LEATHERFACE

Manche Begegnungen finden immer erst etwas später statt: 11 Jahre gibt es nun das Ox, LEATHERFACE gar 12 Monate länger, bloß zum Interview gekreuzt haben sich die Wege beider bis vor kurzem nicht. "Vor kurzem", in der Tat, denn anlässlich des Konzertes in der Essener Zeche Carl, zum Abschluss ihrer sehnsüchtig erwarteten Europatour, bekamen wir den Bassisten Davey vor´s Mikro. Sänger und Bandkopf Frankie Subbs hatte keine Lust, schließlich ist er nicht der Typ, der gerne Interviews gibt. Da schwimmt er bekanntermaßen auf einer Welle mit Kollege und Freund Jensen aus Hamburg. Aber egal, denn auch Basser Davey hat eine Menge Skurrilitäten zu erzählen ...

Warum dieses Interview? LEATHERFACE sind einfach eine der drei, vier, fünf besten Bands ever!!! Niemals werde ich den Moment vergessen, als ich zum ersten Mal die "Mush"-LP hörte - keine zwei Wochen später konnte ich alle Songs lauthals mitgrölen. Wieder mal muss hier das akademische Wörtchen "Authentizität" herhalten, eigentlich etwas fehl am Platze bei einer Band wie LEATHERFACE. Denn Frankie Stubbs mag es nicht, wenn seine Texte hinterfragt werden. Aber es muss gesagt werden: Sie sind halt "authentisch", "echt" wie Bands Marke BAD BRAINS oder FUGAZI, die immer nur das machten, was sie wollten, und sich so gaben, wie sie auch wirklich waren (Was ja nicht jedem gefallen muss.). Und das ist heutzutage fast einmalig, auch im Punkrock. Los geht´s...

Frankie Stubbs, euer Sänger, hat in letzter Zeit keine so grosse Lust mehr Interviews zu geben, wie ich hörte.


"Ja, stimmt. Das hängt damit zusammen, dass die Leute sich sehr mit seinen Texten auseinandersetzen und er denkt, wenn die herausfinden, was für ein langweiliger Kerl er im richtigen Leben ist, dann wären sie enttäuscht. Aber weil er ein netter Mensch ist und die Leute nicht enttäuschen will, hat er beschlossen, kaum noch Interviews zu geben. Ausserdem meint er auch, er hätte nichts zu sagen."

Und deshalb hat man dir die Rolle des Bandsprechers zugewiesen.

"Ja, denn ich bin der einzige in der Band, der halbwegs vernünftig ist, haha, und der sich einigermassen artikulieren kann."

Seit wann bist du denn dabei? Noch nicht so lange, wie ich weiss.

"Ich bin seit zwei Jahren dabei."

Ist das nicht komisch bei Interviews, dass die Leute eigentlich alle mit Frankie sprechen wollen?


"Schon, und deshalb will er eben keine Interviews mehr geben. Es ist so, dass Interviews oft so ablaufen, dass die Leute als erstes nach der Band-History fragen - und das bei einer Band, die es schon zwölf Jahre gibt ... Das nervt auf Dauer gewaltig, und dann kommen die Fragen nach den Texten, und das nervt ebenfalls. Ich dagegen unterhalte mich gern mit den Leuten, mich nervt das alles noch nicht, also gebe ich jetzt die meisten Interviews."

Wie kamen die eigentlich dazu, dich als neuen Bassisten zu rekrutieren?


"Puh, naja, also ich hatte nichts zu tun, hing halt so rum zu der Zeit. In der Zeit, als sich LEATHERFACE aufgelöst hatten, habe ich Frankie kennen gelernt. Mein liebstes Hobby war damals das Streetfighten, und von Frankie war auch bekannt, dass er das gerne macht, und so habe ich mich ihm mal vorgestellt."

Was meinst du mit Streetfighten?

"Na, Streetfighten halt. Wir kommen aus Sunderland, das ist eine alte Industriestadt, und wenn du da Freitagabend losziehst, dann trinkst du dir einen mit deinen Kumpels, schmeisst ein paar Scheiben ein und prügelst dich auch mal."

Du meinst also dieses Verhalten, das die deutsche Presse gerne britischen Fussball-Hooligans zuschreibt.

"Genau. Sunderland ist natürlich auch eine wichtige Fussball-Stadt, wobei ich mir aus Fussball nicht viel mache. Mich interessiert eher die Gewalt, wobei ich in letzter Zeit etwas ruhiger geworden bin, habe eher Spass an der Musik. Naja, und damals jedenfalls prügelte ich mich eben mit Frankie, nur so zum Spass."

Nur so zum Spass?

"Ja klar. Ich war jung und meinte mir was beweisen zu müssen. Ausserdem war es so, dass ich keine Lust hatte was aufs Maul zu bekommen, und das beste Gegenmittel schien mir zu sein, allen anderen aufs Maul zu hauen."

