bereits ein politischer Schlachtzug ist, wenn man jeden Tag Musik macht und Manifeste verfasst. Jede Show ist eine Demonstration." Ist das denn genug? "Solange Kapitalismus nicht zerstört ist, hat man nie genug getan", meint Lars. Dennis weist auf ein wichtiges Limit der politisches Revolution hin: "Man muß außerdem verstehen, dass nicht die fünf Jungs und Mädchen in THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY eine globale Veränderung bewirken, sondern nur Teil dessen sein können. Ferner finde ich nicht, dass das übliche Klischee, einen Iro zu tragen und die Polizei mit Steinen zu bewerfen, besonders radikal ist. Es ist viel extremer, eine intellektuelle Analyse der Welt vorzunehmen."

Doch befinden sich THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY denn wirklich in einem so entbehrungsreichen, harten Kampf gegen das System? "Wir müssen jeden Tag Kompromisse mit uns selbst eingehen und es ist sehr aufreibend, als überzeugter Sozialist Teil einer kapitalistischen Gesellschaft zu sein", findet Dennis, während Lars erklärt: "Jeder Mensch muß tagtäglich über die Runden kommen und fast alle sind vollauf damit beschäftigt, genug Geld zu verdienen, um Kartoffeln oder Sojabohnen zu kaufen. Dem Großteil der Menschheit bleibt danach nichts übrig." Was laut Aussage von Lars auch auf ihn zutrifft. "Derzeit befinde ich mich in der privilegierten Position, mit THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY live spielen zu können und so mein Leben zu bestreiten. Aber wenn ich nach Hause komme muß ich sehen, wie ich klarkomme." Dennis scheint es da besser zu haben: "Auf mich trifft das nicht zu... Aber Lars und ich sind auch nicht die Menschen, um die es geht. Wir können prima überleben, aber es gibt unzählige, auch in Schweden, die verhungern und im Winter auf den Heizungsschächten von Hochhäusern in gestohlenen Decken schlafen. Das ist Überlebenskampf. Allerdings ist es nur etwas besser jeden Tag zu Arbeit zu gehen, um das nötige Kleingeld zu verdienen. Das ist kein Leben, denn Leben bedeutet sich selbst vollkommen verwirklichen zu können, ohne dabei wirtschaftlich, religiös, traditionell oder gesellschaftlich eingeschränkt zu sein." Lars definiert: "Das wirkliche Leben beginnt, wenn wir uns zwanglos darüber Gedanken machen, was wir als nächstes tun." Dennis will aber nicht bestreiten, dass sie zu den wenigen Privilegierten zählen, die sich relativ frei entfalten können. "Uns geht es natürlich viel besser, als dem Mann auf der Straße oder der Frau, die acht Stunden im Supermarkt schuften muß. Wir befinden uns in der glücklichen Position, dass uns unser politischer Kampf Freude bereitet. - Leider sind wir zu niedlich, um wirklich Chaos zu stiften!" lacht Dennis. "Deshalb müssen wir unsere Hörer mit Musik glücklich machen. Solange keiner mit den Schultern zuckt und den Raum verläßt, haben wir etwas erreicht."

Reaktionen soll auch das ausführliche Booklet provozieren, das - wie schon zu REFUSED-Zeiten - prall gefüllt ist mit politischen Diskursen aus Dennis Feder. Wer möchte, kann sich gerne mit den Jungs austauschen, entweder auf Shows oder schriftlich via der Adresse im Booklet. "Unsere mentale Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen, wir sind jederzeit dankbar, wenn uns jemand Denkanstöße liefert. Wir sind auch nur ein Haufen Kids, die zufällig Instrumente spielen können, weil wir immer brav proben. Das macht uns noch lange nicht zu etwas Besonderem. Jeder ist kreativ, wir sind in keiner Art und Weise begabter als andere."

Womit sich der Kreis schließt: "Wir glauben nicht an das christliche Dogma, dass der Mensch von Natur aus raffsüchtig und böse ist. Die Revolution, von der wir die ganze Zeit reden, kann wirklich stattfinden, wenn nur alle Menschen an einem Strang ziehen", erklärt Lars, während Dennis weissagt: "Vielleicht wirken wir naiv, aber die Zukunft wird zeigen, dass wir die ganze Zeit über Recht hatten."