RETCHING RED

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Das ganze Musikgeschäft ist ein Haufen Scheiße

Was ist eigentlich aus TILT geworden ...? Ewig nichts mehr gehört von Cinder Block und Co. Nun sind RETCHING RED nicht TILT, aber Cinder singt hier, und damit ist alles gut, das Warten hat ein Ende, klingt das Album "Get Your Red Wings" doch wie eine hyperaggressive Highspeed-Version von TILT, brüllt sich Mrs. Block hier wie eh und je heiser die Seele aus dem Leib. Unterstützt wird sie dabei von einem alten Bekannten aus der Oakland-Szene, von Mike "Cyco Loco" Avilez von OPPRESSED LOGIC. RETCHING RED verbinden knackigen Oldschool-Hardcore mit dreckigen Rockriffs, Cinders Texte sind ähnlich wütend, und weil das sicher auch live beeindruckt, gibt's passend zur Tour im April ein Interview mit Mike und Cinder.


Zuerst einmal die Basics, bitte.


Cinder: RETCHING RED wurde Anfang 2004 an einem Ort mit Namen The Slaughterhouse in Oakland, Kalifornien, wo die Punkrock-Energie nur so gebündelt wird, geboren. John the Baker von Burnt Ramen gründete dieses verrückte und gefährliche Künstler-Kaufhaus und präsentierte dort einige ass-kicking Shows. Ich habe keine Ahnung, was eine Location magisch erscheinen lässt, aber The Slaughterhouse hatte diese Magie. Mike und ich haben uns dort kennen gelernt und man kann sagen, dass die Band eine Anhäufung der ganzen Energie ist, auf die man dort traf. Na ja, aber gute Zeiten sind immer mal zu Ende und jetzt ist das Slaughterhouse nur noch ein Haufen Schutt, der darauf wartet von windigen Bauunternehmern bebaut zu werden.

Mike: Als Cinder und ich uns Anfang 2004 im Slaughterhouse kennen gelernt haben, haben wir uns ein paar mal getroffen und sie sagte mir, dass sie gerne eine Hardcore-Band gründen wolle. Wir wollten beide noch mal etwas ganz Neues anfangen und so haben wir uns ein paar Leute von anderen Bands der Bay Area gesucht, haben ein paar Songs zusammengeschmissen und nach nur kurzer Zeit haben wir massig Shows gespielt. Alles war für uns relativ einfach, da Cinder jahrelang bei TILT gespielt hat und ich parallel noch bei OPPRESSED LOGIC bin und das Booking mache. Daher hatten wir einen ziemlich einfachen Start. Unsere erste Show fand im August 2004 zusammen mit DR KNOW und OPPRESSED LOGIC statt. Während dieser ersten Show hatten wir schon jede Menge T-Shirt-Merchandise und im Dezember 2004 kam ja unsere erste CD raus. Wir haben einfach damit angefangen und werden damit auch nicht aufhören, weil wir diesen Job lieben.

Was ist zurzeit der kleinste gemeinsame Nenner in Bezug auf das Musikgeschäft?

Mike: Fuck, das weiß ich nicht, aber man darf sich nicht davon verarschen lassen, was die Medien heutzutage als Punk bezeichnen. Sorry, Kids, GOOD CHARLOTTE ist keine Punkband und der ganze andere Scheiß auch nicht! Vielleicht können wir die "Newschool" noch umerziehen, dann lernen sie mal was von ihren Alten!

Cinder: Das ganze Musikgeschäft ist ein Haufen Scheiße. Ich bin eine überzeugte Außenseiterin und weigere mich die ganzen Spielchen mitzuspielen, um meinen sozialen Status zu verbessern. Der kleinste gemeinsame Nenner ist für mich Hollywood.

Mike, du spielst bei OPPRESSED LOGIC und du, Cinder, warst die Stimme von TILT. Gibt es einen direkten Bezug von der anderen bzw. früheren Band zu RETCHING RED?

Mike: Meiner Meinung nach ähneln sich RETCHING RED und OPPRESSED LOGIC mehr als TILT und RR. Der einzige Unterschied ist, dass jetzt eine Frau singt und zwar verdammt gut. Cinder singt sehr aggressiv und den Leuten gefällt es! Ich liebe es, in dieser Band Bass zu spielen, bei OPPRESSED LOGIC singe ich. Bei RETCHING RED spiele ich verdammt gerne Bass, was nicht oft vorkommt, und ich habe schon in verdammt vielen Bands gespielt.