Wie ist das jetzt in der Band? Bist du "nur" der Bassist und konzentriert sich alles auf Frankie oder ist das Songwriting und so eine gemeinsame Sache?

"Die Ideen kommen schon von Frank, aber an den Bass-Lines oder den Drum-Parts arbeiten wir dann schon gemeinsam. Wer eine Idee hat, bringt die ein, wir probieren das aus und das ist´s auch schon. Klar, Frankie schreibt die Texte, und das ist voll o.k., denn er hat einfach das Talent dazu und wir anderen akzeptieren das. Aber auch Andrew "Lainey" Lang, der Drummer, hat zu einem Song, bei dem er singt, den Text geschrieben, also ist das schon variabel. Letztendlich ist das bei LEATHERFACE eine wilde Mischung: nimm ein paar Musiker mit verrückten Ideen, ein paar Pilzen, etwas Marihuana, schlechte Witze, schlechte Drogen, und irgendwie kommt das dabei heraus, was man dann auf Platte oder live hört. Ach, keine Ahnung, jedenfalls klingen wir nicht wie HAWKWIND, haha."

Bei den alten LEATHERFACE soll zu viel Alkohol und zu viel Touren zum Split geführt haben. Wie ist es bei den "neuen" LEATHERFACE?

"Wir trinken auch heute alle ganz gerne, aber ich habe zumindest aufgehört, vor dem Auftrittt übermässig viel Bier zu saufen. Dafür lassen wir uns nach der Show völlig zulaufen. Aber wir kennen unsere Grenzen, das ist wichtig. Ausserdem ist Saufen gut gegen Langeweile."

Wie kam´s zur LEATHERFACE-Reunion?

"Dickie ist damals ausgestiegen, weil er seinen kleinen Finger verloren hatte und nicht mehr richtig spielen konnte, Leighton Evans wechselte dann vom Bass an die Gitarre und sie brauchten jemanden am Bass, der sich mit Frankie streitet, also holten sie mich in die Band. Das ist auch schon alles. Es gab nie so eine richtige Auflösung und Reunion, das waren eher so fliessende Übergänge. Es war halt so, dass Leighton und Frankie irgend wann wieder was zusammen machten und dann ergab sich der Rest."

Ihr habt unlängst das erste Mal in den USA getourt. Wie war das?

"Es war seltsam. Die Leute kamen auf uns zu, waren begeistert, dass wir gekommen sind und freuten sich ungeheuer, was für mich seltsam war, weil ich ja noch nicht lange dabei bin. Es gibt in den USA echt eine ganze Menge Diehard-LEATHERFACE-Fans, gerade auch unter anderen Bands. Und ich denke, wir haben auch ein paar Kids überzeugen können, die sonst nur Shit-Punk hören, diesen ganzen Pop-Punk-Mist halt. Wir hatten jedenfalls viel Spass und werden dieses Jahr auch nochmal in den USA touren. Für mich war es das erste Mal in den USA, es war echt interessant, und wir haben auch jede Menge seltsamer Leute kennen gelernt. Zum Beispiel diesen Typen, der sich selber in den Mund gepisst hat - kannst du das glauben?"

Wie hat er das gemacht?

"Der Typ wohnte in so einem riesigen alten Lagerhaus, und nach einem Akustik-Set sollten Frankie und ich dort pennen. So weit, so gut - bis dieser Typ dann meinte uns vorführen zu müssen, wie er sich selbst in den Mund pisst. Er redete die ganze Zeit davon, aber ich konnte es nicht glauben, bis er es uns dann vorführte. Und er hat wohl noch andere Aktionen gebracht, von denen es Videoaufnahmen geben soll. Da sitzt er dann wohl auf dem Kühlschrank und scheisst runter. Oder auf einem Regal oder auf einem Baum. Er sitzt da und scheisst. Und auf diesem Video sind nur Aufnahmen drauf, wie er an den unterschiedlichsten Orten scheisst. Du siehst, ein sehr talentierter Mensch. Das sind die USA, land of the free."

Wie hast du LEATHERFACE wahrgenommen, bevor du selbst mitgespielt hast?

"Ich war schon immer ein grosser Fan, und ich war auch beim Reunion-Konzert in der ersten Reihe - und nur ein paar Monate stand ich mit ihnen auf der Bühne, das war grossartig. Ich kannte sie schon vorher, man kommt eben aus der gleichen Stadt und hängt in den gleichen Läden ab."

Was hat LEATHERFACE für dich als Fan zu so einer grossartigen Band gemacht?

