Leech Records

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Zehn Jahre Ska und Punk in und aus der Schweiz

Wir beglückwünschen Benno Riedmann zum zehnjährigen Bestehen des schweizerischen Ska- und Punk-Labels Leech Records. Seit 1996 kümmert sich Benno darum, dass die kleine und feine Punk- und Ska-Szene in der Schweiz aufrechterhalten und bedient wird. Aus dem Hause Leech kommen Acts wie THE PEACOCKS, OPEN SEASON, KALLES KAVIAR, NGURU oder SNITCH. Zudem gibt es noch einige europäische Lizenzveröffentlichungen von internationalen Ska-Künstlern. Vor drei Jahren haben sich Benno Riedmann, Luca Carvutto und Martin Schrader zusammengeschlossen, und unter der Bezeichnung Leech*Redda arbeitet das Dreigestirn nun in kombinierter Form: Label, Mailorder und Konzertagentur. Ein fruchtbarer Zusammenschluss von Machern der alternativen Musikszene, die aufgrund des zehnjährigen Jubiläums des Labels Leech hier einmal zu Wort kommen sollen.


Benno, erzähl mal, wie es zu Leech Records kam.


Benno: Die Ska-Musik hat mich 1986 wegen der französischen Punkband LUDWIG VON 88 gepackt. Als dann später die dritte Ska-Welle nach Europa schwappte, tauchten auch im Repertoire von einigen schweizerischen Bands Ska-Songs auf, wie auch bei den PEACOCKS, deren Manager und Booker ich damals war. Da kam mir 1992 die Idee, einen ersten Schweizer Ska-Sampler zusammenzustellen, den ich "Skampler" nannte. Nach dem Release von "Skampler Vol. 2" fing ich an, mit diversen Labels wie Moon Ska NYC, Stomp Records, Burning Heart, Asian Man Records oder Jump Up Records CDs zu tauschen. Diese getauschten CDs verkaufte ich auf Konzerten der PEACOCKS und später dann auch im Mailorder. Die Agentur entstand über das Booking der PEACOCKS. Ich buchte oder veranstaltete in der Schweiz Konzerte von Bands, die uns im Ausland halfen. Und als ich dann merkte, dass ich auf meinen Konzerten und per Mailorder immer mehr CDs verkaufte, gründete ich im Herbst 1996 Leech Records.

Was und wer steckt eigentlich hinter Leech*Redda?

Benno: Leech*Redda ist der Zusammenschluss von Leech Records und der Redda-Agentur, die 1997 von Martin Schrader gegründet wurde.

Martin: Der Werdegang von sicher neunzig Prozent aller Leute im Musikbusiness: Man erkennt, dass die eigene Band nichts taugt, will aber weiterhin Freibier auf Konzerten. Also beginnt man, Bands zu vermitteln und selbst Konzerte zu veranstalten. Benno und ich lernten uns bald kennen und wurden so Freunde, weil wir mit denselben Bands und Veranstaltern arbeiteten. Redda war aber in Basel zu Hause und Leech in Zürich und so kam es, dass wir beide unabhängig voneinander Luca fragten, den Manager von SNITCH und Betreiber des Punkrock-Mailorders bei Leech, ob er einsteigen wolle.

Benno: Also steckten wir unsere drei Köpfe zusammen und drei Monate später war die Leech*Redda Music GmbH gegründet. Sofort war klar, dass wir uns perfekt ergänzen. Wir decken zusammen die ganze Palette ab: Bandmanagement, Label, Vertrieb, Online-Shop, Booking und Konzertveranstaltungen.

Wie entwickelte sich die Szene in der Schweiz? Wer hat bleibende Akzente gesetzt und welche interessanten Bands gibt es heute?

Benno: Als Punk um 1976 anfing, waren wir noch zu jung. Die "Züri-Punk"-Szene um Off-Course Records hat ihre Spuren hinterlassen. Im 2Tone-Fieber gab es nur die SPOTS, die eine Ska-Single aufgenommen haben. Ende der Achtziger haben sich die PEACOCKS und MONSTERS im Billy-Bereich weltweit einen Namen gemacht, aber auch WICKED und die VENTILATORS haben Akzente gesetzt. SKA war für die Schweizer damals vor allem die "Schweizerische Kreditanstalt". Heute gibt es viele interessante Ska-Bands in der Schweiz.

