ANTI-FLAG

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Neither for blood nor empire

Als ich als Crewmitglied von ZSK 2003 die ANTI-FLAG/ZSK-Europatour begleitete, entpuppten sich die vier ANTI-FLAG-Mitglieder als sehr nette und hilfsbereite Menschen, die den politischen Anspruch lebten, den sie auf bis dahin veröffentlichten Alben wie "A New Kind Of Army", "Underground Network" oder "Mobilize" zum Ausdruck brachten. Nun sind seit dieser Tour mehr als drei Jahre vergangen, die Zeiten haben sich geändert und ANTI-FLAG sind in meinen Augen zu einer der wichtigsten und besten gegenwärtigen Punkrockbands geworden. Ihr Album "The Terror State" vom Herbst 2003 war ein unmissverständlicher Schuss in Richtung der Bush-Administration und gleichzeitig der Startschuss für ein bis heute andauerndes, stetiges Wachstum der Band. Mit "For Blood And Empire" veröffentlichten Justin Sane (Gesang, Gitarre), Chris#2 (Bass, Gesang), Chris Head (Gitarre) und Pat Thetic (Schlagzeug) im März 2006 ihr siebtes Album. Es zeigt die Band in musikalischer Hochform, stellt ihre Integrität aber aufgrund der Tatsache, dass "For Blood And Empire" auf Red Ink, einem Sublabel von Sony BMG, erscheint, auf einen Prüfstand. Überlässt man die Rechtfertigung des Deals aber zunächst der Band, so bleibt mit "For Blood And Empire" ein wahnsinnig gutes Punkrockalbum. In 13 Songs vereinen ANTI-FLAG die für sie typische Energie und ihre markanten, hochpolitischen Texte mit einem bisher ungekannten Melodieverständnis, griffigen Hooklines und guten Songarrangements. Grund genug, um Justin Sane, Chris#2 und Pat Thetic einmal wieder zu treffen.


"For Blood And Empire" ist ein Album, dessen Songs einen Sound widerspiegeln, der auf mich den Eindruck macht, als hätten ANTI-FLAG auf allen bisherigen Alben genau nach diesem Sound gesucht. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass "For Blood And Empire" das Album ist, das "The Terror State" hätte werden sollen. Wie wirkt diese Aussage auf euch?


Chris#2: Diese Beschreibung ist meiner Meinung über "For Blood And Empire" sehr ähnlich. Man kann vergangene ANTI-FLAG-Alben wie "Underground Network", "Mobilize" und "The Terror State" als Stationen auf dem Weg dorthin verstehen, wo wir mit "For Blood And Empire" angelangt sind. Wenn ich unsere neuen Songs wie "The press corpse" oder "Project for a new American century" höre, dann denke ich, dass wir bei allen vorangegangenen Alben versucht haben, Songs zu schreiben, die so klingen wie diese Stücke. Heute würde ich sagen, dass es uns zu Zeiten unserer Vorgängeralben nicht ganz gelungen ist, unsere, wenn du so willst, Idealvorstellungen von Songs musikalisch umzusetzen.

Euer Sound hat sich mit "For Blood And Empire" aber nicht grundlegend geändert.

Chris#2: Stimmt, "For Blood And Empire" schlägt für mein Gefühl aber einen Bogen über alle bisherigen ANTI-FLAG-Alben. Jedes bisher erschienene ANTI-FLAG-Album wurde unter dem Einfluss gewisser Ereignisse geschrieben, oder um eine Idee herum aufgebaut. So etwa "Underground Network", das mit den unabhängigen Medien ein zentrales Thema behandelt. Auf "For Blood And Empire" vereinen wir in meinen Augen die Einflüsse, die uns jeweils beim Schreiben von jedem unserer bisherigen Alben beschäftigten, auf einer Platte. Deswegen der Gedanke, dass das Album einen Bogen über die bisherigen ANTI-FLAG-Platten spannt. Darüber hinaus sind auf "For Blood And Empire" aber auch viele Songs, die weitaus besser und weiter entwickelter sind als unsere alten Songs. Deswegen greift "For Blood And Empire" auf Vergangenes zurück, spiegelt aber gleichzeitig eine Weiterentwicklung von ANTI-FLAG wider.

