AVENGERS

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We are the one

Wir schreiben das magische Jahr 1977. Glam ist tot und der Einzige, der ihn wohl jemals erfolgreich überlebte, ist David Bowie. Die Kids in den USA sind auf der Suche nach etwas Neuem, etwas Anderem. Etwas, bei dem es nicht so sehr auf Glitzerkostüm, Plateauschuhe und Schminke ankommt. In New York mischen THE RAMONES den Untergrund auf, an der Westküste gründen sich THE AVENGERS. Deren Sängerin Penelope Houston, die sich später als Neo-Folksängerin einen Namen machen wird, ist neben Patti Smith und BLONDIE eine der Wegbereiterinnen der amerikanischen Punkbewegung. In den zwei Jahren ihres Bestehens veröffentlicht ihre Band aus San Francisco zwar nur eine Single, die aber auf dem legendären LA-Label Dangerhouse. Zu wenig zwar, um der Öffentlichkeit im Gedächtnis zu bleiben, ausreichend jedoch, um der Szene ihren melodiösen, angepissten Sound aufzudrücken. Ein Sound, der später tausendfach kopiert werden sollte. Zur ersten Europatour von THE AVENGERS überhaupt stand Sängerin Penelope Houston vor der Show in Hamburg Rede und Anwort.


Wie läuft es in Europa?


Die Tour ist bisher ein voller Erfolg. Die Show in Berlin war, wie einige andere auch, komplett ausverkauft. Es scheint fast so, als ob die Szene sich reformiert hätte. Ich kenne Deutschland ja schon von meinen Soloauftritten, hatte aber nicht die geringste Ahnung, wie die Leute auf mich und THE AVENGERS reagieren würden. Zu den Shows kommt, soweit ich das beurteilen kann, ein ganz unterschiedliches Publikum. Zum einen die alten Punkrocker, die nie die Chance hatten, uns live zu sehen, zum anderen aber auch viele junge Fans, die wahrscheinlich auf Empfehlung ihrer Freunde oder Eltern kommen.

Wie kam es dazu, dass ihr die Band wieder ins Leben gerufen habt?

Die ersten gemeinsamen Schritte der Band gab es schon 1999. Greg Ingraham, der Gitarrist der Originalbesetzung, und ich nahmen mit Joel Reader, Bass, und Luis Illades, Drums, ein Album für Lookout mit einigen neuen Songs auf. Unter dem Namen THE scAVENGERS gingen wir später auch auf Tour, spielten aber nur insgesamt fünf Shows. 2004 folgte dann "The American In Me", das einen Livemitschnitt von 1979 sowie die 1978 von Steve Jones produzierten Studioaufnahmen beinhaltetet. Wir hatten Spaß und spielten immer mal wieder auf Benefizveranstaltungen. Primäres Ziel war zunächst, die jungen Amerikaner vom Gedanken des Wahlrechts zu überzeugen. Leider hat das, wie wir alle wissen, nicht ganz geklappt. Wir als Band bekamen mit der Zeit immer häufiger Angebote für eine Tour, unter anderem auch aus Europa.

Was war 1977 der Grund für die Gründung der Band? Welche musikalischen Einflüsse waren für dich persönlich entscheidend?

Ich bin 1977 von Seattle nach San Francisco gezogen, um an der Kunsthochschule mein Studium aufzunehmen. Bevor Punk richtig groß wurde, hörte ich vor allem Lou Reed, Patti Smith und natürlich Iggy Pop. Danny Furious, der Drummer von THE AVENGERS, und Greg hatten damals die Idee, eine Punkband zu gründen. Sie hatten ihren Proberaum in einer riesigen Lagerhalle und luden mich öfters ein, mal vorbeizuschauen. Eines Tages kam ich etwas früher, die Jungs waren noch nicht da. Ich schnappte mir das Mikrophon und begann zu singen. Ab dem Zeitpunkt war es um mich geschehen. Durch die Verstärker hörte sich selbst meine Fistelstimme nach etwas an!