Cinder: Ich denke, dass die größte Übereinstimmung von RR und TILT ist, dass ich die Texte schreibe, was mich wohl auch noch einige Zeit vergnügen wird. Ich kann nicht einfach "freestylen" und erwarten, dass sich der Mist, den ich gerade von mir gegeben habe, bewähren wird. Die Worte müssen mich schon irgendwie berühren.

Ihr scheint die Repräsentanten der Oldschool-Bay-Area-Punkszene zu sein, und mir gefällt diese No-Bullshit-D.I.Y.-Attitüde. Aber andererseits arbeitet Cinder mit sehr vielen Bands, und auch kommerziellen Bands im Rahmen ihrer T-Shirt-Druck-Firma Cinder Block zusammen. Wie verbindet man diese zwei Welten? Oder gibt es da gar keinen Widerspruch?

Cinder: Ich verbinde sie nicht. RETCHING RED läuft völlig separat von "Cinder Block Inc.". Wir müssen genau wie andere Bands für unsere T-Shirts zahlen und warten, bis der Druck fertig ist.

Ich bin immer noch von der unglaublichen Power eures Albums beeindruckt. Warum so viel Zorn? Ich dachte, im Laufe der Zeit wird man ruhiger ...

Mike: Dieses Jahr ist mein zwanzigstes in einer Punkband. Mir macht es einfach Spaß, und Alter spielt da keine Rolle. Einige steigen zwar aus, aber wir bleiben dabei, irgendjemand muss den Kids ja zeigen, wie's gemacht wird. Wir sind eigentlich sehr nette Menschen, einige Leute bekommen jedoch Panik bei unserer wütenden Performance, aber verdammt, "it's punk rock"!

Cinder: Ruhiger werden? Das ist ein Märchen des Alters. In den 90ern hatte ich wenigstens einen Funken Hoffnung für mein Land, aber jetzt ist alles den Bach runter gegangen. Es gibt nichts, was mich mehr anpisst! Daher haben sich meine Popmelodien in wütende Schreie verwandelt.

Das Artwork mit der Frau, die aus ihrer Vagina blutet, ist ein sehr extremes Motiv. Was ist der Hintergrund dazu? Inwieweit können sich die Jungs in der Band damit etwas anfangen?

Cinder: Dieses Sekret ist doch der Dämon, den die meisten Männer fürchten. Nur echte Männer lecken blutige Muschis. Und nur die sind in meinen Augen okay!

Mike: Ich finde es verdammt gut. Es ist mit Sicherheit ein Logo, das heraussticht, einige Leute finden es widerlich, aber den meisten gefällt es. Als ich mit OPPRESSED LOGIC vor ein paar Jahren in Los Angeles bei der N/A Punk Fest Show gespielt habe, habe ich dort 25 T-Shirts mit diesem Aufdruck verkauft, obwohl RR noch nicht mal gespielt haben und die Leute uns noch gar nicht kannten. Es ist also ein absoluter Eyecatcher und verkauft sich sehr gut!

Habt ihr schon mal Ärger wegen eures Cover-Artworks gehabt, das eine Punkerfrau mit gespreizten Beinen zeigt, und da, wo die Vagina ist, ist eine Teufelsfratze und jede Menge Blut vor ihr auf dem Boden? Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Mitbürger dieses Motiv nicht bei ihren Kindern auf T-Shirts oder im CD-Regal finden wollen.

Mike: Nein, das haben wir eigentlich nicht. Nur einmal habe ich einem Mädel, das ich kannte, einen Sticker mit diesem Motiv gegeben und sie war ziemlich angeekelt von mir. Da musste ich ihr leider sagen, dass sie sich verpissen soll und dass unsere Sängerin die Idee mit dem Motiv hatte. Schockieren ist gut! Aber natürlich frage ich mich manchmal, was sich Eltern denken, wenn ihr dreizehnjähriges Kind von unserem Konzert mit diesem T-Shirt zurückkommt und es dann in der Schule trägt. Aber meine Mutter findet es ziemlich cool. Sie hat mich bei meiner Musik immer unterstützt.

Cinder: Ich habe mir das Konzept überlegt und Damon Wallace hat es dann für uns gezeichnet. Ich glaube, dass viele Leute schockiert sind, wenn sie merken, dass eine Frau hinter all dem steckt. Das finde ich super! Ich liebe es, bei manchen Leuten die Seifenblase der Selbstgerechtigkeit platzen zu lassen. Kinder werden heutzutage viel zu sehr beschützt. Sie wissen viel mehr, als den Eltern lieb ist.

Da die Veröffentlichung eures Albums schon längere Zeit zurückliegt, frage ich mich, ob ihr zurzeit an neuen Projekten arbeitet.

