Marky Ramone

Das Wochenende hatte deutliche Spuren hinterlassen und so war man auch nicht sehr enthusiastisch als es daran ging, sich sonntags schon wieder ein Konzert anzutun. Aber wie oft läuft einem schon mal ein echter Ramone vor die Flinte und das noch dazu in einem relativ kleinen und sympathischen Laden wie dem Gleis 22 in Münster? Dort sollte nämlich am 30.1.2000 Marky Ramone mit seinen INTRUDERS ein Gastspiel geben. Also ab dafür... Nachdem man den Abend stilvoll mit Pizza und Bier eingeläutet und sich eine Weile (gegenseitig) im Gleis angeödet hatte, ergab sich zwischendurch auch noch die Gelegenheit, Herrn Marc Bell bei labbrigem amerikanischen Bier ein paar Fragen zu stellen. Nicht ohne von ihm noch eine Zeit lang buchstäblich im Regen stehengelassen zu werden...

"Hey, das gleiche Diktiergerät hab ich auch. Gutes Gerät, gute Qualität."

Okay, wo wir schon bei Technik sind, zuerst ´ne technische Frage: Warum spielst du nicht mehr die zweite HiHat auf der rechten Seite?

"Die hatte ich, weil die RAMONES einfach so schnell gespielt haben. Mit ausgestrecktem Arm war die geschlossene HiHat einfacher zu spielen als die am Körper, ist einfach eine natürlichere Haltung, man kann sich mehr ausstrecken. Ich hab also die eine HiHat offen gespielt und wenn Joey angefangen hat zu singen hab ich auf die andere gewechselt und die geschlossen gespielt. Während der Strophen war die HiHat normalerweise geschlossen. Vor dem Refrain hab ich dann wieder die offene gespielt und bin dann aufs Ride gegangen. Bei manchen Songs hab ich die offene HiHat gespielt aber diese eine war immer geschlossen."

Mal zurück in die 70er. Als du mit DUST, Richard Hell, Wayne County usw. gespielt hast, war dein Schlagzeugspiel, besonders bei DUST 1971/72, sehr dynamisch und abwechslungsreich. Dann kamen die RAMONES...

"Es war eine Herausforderung. Ich hatte zu viele lahme Drummer gesehen, aber noch keinen der einfach SO spielte: (trommelt "Teenage Lobotomy" auf dem Tisch) ...und ich dachte mir nur "How the fuck does he do that?" Das war als Tommy noch bei den RAMONES war und mit ihm waren sie noch nicht so schnell. Wenn du es vergleichst... später spielten sie viel schneller. Es war einfach eine Herausforderung und es ist gut, dass ich sie angenommen habe, weil ich nicht gedacht hätte, dass ich das hinkriege."

Hat Tommy dir also die RAMONES-Songs beigebracht?

"Ja, Tommy und ich sind vier Tage zusammen ins Studio gegangen und dann kamen die anderen RAMONES. Tommy war mit seinem Drumset hinter mir, ich mit meinem davor, die anderen um uns herum und wir haben gespielt. Das komplette Liveset und die Songs von "Road To Ruin". Danach tauchte Tommy dann nicht mehr auf und überließ mir das weiße Rogers-Drumset. Der erste Song, bei dem ich bei den Aufnahmen dann gespielt hab, war "I Wanna Be Sedated"."

Hervorragender Song. Ein anderer guter Song auf "Road to Ruin" ist "I Don´t Want You"...

"Stimmt. Guter Song."

...da öffnest du an einer Stelle völlig unvermittelt die HiHat (genaue Ortsangabe: zweite Strophe nach dem zweiten "I don´t care")...

"Because I felt that at... maybe at that point it could open up something like... hmmm, some kind of..... hmmm.... freedom... y´know what I mean?"

(Häh?!? Dumme Gesichter bei allen Anwesenden, dann allgemeines Gelächter)

"....hmmm.....also... das hörte sich so an, als ob man einen riesigen Schraubenschlüssel ins Schlagzeug wirft. (Anm.: DAS war dann verständlicher) Aber es ragte irgendwie heraus. War nicht zuviel und nicht zuwenig."

Man hört, du willst ein Buch schreiben, weil du sagst, dass Dee Dees Autobiographie "Poison Heart" nur zu 70 Prozent die Wahrheit über die Ramones erzählt.