Wie kam der Kontakt zu eurem ersten Label Dangerhouse zustande?

Das kam durch THE SCREAMERS. Ich kannte Tomata du Plenty, den Sänger der Band, bereits aus Seattle. Als ich nach San Francisco zog, ging seine Band fast zeitgleich nach Los Angeles. Dort wohnten sie in einem besetzten Haus, dem "Wilton Hilton", wie die Punks es nannten. Ich war damals zu Besuch und Tomata stellte mich David Brown vor, dem Keyboarder von THE SCREAMERS und Gründer von Dangerhouse. Daraufhin kamen er und Label-Mitbegründer Black Randy zu einer Show nach San Francisco. Dann ging alles sehr schnell: Sie luden uns ins Studio nach L.A. ein, in dem wir die erste Single einspielten. Das Ganze dauerte gefühlte 15 Minuten! Der zufällig mitgeschnittene erste Probedurchlauf meines Gesangs wurde schließlich für die Aufnahmen verwendet, da er sich am rauesten und ungeschliffensten anhörte. Die Szene war damals relativ klein, alle kannten sich untereinander. Vor allem mit den Dangerhouse-Bands aus Los Angeles verstanden wir uns gut und spielten öfters mit ihnen, da Danny und John, unser Bassist, ursprünglich aus L.A. kamen.

Von der Single gibt es zwei Versionen. Eine mit dem so genannten "Crucifixation"-Cover und eine mit dem "Target"-Cover. Wie kam es dazu?

Das erste Cover, auf dem ich wie Jesus am Kreuz hängend zu sehen bin, gefiel uns irgendwann nicht mehr und wir beschlossen nach dieser ersten Version, von der es 500 Stück gab, ein neues Cover zu machen. So genau weiß ich das gar nicht mehr. Ich wünschte, ich hätte noch ein paar Kopien von der Single, dann wäre ich heute nämlich reich!

Schätzt du dich heute glücklich, die Chance gehabt zu haben, bei einem der ersten Punklabels etwas herausgebracht zu haben?

Absolut, ja. Damals gab es so gut wie keine Independentlabels und die erste und einzige Punkband der Westküste, die es damals auf ein Majorlabel schaffen sollte, waren THE DICKIES. Zu einer richtigen Platte mit zwölf Liedern kamen die meisten Bands erst gar nicht, weil sich Labels wie eben Dangerhouse das gar nicht leisten konnten. Deshalb sind diese Singles eben auch so großartig. Nur die zwei oder drei besten Songs einer Band wurden jeweils aufgenommen.

Ist das nicht auch schade, dass eine Band wie THE SCREAMERS nie etwas aufnahm und heute in Vergessenheit geraten ist?

THE SCREAMERS lehnten es stets ab, eine Single aufzunehmen. Sie warteten auf etwas Größeres. Sprich, sie wollten, dass jemand auf sie zukommt und ihnen einen Vertrag bei einem Major anbietet, wozu es dann aber nie kam.

Posthum erschien 1983 von euch das so genannte "Pink Album", eine Zusammenstellung aller jemals im Studio aufgenommenen Tracks. Glücklich darüber ward ihr aber nicht, oder?

Wir lösten uns im Juni 1979 auf. Im Jahr zuvor stieg bereits Greg aus, mit dem ich mich überworfen hatte. Während ich daraufhin nach England zog, verkaufte wohl Danny all unsere Studioaufnahmen an einen kalifornischen Schleimscheißer und windigen Geschäftsmann, der damals schon immer in der Szene abhing, aber nie richtig involviert war. Angeblich wurde ein fester Betrag für die Vinylversion auf seinem Label CD-Presents gezahlt. Ich sage absichtlich "angeblich", da das alles hinter meinem Rücken geschah und ich bis heute nicht weiß, wie es dazu kommen konnte. Ein Jahr später veröffentlichte der Typ auch eine CD-Version, wozu er weder das Recht hatte noch jemals in irgendeiner Form Geld zahlte. Als Dangerhouse nach Absprache mit mir Anfang der Neunziger eine Art Best-Of-Album auf den Markt brachte, flatterte uns dann auch noch eine Klage wegen unerlaubter Veröffentlichung rechtlich geschützten Eigentums ins Haus. Das Ganze ist eine Farce und ich hasse diesen Typen, der immer noch in Kalifornien wohnt und so manche Band über den Tisch gezogen hat.

