LAWRENCE ARMS

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Mutter Theresa, Bulgakov und Chicago

Als die LAWRENCE ARMS irgendwann Mitte/Ende der Neunziger angefangen haben, Musik zu machen und ihre Platten via Asian Man unters Volk zubringen, hätte man nicht unbedingt damit gerechnet, wie weit die drei Jungs aus Chicago es einmal bringen werden. Inzwischen ist man schon einige Zeit im Labelprogramm von Fat Wreck Chords, und spätestens mit dem neuen Album auch in aller Munde, denn kaum eine andere Band schafft es so gut, Rotz mit Melodie zu verbinden. Im April war man im Vorprogramm von NO USE FOR A NAME unterwegs, und während dieser Tour fand Bassist und Sänger Brendan Kelly die Zeit für ein Telefongespräch.


Euer neues Album "Oh Calcutta" hört sich danach an, als hättet ihr euren eigenen Platz im Punkrock gefunden. Die meisten Bands bräuchten eine Zeitmaschine, um diese Einzigartigkeit zu bewerkstelligen, habt ihr darauf hingearbeitet oder ist es einfach so passiert?


Als wir uns hingesetzt haben, um dieses Album zu machen, hatten wir viele Ideen im Kopf und eine davon war, die Platte so aufregend klingen zu lassen, dass es bei uns dasselbe Gefühl auslöst wie das erste Punkrock-Album, das uns begeistert hat. Und das wäre natürlich nicht gegangen, wenn wir einfach nur versucht hätten, irgendwelche alten Sachen wieder aufzubereiten. Ich denke aber, man kann einige der Sachen raushören, die uns bei den älteren Scheiben in unserer Sammlung begeistert haben. Ich hoffe nur, dass wir das Alte so mit dem Neuen verbunden haben, dass es nicht nachgeahmt klingt.

Welches Punkrock-Album hat bei dir denn die angesprochene Aufregung als Erstes ausgelöst?

THE DEAD MILKMENs "Bucky Fellini" war das erste Punkrock-Album, das ich jemals gehört habe, aber das erste, das mich wirklich aus den Socken gehauen hat, war höchstwahrscheinlich BAD RELIGION mit "No Control".

Ihr habt analog aufgenommen, welche Vorteile bringt das mit sich?

Die ganzen digitalen Pro Tools, die heutzutage benutzt werden, produzieren eine sehr homogene Version von Punkrock. Wir wollten eine Platte machen, die sich gut, aber nicht nach dem neuen NEW FOUND GLORY-Album anhört. Wir wollten einen schönen vollen Sound haben, der nicht nach Computer klingt. Wir haben dann wirklich altes Equipment benutzt, um einen Klang hinzukriegen, der sich absetzt. Mit einem Computer bekommt man wahrscheinlich immer ein perfektes Ergebnis, aber es wird sich auch immer gleich anhören.

Kannst du mir den Albumtitel und die Verbindung zu eurer Heimatstadt Chicago erläutern.

"Oh Calcutta" ist der Name eines Broadway-Musicals, in dem die ganze Zeit ein Menge schwule und nackte Typen singen. Ich glaube, es ist richtig schlecht und niemand mag es wirklich. Als ich davon erzählt bekam, dachte ich, wow, der Titel hört sich stark an, obwohl es einfach nur ein lächerliches Theaterstück ist. Wir mögen halt Sachen, die sich auf der einen Seite zwar aggressiv anhören, aber auf der anderen Seite doch irgendwie einen fröhlichen Hintergrund haben. Und dann gibt es da noch dieses berühmte Interview mit Mutter Theresa, in dem sie erzählt, dass von allen Städten, in denen sie jemals war, Chicago die schlechtesten Lebensbedingungen hat. Eigentlich ist sie ja bekannt dafür, ziemlich viel in Calcutta gearbeitet zu haben. Diese ganze Kombination und der Humor, der darin liegt, hat es dann zum perfekten Albumtitel gemacht.

Viele Bands, besonders die aus dem Emo-Bereich, bevorzugen thematisch die Luftfahrt. Was hat es bei euch mit der Seefahrt auf sich?

Diese ganze Schiffsmetaphorik passiert eher instinktiv. Ehrlich, ich kann dir nicht sagen, wo das immer herkommt. Es muss wohl irgendwas sein, das in unser Bewusstsein geschissen wurde.

Viele eurer Stücke haben Referenzen zu Büchern. Glaubst du, es gibt so etwas wie einen Mangel an Belesenheit in der Musikwelt?

Nun ja, ich meine schon ... Aber es ist nicht an mir zu sagen, an was es der Musikwelt mangelt. Es gibt halt eine Menge Musiker, die sich unglaublich gut artikulieren und sehr komplexe, inhaltlich bedeutsame Texte schreiben können. Das müssen aber nicht unbedingt belesene Menschen sein. Genauso gibt es welche, die eine Menge gelesen haben und die Sache überintellektualisieren, wobei dann die Magie der Worte verloren geht, und auf die kommt es im Endeffekt an. Auf jeden Fall gibt es eine Menge saublöde Leute. Ich weiß nicht, ob mich es wirklich kümmern sollte, dass ein Musiker die verschiedenen Übersetzungen von "The Master And Magerita" gelesen hat und entscheiden kann, welche die Beste ist. Darauf kommt es wirklich nicht an.

Nichtsdestotrotz, die Standard-Insel-Frage. Nenne drei Bücher:

Als Erstes nehme ich dann "The Master And Magarita". Also wirklich nur ich und eine einsame Insel? Hm ... Dann muss ich wohl irgendeine Form von Pornografie haben, immerhin bin ich alleine und habe den ganzen Tag über nichts zu tun. Nun gut, dann nehme ich eben noch die Bibel mit. Ich bin zwar kein Christ, aber es ist ein recht langes Buch. Außerdem werde ich somit Einiges an heiligen Referenzen kennen lernen, von denen ich vorher nichts wusste. Und als Drittes nehme ich mir einen Almanach mit, der die Natur betrifft, das sollte mir beim Überleben helfen.

Ihr seid eine Band, die viel tourt, gibt es einen Trick, wie man sich das Unterwegssein interessant hält?

Weißt du, wir sind gute Freunde und bringen Alben raus, die wir mögen. Es sollte also kein Problem sein, mit ein bisschen Bier und Freunden abzuhängen und Songs zu spielen, die man mag. Hoffentlich sehen die Leute, die zu unseren Shows kommen, das ähnlich.