SEPULTURA

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Alte Liebe rostet nicht

... heißt ein eigentlich ziemlich abgedroschener Spruch, den schon meine Oma zu sagen pflegte. Wie Recht sie aber eigentlich hat, habe ich erst jetzt verstanden. Alles begann mit dem Erscheinen der neuen SEPULTURA-DVD "Live In São Paulo", die ich ja auch im Ox #63 besprochen habe. Mein Interesse an den Brasilianern war wieder geweckt, und als sich mir die Gelegenheit zu einem Interview mit Sänger Derrick Green und Gitarrist Andreas Kisser in einem Dortmunder Hotel bot, nahm ich dankend an. Ich traf auf zwei sehr eloquente Gesprächspartner, die sich ihr DAB-Bier schmecken ließen und mit mir in gemütlicher Runde über die DVD, das kommende Album, die Tour mit IN FLAMES und die Fußballweltmeisterschaft sprachen.


Andreas, du hast mal gesagt, dass jedes neue Album eine direkte Reaktion auf das vorherige Album darstellt. SEPULTURA sind ja bekannt dafür, bei jedem neuen Album immer ein bestimmtes Konzept zu verfolgen wie zum Beispiel bei "Nation" und "Roorback". Wie würdest du deine jetzige Reaktion auf das letzte Album beschreiben?


Andreas: Nun, es stimmt, wir haben auf "Nation" mit sehr vielen Gastmusikern zusammen gearbeitet und es war großartig, sich von so vielen interessanten Künstlern inspirieren zu lassen. Denk nur mal an Jello Biafra, Jamey Jasta von HATEBREED oder Dr. Israel. Auf "Roorback" wollten wir es dann wieder direkter halten, ohne zuviel Einfluss von außen. Für das neue Album inspirierte uns nun der italienische Dichter und Philosoph Dante Alighieri.

Derrick, du hast ja das Buch "Die Göttliche Komödie" des besagten Philosophen Dante Alighieri gelesen, und es muss dich ja nachhaltig geprägt haben, denn wie sonst kommst du auf die Idee, das neue Album "Dante XXI" zu nennen und auch in deinen Texten der Reise, die einst Dante selbst in seinem Buch antrat, nun selber nachzugehen?

Derrick: Ich habe das Buch während meines Studiums gelesen und es hat mich schwer beeindruckt. Ich gab das Buch auch Andreas und wir beide waren uns einig, es als Vorlage für unser Album zu nehmen. Alighieri beschreibt in seinem Roman eine Reise durch die drei Reiche der Toten. Die Hölle, das Fegefeuer und das Paradies. Er prangerte in seinem Roman die damaligen politischen Missstände in seinem Land an und auch SEPULTURA verschließen nicht die Augen vor den heutigen Ungerechtigkeiten. Das Album heißt deshalb "Dante XXI", weil wir mit diesem Titel das Buch in das 21. Jahrhundert transformieren wollten. Wir fanden in Alighieri eine große Inspiration, hatten von Anfang an eine Vision des Endprodukts und sind stolz auf das Ergebnis.

Ist "Dante XXI" das vielseitigste SEPULTURA-Album?

Derrick: Ja, wir haben uns immer weiterentwickelt und die musikalische Reise, die wir dieses Mal antreten, gibt auch mir als Sänger die Gelegenheit, die Fans von meiner stimmlichen Vielseitigkeit zu überzeugen. Viele Fans werden überrascht sein, mich auch mal singen zu hören.

Ihr habt einen Videoclip zu "Convicted in life" gemacht. Um was geht es in diesem Video und wo habt ihr gedreht?

Andreas: Wir haben das Video noch gar nicht gedreht. Wir werden jetzt bald zurück nach Brasilien fliegen und dann anfangen zu drehen. Aber eigentlich ist Derrick derjenige, der mit dem Videoregisseur das Konzept ausgearbeitet hat.