Wie ist deine Beziehung zu Punk heute?

Ich habe nicht mehr besonders viel mit der Szene zu tun. Ab und an treffe ich in Kalifornien noch Leute von damals, was sehr spannend ist, da wir alle ganz verschiedene Wege gegangen sind. Im April treten wir zum Beispiel zusammen mit FLIPPER, THE MUTANTS und den FAKE DEAD KENNEDYS auf. Ende der Neunziger lernte ich über unser gemeinsames Label Reprise Billy Joe Armstrong von GREEN DAY kennen. Zusammen schrieben wir ein paar Songs für mein 1999 veröffentlichtes Soloalbum. Später nahmen wir dann noch den AVENGERS-Song "Corpus Christi" auf. Er war es auch, der mich Joel, unserem jetzigen Bassspieler, vorstellte. Hin und wieder besuche ich natürlich auch noch Konzerte, meistens aber nur von Bands, die ich auch persönlich kenne.

Kurz nachdem sich eure Band im Sommer 1979 auflöste, war die Zeit der ersten Punkwelle auch schon wieder vorüber. Woran lag das deiner Meinung nach?

Für viele Bands war es einfach frustrierend, nie die Chance gehabt zu haben, in einem vernünftigen Studio arbeiten zu können. Es gab eben fast keine Indielabels, auf die man ausweichen konnte. Die Szene der allerersten Stunde hielt komplett zusammen, jeder durfte so sein, wie er wirklich war. Ab 1980 gab es diese ganzen verschiedenen Musikrichtungen, wie Hardcore, Rockabilly, New Wave, Powerpop oder Art Punk, die alle irgendwie gegeneinander zu arbeiten schienen. Anfangs waren viele Frauen in der Szene, ich denke da an Bands wie X, THE GO-GO's, THE BAGS, ALLEY CATS oder THE GERMS. Mit Hardcore war das dann nicht zu vereinbaren, die Offenheit des Punk ging verloren. Darüber hinaus spielte auch das Thema Drogen eine leider viel zu wichtige Rolle. Ich persönlich fing in den Achtzigern an, mich für Neo-Folk zu interessieren, was mir später vom Maximum Rock'n'Roll als Ausverkauf vorgeworfen wurde. Sie wollten einfach nicht einsehen, dass ich mich persönlich nicht mehr für Punk interessierte und mich weiter entwickelt hatte, obwohl ich die Punk-Attitüde natürlich noch in mir hatte und habe.

Dein letztes Soloalbum "Pale Green Girl" erschien 2004. Hast du bereits an neuem Material arbeiten können?

Ich habe eine ganze Menge an Songs zusammen und muss mich demnächst noch mal hinsetzen und auswählen, was auf das nächste Album soll. Ansonsten arbeite ich immer noch halbtags als Bibliothekarin.

THE AVENGERS hatten als Vorband der SEX PISTOLS die Möglichkeit, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Später sagtest du über diesen ominösen Gig am 14. Januar 1978 in San Franciscos Winterland Ballroom, dass danach "die Reinheit der Musik verloren gegangen" wäre. Warum?