Martin: Die CH-Punk- und Ska-Szene hat keine großen internationalen Wellen geschlagen. Wenn es um neue Trends geht, ist die Schweiz sehr langsam. Es gibt keine relevanten Medien, die hier einen Hype lostreten könnten. Das ist manchmal schade, denn so fasst gute neue Musik viel zu langsam Fuß hier. Aber es hat auch seine guten Seiten: die Szene ist beständiger. Es passieren hier keine Peinlichkeiten wie in den Staaten, wo dieselben Musiker ein paar Jahre lang Skapunk, dann New Metal und jetzt Emo spielen. Die Szenen sind klein, wie das Land. Von der Musik zu leben, ist in der Schweiz fast unmöglich. Darum machen die Bands auch eher ihr eigenes Ding und lassen sich nicht so sehr von Trends beeinflussen.

Luca: Heutige Hoffnungsträger in Sachen Ska aus der Schweiz sind OPEN SEASON. Die Combo aus Bern hat sich in sehr kurzer Zeit vom Übungsraum in der Provinz auf die Hauptbühnen aller großen Festivals gespielt und bereits mehrere Male in Europa getourt. NGURU sind die erfolgreichste Ska-Liveband hier. Sie spielen nicht sehr oft, aber ihre Konzerte sind immer eine Explosion! Im Punkrock sollte man sich SNITCH und im Psychobilly die PEACOCKS merken. Die Bands sind alle auf Leech Records. Wir wären ja auch schön blöd, gäbe es Hoffnungsträger in der Schweiz, die wir nicht signen würden.

Vinyl ist trotz der Beliebtheit in Ska-Kreisen auf Leech leider sehr selten geworden.

Benno: Du hast vollkommen Recht! Ich persönlich kaufe immer noch viel lieber Vinyl. Im Online-Shop versuchen wir das Vinylangebot so groß wie möglich zu halten. Stellt man aber als Plattenfirma Vinyl her und stapeln sich dann die Kartons, wird man vorsichtiger. Es gibt immer weniger Puristen oder Leute, die noch mit Vinyl aufgewachsen sind, die sich auch für neue Releases interessieren. Die kaufen lieber alte 60er-Jahre-Sachen. Vom neuen KALLES KAVIAR-Album "Lime Time" und einer neuen PEACOCKS-Platte wird es aber wieder Vinyl geben.

Könntet ihr euch vorstellen, andere Musik zu veröffentlichen?

Benno: Leech hat sich in den letzten zehn Jahren vor allem als Ska- und Punk-Label einen guten Namen gemacht. Wir sind aber nicht auf diese Stile festgefahren. Mit ADMIRAL JAMES T. wird demnächst wieder ein Tonträger veröffentlicht, der nichts mit Ska und Punk zu tun hat. Aber da wir selbst nach wie vor viel Ska und Punk hören, werden das Schwerpunkte für uns bleiben.

Martin: Wir laufen keinen Trends hinterher. Viel wichtiger ist uns, dass uns die Musik und Menschen dahinter überzeugen. Wir lassen sicher keine Band fallen, nur weil ihr Sound nicht mehr im Trend liegt.

Gibt es Events oder Platten, die ihr lieber vergessen würdet?

Benno: Jeder Release hat das Label weitergebracht. Einige Alben tanzten aus der Reihe. Darum haben wir mit [808 Records] ein Sublabel gegründet, auf dem jeder von uns seine Vorlieben ausleben kann und wir Schweizer Bands von Anfang an unterstützen.

Luca: Konzerte, bei denen man draufzahlt, wird man das nächste Mal anders machen. Aber wir würden eigentlich alle unsere Konzerte wieder veranstalten, denn wir stehen hinter diesen Bands.

Alles, was Rang und Namen in Sachen Punk und Ska hat, bringt ihr in die Schweiz. Sicher gibt es unzählige Anekdoten ...

Benno: Als wir noch kleine Konzerte organisierten, musste man bei allem auf die Kohle achten. Da Hotels bei uns schweineteuer sind, hatten wir alle immer mal wieder Gäste zu Hause. Mein Rekord war, dass zehn Leute in meiner Drei-Zimmer-Wohnung übernachteten.