"Eigentlich erzählt es nur zu 65 Prozent die Wahrheit und zu 35 Prozent... ich meine, Dee Dee kann gut schreiben... er hat ´ne lebendige Fantasie..."

Trotzdem ist es eines der besten Bücher, die je über die Ramones erschienen sind. Es ist nicht so der übliche Mythoskram.

"Das Buch ist voll von Mythos!"

Aber nicht so das Rockstar-Zeug, mehr persönliche Anekdoten.


"Stimmt. Aber es ist viel Mythos drin, Sachen wie "Alligator Alley" oder "Chicken Beak Boy"..."

(Anm.: "Alligator Alley" und "Chicken Beak Boy" sind Stories aus Dee Dees Autobiographie "Poison Heart - Surviving The Ramones". "Chicken Beak Boy" erzählt von den Aufnahmen zu "Subterranean Jungle" als Marky des öfteren unter Drogeneinfluss im Studio ausklinkte, manchmal derart, dass sie nicht weitermachen konnten, weil er nur noch mit nacktem Arsch in die Höhe gereckt und flatternden Armen mit der Nase herumpickte und gackerte "Chicken Beak Boy! Chicken Beak Boy!". Das ganze endete darin, dass er eines Tages das komplette Studio zertrümmerte. "Alligator Alley" handelt von einer Fahrt zu dritt nach Florida, wo sie in der Wildnis von der Straße abkommen und steckenbleiben, einen Buschbrand verursachen und sich von Alligatoren umzingelt wiederfinden.)

Was war mit "Chicken Beak Boy"? Ist das keine wahre Geschichte?

"Doch, das ist ´ne wahre Geschichte. "Chicken Beak Boy" ist ´ne wahre Geschichte und "Alligator Alley" auch.... Wir sind aber nicht wirklich von Alligatoren angegriffen worden. Aber wir sind da wirklich steckengeblieben und da war auch dieses Riesenfeuer. Der Highway verlief an der Stelle allerdings über´m Wasser und die Alligatoren bräuchten schon ´ne Leiter, um da hochzuklettern. Das hat Dee Dee sich ausgedacht. Es ist ein interessantes Buch und es ist lustig und vieles darin ist wirklich so passiert. Aber ich werde ein Buch schreiben, ich bin schon dabei, da sind dann die wirklichen Geschichten drin."

Wann soll das rauskommen?

"Oh, keine Ahnung. Vielleicht 2001. Ich hab bis jetzt so 12, 13 Kapitel fertig. Es ist nicht so cartoonmäßig wie Dee Dees Buch, mehr so die richtige Story."

Geht es dir nicht reichlich auf den Geist, dass dich die Leute immer noch so viel über die RAMONES fragen? Ich meine, du bist mit deiner aktuellen Band auf Tour und immer die alten Geschichten....


"Naja, ist nun mal so. Muss man mit rechnen. Es ist ein großes Erbe. Ich meine, RAMONES... 22 Jahre. Davon war ich 15 Jahre dabei. Da muss man damit rechnen, dass man das nicht einfach auslassen kann."

Aber kriegt man nicht das Gefühl, die Leute interessiert es überhaupt nicht, was man gerade macht sondern nur der alte Kram?

"Es interessiert sie sehr wohl. Das zweite Album hat sich besser verkauft als das erste. Die Leute hören sich rein. Was soll ich sagen? Ich will nicht gegen die RAMONES antreten, aber ich bin das einzige RAMONES-Mitglied, das den Rhythmus und den Spirit der RAMONES am Leben gehalten hat. Die RAMONES... Dee Dees neues Album kommt bald raus und das wird wohl wirklich gut, aber Joey macht eigentlich nichts und Johnny hat sich zur Ruhe gesetzt. Was bleibt noch übrig? Etwa diese unzähligen RAMONES-Klone, die nichts anderes tun als zu kopieren? Ich denke, was ich mache, ist den Rhythmus und den Spaß an der Sache erhalten. Ich will mich mit niemandem anlegen oder ´ne neue musikalische Revolution starten. Das haben die RAMONES getan. Ich will einfach nur meinen Spaß haben und hoffe, die Fans mögen das."