Hahaha, das habe ich gesagt? Da bin ich wahrscheinlich nicht die Einzige! Das Komische an der Show war, dass wir von heute auf morgen vor 6.000 zahlenden Gästen spielten. Dem größten Publikum, vor dem wir jemals spielen würden. Aber woher kamen all diese Leute? Die Szene, die zu diesem Konzert von der ganzen Westküste und selbst aus Seattle angereist war, bestand aus schätzungsweise 600 Punks. Malcom McLaren, der Manager der SEX PISTOLS, buchte damals absichtlich nur kleinere Venues für die SEX PISTOLS. Er war der Auffassung, je weniger die Band aufträte, desto mehr Publicity würde sie bekommen. Außerdem hielt er sie angeblich für zu schlecht und hatte Angst, dass das dann in den großen Medienstädten von den Musikjournalisten aufgedeckt werden würde. Uns wurde plötzlich bewusst, dass bei dieser letzten Show der Tour zum ersten Mal der einflussreiche Promoter Ben Graham seine Finger im Spiel gehabt hatte. Das Gros der Besucher war einfach nur aus Neugierde gekommen. Es waren nicht die Leute, mit denen wir uns identifizieren konnten. Die richtige Kommerzialisierung des Punk setzte meiner Meinung nach aber erst später mit unter anderem GREEN DAY ein. Wir lernten damals Steve Jones, den Gitarristen der SEX PISTOLS, kennen. Mit ihm nahmen wir vier Songs auf, die 1979 auf dem Label White Noise veröffentlicht wurden. Komischerweise hat keiner der Jungs damals Gitarrenläufe eingespielt, so dass anzunehmen ist, dass Steve diese selber eingespielt und untergemischt hat. Dazu kommt bei einigen Songs noch dieses Klavier, das auch wie von Geisterhand auf das Band kam.

Was ist dir von dieser Show noch in Erinnerung geblieben?

Die erste Band, die damals auf die Bühne ging, war THE NUNS, die ihren ganzen Auftritt über so bespuckt wurden, dass ich, als ich auf die Bühne ging, ausrutschte. Diese ganze Energie und Aggression, die vom Publikum ausging, war erschreckend. Nach unserem Set versuchte ich, ganz vorne zur Bühne zu kommen, was aber wegen der Menschenmassen unmöglich war.

War die erste Show, die ihr jemals gespielt habt, nicht auch mit THE NUNS?

Unser erstes Konzert spielten wir auf der Aftershow-Party, die zu Ehren von THE NUNS gegeben wurde. Sie hatten es geschafft, mit irgendeiner größeren Band aufzutreten. Alles kam sehr plötzlich und wir hatten damals nur eine Woche Zeit, uns vorzubereiten, und nahmen uns vor, nur Coversongs zu spielen. Ich sprach daraufhin mit Tomata du Plenty, der mich schließlich von der Gelegenheit überzeugte, auch eigene Lieder präsentieren zu können. Ich setzte mich also hin und herauskamen spätere Klassiker wie "I believe in me", "Car crash" oder auch "Fuck you". Die Show selber war dann das totale Chaos, weil wir alle super nervös waren. Einer der Jungs hatte die Setliste falsch aufgeschrieben, so dass ich nie wusste, welcher Song folgen würde. Danach hätte ich das Singen fast an den Nagel gehängt, so schlecht fand ich meine Performance.

Angeblich hast du über alle Shows, die ihr gespielt habt, Tagebuch geführt. Was hast du da genau aufgeschrieben?

Ich habe damals nur aufgeschrieben, wann, wo und mit wem wir aufgetreten sind. Darüber hinaus noch, wie es war und wie viel Geld wir ausgezahlt bekamen. Es waren leider immer nur höchstens ein bis zwei Zeilen. Ich wünschte, ich hätte wirklich Tagebuch geführt über die ganzen Jahre, so wie ich es seit Anfang der Achtziger tue.

Auf eurer MySpace-Internetseite sprichst du dich sehr deutlich gegen jegliche Form von Diskriminierung und Faschismus aus. Warum tust du das so explizit?

Seitdem wir wieder als THE AVENGERS unterwegs sind, kamen immer wieder Skinheads zu unseren Konzerten. Das hat natürlich erst mal nichts zu bedeuten. Ich kann von der Bühne aus nicht jeden einzelnen nach seiner politischen Gesinnung fragen. Ich wollte aber sicher sein, dass wir nicht falsch verstanden werden. Deswegen der hoffentlich eindeutige Text. Obwohl ich mittlerweile daran zweifle, ob sich den überhaupt jemand durchliest.