BOTANICA

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No Sleep Till Berlin

Ich lernte Paul Wallfisch kennen, als er mit FIREWATER auf Tour war und mir später am Abend eine CD seiner Zweitband BOTANICA zusteckte. Was ich da hörte, gefiel mir richtig gut, auch wenn die musikalische Nähe zum knarzigen FIREWATER-Sound recht groß war. Mit jedem neuen Album jedoch und seit Pauls Ausstieg dort schwand diese Ähnlichkeit, fanden BOTANICA ihren eigenen Sound: düster und mitreißend zugleich, zwischen Folk und Punk, zwischen Nick Cave, MADRUGADA und BLACK HEART PROCESSION. Seit kurzem ist "Berlin Hi-Fi" raus, das teils in Brooklyn, teils in Berlin entstandene neue Album, und ich traf mich mit Paul in einem Café in Düsseldorf, wo mir der perfekt Deutsch sprechende Musiker aus Brooklyn die Geschichte von "Berlin Hi-Fi" erzählte.


Paul, ich habe den Eindruck, du bist ständig in Deutschland unterwegs.


Ja, irgendwie mehr und mehr. Als wir uns vor vier Jahren kennen lernten, war das unsere zweite Tour, und mittlerweile haben wir mit Rent-A-Dog ein deutsches Label aus Aachen und schon zwei Platten zumindest teilweise in Deutschland aufgenommen. So richtig begeistert hat mich dann ein vierwöchiger Aufenthalt in Berlin, der über einen Freund zustande kam, der bei der New Yorker Band BEE & FLOWER Klavier spielt. Seine ganze Band zog nach Berlin, weil die Stadt viel Platz bietet und das Leben dort billig ist. Er bot mir für einen Monat seine Wohnung in Kreuzberg an, für wenig Geld, aber mit einem Flügel darin. Und so buchte ich den Flug und ging nach Berlin. Ich hatte die Stadt bis dahin nur auf Tour kennen gelernt, und zudem im Winter. Da stimmten dann alle Klischees, die ich von Berlin im Kopf hatte, doch plötzlich war ich im Juni dort, und es war eine richtige Hippie-Stadt, wie San Francisco! Klar, es regnet viel, aber es ist im Juni bis elf Uhr abends hell, man sitzt irgendwo am Kanal, trinkt und unterhält sich. John, unser erster Gitarrist, hatte außerdem auf der ersten Tour und da am vierten Tag eine Frau kennen gelernt, und mit dieser Frau aus Greifswald ist er jetzt immer noch zusammen. Der kam dann zu mir, wir machten den ganzen Tag Musik, es war wundervoll. Dazu kommt, dass man als New Yorker in Berlin kein Jet-Lag kennt: Der Zeitunterschied ist sechs Stunden, du stehst statt um neun Uhr New Yorker Zeit einfach um drei Uhr nachmittags Berliner Zeit auf, frühstückst erstmal in Ruhe und dann beginnt der Tag - und man geht entsprechend spät ins Bett. Nach diesen vier Wochen hatten wir dann Songs für zwei Alben zusammen, spielten ein kleines Konzert im Schoko-Laden als HALF-BOTANICA. Es war warm, wir saßen nach dem Konzert noch draußen, tranken und rauchten, und da hatte ich die Idee, die nächste Platte "Berlin Hi-Fi" zu nennen, und da entstand auch diese kleine Zeichnung, die sich jetzt auf der Inlay-Card unter der CD findet.

Wie kamt ihr dann an Moses Schneider als Produzenten? Ich schätze, der ist nicht gerade wenig beschäftigt.