Derrick: Es wird überraschend sein. "Convicted in life" ist ein Song, der in der Hölle spielt, und wir wollen einen Clip drehen, der das ganze Schema des neuen Albums repräsentiert. Unser Regisseur hat einige Vorstellungen von einer "modernen Hölle", also Dinge, mit denen man sich heutzutage sehr gut identifizieren kann. Es gibt Sachen, die die Leute sehen wollen, und vieles, was sie eben nicht sehen wollen. Oft sagen die Leute, ich will nichts damit zu tun haben, aber manchmal musst du dich eben den Dingen stellen, um etwas verändern zu können, ja, um überhaupt zu merken, dass du am Leben bist! Die Hölle kann vieles sein, unser soziales Umfeld, Politik, alles Mögliche, und so geht es uns eben auch. All das wollen wir in dem Clip in einer rohen Form zum Ausdruck bringen. Es wird zwar keine übertriebenen Phantasiegebilde geben, aber es wird das totale Gegenteil der letzten beiden Videos sein, die wir gedreht haben. Der Fokus liegt also im Wesentlichen nicht auf uns als Band, sondern auf dem Umfeld, das im Song beschrieben wird.

Lasst uns über eure neue DVD "Live In São Paulo" sprechen. Wie war das "Heimspiel" für euch und wo liegen die Unterschiede zwischen einem Auftritt in Brasilien und einem hier in Europa?

Andreas: Nun, es ist immer gut, zu Hause zu spielen. Vor allem, wenn wir von der neuen DVD sprechen. Unser letzter Livemitschnitt ist aus dem Jahr 1992 in Barcelona, und besonders als Derrick dann bei uns einstieg, kamen immer wieder Fans und fragten nach einer neuen DVD. Aber er benötigte einige Zeit und wir auch, um sich aneinander zu gewöhnen, bis es sich gut anfühlte, auch die alten Songs zu spielen.

Derrick: Es hätte auch keinen Sinn gemacht, eine DVD zu Zeiten von "Against" zu machen, denn dann wäre es ja eine DVD mit fast ausschließlich altem Material gewesen. Also drei Songs von "Against" und sonst das alte Set. Das war auch einer der Gründe dafür, warum es so lange gedauert hat, bis wir diese DVD machen konnten.

Andreas: Unser Fanclub in São Paulo ist unglaublich! Du musst dir vorstellen, dass fast 90 Prozent der Leute dort SEPULTURA-Shirts tragen. Das sind verdammte Die-Hard-Fans, weißt du, und somit konnten wir nirgends in der Welt ein besseres Publikum haben, als zu Hause in São Paulo. Wir haben 2004 hier in Düsseldorf mit MOTÖRHEAD gespielt und haben auch zwei Songs von dieser Show mit auf der DVD. Das war auch großartig, aber es war nicht unsere Bühne und nicht unser Publikum, und wir wollten ein Konzert nur mit unseren Leuten, verstehst du? Das ist der Unterschied. In dieser Nacht, als wir das Konzert filmten, war das Publikum einfach nur spektakulär.

Auf eurer DVD begeleitet euch ein ganzer Haufen von Gastmusikern und Freunden während des Sets. Das wird wohl auf der Europatour so nicht klappen ...

Andreas: Nein, das wird natürlich nicht möglich sein, insofern war der Abend in São Paulo schon etwas ganz Besonderes.

Freut ihr euch auf die anstehende Tour mit IN FLAMES?

Derrick: Es wird ein großer Spaß werden. Und ja, wir spielen auch zum ersten Mal mit ihnen zusammen. IN FLAMES gibt es schon lange, sie haben viele Fans und wir haben viel Gutes über sie gehört. Es ist lange her, dass wir eine Europatour gemacht haben und wir freuen uns sehr darauf, das neue Material endlich live spielen zu können. Für uns ist es immens wichtig, live zu spielen, ganz egal, wie kurz der Auftritt auch sein mag. Ich glaube, dass der Mix aus den frischen Songs und den alten Klassikern der Show einen positiven Schub nach vorne geben wird.

Andreas, im vergangenen Dezember hast du mit dem "Roadrunner Allstar Team" in New York die Jubiläumsshow zum 25-jährigen Bestehen gespielt. Erzähl doch bitte mal.