Es gibt seit kurzem eine RAMAINZ-Liveplatte... (Anm.: die RAMAINZ sind ein Fun-Projekt von verschiedenen Leuten aus dem RAMONES-Umfeld, das bis jetzt nur gelegentlich in und um New York aufgetreten ist. Zu den Gästen dieses Projektes gehörten auch schon mal Joey, Daniel Rey oder der zweite RAMONES-Bassist C.J. Ursprünglich war der Name "Remains" aber er wurde in "Ramainz" geändert, entgegen einiger Gerüchte aber wohl nicht, um es "Ramones"-ähnlicher klingen bzw. aussehen zu lassen, sondern aufgrund von namensrechtlichen Problemen mit einer Band namens "Barry And The Remains")

"Wo hast du die her?"

Bis jetzt nur im Internet gesehen.

"Ah, ja, über´s Internet kann man sie kriegen, aber in Europa ist sie noch nicht offiziell rausgekommen. Wir verhandeln da gerade über den Vertrieb, so dass man sie hier auch leichter und billiger kriegt als wenn man sie in den Staaten bestellt. Naja, sie ist in New York City aufgenommen.... was soll ich sagen?"

Gibt es Pläne, auf Tour zu gehen?


"Mit den RAMAINZ? Also, Dee Dee wird eine eigene Solotour mit seinem neuen Album machen - wahrscheinlich im April - und danach werden wir wahrscheinlich über eine RAMAINZ-Tour nachdenken. Wir spielen auch nur RAMONES-Stücke. (Anm.: stimmt anscheinend nicht ganz, denn die RAMAINZ-Platte enthält auch zwei neue Songs von Dee Dee, einer davon von seiner Frau Barbara gesungen.) Dee Dee spielt Gitarre und singt, ich an den Drums und Barbara singt und spielt Bass."

Also nur zu dritt?

"Ja, mit Dee Dee an der Gitarre. Dee Dee hat auch Johnny beigebracht, wie man Gitarre spielt. Er war der Songwriter, er präsentierte Johnny die Songs, zeigte ihm die Akkorde und Johnny spielte dann die Akkorde, die Dee Dee geschrieben hatte. Das meiste war von Dee Dee."

Heute ist euer letzter Gig auf der Tour... Wie sieht´s mit den Zukunftsplänen der Intruders aus?


"Wir wollen im Frühjahr in Japan spielen und ich will ein neues Album machen. Sieben oder acht Songs haben wir schon. Ach, viele Sachen.... ich würde gerne in Australien spielen und ich würde wirklich gerne eine Englandtour machen. Wir hatten vor einiger Zeit eine Show in London und das war großartig. Viele Pläne halt. Auch ´ne Menge RAMONES-bezogener Kram. Ich will "Ramones Around The World Part 2" rausbringen (Anm.: "Ramones Around The World" ist eine Zusammenstellung von Videoaufnahmen, die Marky selbst von den RAMONES gemacht hat und anderem raren Material) und im September haben wir ´nen Filmauftritt, wo wir drei neue Songs spielen. Wird bestimmt ein cooler Film, ein Thriller, keine Komödie."

Und deine sonstigen Pläne außer Musik machen?

"Ich mag es als Produzent zu arbeiten. Ich kümmere mich schon um zwei Bands und da ist noch eine dritte Band aus New York, die mich als Produzenten will, aber ich muss erst mal sehen, wo und wann die was machen wollen. Aber ich mag den Job wirklich."

Okay, danke für das Interview.

Nur noch Spaß haben? Den Rhythmus am Leben halten? RAMONES-Kopien? Große Worte. Aber wider Erwarten brauchen sich die INTRUDERS hinter keiner der erwähnten RAMONES-Kopien zu verstecken. Sowohl in puncto Gas geben (okay, Marky ist ca. 46 und die beiden anderen deutlich jünger, hehehe) wie auch was das Songwriting betrifft. Besonders erfreulich war, dass sie selbstbewusst genug waren nur ganz vereinzelt mal einen RAMONES-Song zu spielen (fünf an der Zahl in einem Set, der mehr als eine Stunde dauerte). Anders als das, was man sonst von Leuten kennt, die den Namen Ramone tragen. Und so schafften sie es tatsächlich, für eine Weile Sonne in diesen kalten, trüben Winterabend zu bringen. Da machte es dann auch nichts mehr aus, dass wir vergessen hatten, den alten Herrn nach der Story mit der Perücke zu fragen.....