RED UNION

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Made in Serbia

Was fällt euch ein, wenn ich das Stichwort "Serbien" in die Runde werfe? Jugoslawien? Balkan? Krieg? Milosevic? Djindjic? Punkrock schösse euch wahrscheinlich nicht so schnell durchs Hirn, doch es gibt ihn auch da. Und zwar außergewöhnlich guten, von einer nach einer Uniformhose benannten Band namens RED UNION. Zuletzt machten die skurrilen Szenen von der Beerdigung des Kriegstreibers, dem des Völkermords beschuldigten und in Den Haag einsitzenden Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic Schlagzeilen. Doch es gibt auch andere Meldungen. Bei der Uraufführung des neuen und in nationalistischen Kreisen Ex-Jugoslawiens, sowohl Serbiens als auch Kroatiens, sehr umstrittenen Filmes "Grbavica" (in Deutschland wahrscheinlich ab Juli als "Esmas Geheimnis" in den Kinos) der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic - auf der Berlinale prämiert - wurden von ebensolchen Idioten Tumulte entfacht, doch die Belgrader Kinobesucher buhten die Störer aus dem Saal. Genau deshalb wird es im Folgenden nicht nur um die vier Jungs aus Novi Sad, sondern zu einem entscheidenden Teil auch um Politik, die serbische Seele und das alltägliche Leben junger Menschen in einem politisch und wirtschaftlich isolierten Staat gehen. Trotzdem wollen wir den musikalischen Output der Band nicht unter den Teppich kehren, denn der ist qualitativ herausragend. Ich unterhielt mich mit Sänger Dasko, der gerade die Aufnahmen für das neue Album abgeschlossen hatte. Zur Band gehören außerdem Schlagzeuger Chiatto, der irgendwann einfach mal im Proberaum stand und seitdem fest im Line-up verankert ist, Gitarrist Nenad und Ljuba, Daskos Freund aus Kindertagen, am Bass.


Dasko, du bist Frontmann der Punkrock-Band RED UNION. Kannst du uns einen kurzen historischen Abriss in Sachen Serbien geben?


Serbien hatte das zweifelhafte Vergnügen, stets am Scheideweg zwischen Ost und West zu liegen, und eine lange, schwere und blutige Vergangenheit, die uns noch heute verfolgt. Wir konnten sie nicht verarbeiten und sie beeinflusst noch immer unsere Entwicklung. Bis dato ist ein Leben wie im Rest Europas nicht vorstellbar. Unsere Geschichte ist das bevorzugte Werkzeug der serbischen Nationalisten, aber die nutzen sie sehr selektiv. Sie greifen sich die für ihre Argumentation passenden Fakten und verschweigen den wenig rühmlichen Rest. Was uns genauso verrückt macht, ist der Fakt, dass unsere aktuelle politische Führung versucht, die antifaschistische Rolle Serbiens im Zweiten Weltkrieg aus den Geschichtsbüchern zu streichen und die Westen bekannter Nazikollaborateure weiß zu waschen. Unsere dunklen Jahre liegen noch nicht hinter uns.

Ich habe noch die Bilder der Milosevic-Beerdigung im Kopf, auch den Mord an Djindjic, dem Ministerpräsidenten von der Demokratischen Partei, der Slobodan Milosevic ablöste. Kannst du uns ins Bild setzen, wie das serbische Volk, die Seele Serbiens tickt?

Die allgemeine Theorie spricht von "Zwei Serben". Da sind die primitiv nationalistischen und die faschistisch aggressiven Menschen, welche Kriegsverbrecher als Helden feiern und die anderen, die fortschrittlichen, Pro-EU ... Der Heilige für die ersteren war Milosevic, und der des anderen Serbiens Djinjic. Natürlich kann ich sagen, dass wir eher der zweiten Gruppe angehören, doch wir sind weder von deren neoliberalen Ideen angetan, noch vom Einzug eines ungelenkten Kapitalismus. Wir mochten Djinjic für seinen Anti-Nationalismus, nicht für seinen Weg der Veränderung.

Wie sieht euer alltägliches Leben aus? Was macht ihr, um über die Runden zu kommen, und was müsst ihr anstellen, um die Band am Leben zu halten?