Moses ist ein Freund unseres Bassisten Christian, wir kennen ihn schon lange. Er hat ein paar Konzerte von uns gesehen, und obwohl er wirklich extrem beschäftigt ist, bot er an, sich eine Woche für uns Zeit zu nehmen. "Transporterraum" heißt sein Studio, und früher arbeitete er auch in New York, zusammen mit Gordon Raphael, der die STROKES produzierte. Dummerweise verletzte sich Christian dann genau zum Studiotermin an der Achilles-Sehne, so dass wir nicht mal die ganze Woche Zeit hatten ... Wir holten ihn im Rollstuhl am Flughafen ab, fuhren ihn zum Studio, er stöpselte seinen Bass in so einen riesigen HiWatt-Verstärker und spielte dann eben im Sitzen seine Songs ein, und nach 48 Stunden und einem Kurzbesuch bei seiner Mutter flog er wieder zurück in die USA. Davor hatten wir zu Hause in Brooklyn schon ein paar Sachen aufgenommen, und einige Overdubs später, teils mit Moses und teils in Brooklyn, war die Platte dann fertig. Die Arbeit mit Moses lief total entspannt. Er hat es einfach drauf, eine Session so zu organisieren, dass man viel Arbeit erledigt bekommt: Er treibt dich nicht an, alles läuft ganz locker und nebensächlich. Die Geigenparts auf der Platte etwa, die sind direkt abgenommen, ohne jeden Mix, das ist unglaublich. Na ja, und aus all dem hat sich dann eben auch der Plattentitel entwickelt, "Berlin Hi-Fi".

Du bist so begeistert von Berlin, und so geht es vielen Ausländern, gerade auch Amerikanern, die jetzt in Berlin wohnen. Das wiederum ist ein Gegensatz zum Image Berlins im Rest von Deutschland, auch innerhalb der Musikszene. Wie kommt das?

Na ja, erstmal war früher natürlich alles besser, haha. Aber das ist in New York, San Francisco oder New Orleans auch nicht anders. Und so gibt es auch eine gewisse Nostalgie, gerade was die Zeit der Weimarer Republik angeht. Nimm nur die DRESDEN DOLLS, die ich sehr mag, die spielen ja genau damit, mit dieser Ästhetik. Was Berlin anbelangt, so spüre ich schon auch so einen gewissen Selbsthass der Deutschen, mehr als man das in anderen Ländern kennt. Aber das ändert sich, nicht nur in Berlin, sondern auch im Rest von Deutschland. Berlin hat auf mich in den vier Wochen, die ich dort wohnte, einen sehr starken Eindruck gemacht, es war die erste Großstadt, die ich seit meiner Jugend wieder so richtig entdeckt habe, und das war ein besonderes Erlebnis. Kann sein, dass ich eine ähnliche Erfahrung auch in Rom, Istanbul oder Tokio gemacht hätte, aber Berlin hat eben den großen Vorteil, die billigste Hauptstadt der Welt zu sein. Und wenn du als Kreativer nicht so sehr auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen achten musst, ist das ein ganz enormer Vorteil. 200 Euro im Monat für eine Wohnung? Davon kannst du in New York nicht mal träumen! Dafür bekommst du mit Glück einen Parkplatz für dein Auto. Zudem gibt es in Berlin eine wirklich coole Clubszene, du kannst auch um sechs Uhr morgens noch irgendwo sitzen. In New York existiert so was schon seit den frühen Achtzigern nicht mehr. Berlin hat zudem irgendwie eine Brückenfunktion zwischen der Vergangenheit und heute, sowohl was Politik und Gesellschaft anbelangt, aber auch in musikalischer Hinsicht. Berlin ist heute auch nicht mehr so düster wie zu Zeiten von Iggy Pop, David Bowie und Nick Cave, als es auch für die Westdeutschen so eine Art Fluchtpunkt war. Berlin ist heute viel offener und natürlicher, hat sich nach Osten geöffnet und ist nicht mehr nur ein intellektuelles Ghetto des Westens. Sehr passend zu dieser Stimmung finde ich übrigens den Film "Gegen die Wand", der für mich die gleiche, gewaltige Energie hat wie "Amores Perros".

Inwiefern haben sich die Aufnahmen, die Umgebung auf den Sound der Platte ausgewirkt?

Ich finde, das Album ist einfacher als die davor. Wir tendieren dazu, in eine Platte, in einen Song immer alles reinzupacken, was wir haben, also die ganze Welt, das ganze Leben auf einmal zu erfassen. Ich wünsche mir, dass unsere Lieder, unsere Platten, eine organische Mischung darstellen, die auch globale politische Verantwortung ausstrahlt - und die sich dadurch mit Filmen wie "Gegen die Wand" und "Amores Perros" vergleichen lassen.