Luca: Ich bin jedes Jahr mit den PLANET SMASHERS auf Tour. Mal in Kanada, mal in Europa. Mit denen passiert jeden Tag so viel Verrücktes, dass ich ganze Bücher mit den Erlebnissen füllen könnte. Zum Glück ist auch viel Alkohol im Spiel, so vergisst man auch das eine oder andere wieder.

Martin: Eines meiner Highlights war die erste Europatour, die ich gebucht hatte. Das war für die japanische Melodic-Punk-Trash-Band GARLIC BOYS. Ein Merchandiser mit Gorillamaske, eine Band, die mehr rauchte als der Ruhrpott, und eine Übersetzerin mit Stahlnerven. Und plötzlich meldeten sich DIE ÄRZTE und luden die Band ein, auf sechs Konzerten in Deutschland als Vorgruppe zu spielen.

Stimmt es, dass es in der Schweiz kaum Fanzines oder Mailorder gibt?

Martin: Mit dem Realrocker-Fanzine und Webpages wie Skalender, Pitfire, Nextpunk (italienisch), Genevapunkska (französisch) haben wir einige tolle Plattformen in der Schweiz. Aber wenn man davon ausgeht, dass sie europaweit von Bedeutung sein sollen, dann haben sie es etwa genau so schwer wie die schweizerische Fußballnationalmannschaft.

Benno: Die Szenen sind hier sehr klein und dementsprechend klein sind auch die Auflagen der Zines. Das ist frustrierend, wenn man sich die Riesenmühe macht, ein Magazin herauszugeben.

Zehn Jahre voller Erfahrungen. Was würdet ihr heute anders machen?

Martin: Ich bereue, dass ich Johnny Cash, Joe Strummer und MANO NEGRA nie live gesehen habe.

Benno: Ich würde früher einen Lastrolli kaufen, denn bei Konzerten immer diese Schachteln rumzuschleppen ist echt idiotisch.

Luca: Alles und nichts.

Bands, die ab und an in der Schweiz spielen, haben mir mitgeteilt, dass die Live-Musikszene in der Schweiz boomt. Ist das generell so oder liegt es an der Szene?

Martin: Es gibt sehr viele kleine Auftrittsorte. Je nachdem, wie gut eine Show beworben wird, kann es vorkommen, dass eine völlig unbekannte Band plötzlich vor 300 Leuten spielt. In der Schweiz fehlen die Großstädte, in denen sich eine Szene entwickeln kann.

Benno: Wir haben mit regelmäßigen Newslettern dazu beigetragen, dass man immer erfährt, was gerade läuft. Wenn die Bands viele gute Erinnerungen mit nach Hause nehmen, weil unser Level an Gastfreundschaft sehr hoch ist, das Essen gut, die Kühlschränke voll und die Pennplätze sauber sind, dann hilft das natürlich auch, einen guten Ruf zu bekommen. Das Publikum hier lässt sich gerne begeistern, ganz im Sinne von: To be cool is uncool!

Mit wem würdet ihr gerne in Zukunft zusammenarbeiten und was ist eurer Meinung nach das nächste große Ding?

Benno: Ich will vor allem mit Musikern zusammenarbeiten, die erkennen, wie viel Arbeit hinter einem Konzert steckt, und diese Arbeit zu schätzen wissen. Das nächste große Ding? Schwer einzuschätzen. SKA-P haben in der Schweiz vor ein paar Jahren eine Welle verursacht, wie ich sie nie erwartet hätte. Mein Ding ist auf jeden Fall der Off-Beat, mal schneller und härter, mal ruhiger und gemütlicher.

Martin: GWAR featuring Blümchen. Ansonsten Skapunk, aufgrund des Schweinezyklus, den mich Luca gelehrt hat. Abgesehen davon bilde ich mir ein, dass Rockabilly in den nächsten zwei Jahren der Musikwelt den Arschtritt geben könnte, den sie braucht und verdient.

Luca: Mit den FIDELEN MÖHLTALERN. Das nächste große Ding wird christlicher Melodic Skapunk mit deutschen Texten.

Gott bewahre. Vielen Dank für das Interview.