Um die Band am Laufen zu halten, müssen wir in unseren Jobs hart ran. Momentan läuft es verdammt gut, wir haben alle einen Job, den wir sehr gern machen. Abgesehen davon sind wir unheimlich froh über die Arbeit unseres Labels, vor allem jenes außerhalb Serbiens! Hier gibt es keine Labels, zumindest keine, die an Punkrock oder ehrlichem Rock'n'Roll interessiert wären. Wir haben ein Netzwerk aus Freunden, Fans und Aktivisten geknüpft und organisieren größere Konzerte als die idiotischen, von der Presse und von der Musikindustrie gepushten Künstler. Alles in allem ist das große Musikbiz hier eine sehr primitive und armselige Geschichte.

Wie spielt sich der Austausch mit den benachbarten Ländern ab?

Wir sind recht stolz, sagen zu können, dass die Punkrocker die Ersten waren, die die "Brücken" wieder aufbauten, die die Massenschlachterei auf dem Balkan niedergebrannt hatte. Wir haben viele gute Freunde in kroatischen Bands, jede Menge Fans dort und spielen auch sehr oft da. Während die Idioten vergiftet sind vom Hass, haben wir eine super Zeit. Das Problem ist, dass diese Idioten niemandem erlauben, ihren Spaß zu haben. So musst du gegen sie kämpfen, immer und überall.

Militär und Armee spielen in euren Texten mehr als eine Nebenrolle. Wie sehen eure Erfahrungen in Sachen Militär aus?

Der schlimmste Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg wütete in unmittelbarer Nähe. Viele unserer Cousins, Freunde, Brüder und Väter wurden in den Tod geschickt oder sie wurden verrückt. Hier gab es - ausgenommen die NATO-Bombardements 1999 - keine Kriegshandlungen, aber der Krieg war in jeder Minute spürbar. Die Gesellschaft ist noch immer vergiftet vom Militarismus und dem vom Krieg geschürten Hass. Wir verlieren inzwischen die dritte Generation auf Grund dieser teuflischen und falschen Politik, das muss sich ändern.

Wie wird RED UNION in Serbien wahrgenommen? Ein Unterschied zum Rest Jugoslawiens?

Es gibt ein serbisches Sprichwort: "Der Prophet gilt nichts im eigenen Land". Seit langer Zeit werden wir in Kroatien und Europa eher akzeptiert als im eigenen Land Wir singen nicht die Lieder, welche die Leute hören wollen, keine Songs mit einem Lächeln im Gesicht. Wir sagen sehr unpopuläre Sachen, wollen nicht die Bühne teilen mit nationalistischen oder rechten Künstlern. Davon gibt es hier leider einen ganzen stinkenden Haufen. Doch unsere schönen, eingängigen Tunes verpacken unsere kompromisslosen Ideale und unser Bekanntheitsgrad wächst auch hier von Tag zu Tag. Haha! Wir spielen vor einem wachsenden Publikum und das alles ohne Presseunterstützung und ohne ein Plattenlabel in Serbien.

Habt ihr Erinnerungen an das Jugoslawien vor den politischen Umwälzungen?

Ich erinnere mich an 1990 als das glücklichste Jahr meines Lebens. Ich war zehn und dem Ganzen lag eine positive Hoffnung inne. Ein rigider sozialistischer Staat wurde durch einen progressiven sozialdemokratischen ersetzt, bald sah Serbien wie jeder andere europäische Staat aus und hatte die Chance, der EU beizutreten. Du musst wissen, Titos Jugoslawien war nicht wie die anderen Ostblockstaaten. Wir hatten einen liberalen Sozialismus, eine stalinistische Zensur gab es nicht. Für die Sowjets sahen wir wie Kapitalisten aus, für den Westen waren wir Kommunisten. Dann entschied jemand, einen Krieg anzuzetteln und Serbien so weit wie möglich auszudehnen ...

Wie verfolgt ein junger, weltoffener Serbe die Entwicklung der anderen jugoslawischen Staaten? Wie funktioniert szeneintern die Zusammenarbeit mit den anderen jugoslawischen Staaten?