Mike: Ja, das tun wir! Wenn ihr das hier lest, haben wir schon unsere neue CD "The Scarlet Whore Of War" bei Rodent Popsicle rausgebracht. Warte nur, bis du das neue Cover siehst. Du hast gedacht, das Letzte war offensiv? Ha!

Ich habe in eurem Internet-Tagebuch gelesen, dass ihr während eurer letzten Tour die Hälfte der Bandmitglieder verloren habt. Gibt es dazu etwas zu sagen? Was ist mit dem neuen Line-up?

Cinder: Kein Kommentar dazu. Egal was ich sage, irgendjemand fühlt sich immer angegriffen.

Mike: Ja, das war eine Tour ... Nach drei Tagen hätten wir uns in Seattle beinahe aufgelöst, aber dann konnten wir unsere Probleme beheben und sind weiter getourt. Als wir in Detroit waren, ist es total schrecklich geworden. Die Leute hatten keinen Bock mehr und konnten nicht wirklich Verantwortung übernehmen, also mussten sie gehen. Wir mussten zwei Shows absagen und haben Freunde gebeten, kurzfristig als Gitarrist und Drummer einzuspringen. So konnten wir unsere Tour dann doch noch zu Ende bringen. Das war ziemlich stressig und viele Leute haben sich gefragt, wie wir das geschafft haben. Zu Hause haben wir dann zwei neue Bandmitglieder gefunden. Sie sind supercool und ich arbeite sehr gerne mit ihnen. Adam von CREEPY ist ein großartiger Schlagzeuger und unser neuer blutjunger Gitarrist Jake spielt nebenher noch in zwei Trash-Core-Bands, SECOND OPINION und NOTHING IN RETURN. Ich mag die beiden so gerne, dass ich sie in das aktuelle Line-up von OPPRESSED LOGIC übernommen habe. Das erleichtert vieles für mich, da die Band ohnehin mal neuen Schwung gebraucht hat und ich nun mit beiden Bands gleichzeitig auf Tour gehen kann.

Was erwartet ihr von der Tour hier?

Mike: Ich bin schon tierisch gespannt auf die Tour. 2001 war ich mit OPPRESSED LOGIC hier und wir hatten richtig Spaß. Dieses Jahr spielen wir ziemlich viele Gigs in Deutschland. Die Tour startet am 07.04. und endet am 08.05. in Amsterdam beim Wasted-Festival. Die meiste Zeit touren wir mit der deutschen Band SCHEISSE MINNELLI. Der Sänger Sam bucht die ganze Tour und macht einen sehr guten Job. Er wird außerdem für ganze vier Wochen als Fahrer und Tour-Manager fungieren. Für die wenigen OPPRESSED LOGIC- Konzerte wird er auch als Bassist einspringen. Ich erwarte eine riesige, wilde Meute von verrückten Punks, die sich ihre Ärsche wegpogen. Vor zwei Jahren habe ich mit dem Trinken aufgehört, aber ich erwarte in Deutschland einen Rückfall. Nein, war nur ein Witz. Ich werde euch schon zeigen, wie ein nüchternder Kerl eure Clubs rocken kann. Das werdet ihr nicht vergessen!

Cinder: Ich erwarte, völlig überwältigt von Deutschland zu sein. Wenn du darüber spötteln möchtest, dann denk daran, wo ich lebe. Europa, da kann ich mal wieder richtig durchatmen. Aber es wird so oder so großartig werden, das heißt, naja, die Luft in den Clubs wird sicherlich nicht so gut sein wie in Kalifornien, denn in Deutschland gibt es ja noch kein Rauchverbot in Clubs. Ich werde also während des Auftrittes nicht atmen können.

Wie bekannt ist RETCHING RED in Kalifornien? Ich meine, TILT war bei Fat Wreck und somit auf der ganzen Welt ziemlich bekannt.

Mike: Wir haben eine recht große lokale Fangemeinde hier in der Bay Area und in letzter Zeit haben wir ziemlich viele neue Fans dazu gewonnen. Wir bekommen natürlich nicht eine riesige Menge an Fans zusammen wie TILT bei der Warped-Tour, aber wir gewinnen ständig Fans dazu. Touren und Werbung machen trägt sicherlich dazu bei und ich sehe zuversichtlich in die Zukunft.

Cinder: Mir hat es schon immer mehr Spaß gemacht, in kleinen Clubs zu spielen, als das große Geld zu scheffeln. Man sollte das machen, was man liebt, in meinem Fall ist das, in dunklen Höhlen herumschreien.

Möchtet ihr noch etwas sagen?

Cinder: Gibt es eigentlich alkoholfreien Schnaps in Deutschland?