Justin: Genau das genieße ich an dem Album. Es ist eine Synthese von allen Alben, die wir bisher geschrieben haben, weswegen ich, genauso wie Chris#2, eine Vereinigung unserer bisherigen Alben auf "For Blood And Empire" sehe. Wir haben viele Elemente, die wir auf alten ANTI-FLAG-Alben eingearbeitet haben, für "For Blood And Empire" neu verwendet und vor allem neu kombiniert. Auf dem Album haben wir für ANTI-FLAG neuartige Songarrangements, unterschiedliche Sounds und Melodien ausprobiert und zu Songs verarbeitet.

Denkt ihr heute, dass ihr euch mit den ANTI-FLAG-Alben, die sich jeweils mit einem zentralen Thema beschäftigen, selber eingeschränkt habt?

Chris#2: Aus der heutigen Perspektive würde ich das vielleicht so sagen. Dennoch soll das nicht die Qualität, die alle diese Alben in meinen Augen haben, herunterspielen. Die damaligen Ereignisse sind uns eben nahe genug gegangen, dass wir sie gleich auf einem ganzen Album verarbeitet haben.

Auf "For Blood And Empire" scheint eine zentrale Thematik zu fehlen.

Chris#2: Damit triffst du den Nagel auf den Kopf. Auch wenn sich die Texte nicht explizit einem Thema widmen, so gibt es doch eine zentrale Ebene, auf der sich die Themen der einzelnen Songs treffen und durch die die einzelnen Songs wiederum in Beziehung zueinander stehen - Regierungshandeln und seine politischen sowie wirtschaftlichen Konsequenzen. Nimm "The press corpse" und "One trillion dollars". Im ersten Song geht es darum, dass die amerikanischen Mainstream-Medien keinerlei Kritik am Vorgehen der US-Regierung üben. Der zweite Song spricht die massiven Rüstungsausgaben der USA an. Auf den ersten Blick sind es zwei Dinge, über die wir reden. Schaut man aber genauer hin, dann stehen diese Themen wiederum in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang, weil die republikanische Partei massiven Einfluss auf die Medien ausübt und auch für die Rüstungsausgaben mitverantwortlich ist. Diese beiden Songs sind ein Beispiel, für eine solche Beziehung zwischen Stücken auf "For Blood And Empire". Zwischen den Themen dieser beiden Songs und den Themen anderer Songs des Albums bestehen aber viele weitere Beziehungen. Wenn man sich in die Songs des Albums hineindenkt, dann erschließen sich die thematischen Zusammenhänge zwischen einzelnen Stücken. Und sollte das bei einem Hörer eintreten, dann haben wir genau das erreicht, was wir mit diesem Album erreichen wollten. Deswegen trifft es zu, zu sagen, dass eine zentrale Thematik zu fehlen scheint. Sie kommt zwar nicht in jedem Song direkt zum Ausdruck, durch die einzelnen Songs beziehen wir uns aber immer wieder auf sie.

"For Blood And Empire" erscheint auf Red Ink, das zu Sony BMG gehört. Als ihr im Sommer die Meldung herausgabt, dass ihr zu einem Major wechselt, wirkte dies auf mich sehr plötzlich, während andere Bands die Öffentlichkeit oft langsam aber sicher darauf vorbereiten, dass sie einen Vertragsschluss mit einem Major anstreben. Warum kam die Meldung im Falle ANTI-FLAG wie aus dem Nichts heraus?

Pat: Der Grund, warum die Meldung so schlagartig kam, war, dass es keinen langwierigen Labelwechsel-Prozess gab. Wir standen nicht in langen Verhandlungen mit RCA, sondern sie nahmen Kontakt zu uns auf, als wir an "For Blood And Empire" mit der Vorstellung arbeiteten, dass das Album eigentlich auf Fat Wreck erscheinen sollte.