Slowenien ist seit einiger Zeit EU-Mitglied, damit auch im Geltungsbereich des Schengener Abkommens. Das macht es für uns fast unerreichbar, denn wir brauchen ein Visum, um da zu spielen. Visa sind unser größtes Problem. Wir erleben jedes Mal eine Menge Scheiße, bevor wir auf Tour gehen können. Einmal Touren im Jahr, mehr ist dieser Umstände wegen nicht drin. Wir sind unserem Label und unseren deutschen Freunden für die ganze Hilfe und den zusätzlich geleisteten Aufwand, den die Arbeit mit einer nichtwestlichen Band bedeutet, unheimlich dankbar.

Ihr wart ja nun schon einige Male in Deutschland. Wo scheinen für euch die größten Unterschiede zu liegen zu eurem Leben und zur serbischen Szene?

Wir sind traurig, das sagen zu müssen, aber jede Minute, die wir außerhalb unseres Landes verbringen, bringt uns einen heilenden und therapeutischen Effekt. Wir sind so froh, ab und an ein paar relaxte und gut organisierte Gigs zu spielen. Die deutsche Szene scheint so gut entwickelt und auf einem viel höheren Level als die unsere. So viele Klubs, eine stattliche Anzahl Labels, Promoter und Musikfreaks. Sicherlich verdankt ihr dies auch der wesentlich besseren ökonomischen Situation.

Wie oft habt ihr die Chance, eine internationale Band in Serbien zu erleben? Gibt es einen Zusammenhalt auch über die Genregrenzen oder bleibt Punker bei Punker?

Das ist ein reines D.I.Y.-Ding hier. Nicht weil hier ausschließlich Anarchopunks am Werke sind, sondern weil es ganz einfach so ist, dass hier nichts passieren würde, würdest du es nicht selbst machen. Manchmal bin ich richtig wütend auf westliche Bands und Booking-Agenturen. Deren Pläne scheinen an den EU-Grenzen aufzuhören. Da sind genügend Kids, die die Bands hier sehen wollen. Die Kids können nicht durch die Welt reisen, so wäre es wirklich Punk, sie hier zu besuchen! Genregrenzen verschwimmen, aber die Hardcoreler und Punkrocker auf der einen und die Metaller auf der anderen Seite gehen in der Regel getrennte Wege.

Eure musikalischen Wurzeln liegen definitiv in Europa. Wie habt ihr zu eurem Sound gefunden?

Das wohl Wichtigste für eine Band ist, zuerst Musik zu hören, ehe man beginnt, selbst welche zu machen. Wir sind Die-hard-Musikfans. Wir sind wirklich Verrückte, wir kennen jedes kleinste Detail über die Bands und die Musik, die wir mögen. Unsere musikalischen Einflüsse sind sehr verschieden: CLASH, STIFF LITTLE FINGERS, SWINGIN'UTTERS, LIVING END, NEWTOWN NEUROTICS ... Da gibt es auch eine Latte anderer Künstler, die uns, wenn schon nicht musikalisch, dann doch durch ihren Spirit beeinflusst haben. Was du liest, was du hörst und was du siehst, alles beeinflusst deine Musik.

Ihr seit mit eurem Debüt-Longplayer "Rebel Anthems" super eingeschlagen. Was war davor, was ging danach und was wird jetzt noch kommen?

Wir sind sehr froh, einhellig positive Reviews geerntet zu haben, und dass das auch beim Publikum ankommt. Wir tourten schon zweimal, Ende des letzten Jahres waren wir auf einem Zwei-Tages-Konzerttrip, haben das zehnjährige Bandworm-Jubiläum gefeiert und einen coolen Gig in Düsseldorf gespielt. Wir veröffentlichten eine Split-EP mit der tollen serbischen Band SWEEPER, die einen ganz anderen Sound fabrizieren, aber trotzdem Punk sind. Gerade haben wir unser zweites Album eingespielt, "Black Box Recorder". Das wird im Sommer auf Bandworm erscheinen. Wir erwarten auch alle auf der Tour Ende Juli.

Holm Weichhold