"Ich bin auch heute noch ein Fan. Es sind die Texte, der Gesang und das Gitarrenspiel, die mich schon immer begeistert haben. Frankie ist einfach ein unglaublicher Songwriter, unglaublich detailversessen, der sich einen ganzen Tag lang mit einem zehnsekündigen Songpart beschäftigen kann. Auch die anderen sind unglaublich gut an ihren Instrumenten, das fiel mir früher schon immer auf und jetzt erst recht, wo ich mit ihnen spiele. Ich denke, die sind mindestens genauso gut wie STEELY DAN, das sind alles exzellente Musiker, die auch komplizierten Jazz spielen könnten, nur spielen sie eben Punkrock. Faszinierend finde ich auch, dass die Band völlig scheisse aussieht, richtig schrecklich, aber so grossartige Musik macht."

Auf jeder LEATHERFACE-Platte gibt´s mindestens eine Coverversion. Nun ist das nichts besonderes, allerdings sind die im Falle von LEATHERFACE immer grossartig, während sie bei vielen anderen Bands eher ärgerlich sind. Was ist der Trick?

"All die Songs, die von LEATHERFACE gecovert wurden, werden von der Band geliebt. Andere Bands, gerade in den USA habe ich das mitbekommen, machen das aus Comedy-Gründen, weisst du, nur um damit Blödsinn zu treiben, und das gefällt mir gar nicht."

Wieso ist auf der aktuellen Platte "True colors" zu hören, das im Original von Cindy Lauper gesungen wird?

"Das Lied wurde auf der Beerdigung von Andy Crighton, dem alten Bassisten, gespielt. Klar, dass das Lied allen sehr viel bedeutet. Die zweite Coverversion auf "Horsebox" ist der "Ship song" von Nick Cave. Diese CD haben wir geklaut, als wir in den USA auf Tour waren, und sie dann ständig gespielt, da blieb das einfach hängen, und ausserdem erinnert er uns an diese grossartige Tour. Übrigens spielt bei "Ship song" Fred Purser Piano, unser Produzent, der früher mal bei den TYGERS OF PAN TANG Gitarre gespielt hat. Ein grossartiger Kerl - und der hat immer noch seine lange Mähne von damals. Wir fragten ihn warum, und er meinte, er wolle auf eine Reunion vorbereitet sein."

Wie seid ihr auf ihn gekommen?

"Jemand hat uns das Studio empfohlen. Es ist sein Studio, und da haben auch schon Leute wie Tom Jones aufgenommen. Dabei war es gar nicht mal so teuer, und ausserdem war es schon allein deshalb das Geld wert, um sich mit Fred zu unterhalten."

Wer kam eigentlich auf die Idee mit der Split-Platte mit HOT WATER MUSIC?

"Frankie hat eine ganze Weile lang obszöne Telefonanrufe bekommen, und als er dann eine Fangschaltung machen liess, stellte sich heraus, das die Anrufe aus den USA kamen - von Chris von HOT WATER MUSIC. Die hatten wir sowieso schon auf dem Kieker, weil die eine ganz billige LEATHERFACE-Rip-Off-Band sind, eine schlechte Kopie, ein übler Klon. Wir konnten die gar nicht hassen, die taten uns nur leid. Aber wir sind ja nette Menschen, also haben wir uns die Mühe gemacht, ihnen ein paar Lieder aufzunehmen, um ihnen mal ein paar vernünftige Songs beizubringen. Blöd wie die sind schafften sie es aber nicht die Songs von der anderen Seite der Cassette auch noch zu lernen, und sie dachten, es wäre eine schlaue Idee, einfach eine Split-Platte zu machen. Irgendwer schickte das Tape an BYO, die pressten die Platte, und als wir die dann bekamen, waren wir ganz erstaunt, denn es sollte nur eine neue HOT WATER MUSIC-Platte sein, nicht eine mit uns drauf. Wir sind echt angepisst und gerade dabei sie zu verklagen."

Aha... Was anderes: eure Platten kommen mal hier, mal da raus, und es gibt verschiedene Rereleases. Hat eigentlich irgendwer einen Überblick?

"Nö, keiner von uns. Wir sind auch zu viel unterwegs um uns um sowas zu kümmern. Aber irgendwie ist derzeit alles von uns irgendwie zu bekommen. Aber egal, wegen mir soll jeder unsere Platten mit ´nem CD-Brenner kopieren, mich stört das nicht."

Was hat´s mit dem Artwork von "Horsebox" auf sich?

"Also das ist ja ein polnischer Zloty-Schein da auf dem Cover, und wir finden halt grossen Spass daran, uns auf Tour mit Zloty-Scheinen gegenseitig Kokain in den Arsch zu blasen, so wie einst Stevie Nicks von FLEETWOOD MAC. Die ist aber ein Rockstar und hatte Dollars, wir sind nur eine Punkband und nehmen Zloty."

Was ist das Schlimmste, was auf dieser Tour passiert ist?

"Unser Bandbus wurde ausgeräumt und dabei Frankies Lieblingsgitarre gestohlen, die er seit "Cherry Knowle" hatte. Ausserdem haben sie all unsere Klamotten gestohlen, so dass wir uns von HOT WATER MUSIC bei einem gemeinsamen Konzert in Frankreich neu einkleiden lassen mussten."