Justin: Zu der Zeit, als RCA uns kontaktierte, hatten wir bereits seit sieben Jahren regelmäßig Majorangebote bekommen. Auf jede einzelne Kontaktaufnahme antworteten wir, indem wir uns zwar verhandlungsbereit zeigten, jedem Label aber unseren Forderungskatalog, der natürlich volle kreative Selbstbestimmung einschließt, präsentierten. Bis dahin hatte sich kein Majorlabel darauf eingelassen. Dennoch war uns klar, dass es für ANTI-FLAG und unser politisches Anliegen von Vorteil wäre, wenn uns die weit reichenden Vertriebsnetze und Promotionmöglichkeiten eines solch großen Labels zur Verbreitung unserer politischen Ideale zur Verfügung ständen. Als RAGE AGAINST THE MACHINE bekannt wurden, war ich sehr erfreut, dass es endlich eine hochpolitische Band in die Medien geschafft hatte. Gleichwohl muss man sich klar machen, dass dies bisher eine Ausnahme war und faktisch eigentlich kaum linkspolitische Künstler bis in die Mainstream-Medien vordringen. Für uns stellt das Angebot von RCA daher eine Chance dar, einem größeren Publikum als bisher unser Anliegen näher zu bringen. Ich weiß sehr wohl, dass auch ANTI-FLAG mit einem Majordeal auf der Nase landen können. Hätten wir das Angebot ausgeschlagen, hätten wir die Chance, ein breiteres Publikum anzusprechen, aber verstreichen lassen. Um sie aber zu nutzen, haben wir den Deal angenommen.

Chris#2: Trotz RCA werden wir ANTI-FLAG bleiben. Sollten wir mit "For Blood And Empire" mehr Leute erreichen als bisher, dann wäre das super. Wir werden aber Niemandem den Gefallen tun und uns politisch und textlich oder musikalisch ändern, um mehr Leute zu erreichen.

Was hat es mit der von euch gegründete Website militaryfreezone.org auf sich?

Pat: Viele Leute in den USA wissen nicht, dass faktisch alle Schulen in den USA Daten ihrer Schüler an das Militär geben, damit es aus den Daten folgern kann, welche Schüler einer Schule potentiell in Frage kommen, um für das Militär rekrutiert zu werden. Die Vorschrift, Daten weiterzugeben, trat als Teil des "No child left behind act" vor noch nicht allzu langer Zeit in Kraft. Viele Menschen wissen nicht, dass ihre Daten oder Daten ihrer Kinder weiter gegeben werden. Und das Perverse daran ist, dass man nicht gefragt wird, ob man das überhaupt will. Man muss selber aktiv werden und eine Option aus dem "No child left behind act" geltend machen, damit die eigenen Daten nicht weitergegeben werden. Viele unserer Fans sind gerade im Highschool-Alter, weswegen wir sie mit der Website darauf aufmerksam machen wollen, wie sie verhindern können, dass ihre Daten oder gar sie selber zur Armee gelangen.

Justin: Darüber hinaus wollen wir mit der Website aber auch bewirken, dass sich die Leute mit dem Militär und seinen Hintermännern auseinandersetzen und erkennen, wer aus dem Heer Profit schlägt. Denn viele Menschen sind verblendet und der Meinung, dass die USA unbedingt eine Armee brauchen. Dass die Besucher von militaryfreezone.org dies hinterfragen, das ist ein zweites Ziel, das wir mit der Website verfolgen.

Mittlerweile rekrutiert das Militär auch auf Shows der "Warped Tour", wo ihr diesen Sommer spielen werdet.

Chris#2: Das Militär ist nicht bei jeder "Warped Tour"-Show, dennoch hast du Recht. Man muss aber dazu sagen, dass jedes Mal, wenn ein Stand der Marines oder einer sonstigen Division der Armee auf einer Show ist und STRIKE ANYWHERE, RISE AGAINST, wir oder andere politisch bewusste Bands dort spielen, die Bands regelmäßig auf der Bühne darauf hinweisen, dass es keinen Grund gibt, mit dem Militär konform zu gehen. In der Regel schließt dann der Stand der Armee für den Tourtag. Wären wir und andere politische Bands nicht auf der "Warped Tour", dann würde man nichts dagegen tun, dass die Armee auf einem Konzert junge Leute rekrutiert. Und nein, ich denke nicht, dass die Armee irgendetwas auf einer Punkrock-Show zu suchen hat. Die "Warped Tour" ist aber nicht von uns organisiert, wir haben also keine Handhabe darüber, welche Stände bei einem Tourkonzert aufgebaut werden dürfen und welche nicht. Würden wir nicht bei der "Warped Tour" spielen, würden wir die Konzertbesucher kritiklos der Rekrutierung überlassen.