Andreas: Ja, das war großartig! Allein schon die Idee, diese Teams aus verschiedenen Musikern zusammenzustellen, um so neue Bands und neue Musik zu erschaffen. Ich war sehr froh, dass ich eingeladen worden bin, dort mitzuwirken. Bei der Show waren so viele verschiedene Musiker: Scott Ian, Ripper Owens, DEICIDE, MACHINE HEAD, SLIPKNOT, Dino Cazares, es war echt ein historischer Moment, sage ich dir. Es war aber auch mit sehr viel Arbeit verbunden, besonders für Dino und mich. Wir mussten alle Songs vorbereiten und sicherstellen, dass alle Gäste zu ihren Plätzen kamen. Viel Organisationskram halt. All die verschieden gestimmten Gitarren - das war echt verrückt, sage ich dir! Die Show an sich lief perfekt und es war ein Riesenspaß.

Wo der Name Dino gerade schon gefallen ist. Er hat eine neue Band namens ASESINO am Start und du hast für deren kommendes Album die Leadgitarren-Parts gespielt. Wie war die Zusammenarbeit im Studio mit ihm und wie kann ich mir den Sound des Ex-FEAR FACTORY-Mitglieds vorstellen?

Andreas: Sie haben schon ein Album draußen. Alle in der Band haben Spitznamen, tragen Masken und den ganzen Kram. Ich habe auch eine Maske und einen Spitznamen.

Der da wäre?

Andreas: Sepulculo, haha! Es war einfach nur großartig, mit Dino zusammen zu arbeiten. Er ist ein toller Mensch und obendrein ein echter Riff-Master, just fucking amazing. Er verbindet den Oldschool-Vibe mit einem modernen Touch und genauso klingen letztlich auch ASESINO. Sehr heavy, die Lyrics sind komplett auf Spanisch und obendrein so scheiße, dass sie schon wieder lustig sind. Es ist insgesamt sehr gut geworden, mit Tony von STATIC-X am Bass und dieser spanisch-mexikanischen Combo in Los Angeles.

In der Zwischenzeit ist euer Schlagzeuger Igor zum vierten Mal Vater geworden. Habt ihr ihn, seinen Sohn Antonio Leyton Cavalera und den Rest der Familie inzwischen schon gesehen? Es kursierten ja viele Gerüchte, dass Igor die Band verlassen will.

Andreas: Nein, bis jetzt noch nicht. Ich war in Los Angeles, als sein Sohn geboren wurde, und hatte noch keine Zeit ihn zu sehen, aber meine Frau und meine Kinder sind nach São Paulo geflogen, um sie zu besuchen. Ist aber auch egal, weil seine Kinder sowieso alle gleich aussehen. Die sehen alle aus wie Igor und sind total hässlich, haha! Nein, ich denke, es geht im gut. Aber das ist auch der Grund, warum er uns auf Tour nicht begleiten wird. Er wird die Band nicht verlassen, sondern möchte einfach nur Zeit mit seiner Familie verbringen. Wir haben viel Arbeit vor uns und Igor ist einfach gerade zu sehr mit seiner Familie beschäftigt, als dass er mit uns reisen könnte. Wir verstehen das, aber zum Glück haben wir Roy Mayorga, ex-SOULFLY. Er ist seit Jahren eng mit uns befreundet und hilft uns während der Tour als Schlagzeuger aus. Er spielte ja mit Max Cavalera zusammen und ist großer SEPULTURA-Fan. Er ist total involviert bei uns und freut sich sehr auf die anstehende Tour.

Zum Schluss: Wer wird Fußballweltmeister 2006?

Andreas: Brasilien! Ich meine, wir haben die besten Spieler. Es ist schon verrückt, wie viele gute Spielernamen mir auf Anhieb einfallen würden. Wir sind einfach so verrückt nach Fußball und nach der Meisterschaft, es wird ganz einfach für uns sein. Let's roll over Germany and pick up that fucking trophy! So in der Art. Wenn Brasilien nicht gewinnt kann jeder gewinnen - außer Argentinien.

Und, Derrick? Stimmst du ihm zu?

Derrick: Ja, ich stimme zu. Aber natürlich möchte ich eigentlich die USA vorne sehen.

Andreas: Also, wenn die USA Weltmeister werden, dann werde ich mir dieses verdammte Spiel nie wieder ansehen!

Danke für das Interview.