Aber ist es eine deutsche Platte für ein europäisches Publikum oder durchaus auch eine für die USA?

Also, es ist schon eine deutsche Platte, aber ich finde, wir haben mit "Berlin Hi-Fi" unsere amerikanischste Platte gemacht - in Deutschland, wobei der Text des Titelsongs ja auch halb auf Deutsch ist. Freunde in den USA sagten mir, sie fänden sie romantischer als "Truthfish", und ja, irgendwie ist es deshalb eine "deutsche Platte", weil sie ohne Moses, ohne Anne, ohne diesen Monat in Berlin nicht entstanden wäre. Interessanterweise habe ich in den sieben Jahren, die ich in Los Angeles wohnte, kein einziges Lied über diese Stadt geschrieben - erst in Berlin konnte ich das. Die Platte hat stellenweise auch etwas von einem Logbuch, enthält auch Lieder über Palermo und New York. Alles in allem ist es die deutsche Platte einer amerikanischen Band für die ganze Welt.

Mir fällt auf, dass sich BOTANICA mit jedem Album weiter von FIREWATER entfernt haben, bei denen du früher mitgespielt hast. Wie kam das?

Die erste BOTANICA-Platte, "Malediction", entstand zum Teil noch vor meiner Zeit bei FIREWATER, und ja, ich habe natürlich angefangen mit Todd Musik zu machen, weil wir musikalisch ähnliche Vorstellungen hatten. Außerdem spielten BOTANICA anfangs vor allem meine Lieder, die Band war mein Projekt. Mittlerweile bringen sich auch die anderen mehr ein, von John kommt diesmal ein Drittel der Lieder. Das Zusammenspiel von Gitarre und Orgel ist wohl unser Markenzeichen, daran kann man unsere Lieder sofort erkennen. Ich bin sehr zufrieden, wie das alles läuft.

In den letzten Jahren gibt es vermehrt Bands, die wie ihr zwar im weitesten Sinne einen Punk-Hintergrund haben, sich aber musikalisch denkbar weit davon gelöst haben - ich denke da an THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY, GOGOL BORDELLO oder BLACK HEART PROCESSION. Wie kommt das?

All diese Bands haben gemeinsam, dass ihre Mitglieder nicht mehr 18 sind, sondern ein ganzes Stück älter. Auch mich haben die SEX PISTOLS geprägt, oder dass ich die REAL KIDS damals als Vorband der RAMONES gesehen habe. Nun werden wir aber alle älter und versuchen doch, uns die Attitüde, die uns in jungen Jahren geprägt hat, zu bewahren, sie in neue und andere musikalische Bahnen zu lenken. Dazu kommt, dass mit den Jahren ja auch die musikalische Bildung zunimmt: Mit 15 wusste ich nicht, dass Jacques Brel existiert, und Dylan mochte ich zwar, aber verstand ihn nicht. Heute aber weiß ich, dass Jacques Brel eigentlich mehr Punk ist als SLIPKNOT oder BLINK 182. Dabei ist der maßgebliche Unterschied sowieso nur die Erfindung der elektrischen Gitarre vor 60 Jahren oder so. Das macht den Unterschied aus zwischen "klassischer" Musik und Rock'n'Roll, einfach die schiere Lautstärke, dass man den Regler auf 12 dreht. Meine Eltern etwa empfanden Rockmusik immer als persönlichen Affront. Heute ist es zwar immer noch reizvoll, mit dieser Lautstärke zu arbeiten, aber das ist, anders als noch vor 20 Jahren, nicht mehr der einzige Maßstab. Bei BOTANICA sind wir alle mit Punkrock aufgewachsen, aber wir haben eben auch viele andere Einflüsse, und da ist uns heute die Dynamik unserer Musik wichtiger als ihre Lautstärke, das erschließt uns musikalisch ganz andere Möglichkeiten.

Paul, ich danke dir für das Interview.